In Kellern und Bunkern

von Klaus Witzeling

Hamburg, 15. Juli 2009. Im Hamburger Schanzenviertel braut sich was zusammen. Schlagzeilen über neue Chaoten-Demos wird es aber nicht geben. Junge Theater-Anarchos bringen ganz entspannt mit einem neuen Sponti-Festival friedliche Demonstrationen ihres Könnens ins alternative Kulturhaus III&70 am Schulterblatt, in umliegende Clubs und Szenetreffs, aber auch ins etablierte Schauspielhaus.

Gemeinsam ist man stärker

Die Nachwuchsfestivals "Finale", "Kaltstart" und "Fringe" machen erstmals unter dem Slogan "Hier braut sich was zusammen!" gemeinsame Sache, haben sich zur "Plattform Junges Theater" vereinigt und präsentieren in neun Tagen in 94 Veranstaltungen das Spektrum von Stadttheater-Inszenierungen und freien Projekten über Schultheater, Performances und Physical Theatre bis zu Konzert und Party.

"Eigentlich sind wir alle fringe", begründet Michael Börgerding, Leiter der Hamburger Theaterakademie die Kooperation seines studentischen Festivals "Finale" mit den beiden anderen. Mit "Kaltstart" gab es schon in den vergangenen Jahren, durch die Arbeit bedingte terminliche wie persönliche Berührungen. Auch inhaltlich und in ästhetischer Hinsicht sieht Börgerding Parallelen. "Kaltstart"  – nun in vierter Ausgabe – lädt mit tatkräftiger Unterstützung deutscher Stadttheater deren Studio-Produktionen ein, um sie "unplugged" – ohne den üblichen Technik- und Ausstattungsaufwand – zu zeigen. "Der Austausch zwischen den Künstlern, sie bekannt zu machen und ein Netzwerk aufzubauen", ist für Falk Hocquél das Ziel der "Fachmesse".

Neu im Pilotprojekt dieses "Dreisäulenmodells" ist das "Fringe"-Festival, das ohne künstlerische Einschränkungen der Off-Szene ein Forum bieten will. Es versteht sich als Alternative zum globalen Event-Zirkus berühmter Namen und Compagnien. Auch wenn die Organisatoren der Festivals betonen, es gäbe weder Kuratoren noch Programmdirektoren, die weltweit einkaufen, agieren sie doch indirekt als Talentscouts durch die Auslese aus ästhetischen, organisatorischen oder finanziellen Gründen.

Zug donnert über Gluckenmutter

Die Teilnehmer aber kommen, weil sie dabei sein wollen, sie erhalten keine Honorare, nur die Spesen. Staatliche Bühnen, die Körber-Stiftung und die den Hamburg-Berlin-Austausch fördernde Rusch-Stiftung unterstützen und ermöglichen die gemeinsame Plattform.

Sie bietet Fachleuten wie Publikum ein vielfältiges  Programm. Bis zu 13 Veranstaltungen gibt es allabendlich. Die Qual der Wahl erleichtert Profi-Zockern das blitzblaue Programm-Pokerspiel "How to play Kaltstart". Jeder kann sich sein Blatt aus Stück, Künstlern oder durch Zufall legen oder legen lassen. Überraschungen sind garantiert: Das "Fringe" lotste zur Premiere von "Vincent River" in den Gammel-Club "Fundbüro" unter der Eisenbahnstrecke nach Altona. Der ideale Spielort für Peter Dorschs Inszenierung  von Philip Ridleys Duell um die Wahrheit im Mord an einem jungen Schwulen: Alle paar Minuten donnerte ein Zug über das kellerartige Gewölbe. Warum aber Iris Bettina Kaiser die Gluckenmutter aus dem Londoner East End in rotem Chiffonkleid als Blanche Dubois auf Schuljungenfang anlegte, bleibt ihr und des Regisseurs Geheimnis.

Zur selben Zeit beschwor Torben Kessler bei "Kaltstart" in luftiger Höhe des "Terrace Hill" im Bunker Feldstraße den "Fluch der Karibik" in einer multimedialen Puppenspiel-Performance (Regie: Klaus Gehre), zog ironisch und witzig Parallelen zwischen Bankhaien und Piraten.

Wieder runter in den Keller von Haus III&70: Das schwarze Loch verwandelten Elzemarieke De Vos und David Ruland in eine sonnenhelle Sandwüste für Paul Brodowskys "Dingos":  Nochmals ein Dialog-Duell. Anne Schneider setzte bei ihrer Studio-Inszenierung des Horrortrips an der Berliner Schaubühne klug auf intensives Körperspiel der Darsteller und die Fantasie des Zuschauers.

Ernst Stötzner mit einem Knacks

Einen Höhepunkt im Eröffnungsreigen brachte die Box vom Deutschen Theater: Ernst Stötzner fesselte mit Scott Fitzgeralds autobiografischen Reflexionen "Der Knacks": Nachwuchsregisseurin Karoline Behrens und der berühmte Profi erwiesen sich als Dreamteam bei der intelligent humorvollen Studie über den inneren und äußeren Zerfall eines erfolgreichen Modeschriftstellers.

Regie- und Schauspiel-Absolventen an Hochschulen bekommen ebenfalls ihre Chance bei "Finale" und "Kaltstart". Künftig soll aber nur das "Finale"-Format Studienprojekte zeigen. Im Haus III&70 gastierte die Hochschule der Künste Bern mit Roland Schimmelpfennigs "Für eine bessere Welt". Boris von Poser entwickelte sein Erzähltheater aus der Gruppe von Soldaten, ließ deren Konflikte im Überlebenskampf  szenisch und mit hohem Körpereinsatz austragen. Den Trend bestätigten auch das Studienprojekt Physical Theatre der Folkwang Hochschule Essen: Die Studenten spielten Computer-Kampfspiele live nach, übersetzten den Orpheus-Mythos in Helden-Comic.

Einmal Text und Körper mit Musik, bitte sehr

Präzisen Körpereinatz choreografierte auch Felix Rothenhäusler von der Theaterakademie beim TryOut "Affäre Rue de Lourcine" zur "Finale"-Eröffnung, ergänzte ihn jedoch durch die äußerst musikalische Komposition der Sprache und gewann dem gewöhnlich klamaukigen Labiche-Verwechslungsschwank in der Reduktion auf Text und Körper eine albtraumhaft exstenzielle Komödiantik ab.

Die Festival-Trias will den Theaternachwuchs aus "dem Reserve-Status" herausholen, ihm mit der Plattform ein  Präsentationsforum für interdisziplinäre Kreativ- und Explosivkraft verleihen – wie die blauen Plastikkanister an den 12 Spielorten symbolisieren. Zwar existieren in Hamburg allein drei Nachwuchsfestivals ("Körber Studio Junge Regie", "150% Made in Hamburg" und "Freischwimmer") von den sechs im deutschsprachigen Raum, dennoch wird der neue "Fringe"-Verbund absolut positiv gewertet, wie ein Round Table über dessen Notwendigkeit mit Diskussionsteilnehmern aus der Kulturbehörde, Kulturstiftung und Künstler-Szene deutlich machte.

Der Konkurrenz zwischen Off-Szene und den verschiedenen Wegen, zur Regie zu gelangen – über Studium oder Assistenten-Praxis - spiele keine wesentliche Rolle mehr. Wichtig am neuen Forum sei vor allem die Chance zu Austausch, Debatten, Kennenlernen, Präsentation und Vernetzung. Ob Hamburg aber künftig im Sommer zu einer "Hochburg" und zu einem Treffpunkt für junge Theatertalente werden soll, hängt nicht allein vom kollegialen Geist und dem Publikumserfolg des Pilotprojekts, sondern auch vom kulturpolitischen Willen in der Stadt und ihrer Bereitschaft ab, den Förderetat für Projekte der freien Produzenten (bisher für Tanz und Theater etwa eine halbe Million Euro) besser zu fördern.

 

 

Hier braut sich was zusammen!
Die Hamburger Nachwuchs-Plattform dauert noch bis 19. Juli 2009.
www.finale-hamburg.de
www. kaltstart-hamburg.de
www.fringe-hamburg.de
www.hier-braut-sich-was-zusammen.net

 

 

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