Zuschauen, wie es vergeht

von Katrin Bettina Müller

Berlin, 11. Juni 2009. Der Raum war eng geworden zuletzt, ein schmaler Streifen Bühne, der knapp ein Aneinander-Vorbei der Schauspieler zuließ. Ihre Körper rückten bis zur Verknotung zusammen, die Stimmen legten sich polyphon übereinander im Chor. Idomeneus, die, wie man seit gestern weiß, letzte Inszenierung von Jürgen Gosch, bestach wieder wie so viele seiner Inszenierungen der letzten Jahre durch das Weglassen von allem Überflüssigen. Wie man sich da konzentrieren konnte, wie man den gewundenen Sätzen, die Roland Schimmelpfennig seinem der Antike entlaufenen Personal in den Mund legte, folgen konnte bis in die feinen Verästelungen, mit denen sie ihre Geschichte wieder und wieder neu interpretieren und verschiedene Varianten ausprobieren. Was da alles an Bildern im Kopf entstand, umspannte mit ungeheurer Leichtigkeit den Zeitraum von alten Mythen bis in eine Gegenwart, die mit großen Erzählungen, Kriegern und Helden so ihre Probleme hat. Es war lustig und es war reflexiv auf der Höhe der Zeit.

Niemals unverständlich oder patiniert

In der Nacht vom 10. auf den 11. Juni ist der Regisseur Jürgen Gosch in seiner Berliner Wohnung gestorben. Dass er schwer krebskrank war, wusste man seit einiger Zeit und staunte, wie dann doch noch eine Inszenierung nach der anderen herauskam, am Deutschen Theater in Berlin, am Schauspielhaus Zürich und in Hamburg. Man dachte daran womöglich zu Beginn seiner Inszenierungen der Möwe und von Hier und Jetzt, mit denen er diesem Mai zum Theatertreffen in Berlin, zum sechsten Mal in Folge, eingeladen war. Man vergaß es aber auch eben so schnell wieder, wenn die große Gegenwärtigkeit des Schauspiels einen gefangenen nahm. Nie wirkte da eine Figur unverständlich oder wie aus einer fremden Zeit gekommen, patiniert mit der Aura großer Theatergeschichte.

In jeder Rolle den Menschen glaubhaft erkennen zu lassen, dessen Logik und Gefühle immer zu verstehen waren, war zur großen Stärke der von Gosch angeleiteten Ensembles geworden. Und dennoch stellte dies Theater in seiner Reduktion und Klarheit etwas anderes als emphatisches Einfühlungstheater dar, das mit der Größe der Gefühle oft den Zugang zum wirklichen Empfinden verstellt und reale Menschen wie Zwerge neben den großen Rollen wirken lässt.

Macbeth, der große Knall

"Einfach zuzugucken, wie etwas vergeht", nannte der Regisseur, der nicht gern über die eigene Arbeit redete, in einem Gespräch mit Eva Behrendt vor drei Jahren einmal als Motor seiner Inszenierungen. Vorausgegangen war dem der große Knall in seiner Laufbahn, sein "Macbeth" am Düsseldorfer Schauspielhaus, für seine Nacktheit und Körperlichkeit als Skandal gescholten und zum Popanz für eine Ekeltheaterdebatte aufgeblasen. Das hat nicht nur diesem Regisseur, sondern dem Theater überhaupt zu einer ungewöhnlichen Aufmerksamkeit verholfen, zu Gosch pilgerten auch Theaterhasser, um sich von der Berechtigung ihres Hasses zu überzeugen.

So etwas führt oft zu einer fatalen Etikettierung und einem Label, dem der Künstler selbst nicht mehr entkommt. Nicht aber bei Gosch: Von der Öffentlichkeit ließ er sich keinen Druck machen. Ob er Rezas Gott des Gemetzels in Zürich zur schärfsten Komödie über die Charaktermasken des Bildungsbürgertums machte oder Tschechows melancholischen Witz zu einem Raum ausbaute, in dem man sich selbst mit allen Zweifeln am Sinn des eigenen Lebens wiederfand, oder in Shakespeares Sommernachtstraum über das Nicht-Nachlassen der Begierde in nicht mehr jungen Körpern nachdachte – immer schienen die Schauspieler dabei auch über sich selbst zu reden, jedes Ensemble auch eine intime Familie zu bilden. Weil sie aber so spielten, als setzten sie ihr eigenes Leben in eben dieser Rolle von Shakespeare, Tschechow oder Reza fort, bekam dies Theater trotz aller Intimität nie etwas von Geschlossenheit oder Abschottung gegen die Außenwelt. Auch das hat das Besondere ausgemacht, das zu seiner wachsenden Beliebtheit beitrug.

Biographie kein Thema

Man hat sich im Mai dieses Jahres noch beeilt, den 65-Jährigen und seinen Bühnenbildner Johannes Schütz zu ehren: Sie erhielten den Theaterpreis Berlin und den "Welttheaterpreis". Solche Zeichen großer Anerkennung fehlten lange auf dem Weg des Regisseurs, der 1943 geboren wurde und Theater zuerst in der DDR machte, bis er in den Achtziger Jahren ans Schauspiel Köln ging. Niederlagen hatte er einige, im Westen wie im Osten, zu verkraften. Aber große Anklage, Bitterkeit, Vorwürfe, die das Verhältnis anderer Künstler zu Institutionen und Öffentlichkeit bei einer Geschichte wie seiner leicht prägen, ließ er eben nicht laut werden. Biographie, die eigene Person – kein Thema.

Trotzdem kommt man nicht umhin, die große anrührende Kraft seiner Stücke der letzten Jahre als Ergebnis des langen Erfahrungszeitraums seines Lebens zu sehen. Er ließ sich Zeit, in den Inszenierungen gewiss, aber auch im großen Maßstab. Nicht einmal von der Krankheit ließ er sich hetzen.

Am Montag, den 22. Juni um 12 Uhr, findet auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin Mitte die Beisetzung von Jürgen Gosch statt. Außerdem wird das Deutsche Theater dem Regisseur mit einer Matinee am 28. Juni um 12 Uhr gedenken.

 

 

mehr porträt & reportage

Kommentare  
Jürgen Gosch: ein Stück weit im Herzen
ich denke, alles, was man sagen könnte, trägt jeder von uns ein stück weit im herzen.
Jürgen Gosch: erst mal schweigen
Er war gut. Grüber war gut. Tabori war gut. Stein, Zadek und Peymann sind noch gut. Und wenn die weg sind, gibt es ein großes schwarzes Loch. Der Rest ist erstmal Schweigen. Theater wird sein!
Jürgen Gosch: Gute Reise!
...Gute Reise, Jürgen !
- und wir versuchen hier weiterzumachen ,mit allem was du uns geschenkt hast !
Danke !
Jürgen Gosch: Von eben auf jetzt ...
Lieber theaterliebhaber, ja, der Tod ist unfassbar. Er bricht ins Leben ein. So plötzlich. Von eben auf jetzt, von gestern auf heute. Immer und immer wieder. Und plötzlich wird mir bewusst: Auch mein Leben ist vergänglich. Ich kann die Toten vor mir nicht mehr zum Leben erwecken, aber ich kann sie in meiner Erinnerung fortleben lassen. Der Kreislauf des Lebens, die Wiederkehr des Immergleichen, ist ohne den Tod nicht zu denken. Der unendliche Fluss des Seins fließt weiter. Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen. Ich würde mir wünschen, dass sich die Generationen der Väter und Söhne miteinander versöhnen. Ich persönlich habe schon viel von "den Alten" (dies ausdrücklich in positivem Gestus) lernen können, trotz oder vielleicht gerade aufgrund differierender Haltungen und Perspektiven. Gegen das schwarze Loch und das Schweigen hilft nur eins: Miteinander sprechen. Sich konfrontieren. Man muss nur offen und bereit dazu sein.
Jürgen Gosch: die Alten und die Jungen
die alten haben die alten, und die jungen haben die jungen. so ist das nunmal! beide begegnen sich bei "essen auf rädern", sonst nirgends.
Jürgen Gosch: virtuelle Rosen hinterlassen
Das ist schön, dass man hier eine virtuelle Rose für Jürgen Gosch hinterlassen kann.
Jürgen Gosch: Shakespeare said
"Das Leben ist ein schneller Schatten; spielt sich auf für diese Stunde auf der Bühne, zerfrisst sich, ist vergessen: nur ein Märchen, von einem Depp erzählt, voll Lärm und Tollwut, ganz bedeutungslos"

Nicht so bei Jürgen Gosch !!
Jürgen Gosch: zweite Rose für Gosch
Ich möchte auch eine Rose für Jürgen Gosch hier hinterlegen.
Jürgen Gosch: zu spät, zu kurz, zu früh
Spät - fast zu spät wurden Goschs Qualitäten wiederentdeckt, zu kurz durfte er seinen verdienten Erfolg genießen, und zu früh verläßt er uns. Es wäre eine Tragödie - wenn nicht Jürgen Gosch selber dafür gesorgt hätte, dass er sich unauslöschlich in die Theatergeschichte eingeschrieben hat. Das ist, was am Ende bleibt...
Jürgen Gosch: reduziert auf das Wesentliche
sie sind eine trittbrettfahrerin. sie haben mit der realen jeanne nichts zu tun... denn sonst würden sie erkennen, daß ihre kommentare manchmal fast zynisch wirken, angesichts der dimension des todes... und der schmerzhaften schwere dieser krankheit. aber es sei ihnen verziehen, ich denke, sie sind noch sehr jung. vielleicht zu jung. vielleicht nur im kopf. aber egal. nichts für ungut...- selbst, bin ich froh und glücklich, herrn gosch noch in diesem jahr irgendwann bei einer premiere in die augen blicken haben blicken zu können... und es gab ein zögern in mir, vielleicht nur eine sekunde... und ich dachte, er macht es nicht mehr lange... es lohnt sich nicht, an die zukunft zu denken... nachher saß er im foyer in diesem theater auf dem fußboden mit freunden und lächelte und grinste herüber... und wirkte trotz alles gebrechlichkeit jung und schalkhaft, warm und liebenswürdig... so, wie sein umgang mit den schauspielern in den letzten jahren... einfach, bodenständig, warmherzig, reduziert auf das wesentliche... und letztendlich voller liebe zur kunst und zu den menschen... etwas, das selten geworden ist auf dem theater... DANKE JÜRGEN!!!
ich werde dich nie vergessen...
Jürgen Gosch: fasziniert von "Ödipus"
@ 10: Ihr Kommentar tut mir sehr weh. Möglicherweise haben Sie mich missverstanden. Ja, ich bin vielleicht jünger als Sie, aber auch mich macht der Tod eines Menschen unbegreiflich traurig. Mit meinem Kommentar wollte ich genau das unterstreichen. Dass mit dem Tod alles persönliche Streben, aller Ehrgeiz und aller Stolz in den üblicherweise geführten und ausgetragenen Generationenkonflikten hinfällig werden müsste. Soeben komme ich vom DT zurück, wo ich die Filmaufzeichnung von Goschs "Oedipus"-Inszenierung von 1984 am Schauspiel Köln gesehen habe. Trotz anfänglicher Irritation über die doch ganz andere Form als die mir bisher bekannten aktuellen Gosch-Inszenierungen bin ich noch immer eingenommen und fasziniert. Was vor allem auch an der emotional durchschlagenden Kraft der Hölderlinschen Verse lag. Mir ist jetzt nicht zum Streit zumute. Wie denn? Angesichts des immer wieder unverschuldeten und doch anzunehmenden Leids. Es kommt drauf an, dass wir weiter-spielen.
Jürgen Gosch: eine Rose mehr
Vielen Dank, Herr Gosch, vielen Dank!
Es scheint beschissen virtuell, sei's drum: eine abgelegte Rose mehr...
Jürgen Gosch: alles Gute
liebe und lebendigkeit ihnen, weisheit. machen sie weiter. im sinne jürgen goschs. immer weiter mit mut und sehnsucht. ehrlichkeit zu ihnen selbst und zu den anderen. ich wünsche ihnen alles gute auf ihrem weg. mein kommentar war nicht verletzend gemeint. nur eine ehrliche kritik, die beschreibung eines eindruckes, den ihre äußerungen auf mich machten. nichts für ungut.
Jürgen Gosch: die Angst ums eigene Flüchtigsein
Soviel wurde geredet, geschrieben, gestritten be-& verurteilt, ob, und warum und wenn ja,wie viel Angst und Trauer, über Endlichkeit, Kranksein und das Sterben öffentlich und künstlerisch be/oder verhandelt werden sollte und dürfte, und wo die Wahrheit darüber endet und wo die Intimität beginnt... Lächerliche Fragen, die vielleicht gestellt werden müssen, aber dennoch unmöglich zu beantworten sind - Unter und über allem, die Angst ums eigene Flüchtigsein und die Angst um all die, für die unser Herz schlägt - Und dann passierts - wieder einmal - Einer der nie gehen sollte - weil wir ihn gerade so sehr brauchen - und da stehen wir - vorerst übriggeblieben - fassungslos - untröstlich...

Eine Rose! - und uns allen den Wunsch das wir IHN in unseren Herzen und Hirnen behalten und so aufmerksam als möglich unser bisschen wunderbares Leben weiterleben !
Jürgen Gosch: eine weitere Rose
Mit all meinem Respekt -
all meiner Bewunderung -
all meiner Dankbarkeit -
tieftraurig -
eine Rose !
Jürgen Gosch: verriegeltes Paradies und eine Rose
doch das paradies ist verriegelt und der cherub hinter uns;wir müssen die reise um die welt machen und sehen,ob es vielleicht von hinten wieder offen ist.(kleist)
ich hoffe und wünsche ihm das der sie offen gefunden hat.die reise hat er jedenfalls mit grösster vollendung gemacht.möge er es leicht haben.eine rose.
Jürgen Gosch: von mir eine Pfingstrose
Unendliche Traurigkeit!
Ich hatte mich so auf die Bacchen gefreut!
Hoffnung war und ist nun nicht mehr.
Danke, Herr Gosch für all die großartigen Theaterabende
gern hätte ich noch mehr gesehen.
Von mir eine Pfingstrose.
Olaf
Danke Jürgen Gosch
Jürgen Gosch, herzlichen Dank für 'Die Stunde, da wir nichts voneinander wußten' in Bochum.
Jürgen Gosch: brachte das Theaterland NRW zum Leuchten
Vielen Dank für jeden einzelnen Tschechow und jeden einzelnen Shakespeare in den letzten Jahren. Und vielen Dank besonders für "Was Ihr wollt" in Düsseldorf, mit dem Sie für mich das Theaterland NRW zum Leuchten brachten.
Kommentar schreiben