Das Fremde trägt jetzt Pilzkopf-Haarschnitt

von Anne Peter

Berlin, 18. September 2009. Am Anfang steht sie, während die Hausherrin schläft, im blauen Halbdunkel an der Rampe und schaut mit stummen Augen im Publikum herum. "Es gibt kein Mitleid", sind ihre ersten Worte – und ihr Credo: in mitleidsloser Umgebung schlägt sie unerbittlich zurück. Immer wieder trägt sie 25 Jahrhunderte alte Weisheiten über die "Kunst des Krieges" aus der Feder des chinesischen Militärstrategen Sunzi vor. Kriegerin, Terroristin, Racheengel und Alptraumfigur.

Sie – das ist Susanne Wolff, die früher Maria Stuart, Nora, Hedda Gabler und Penthesilea war. Sie spielte all diese großen Rollen für Stephan Kimmig, einen für seine Figurenfeinpsychologie gerühmten Regisseur. Ulrich Khuon hat nun beide – die Starspielerin und ihren Regisseur – aus Hamburg mit nach Berlin gebracht und eröffnet die große Bühne des Deutschen Theaters programmatisch mit der Uraufführung "Öl" des Schweizer Dramatikers Lukas Bärfuss, dessen vielgepriesenes Stück "Der Bus" (Mülheimer Dramatikerpreis 2005) Kimmig bereits inszenierte. Susanne Wolff spielt diesmal also die Rolle eines Mädchens ganz ohne Theatergeschichte.

Glücksritter im Scheißland

Das Fremde kommt in "Öl" somit subtiler daher als tags zuvor in Andreas Kriegenburgs Herz der Finsternis, wo es sich in Gestalt überdimensionaler Pappmaché-Puppen, mahnenden Hunger-Gerippen, aus dem Schnürboden herabsenkte. Jetzt trägt es Pilzkopf-Haarschnitt, Weißhemd und Anzug. Das Unheimliche wird ins Spiel der Schauspielerin Wolff verlegt: eine hochgewachsene Frau, die beim Gehen ihre Füße merkwürdig parallel setzt. Nichts kann sie aus ihrer alienhaften Ruhe reißen, die all ihren Bewegungen und ihrem Sprechen anhaftet – sie ist sich ihrer Sache sicher. Am Gürtel, unter dem Hemd, trägt sie ein Messer. Doch für die Frau, die sie heimsucht, werden ihr Worte zum Angriff genügen.

Lukas Bärfuss' Stück "Öl" ist als Auftragswerk fürs DT entstanden ist, man merkt ihm die thematische Verwandtschaft mit dem Eröffnungs-Stoff Joseph Conrads deutlich an. Bärfuss' Ferne heißt Beryok, eine imaginäre Dritte-Welt-Gegend, in der Rentiere und Mücken die Taiga bevölkern, in der Nomaden leben, Krieg herrscht und nur noch zwei Europäer nach Öl bohren: der Geologe Herbert und Edgar, sein Ingenieur. Alle anderen haben das Land schon aufgegeben, und auch Herbert hält es für ein "Scheißland. Mit Scheißmenschen. Einer Scheißkultur", für "eine alte Fettel, die sich jedem Dahergelaufenen angeboten hat. Alle sind sie drüber, die Amerikaner, die Engländer, die Franzosen. Und jetzt liegt sie da, ausgelutscht und abgebrannt und vollgekleckert. Aber das Luder hat noch ein paar Groschen versteckt." Und die paar Groschen, ein bisschen Millionen-schweres Öl, will Herbert dem Luder auch noch abnehmen.

Die Gewalt frisst sich nach innen

Mit seiner modernen Goldgräber-Geschichte rückt Bärfuss drei Exemplare unserer westlichen Gesellschaft so nah an den Ort gewaltsamer zivilisationserhaltender Maßnahmen – die Erschließung neuer Ölvorkommen im Verbund mit persönlicher Bereicherung – heran, dass die gewohnten Fernverdrängungsmechanismen aussetzen, die Gewalttätigkeit sich nach innen wendet und ins Private hineinfrisst: Das Ehepaar Herbert und Eva Kahmer hat die Gier nach schwarzem Gold in die Fremde getrieben, dort werden sie nun sich selbst und einander fremd.

Nicht nur, weil Herbert von seinen ergebnislosen Bohr-Touren gern mal mit einer Woche Verspätung zurückkehrt, während Eva in einem bunkerartigen Wohnrudiment, allein mit der einheimischen Haushaltshilfe Gomua, auf ihn und eine Erfolgsmeldung wartet. An schmuddeligen Betonplatten-Wänden kleben die Reste einer Wald-Fototapete, nachlässig stehen Sitz- und Liegemöbel von Bauhaus-Art herum (Bühne: Katja Haß). Schlimmer noch als das ereignislose Dahinvegetieren in diesem Unwirtlichkeits-Loch ist der Grund aus Ausbeutung und Gewalt, auf dem die ganze Unternehmung fußt. Er bricht unter Evas Füßen allmählich auf und nimmt in ebenjenem Mädchen Susanne Wolffs personifizierte Gestalt an.

Hochverletzliches Wundwesen mit herrischem Gehabe

Halb bleibt sie einflüsternde Zwangsvorstellung Evas, halb Brandstifterin, die einen Fahrer der Öl-Sucher-Crew in den Tod zündelt. Er stirbt, das Mädchen wird hängen – und entgegen Herberts Überzeugung gibt es kein Mittel gegen "baumelnde Erhängte in Damenhirnen". Nina Hoss zeichnet das Psychogramm dieser in den Wahn hinübergleitenden Eva virtuos in allen erdenklichen Nuancen, vom hysterisch auftrumpfenden Lachen bis zu kajalverschmierten Tränen. Aus alkoholdurchtränkter Einsamkeit schwingt sie sich zu abstoßend herrischem Machtgehabe gegenüber ihrer Angestellten Gomua auf; wenn der Ehemann sie seinerseits anherrscht, wird sie selbst zum hochverletzlichen Wundwesen. Felix Goesers unberechenbarer, Gefährlichkeit verströmender Herbert beliebt den grünen Parka einmal quer durch den Raum zu pfeffern und bewegt sich, die Stimme mit Zynismus gefärbt, immer nah am Ausraster.

Inmitten dieser messerscharfen Anatomie einer Gewissens- und Seelenzerrüttung steht meisterhaft stoisch Margit Bendokat als Gomua, die mit gewohnt monotoner Schnarrstimme und nicht ohne komischen Effekt Kurzsatzstücke einer für sie fremden Sprache absondert, die sie zwar perfekt beherrscht, aber sich vom Leibe hält – ein sich sträubender Fremdkörper auch in diesem von psychologischer Finesse durchdrungenen Abend. Diese Frau dient bei Menschen, die ihr nicht im Mindesten verständlich werden. Sie hält gewissermaßen den Spiegel, in dem wir uns selbst als Fremde erkennen können.

 

Öl (UA)
von Lukas Bärfuss
Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Katja Haß, Kostüme: Katharina Kownatzki, Musik: Michael Verhovec, Dramaturgie: Sonja Anders. Mit: Margit Bendokat, Felix Goeser, Nina Hoss, Ingo Hülsmann, Susanne Wolff.

www.deutschestheater.de

 

Mehr lesen? Am Hamburger Thalia Theater inszenierte Stephan Kimmig im März 2009 zum Abschied Dennis Kellys Liebe und Geld, ebenfalls mit Susanne Wolff, bevor er mit Ulrich Khuon ans Deutsche Theater Berlin wechselte.

 

Kritikenrundschau

Eberhard Spreng vom Deutschlandradio (Fazit, 18.9.2009) findet Bärfuss' Plot "denkbar schlicht" und enttäuschend. Außerdem erzähle Kimmig das Ganze "in einem geisttötenden Elendsdekor routiniert und uninspiriert". Auch die Männer des Ensembles enttäuschen, "ansehnlich" allerdings seien Hoss und Bendokat "als skurriles Paar in unfreiwilliger Wohngemeinschaft". Und auch Wolff überzeugt den Kritiker mit ihrer "suggestiven szenischen Präsenz".

Bei Bärfuss und Kimmig werden für Andreas Schäfer vom Tagesspiegel (20.9.2009) hingegen "Grenzen durchlässig", die Bedrohung werde von außen nach innen verlagert, v.a. durch die von Wolff "mit der Würde eines Mönchs gespielte" Frau. "In ihrer aufbrausenden Zerbrechlichkeit" gebe Hoss "grandios" das "Mittelschichtswrack" Eva, deren Züge beim Augenschließen einer "Gesichtslandschaft der Angst" glichen, "verwüstet von der ungeheuerlichen Anstrengung, der inneren Wirklichkeit eben nicht ins Auge zu sehen". Der Zuschauer sehe dieses Innenleben, "gespiegelt in der Fratze des Widerstands, Bilder, die gar nicht mehr gezeigt werden müssen (...). Dieses Spiegeln, diese Durchdringung der Welten, dieses Irrlichtern und Weiterwuchern und ins Bewusstseinfressen der Schuld hört an diesem großen Abend nicht mehr auf." Anfangs wähnt sich auch Schäfer noch in einem "normalen Ehedrama", das sich stellvertretend zwischen Eva und ihre Haushaltshilfe Gomua verlagere. Als die Männer schließlich Öl finden, breche die "Aussicht auf Millionen" den "Firnis der Menschlichkeit, der bisher noch gnädig über den Beziehungen schimmerte, und offenbart einen nackten Blick in den Abgrund aus Gier, Lüge und schuldhafter Verstrickung".

Die "höhere Lehre" dieses Stückes lautet für Peter Kümmel (Die Zeit, 24.9.2009): "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Dialogholz nicht sprechen, dass man Theaterpapier nicht verbrennen kann". Oder anders genommen: "Öl ist ein prätentiöser Schmarrn." Jedoch, so Kümmel weiter, Bärfuss und Kimmig haben Nina Hoss, "und Nina Hoss kann sich auch in schlechten Stücken zuversichtlich niederlassen und sie zum Leben erwecken. Wo sie war, blüht ein wenig Irrsinn nach. Worauf ihr Blick ruht, das scheint der Betrachtung wert".

Im Gegensatz zu seinem "hervorragend recherchierten Ruanda-Roman" schrumpfe Lukas Bärfuss' "Öl" "zusehends zu einer bürgerlichen Ehetragödie", schreibt Christine Wahl auf Spiegel online (19.9.2009). Der politische Hintergrund verkomme "zum bloßen Motivationscocktail für die üblichen Paarprobleme": unterforderte Akademiker-Hausfrau vs. Komplex-beladener Gatte. Auch die Fluchtwege blieben klassisch: "Tobsuchts-, Zynismus- und Verzweiflungsanfällen" bei ihm, Alkohol und Fremdgehen bei ihr. "Kurzum: Bärfuss' Stück wirkt mit ziemlich heißer Nadel gestrickt, das Personal recht schablonenartig und sein Text oft entsprechend nah am Klischee." Daran gemessen holten die Schauspieler "maximalen Facettenreichtum aus dem Abend heraus", allen voran Nina Hoss, deren Szenen mit Margit Bendokat die "spannendsten des Abends" seien. Und Susanne Wolff meide die dräuende "Innerlichkeitskitschgefahr" ihrer moralischen Figur mit "einer Sachlichkeit, die sie vor dem Abrutschen in die Plattitüde bewahrt, ohne die Figur deswegen zu verraten".

"Treffsicher" lege Kimmig offen, dass die in Bärfuss' Stück geschilderte "Form von modernem Kolonialismus die Existenz in kaum lösbare Widersprüche verstrickt", so Simone Kaempf in der tageszeitung (21.9.2009). Dabei werde über weite Strecken "die Stimmung eines Eheschlachtendramas beschworen". Alles bleibe "im Privaten, die Inszenierung giert in keiner Weise nach der Bedeutsamkeit ihres Stoffes (...). Aber wenn Eva verbal das Terrain absteckt, dann geht es um den Verteilungskampf zwischen Erster und Dritter Welt, und aus dem – das ist die klare Botschaft – kommt man nicht unbeschädigt raus." Kimmig liefere hier das überzeugende "Psychogramm einer Existenzzerrüttung (...), in der eine Sicherheit gebende Umgebung verloren geht". Allerdings müsse er um "ein glaubwürdiges Bild für das Mädchen" Wolffs ringen, das, "halb mephistophelischer Geist, halb toughe Geschäftsfrau", Eva "unsinnig brachial-therapeutisch zur Emanzipation" verhelfe. Hoss spiele das allerdings "fesselnd bis zum Schluss, mit einer subtilen Not, die sich in sie frisst".


Tobi Müller, der vorab einen Probendurchlauf sehen durfte, widmet sich in der Welt am Sonntag (20.9.2009) in einem Porträt vor allem dem Autor aus dem Berner Oberland. Mit "Öl" untersuche Bärfuss, "was passiert, wenn sich der Wahnsinn der Rohstoffausbeutung, auf der unser Wohlstand gründet, nicht mehr aus der Wirklichkeit aussperren lässt". Seine bisherigen Stücke hätten stets "das liberale Selbstverständnis der Zuschauer auf die Probe" gestellt, "anstatt bloß ihr Gewissen mit dem Konsum eines 'politischen' Stücks zu befriedigen". Bärfuss brauche "aktuell erscheinende Themen, um sich der menschlichen Kondition zu nähern", was man daran sehe, "dass kaum einer seiner Generation so gut gebaute Dialoge schreibt". Die Schauspieler seien dabei für ihn "das Zentrum". Hoss' Eva sei "von den Widersprüchen bis in jeden Muskel verkrampft" und wolle im Grunde vor allem "gefunden werden in der Finsternis. Erlöst." Kimmig wolle es allerdings noch etwas deutlicher: "Einige Doppeldeutigkeiten wurden gestrichen, andere Verunklärungen kamen dazu, und die strenge, unpsychologische Sprache Bärfuss' verschmilzt in der Regie mit den Deftigkeiten des Boulevards. Was auf dem Papier flirrt, wirkt auf der Bühne hölzern, so der Probeneindruck, den man nicht zum Nennwert nehmen darf, weil sich die Schauspieler noch schonen und bis zuletzt geändert wird. Dennoch: ein Schock". Müller weiß auch, wie der Dramatiker offenbar mit dem Theater um seinen Texte kämpfte. "Aber ich weiß, dass es im Theater um ein Verhältnis geht und nicht um die Abbildung der Intention des Autors", zitiert er Bärfuss.


Es gehe bei Kriegenburg und Kimmig v.a. auch "um die Flur- und Kollateralschäden", die Ausbeutung und Kolonialisierung "im weiten Land der eigenen Seele hinterlässt", schreibt Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (21.9.2009). Insofern scheine die neue DT-Devise "Think global, act local" zu lauten. Für Hoss sei die Figur der Eva eine wahre "Glanzrolle", erspiele sie doch "mit Bravour sämtliche Facetten einer arrogant auftrumpfenden, hysterisch-neurotischen, zunehmend verängstigten, verheulten, zerbrechlichen, in ihrem gärenden Wahn fast wieder zum Kind werdenden Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs". Bendokat statte das "bäuerliche Wesen" Gomua "mit einer derart roboterhaften Mechanik und Ungerührtheit aus, dass in den Dialogszenen der beiden Frauen hochnotkomische Funken" sprühten. Dabei sei die Stimmungslage "eher düster und brodelnd bedrohlich", v.a. wegen Wolff Nomadenmädchen, "Evas Fleisch gewordener Angsttraum, Ausgeburt ihres innersten Ichs". Kimmig inszeniere dies "so leise, befremdlich und hoch konzentriert, dass man der Intensität des Abends nicht entgeht". Fazit: "eine Tiefenbohrung von hohem Ertrag".


Mit der gleichen Schluss-Metapher, aber gegenteilig befindet Peter Michalzik in der Frankfurter Rundschau (21.9.2009): "Eine Tiefbohrung ist das nicht, aber ein sprudelnder Quell des Vergnügens." Das Stück sei "ein Bastard": "einerseits ein Stück über die Verlorenheit in der Fremde", andererseits "ein etwas allegorisierendes, die großen Bedeutungen streifendes Drama über die Gier nach dem schwarzen Gold" und die "Urkräfte des Marktes in den Tiefen der Seelen", nebenbei "auch noch ein etwas holpriges Beziehungsdrama". Viertens sei "Öl" durch die Figur Elsa auch noch "ein Erlösungs- oder Erkenntnisdrama". Wie kein anderer lebender Dramatiker könne Bärfuss "aktuelle Themen behandeln", "Öl" jedoch wirke, "als sei durch Sehnsucht nach Bedeutung der Stoff überformt. Der Dialog, der offen bleiben soll, überhebt sich und ist merkwürdig starr". Kimmig lasse das als "waschechte Komödie" spielen, ihn interessierten "nicht Sinn und tiefere Bedeutung, sondern nur Scherz und Theater. Das Ding, scheint die klare Maxime, muss auf der Bühne wuppen". Da werde bei den Männern "gemachot, was das Zeug hält" (Felix Goeser) "und die Grimasse hergibt" (Ingo Hülsmann). Mit dem Bärfuss-Stück habe die Inszenierung nicht viel zu tun und sei "in sich nicht stimmig, mehr: sie ist ein großer Blödsinn. Und trotzdem ist es ein großartiger Abend", was v.a. an Bendokat und Hoss als "weiblicher Reinkarnation des alten Herr-und-Knecht-Paares" liege. Hoss sei "wahrscheinlich noch nie besser zu sehen" gewesen als hier – allein sie sei "eine Theaterreise wert".


"Völlig inhomogen" erscheint das Stück auch Irene Bazinger von der Frankfurter Allgemeinen (21.9.2009). "Die Geschichte von der mitgereisten frustrierten Ehefrau, die sich die Zeit mit Schnaps vertreibt, während ihr geldgieriger Mann 'da draußen' besessen dem schwarzen Gold nachspürt, besteht nur aus Klischees." Man ergehe sich "in Platituden": Zwar gelängen Kimmig dank Hoss und Bendokat "ergreifend hellsichtige wie hinreißend komische Szenen", doch zwischen diesen "Momenten künstlerischer Wahrhaftigkeit" lägen bloß "dünne Sequenzen papierener Sentenzen".

"Nach Kriegenburgs illustrativem, einschläferndem, als Großkunstgetue abbuchbarem Albtraum" liefere Kimmig das "aufrüttelnde, ganz und gar nicht tröstliche Aufwachen", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (21.9.2009). Seine Inszenierung werfe einen "zurück in die zwar viel weniger bunte und sinnliche, aber um so gruseligere Wirklichkeit, die eben nur mit Hilfe von Ausblendungen auszuhalten ist". Auch Seidler findet, dass Hoss für die "Traumrolle" Eva eine "Traumbesetzung" sei, und "aufgewiegelt durch das irremachende Trutzburg-Gesicht" Bendokats, als "Rasierklingen-Nachtigall" die "fiesen, klaren Bärfuss-Zynismen" herunterzwitschere. Bärfuss entwickele "das äußere Geschehen recht konventionell und klischeehaft, aber stets zwingend". "Gut geschrieben, gedanklich sauber und fein inszeniert und herrlich gespielt, aber für die nötigen Irritationen sorgt erst der Auftritt" jener seltsamen Frauen-Erscheinung. Und allein Susanne Wolff in dieser "schwierigen Kunstgriff-Rolle" lohne den Intendantenwechsel. Sie generiere "mit regungslosem Blick durch ihre Weltschluckeraugen ein Kraftfeld, das allen Realismus abschweben lässt".

Hoss schafft es, diese Eva mit ihren bisherigen Glanzrollen am Deutschen Theater zu verknüpfen, schreibt Matthias Heine in Welt (22.9.2009). Bärfuss' Stück habe auch in der für die Bühne vereinfachten Fassung noch seine Schönheiten, aber auch seine Schwächen. "Letztere ist der Mangel an äußerer Handlung. Irgendwann bringt Eva ihren Mann eben um, ohne dass es einen Konflikt im dramentechnischen Sinne gegeben hat." Die Schönheit liege in der Sprache und der Figurenzeichnung von Bärfuss. "Selbst über den manischen Herbert wird nicht gleich ein eindeutiges Urteil gesprochen - auch er hat ein bisschen Recht, wie jeder hier auf seine Weise."

"Nina Hoss als Eva Kahmer ist (...) eine von Widersprüchen durchzogene Figur, staunenswert nuancenreich und seelenfeingliedrig. Susanne Wolff meistert die schwierige Rolle des aus Angstträumen entspringenden Mädchens mit wenigen, präzisen Sprech- und Spielmitteln", schreibt Dirk Pilz (NZZ, 29.9.2009). Und doch komme diese Inszenierung kaum über "Kunstübungen" hinaus, auch wenn das "virtuose "Öl"-Kammerspiel (...) immerhin noch einige verstörende Qualitäten besitzt".

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