Vom Kreuz mit dem Glauben

von Andreas Schnell

Bremen, 18. Juni 2009. Eine Bühne gibt es nicht. Ein altes Ladenlokal ist der Spielraum der "Schwarzen Jungfrauen". Detailreich und mit Trash-Verve eingerichtet von der Bremer Künstlerin Anja Fußbach, erinnert der Ladenraum an einen Jahrmarkt. Da ist ein Karussell, ein paar Buden, eines von diesen Geschicklichkeitsspielen, wo man mit ein paar Knöpfen einen Greifarm steuert und versuchen muss, ein Stofftier damit zu erhaschen. Aber es sieht alles das entscheidende Bisschen anders aus, als man es von einem Jahrmarkt kennt.

Auf dem Karussell, auf dem kopflose Schaufensterpuppen eine Art Kamasutra aufführen, sehen wir "die Konvertitin". Ein Mann, auf dem Kopf eine wollene Vagina, ein Brustpanzer, rosa Shorts, Schienbeinschoner. Tochter einer "kreuzkatholischen Mutter". Die Konvertitin erkennt eines Tages, nachdem sie jede Party mitgenommen und parallel ihr Studium absolviert hat, dass sie ihren "falschen Glauben aufgeben muss" - zugunsten des richtigen.

Zwischen Lust und Schuld

"Schwarze Jungfrauen" von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel basiert auf Interviews mit jungen Musliminnen in Deutschland. Und was sie sagen, hat es in sich. Die "Akademikerin" zum Beispiel feiert Osama bin Laden als Helden einer Bewegung, die sich eines Tages auch in Deutschland durchsetzen wird: "Was für eine Heldentat, die Zwillingstürme einzuebnen".

Die Konvertitin will sich ihren neuen Glauben nicht von "Ausländern kaputtstinken" lassen, denn: "das Bewusstsein ist national" und eines Tages werde auch noch die Mutter einsehen, dass "Allah kein Ausländer" ist.

"Der Krüppel" dagegen ist halsabwärts gelähmt, unterhält eine sexuelle Beziehung zu seinem Pfleger und ist hin und hergerissen zwischen körperlicher Lust und Schuldgefühlen.

Diese Schwarzen Jungfrauen sind die neuen Musliminnen. In Deutschland aufgewachsen, eloquent, gewitzt – und vielleicht brandgefährlich. Das möchten einige von zumindest gern sein. Zumindest "die Akademikerin" dürfte ohne weiteres vom Verfassungsschutz als Bedrohung eingeschätzt werden.

Sie sind ganz anders als die stereotypen Bilder von geknechteten Frauen, die drei Meter hinter ihren Männern die Straße entlang gehen, und sie lassen sich auch nicht für romantische multikulturelle Idealvorstellungen einspannen. Sie sind ehrgeizig, gebildet, gewitzt und manchmal auch einfach ganz schön sympathisch, aber eines steht für sie alle fest: Der Gott, der zählt, heißt Allah. Das ist die Klammer des Stücks.

Punk-inspirierte Ästhetik

Anja Wedigs Inszenierung reflektiert aber auch die Streuung dieses Neo-Islam: Die oft geradezu konträren Positionen sind nicht nur in Form einer Folge von Monologen, sondern auch räumlich voneinander getrennt, das Publikum muss sich immer wieder bewegen und neu positionieren in Fußbachs Rauminstallation, die weit mehr eine Erweiterung der Figuren ist als eine Kulisse.

"Die Akademikerin" spricht aus einem mit Darstellungen der Twin Towers dekorierten Kassenhäuschen mit der Inschrift "Bamm Bamm", "der Krüppel" liegt auf einem Schaukelelephanten, ist bis zum Hals in Frischhaltefolie eingewickelt.

Diese offensive, punk-inspirierte Ästhetik setzt sich auch in den Kostümen fort: "Die Berlinerin" trägt eine Traube Luftballons um ihren Oberkörper, "Die Bosnierin" einen Käfig, "der Pimp" ist komplett in ein Kostüm aus Stofftieren gehüllt, die Akademikerin trägt ein Camouflage-Cape, dessen Kapuze nur noch den Mund freilässt. Das nimmt diesen Figuren gewissermaßen das individuelle Gesicht und stellt so die Drastik des Texts noch klarer aus.

Wenn am Ende die Tür zur Straße aufgeht, stellt man bei allem Witz, der das Stück so verblüffend unterhaltsam macht, auch Ratlosigkeit fest. Weil man für diese Renaissance einer Religion ebenso wenig Partei nehmen mag wie für die einschlägige Propaganda der Gegenseite.

Das "Sichtbar-Machen ohne moralische Wertung", das Zaimoglu und Senkel mit ihrem Stück erreichen wollten, ist Wedigs Inszenierung also zweifellos gelungen. Und noch ein bisschen mehr, wozu neben der Ausstattung und Installation von Anja Fußbach auch die erfreulich homogene Leistung des kleinen Ensembles beiträgt.

 

Schwarze Jungfrauen
von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel
Inszenierung: Anja Wedig; Regie: Ercan Altun, Erkan Altun, Agnes Lampkin, Stephan Lohse, Ela Sommer; Rauminstallation und Kostüme: Anja Fußbach.
Mit: Vivien Bullert, Janine Claßen, Christoph Glaubacker, Liz Hencke, Friederike Solack, Maria Zocco.

www.schwankhalle.de

 

Mehr lesen? Das Autorenduo Zaimoglu/Senkel war im Dezember 2008 auch beim Festival für postmigrantisches Theater Dogland im Berliner Ballhaus Naunynstrasse vertreten.

 

Kritikenrundschau

Als "beachtliche Arbeit" und "schaurigen Wanderungen durch eine Parallelgesellschaft" beschreibt Sven Garbade im Weserkurier (20.6.2009) diese Inszenierung, die er aufgrund ihres kontroversen Charakters auch für Schulklassen geeignet findet. Denn man gerate in einen "Hexenkessel für verschrobene Ideologien und radikalisierte Gedankenwelten", in dem sich "nationalistische Ansichten, Schwulenhass und ein abgebrühter Straßenjargon" zu einem schwer greifbaren Cocktail mit hohem Irritationsfaktor vermischten. Der Irritationsfaktor sei hoch und werde "durch die kunstvollen Verfremdungen der Inszenierung weiter intensiviert", die den Kritiker auch mit präziser Sprachbehandlung überzeugte. (Garbade hat übrigens zur Kritik von Andreas Schnell auch einen Kommentar geschrieben).

 

Kommentare  
Schwarze Jungfrauen: Das soll Emanzipation sein?
Je länger ich über den Abend nachdenke, desto problematischer erscheinen mir die Aussagen der Frauen, welche die Vorlagen lieferten. Das, was von denen „Emanzipation“ genannt wird, scheint mir letztendlich doch einzig die eigene Begeisterung darüber zu sein, dass man ein wärmendes inneres Gefühl gefunden hat, eine stärkende Idee, mit der man sich gegen eine unerfreuliche Welt behaupten kann. Der Begriff Emanzipation scheint dabei pervertiert zu werden. Parallelen zu einer Generation, die in Deutschland den ersten Weltkrieg verloren hat, drängen sich auf: Die Liste der Gemeinsamkeiten ist lang: das Gefühl der eigenen Zurückgesetztheit, das Sinnen auf Revanche, die scharfen Abgrenzungen gegenüber anderen Gruppen (Schwule, Schweinefresser, Ausländer), die
Abkapselung in geschlossene Zirkel, der aggressiv anti-intellektuelle Habitus, die Ausrichtung des Lebens unter eine singuläre Leitidee. Emanzipation meint hier einzig das Gefühl einer erlangten Stärke; doch in der Analogie zum latent faschistischen Charakter, wie wir ihn in Deutschland erlebten, mutet diese „Emanzipation“ ähnlich grotesk an, als würde ein Hitler Anhänger davon sprechen, er habe sich von der Unterjochung des Weltjudentums und der Bolschewisten „emanzipiert“.

Fraglos ist es ein großes Verdienst dieser Inszenierung, durchaus sinnlich und auch streckenweise witzig, auf diesen merkwürdigen und brisanten Ideen Cocktail hinzuweisen. Gerade die Unschärfe der Äußerungen der Frauen gepaart mit der Radikalität ihrer Konklusionen erinnert mich an die Logik eines dumpfen Mobs. Nur ist ein Mob in Frauengestalt schwerer zu erkennen. Auch, oder eben weil, die Aussagen der jungen Frauen so real sind und ein durchaus nachvollziehbares Lebensgefühl ausdrücken, schaudert mir davor, jugendliche Zuschauer in der Inszenierung zu sehen, die kopfnickend den Äußerungen beipflichten könnten.

Denen möchte ich sagen: nicht jedes Bestreben nach Stärke und Dominanz sollte Emanzipation genannt werden.
Schwarze Jungfrauen: Kommentar interessanter als Kritik
Ich finde ja den Kommentar von Sven Garbade fast interessanter als seine Kritik im Weserkurier, die ich gerade gelesen habe. Schade, daß er den klugen Gedanken, dieses Neo-Muslimische Gedankengut mit dem der deutschen Erste-Weltkriegsgeneration zu vergleichen, nicht weiter ausgeführt hat. Denn als ich das Stück zum ersten Mal sah (in Berlin) dachte ich auch: das ist ja wie Stahlgewitter und mir kam es auch so vor, als hätte sich die Kritik aus ähnlichen Gründen daran berauscht.
Schwarze Jungfrauen: höchst kritikables Bewußtsein
Naja, Emanzipation von was, wäre doch die Frage. Völlig richtig finde ich den Gedanken, dass diese Frauen ihre Stärke aus einem irrationalen Beschluss heraus entwickeln: An eine höhere Idee zu glauben. Wie jeder andere Glaube ist das eine Knechtsgesinnung (der Mensch bedarf der Lenkung durch ein höheres Wesen, weil er selbst unvollkommen ist), die in ihrer spezifischen Ausformung bei den Schwarzen Jungfrauen teils ganz brisante Folgen zeitigt. Das Stück legt auch von sich aus keine Kritik daran vor. Und grundsätzlich ist die ja (auch im Theater) nicht unbedingt populär. Dass damit so ein Stück eventuell von unerwünschter Seite Zustimmung erhalten kann, ist nicht unbedingt sein Fehler, sondern spricht für ein leider weit verbreitetes höchst kritikables Bewusstsein.
Kommentar schreiben