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Intendant Frey löst seinen Vertrag mit dem Theater Bremen auf
Es geht nicht mehr
Bremen, 18. August 2009. Der Generalintendant des Theater Bremen, Hans-Joachim Frey, hat um eine vorzeitige Vertragsauflösung zum 31. Juli 2010 gebeten, meldet Radio Bremen. Damit wolle er dem Theater einen geordneten Übergang und einen aktiven Neuanfang ermöglichen.
Während der Ferien sei bei ihm der Entschluss gereift, dem Aufsichtsrat sein vorzeitiges Vertragsende anzubieten, sagte Frey nach der Sitzung des Kontrollgremiums. Er bekenne sich damit "im Sinne einer Gesamtverantwortung" zu massiven wirtschaftlichen Problemen des Vier-Sparten-Theaters. Nicht für alles trage er aber eine persönliche Verantwortung.
Das Theater war in den vergangenen Monaten nur knapp einer Insolvenz entkommen. Mittlerweile addiert sich das Defizit auf knapp vier Millionen Euro, Anfang Juni war noch von 3,3 Millionen Euro die Rede (wir haben es gemeldet). Die Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit wurden damals entschieden zurückgewiesen (auch das meldeten wir). Die finanziellen Schwierigkeiten sind dennoch enorm.
Allein 2,5 Millionen Euro Defizit entfallen auf das Musical-Projekt "Marie Antoinette". Wirtschaftsprüfer haben jetzt offenbar etliche schwere Verfehlungen in der Geschäftsführung festgestellt: Das Bestell- und Belegwesen sei unzureichend und das Controlling mangelhaft gewesen. Ein Risikomanagement habe es nicht gegeben und Beschlüsse des Aufsichtsrats wurden missachtet.
Bremens Kultursenator, Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD), begrüßte nun Freys Schritt. "Marie Antoinette" war zwar künstlerisch erfolgreich, konnte jedoch nicht das Ergebnis erzielen, "das wir alle erwünscht und erwartet haben". Frey erklärte, diese Produktion sei "leider voll in die veränderten Marktbedingungen der weltweiten Rezession geraten und konnte nicht die erwarteten Einnahmen einspielen". Neben ungünstigen äußeren Bedingungen hätten sich "leider auch Schwächen in der Durchführung des Projekts gezeigt". Mit dem Kultursenator befinde er sich im konstruktiven Dialog, teilte Frey weiter mit. "Das zeigt sich unter anderem darin, dass wir weitere Zusammenarbeiten vereinbart haben. So bleibe ich der Stadt als künstlerischer Leiter der Seebühne über das Vertragsende hinaus erhalten", erklärte er.
Frey war am 1. April 2006 zum Generalintendanten des Theater berufen worden. Der Vertrag begann am 1. August 2007 und sollte bis 31. Juli 2012 laufen. In seiner Intendanz hat er mehrere Neuerungen durchgesetzt. Dazu zählen auch die Open-Air-Aufführungen der Seebühne Bremen.
(dip)
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Bremens Theater braucht meiner Meinung nach eine andere Leitungsstruktur und nicht, wie angekündigt, ein verfeinertes externes Controlling. Letzteres kann Entwicklungen niemals wirklich nachvollziehen oder gar Risiken vorab einschätzen, dafür sind die Prozesse der Steuerung eines Theater viel zu komplex. Dem Vorbild Kölns, Frankfurts, Dortmunds oder Stuttgarts folgend sollte das 3-Sparten-Haus über einen Geschäftsführenden Intendanten und über Intendanten für die Sparten Schauspiel und Oper/Tanztheater/Ballett gesteuert werden. Ersterer hat keine künstlerischen Rechte, hat aber die Steuerung des Gesamtetats in einem kollegialen Leitungsteam zu verantworten. Er ist nicht Vorgesetzter der Intendanten-Kollegen, aber hat in Etatfragen das Letztentscheidungsrecht. Dass dies geht, "zu dirigieren ohne zu diktieren" haben Geschäftsführende Intendanten wie Bernd Fülle (Frankfurt (zuvor Köln)), Hans Tränkle (Stuttgart), Peter Raddatz (Köln; jetzt neuer Chef der Opernstiftung in Berlin) bewiesen. Tränkles Rat sollte sich der Bremer Senat getrost einmal einholen. Er ist soeben in den Ruhestand getreten und hat wahrscheinlich dafür Zeit.
Ausserdem muss der Senat endlich das Theater entschulden, um ihm eine realistischere Chance zu geben, nicht mit Etatlöchern sondern mit künstlerischer Qualität Schlagzeilen machen zu können. Dafür wäre sicher auch eine laufende Etaterhöhung wichtig, aber ich weiß, Bremen hat da existentielle Schwierigkeiten. Ein Theater macht auf hohem Niveau eine Stadt attraktiv, ein Theater ohne Niveau bringt einem Oberzentrum hingegen wenig bis nichts. Wenn aber ständig aufwendige Straßenumpflasterungen etc. wichtiger sind ... es sind halt Entscheidungen der Politik und nicht der Zwang leerer Kasse! "Wem Gott ein Amt gibt, gibt ihm auch ein Hirn" - Leider bin ich Atheist und kann das nicht unbesehen glauben.
Deswegen mein Vorschlag: Bremen hat eine große Theatertradition mit Hübner, Zadek, Tabori oder Fassbinder. Die Chancen, die Bremen bietet, liegen darin, dass die Stadt auf der einen Seite klein genug ist, um Labor und Ort des Versuchs zu sein, auf der anderen Seite groß genug ist, um überregional für Furore zu sorgen. Sprich: Das Theater Bremen muss ein Labor werden. Angesichts der knappen Kassen bietet sich jetzt die Möglichkeit auf Null zu gehen und etwas Neues zu installieren. Und das kann nur funktionieren, wenn nicht versucht wird so zu tun als müsste Bremen das Vorzeigetheater Deutschlands werden, sondern wenn man sich mit den Bedürfnissen der Leute (KEIN mediokrer Musicalquatsch, KEIN austauschbares Regietheater, das in jedem anderen Stadttheater genauso läuft!) und dem Standort auseinander setzt.
Ich wünsche mir ein Theater, das in der Stadt eine Sichtbarkeit ohne großflächiger Werbung auf Straßenbahnen erlangt. Ein Theater, das sich nicht wie ein Unternehmen gebärdet, sondern wie ein Ort der Kunst, an dem gedacht, gestritten, entworfen, gebaut und vor allem viel gezeigt wird. Denn auf diese Weise gelangte das Bremer Theater damals zu Erfolgen!
Die entscheidende Frage: Wer kann das machen? Angesichts der mehr als prekären Finanzlage des Theaters kann das wohl nur mit jungen, unabhängigen Leuten gelingen. Das wäre zwar ein Ausbeutungsmodell, aber wenigstens eines mit Mut und Willen zur Veränderung.
Ich hoffe, die Bremer Politik erkennt, dass sich ein Theater nicht über, wie oben schon gesagt, gekonntes Controlling am Leben erhalten kann, sondern über das, wofür es da ist: THEATER! Und zwar frisches, interessantes und aufregendes Theater. Für "Marie Antoinette" brauche ich kein Theater in Bremen. Aber ich brauche eins für die Fragen, die diese Stadt aufwirft! Da bietet das Scheitern Freys doch einen fantastischen Ansatzpunkt, um zu beginnen: Warum gelingt dieser Stadt, die sich nach wie vor ihrer großen hanseatischen Tradition rühmt, inzwischen kulturell eigentlich nichts mehr? Warum zerbricht der Hafen, warum das Theater...?
Interessante Fragen zuhauf, die viel Material bieten zur Auseinandersetzung...!
die drei obigen Kommentare finde ich sehr gut. Könnten diese bitte an die Bremer Kulturpolitiker weitergeleitet werden?
Danke,
Jannssen
(Hinweis der Redaktion: Den Kommentatoren ist selbstverständlich freigestellt, dies jederzeit zu tun)
Ja, das wäre doch was, wenn die Bremer Kulturpolitiker endlich einsehen würden, dass die Zeit der "Generalintendanten" wirklich vorbei ist. Woher sollen sie heute auch kommen die Generalisten, die die Interessen von drei so unterschiedlichen Kunstformen wie Schauspiel und Tanztheater und Oper wirklich gleichberechtigt unter einen Hut bringen. In Bremen war der Hut jedenfalls größer als der Kopf.
Und das Ergebnis: in der vergangenen Spielzeit hörte man aus Bremen "Marie Antoinette" und "Defizit". Nichts sonst. Und das liegt sicherlich nicht daran, dass plötzlich ein großes Haus in Deutschland aufgehört hat Theater zu produzieren. Aber Frey hat mit seinem unerträglichen Marketing-Sprech alles niedergebügelt, was die Sparten Schauspiel und Tanztheater versucht und geleistet haben werden. Jetzt ist es an der Zeit, dass diese Sparten, die immerhin den Ruf dieses Hauses einmal begründet haben, wieder eine eigene Stimme bekommen. Und was soll denn groß passieren? Zwei Generalintendanten haben das Theater in immense Schulden getrieben. Schlimmer wirds nimmer.
Voxart am 19. August 2009
Rotenburg an der Wümme, 19. August 2009
Auch ich muss vorausschicken, dass ich seit vielen Jahren ein sehr engagierter Theatergänger des Bremer Theaters bin und gerne alle vier Sparten mit großem Interesse begleite. Und ich liebe das Bremer Theater, ganz egal, welchen Intendant Bremen grade zu Gast hat.
Frey muss gehen!
Dass das nicht gut gehen wird, haben damals vor Frey’s Antritt viele gewusst, deutlich erkennen lassen. So soll keiner sagen, hinterher sei man immer klüger! Und wieder hatte die Bremer Politik nicht kompetent gehandelt, als sie Hans Joachim Frey zum Nachfolger von Klaus Pierwoß ernannte. Möge man hoffen, dass die vorzeitige Kündigung und der Abgang von Herrn Frey für das Bremer Theater so schadlos wie nur möglich über die Bühnen gehen wird und bald wieder richtig Theater gespielt, gesehen und gearbeitet werden kann.
Allein die jeweiligen Auslegungen, ob er gegangen worden, ob er geschasst, verjagt, gekündigt worden ist oder wie der General, der ja mit all seiner Eitelkeit kein Verstecken spielt, eine vorzeitige Auflösung des Vertrages angeboten hat….
Frey ist als Mensch belanglos. Als Kulturschaffender in solch einer Verantwortung und Position gehört er allerdings in den Giftschrank und unter Verschluss. Ein Intendant, wie lange er auch ein Haus führt, ist immer „Gast“, wie ein Mieter eines Hauses! Schlimm ist, dass ein solcher Kulturschaffender enorme Schäden hinterlässt, ja sogar den ganzen Betrieb öffentlich in eine Diskussion hievt, wo grundsätzlich über Sinn oder Unsinn der Theaterexistenz in einer Stadt gesprochen wird.
Hinter her sind alle klüger?
Entschieden Nein! Viele Persönlichkeiten aus dem Theaterbereich warnten, zeitlich weit im Vorfeld, vor Frey. Geholt hat ihn Jörg Kastendiek (CDU), damaliger Senator für Wirtschaft und Häfen sowie für Kultur. Kastendiek studierte nach einer Ausbildung zum Betonbauer Bauingenieurswesen und schloss das Studium als Dipl.-Ing. ab. Heute ist er mittelständischer Bauunternehmer. Aufgemerkt: „Wirtschaft und Häfen….so wie für Kultur“ UND Betonbauer!!!
Durch ganz Theaterdeutschland fragte man sich, wie man in Bremen einen Theatermann zulässt, der das Repertoiretheater abschaffen wird: es haben vor ihm ja viele das schon probiert und sie sind alle jämmerlichst gescheitert, und das ist auch richtig so. Bremen braucht ein Repertoiretheater, inhaltlich und ökonomisch.
Die Situation vor seinem Antritt war heikel: Die Messlatte mit Pierwoß und seinen Ensembles lag hoch: ich erinnere an die drohende Insolvenz im Oktober 2005 und an eine großartige Durchhaltekraft aller am Bremer Theater Beschäftigten, die ohne Lohnzahlungen „weiterspielten“!!! Das war eine Mannschaft!!! Heute bröselt dieser Betrieb unter dem von Frey entstandenen Druck der Angst und des Mittelmasses auseinander. Frey wird gehen. Zu hoffen ist, dass der Schaden, den er Bremen zurücklässt, reparabel ist. Darüber hinaus soll er seine Hochglanzentourage gleich miteinpacken.
Das Bremer Theater war vor Frey’s Antritt immer erste Bundesliga, manchmal abstiegsgefährdet, aber immer in einer Bewegung, die sich auch mit den politischen, lokalen aber auch Weltsituationsthemen rieb und maß. Wenn man heute als kulturbeflissener Mensch durch die Republik fährt und mit Menschen über Bremen und sein Theater zu sprechen kommt, dann tut das weh, wie die Menschen in so kurzer Zeit erfahren haben, was Frey mit diesem Haus in diesen wenigen Monaten erreicht hat.
gehen; da stehts ganz genau, was schief lief und warum Frey gehen muss.
http://www.kreiszeitung.de/nachrichten/kultur/lokal/theater-bremen-neuer-intendant-875053.html
Offen bleibt noch die Frage, was Börgerding aus den Sparten Tanz und Oper macht. Sicherlich sind das beides nicht seine Steckenpferde. Wäre interessant zu hören, wie er das Ganze konzeptionell angeht - wer leitende Köpfe sein werden, welches Theater zu sein wird usw...