Eine Probe ist eine Probe ist eine Probe

von Michael Laages

Hannover, 14. Juni 2009. "Jetzt geht's los!" ... Moment, geht's nicht auch knapper, kürzer, prägnanter? "Los geht's!" vielleicht? Oder einfach: "Los!" ... Aber ist das nicht alles ohnehin viel zu platt und banal – und muss denn hier überhaupt zu lesen sein, dass es jetzt los geht, wenn's ja ohnehin los geht?

So etwa begänne (vielleicht) die Berichterstattung über "The Rehearsal", die zum hannoverschen Festival "Theaterformen" eingeladene Produktion der spanischen Gruppe um die Regisseurin Cuqui Jerez, wenn die fünf jungen Ensemblemitglieder auch die noch selber übernehmen würden. Sie würden auch den Bericht noch proben und proben und noch mal proben; und jeder Proben-Teil wäre wiederum Baustein des Textes selbst.

 

Niedliche Sinnlosigkeiten

Jerez treibt ein konsequentes Spiel mit dem Spiel; es geht ihr ausschließlich um die verwirrende Erfahrung, die unausweichlich entsteht, wenn sich das Publikum auf keinen jeweiligen Zustand von Echtheit und Verbindlichkeit verlassen kann. Und das geht so: Wenn die Show beginnt, sind zwei junge Darstellerinnen schon dabei, kleine, niedliche Sinnlosigkeiten zu vollführen, mit beliebigen Requisiten auf der ansonsten leeren Bühne; sobald es (für uns) dann los geht, bekommen diese kleinen Übungen ein bisschen Form – parallele Bewegungsminiaturen tauchen auf, erste Momente von inszeniertem Ausdruck; etwa, wenn virtuell eine Hose reißt und die Figur zu üben beginnt, auf diese Peinlichkeit zu reagieren. Die beiden scheinen vor allem von und miteinander zu lernen, ohne dass in irgendeiner Form erkennbar wird, worum es denn wohl gehen könnte.

Plötzlich sind die beiden nicht mehr allein – vorn links im Saal meldet sich aus Reihe 1 Nummer 3 zu Wort und nimmt die Haltung der "Regisseurin" ein. Noch mal zurück das Ganze, noch mal von vorn, noch mal mit etwas mehr Energie, bitte! Erst haben die beiden geübt, jetzt beginnen sie zu proben – die dritte sagt ihnen, was zu tun ist und wie es geht.

Das geht eine Weile gut – bis rechts im Saal und aus Reihe 5 die nächsten Regie-Anweisungen tönen; jetzt "probt" das Ensemble zu dritt für die nächste Regisseurin. Und damit dieses Spiel von nun an eine gute Stunde so weiter gehen kann, auch wenn nicht immer mehr Personal mit beliebig vielen "Regisseuren" zur Verfügung steht, verlässt immer mal wieder eine aus dem Quartett die Bühne – um kurz darauf aus den oberen Reihen als neue "Regisseurin" aufzutreten.

Neverstarting, neverending story

Kein Zustand wird verbindlich und endgültig sein an diesem Abend, das ist schnell klar; irgendwann mischt sich auch der Kollege Techniker vom Ton- und Licht-Pult ein. Und wie schnell durchschaubar das Prinzip im Grunde auch ist, das Vergnügen über dieses Spiel im Spiel im Spiel (uswusf. ...) hält doch ziemlich lange an. Obwohl ja nie wirklich klar wird, ob es um irgendetwas geht – nur kurz taucht auch musikalisch das Entree eines klassischen Broadway-Musicals auf. Und zum Schluss dann, nach ganz viel unfertig Geprobtem, ist das banalstmögliche Ergebnis des Proben-Drills zu besichtigen: die vier Frauen singend zum Playback, mit Nullachtfuffzehn-Choreographie und Lichteffekten zur "Neverending Story" von ABBA selig.

"Neverstarting story" singen die vier Spanierinnen – ihre Show aber hat nicht nur keinen echten Beginn, sie kann auch überhaupt nie enden. Denn jedes Finale, jede Verbeugungschoreographie, jedes Nach-Hause-Gehen, und sei es noch so beiläufig, ist immer wieder nur noch eine Probe.

Mit dem Satz "This show has no end" ist naturgemäß Schluss – und jetzt dürfte das Ensemble mit dem Verbeugen auch nicht mehr weitermachen. Das weiß natürlich auch Cuqui Jerez – und beim nächsten Verbeugen erklärt sie, dass sie das nur hier und heute in Hannover so machen, weil hier alles so großartig war, vor allem wir, das Publikum.

Glaube niemals einem Künstler!

"The Rehearsal" ist eines dieser Performance-Produkte, in denen die formale Struktur komplett zum Inhalt geworden ist; und es wäre wiederum nur ein Gedanken-Experiment des Publikums, wenn es sich auch noch wünschte, dass etwas, irgendetwas irgendwie Handfestes in dieser Spiel-im-Spiel-im-Spiel-Struktur entstünde: ein Produkt, ein Material, ein Gedanke. Aber das wäre, zugegeben, ziemlich viel verlangt.

So bleibt die Spiel-Idee von Cuqui Jerez (wie übrigens neulich auch die von Ivana Müller in Hamburg, die in Playing Ensemble Again and Again versucht hatte, die Struktur der Verbeugungen nach der Show in Zeitlupe mit Inhalt zu füllen) schließlich doch nur nett und niedlich. Bestenfalls führt sie dazu, dass wir keine "fertigen" Bilder mehr erwarten in den lebendigen Künsten, etwa im Theater; und dass wir den Künstlerinnen und Künstlern nie und nimmermehr irgendetwas glauben. Es könnte ja wieder nur geprobt sein.

 

The Rehearsal
Regie: Cuqui Jerez.
Mit Maria Jerez, Cristina Blanco, Cuqui Jerez, Amalia Urra und Gilles Gentner.

www.theaterformen.de

 

Mehr lesen über die Theaterformen? nachtkritik.de hat auch City Circus Zero Work von andcompany&co besprochen.

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