Mutter und Tochter über Stock und Stein

von Matthias Weigel

Wunsiedel, 2. Juli 2009. Selten kann man von einem Theaterstück behaupten, es spiele an einem "Originalschauplatz". Dazu müsste schon Goethes "Faust" in Auerbachs Keller aufgeführt werden, "Maria Stuart" im Schloss von Fotheringhay oder Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" im Fichtelgebirge. Ja, im Fichtelgebirge. Denn dort und nirgends anders ist Mutter Courage in der 9. Szene auf der Suche nach Essbarem: "Im Herbst 1634 begegnen wir der Courage im deutschen Fichtelgebirge, abseits der Heerstraße, auf der die schwedischen Heere ziehen. Die Geschäfte gehen schlecht, so daß nur Betteln übrigbleibt." Bei den Luisenburg-Festspielen im oberfränkischen Wunsiedel im Fichtelgebirge hat "Mutter Courage" also gewissermaßen Heimvorteil.

Zugegeben, die Marketenderin Courage macht auf ihrer Reise im Planwagen, in dem sie den Soldaten des Dreißigjährigen Krieges hinterher zieht, um ihre Waren zu verkaufen, fast überall in Europa einmal halt. Aber der Ort der Wunsiedler Freilichtspiele ist auch in weiterer Hinsicht beachtenswert: Anstelle einer konventionellen Bühne ragt das gewaltige, naturbelassene Felsengelände des Fichtelgebirges empor, das durch steile Pfade und hochragende Fichten, kleine Plateaus und glatte Felswände, in Stein gehauene Treppen und finstere Höhlenlöcher unzählige Möglichkeiten bietet. Möglichkeiten, für die Brechts heimatlose Courage geradezu wie geschaffen zu sein scheint. Aber auch Schwierigkeiten: Durch die starke Übermacht der Bühne kann ein Stück auch schnell aufgepfropft wirken; wer versucht, gegen sie zu inszenieren, wird verlieren.

Zwischen Mutterinstinkt und Geschäftemacherei

Regisseur und Bühnenbildner Pierre Walter Politz aber weiß darum und fügt dem Naturraum lediglich einen sich surrealistisch über die Felswände mäandernden Weg aus Holzdielen hinzu, auf dessen Ende am Boden der bedeutsame Wagen steht. Er stellt die ganze (finanzielle) Existenz der kleinen, quirligen Courage (Rosel Zech) dar. Von hier aus macht sie ihre Geschäfte, macht den Krieg für sich zu Geld, wodurch sie aber letztendlich all ihre drei Kinder verlieren wird.

Um zwei davon ist es auf der Luisenburg aber eigentlich gar nicht so schade, Eilif (Matthias Lehmann) und Schweizerkas (Matthias Ransberger) bleiben einfältig und egal; Bindung gibt es da weder zur Mutter noch zum Zuschauer. Die souveräne Rosel Zech (Schauspielerin des Jahres 1976) findet erst in Johanna Marx, der stummen Tochter Kattrin, ihr Gegenüber, so dass sich das Dilemma zwischen Überlebensdrang und Geschäftemacherei, Mutterinstinkt und eigener Lebensverwirklichung voll entfalten kann.

Das große Peng-Peng

Neben Zech und Marx fällt sofort auf, wenn einer nicht genau weiß, weshalb er da eigentlich über die Felsen kraxelt; umso mehr, wenn er das auch noch mit Plexiglas-Visier und Plasik-Armschützern tut. Denn das Bestreben, die Geschichte jenseits einer konkreten Zeit zu verankern, endet bei den Soldaten-Uniformen in einer Verirrung aus Feuerwehrhelmen, Ork-Säbeln, Fahrradhelmen und Star-Trek-Panzerung (Kostüm: Susanne Thaler).

Und neben Mutter Courage und Tochter Kattrin fällt auch sofort auf, dass viel Nebel und Peng-Peng als Kriegsimpressionen zwar vielleicht die Spektakelfreunde freut. Doch der Schaden, den ernst gemeinte, aber zu schnell verpuffte Effekte für die Spielsituation bringen, ist ungleich größer als ihr potentieller dramatische Nutzen. Eigentlich muss doch nur die Courage ihrer misshandelten Tochter mit unterdrückten Schuldgefühlen gegenübertreten oder nach der Entscheidung gegen den Mann und für die Tochter in der Umarmung die eigene Wehmut nicht wahrhaben wollen.

 

Mutter Courage und ihre Kinder
von Bertolt Brecht
Regie und Bühne: Pierre Walter Politz, Kostüme: Susanne Thaler.
Mit: Rosel Zech, Caroline Hetényi, Johanna Marx, Christine Nonnast, Uschi Reifenberger, Jolanta Szczelkun; Johann Anzenberger, Jan H. Arnke, Michael Boettge, Jürgen Fischer, Jan Gebauer, Ulrich Gebauer, Dietmar Irmer, Peter Kaghanovitch, Konstantin Krisch, Matthias Lehmann, Michael Pöllmann, Matthias Ransberger, Uwe Schwalbe, Holger Matthias Wilhelm, Bernd Wünsche, Günter Ziegler u.a.

www.luisenburg-aktuell.de

 

Kritikenrundschau

Eva Maria Fischer von der Süddeutschen Zeitung (24.7.2009) sieht bei den Luisenburg-Festspielen in Wunsiedel eine Gesamt-Dramaturgie am Werk: in den gezeigten Stücken seien alle Titelfiguren "Aufbegehrende; sie spreizen sich gegen Konventionen, kämpfen gegen überkommene Moralvorstellungen, sind Grenzgänger der Gesellschaft." Pierre Walter Politz habe in seiner Inszenierung der "Mutter Courage" "die Kraft der Landschaft so pur wie möglich genutzt. (...) Die Naturbühne sperrt sich gegen allzu theoretisches Lehrtheater, so entstand eine farbige, freche Moritat gegen den Krieg." Besonders Rosel Zech und ihre junge Kollegin Johanna Marx zeigten, "dass Einfühlsamkeit und darstellerische Wucht der moralischen Botschaft nicht schaden müssen, im Gegenteil: Rosel Zech zeigt hier deutlich eine Krämerseele, deren drei Kinder die Opfer ihres rücksichtslosen Überlebenswillens werden, während die Hoffnung in Gestalt ihrer Tochter Kattrin stumm bleibt."

 

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