Fußpilze an der Stirn

Von Ralph Gambihler

Leipzig, 30. Juni 2007. Die Erbschleicher-Komödie "Volpone" aus der Feder des Shakespeare–Rivalen Ben Jonson ist ein funkelnd-boshafter Schwank über Heuchelei. Geheuchelt wird nicht nur für Geld und sozialen Aufstieg, sondern auch zum bloßen Vergnügen.

Letzteres ist das Privileg der Hauptfigur, die in Leipzig einen haarsträubenden Mullbinden-Verhau am Kopf trägt, dazu eine Sonnenbrille, eine Halskrause aus dem Orthopädie-Bedarf und ein Unglück von Unterwäsche. Beim Medizinerfasching gäbe es ein großes Hallo. Tatsächlich hat Thomas Dehler, der Darsteller des Volpone, die ersten Lacher auf seiner Seite, zumal er mit seinem bedarfsweise nach Müllschlucker klingenden Organ durchaus komisch wirkt. Einige Zuschauer müssen aufpassen, dass der Wein nicht überschwappt, den sie sich vor der Vorstellung geholt haben.

Leichte, deftige Kost
Sommertheater ist – möglicherweise - leichte Kost in leichter Kleidung. Mit der Kleidung hat es am Premierenabend nicht klappen wollen. Der Himmel drohte dunkel, bevor er gnädig zur blauen Stunde überging. Manche Outdoor-Jacke kam zu Theaterehren. Als Kulisse für seine Open-air-Lustbarkeiten dient dem Schauspiel seit einigen Jahren das Gohliser Schlösschen, ein in den 90er Jahren hübsch herausgeputztes Rokoko-Schmuckkästchen, das in der so gut wie schlösserfreien Stadt Leipzig die Ausnahme ist. Vor dieser alten, in weiß-gelber Süßlichkeit schwelgenden Fassade hat es in den vergangenen Jahren eine Freischütz-Adaption, zwei Goldonis, einen Carlet de Mariveaux gegeben. Die Atmosphäre ist gediegen und durch die Enge des Hofes vergleichsweise intim.

Die Schauspieler machen sich hier bereitwillig zum Obst. In den angrenzenden Mehrfamilienhäusern gibt es auf den Balkonen kostenlose Logenplätze, von denen aber wenig Gebrauch gemacht wird. Überhaupt ist die Gegend ziemlich ruhig. Nur die gelegentlich vorbei fahrenden Autos erinnern daran, dass man nicht j-w-d ist, sondern mitten in einem der besseren Wohnviertel von Leipzig. Die leichte Kost muss man sich eher deftig vorstellen.

Die Regie (Marc Lunghuß) bahnt sich ihren Weg irgendwo durch die Tradition der Commedia dell’Arte in Richtung Brachialkomödie. Das Setting ist, wie man so sagt, schräg. Also bunt und herzlich harmlos. Es wird chargiert, was das Zeug hält. Die Freilicht-Bühne hat man sich in diesem Jahr gespart. Gespielt wird wie beim Straßentheater auf nacktem Pflaster.

Als Hauptattraktion dient der Inszenierung eine alte Jaguar-Limousine, die der reiche Herr Volpone schwungvoll auf den Schlosshof chauffiert. Seine Aufmerksamkeit streift kurz das Anwesen ("Geile Hütte! Kaufen wir!"), um sich sogleich dem selbst auferlegten Stress der Verwandlung und Verstellung zuzuwenden. Volpone heuchelt den Sterbenskranken, um sich mit dem zu erwartenden Schauspiel antanzender Erbschleicher-Tölpel die Zeit zu vertreiben. Zum Beispiel hat er "Fußpilze an der Stirn". Das fordert den ganzen Kerl.

Die Moral, ein Juxfaktor
Sein kriecherischer Diener Moska (Alexander Gamnitzer) hilft nach. Die Moral ist ein verschlissener Gebrauchsartikel, heißt es irgendwo bei Alfred Döblin. In Leipzig ist die Moral ein Juxfaktor, den es auszureizen gilt, indem man ihn gegen null drückt. Die eindrucksvollste Figur macht dabei Tobias J. Lehmann mit seinem goldzahnigen Althippie Corbaccio, der die Ruchlosigkeit selbst ist. Armin Dillenbergers Corvino hat mit Restskrupeln zu kämpfen, als man ihm sagt, er solle seine Frau in Volpones Bett legen. Günter Schoßböck zeigt als Voltore ein ebenso aasiges wie affektiertes Advokaten-Miststück mit Neigung zum theatralischen Auftritt.

Der Abend geizt mit Abgründigkeit. Auch doppelte Böden wurden nicht eingebaut. Dafür versteht man sich auf die Unterhaltungskünste. Allerlei selbst gemachte Musik wird dargeboten, außerdem eine Fechtnummer und eine richtige Feuerspucker-Einlage, die der Moska-Darsteller zu absolvieren hat. Die Histrioni können eigentlich nicht weit sein. Hier und da gönnt sich die Regie eine Anleihe beim Film – von Sergio Leone bis Quentin Tarantino.

Nach 100 Minuten ist der Abendhimmel ein Gedicht. Man klatscht und läuft auseinander. Ein paar Häuser weiter, im neuen Mediencampus der Leipziger Sparkasse, geht gerade ein Empfang zu Ende.

 

Volpone
von Ben Jonson
Regie: Marc Lunghuß, Bühne: Tobias Schunck, Kostüme: Grit Groß.
Mit: Thomas Dehler (Volpone), Tobias J. Lehmann (Corbaccio), Alexander Gamnitzer (Mosca), Günter Schoßböck (Voltore), Armin Dillenberger (Corvino), Jonas Riemer (Leone), Anne Hoffmann (Colomba), Richter/Gitarre (Patrick Imhof).

Sommertheater Gohliser Schlösschen

Kritikenrundschau

"Gut gelaunt" und "üppig beklatscht" sei die Premiere von Ben Jonsons "Volpone" am Samstag in Leipzig gewesen, schreibt Gisela Hoyer in der Leipziger Volkszeitung (2.7.2007). Trotzdem sei ihr persönlich zwischen all den "herunter gelassenen Hosen, gehörig aufgemotzten Zoten, tempo- und aktionsreichen Verwicklungen" nach Davonlaufen zumute gewesen, deutet die Kritikerin an. Denn: Im friedlichen Gohlis sei zwar der Teufel los, "der Teufel Raffgier und Leichenfledderei. Doch in Wahrheit denkt wohl kaum jemand über all dem Brüllen und Rennen, Verstecken und Verfolgen, Täuschen und Getäuschtwerden ernstlich über die fehlerhafte Natur des Homo sapiens nach." Da hat sie sicher Recht.

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