Nie wieder Ziegenfleisch

von Tomo Mirko Pavlovic

Stuttgart, 26. September 2009. Miguel träumt von einem ganz anderen Miguel. Von einem Miguel, der in einer coolen Jeans steckt. Der durch San Jacinto in einem schwarzen Geländewagen cruist. Der zusammen mit Papa Bier trinkt. Ein Miguel, der nie wieder Ziegenfleisch essen muss. Der ein eigenes Haus mit echtem Dach baut, zehn Mal größer als das von Don Clemente, mit Whirlpool und Playstation. Ein Ort, an dem sich alle wohlfühlen: Elena, seine kleine, vorlaute Schwester – und natürlich Mama und Papa, die ihn vor Jahren zurückgelassen haben. In dem Kaff. Ihn und Elena. Dafür ist er ihnen immer noch böse. Aber egal. Reich sein. Berühmt sein.

Diesen Traum träumt Miguel, ein fünfzehnjähriger Junge aus einem Dorf in Mexiko. Und als er irgendwann in der Wüste wach wird, hinter la línea, hinter der Grenze, und bemerkt dass er noch lebt, alles überlebt hat, Hunger, Durst, Sandstürme, den Schleuser, den Sprung auf den Todeszug, die Diebe, ja da lacht Miguel plötzlich kurz auf, kalt und irre wie ein Erwachsener, der das Träumen verlernt hat.

Ein Wahnsinnstrip

Ann Jaramillos realistisch beginnender Jugendroman "La Línea" über ein Flüchtlingsschicksal an der Grenze zwischen den USA und Mexiko ist eine spannende Story, ein Wahnsinnstrip voller Gefahren, Abenteuer und mit einem sehr unwirklichen Happy End. Das Erfolgsrezept dieses Buches: Der Held, Miguel, schafft es und bleibt der gute Junge, der er schon immer war. Zehn Jahre später hat er sogar einen College-Abschluss in Kalifornien. Ein Teufelskerl.

Auch Catja Baumann und Beate Seidel konzentrieren sich in ihrer Textfassung auf den handlungsreichen Plot, vertrauen einer unmissverständlichen Typenkomik, besetzen alle Nebenrollen mehrfach, erzählen chronologisch und unterhaltsam aus der Perspektive von Miguel – und übergehen bei aller Dynamik die Fragen, die die Geschichte aufwirft.

Falscher Sehnsuchtshimmel

Die Bühne von Anja Koch ist voller Holzkisten, die mal Mauern, mal ein Bus sind. Drumherum schäbig blaue Wände für einen falschen Sehnsuchtshimmel, rieselnder Sand, der vergehende Zeit und bedrohliche Wüste markiert, dazu Projektionen und dröhnender mexikanischer HipHop. Im Zentrum des Geschehens: Jan Krautter als Miguel und Lisa Bitter in der Rolle der Elena. Beide spielen ihren Part als Getriebene, Aussätzige. Ihre Gesten vereinigen sich zu einem einzigen Fluchtreflex gen Norden: alles ist Angst und Wille. Naiv. Mutig. Das gelingt.

Ein Bild jagt das nächste. Tempodramaturgie. Manchmal lustig, oft laut. Umso stärker bleiben Szenen im Gedächtnis, in denen leise Annäherungen stattfinden. Peter Sikorski als Chuy schenkt seinem Kumpel Miguel am letzten Abend in San Jacinto ein Fußballtrikot. Das Wie ist dabei entscheidend. Chuy sagt, er habe sich "vollgekackt", kehrt Miguel das Gesäß zu, der voller Abscheu hinschaut und in der Tasche das Hemd entdeckt, es in die Höhe hält. Sikorski schüttelt nur kurz mit der Hand, zuckt verlegen mit dem Kopf, ist verlegen und stolz zugleich, auch neidisch, dass der andere ihn verlässt. Alles auf einmal – richtig gut.

Lauter Fragen

In der Ambivalenz, in der Gleichzeitigkeit von Liebe, Ekel und Schmerz verbergen sich Tiefe und Humor, die auch Zwölfjährige, für die diese Stückfassung verfasst wurde, bestimmt zu schätzen wissen. Wichtiger als taumelnde Action, die Flucht, ist aber die Frage, ob es überhaupt okay ist, dass Miguel seinen Freund für coole Jeans und Superhäuser verlassen will. Vielleicht ist Miguel ja ein oberflächlicher Kerl? Oder: Hat die dreizehnjährige Elena mit dem Menschenschinder Juanito geschlafen, um das Geld für den Schleuser zu bekommen? Warum bleibt das Prinzip Familie unangetastet? Warum hasst niemand? Warum schaffen es die Geschwister mit heiler Seele ins vermeintliche Paradies, während alle anderen verrohen?

Lauter Fragen und einige vage, sehr, sehr jugendfreundliche Andeutungen. Zwar gibt es am Ende, zehn Jahre danach, eine kurze Irritation als Elena und Miguel in einem Telefongespräch über alles reden. Er ist in den USA geblieben. Sie ist zurückgekehrt, hat Chuy geheiratet. Aber auch da bleibt das Gute gut, das Böse bös. Catja Baumann, die Regisseurin, und ihre beiden enthusiasmierten Hauptdarsteller sind an diesem Abend noch zu nah an ihren geliebten Figuren, um allzu große Zweifel an ihrer Reinheit aufkommen zu lassen.

 

 

La Línea – die Grenze oder der Traum vom besseren Leben (UA)
Theaterfassung von Catja Baumann und Beate Seidel
nach dem Roman von Ann Jaramillo
Regie: Catja Baumann, Bühne und Kostüme: Anja Koch.
Mit: Bernhard Baier, Lisa Bitter, Dilaver Gök, Jan Krautter, Markus Lerch, Marietta Meguid, Peter Sikorski.

www.staatstheater.stuttgart.de

 

 

 

Kritikenrundschau

Die Regisseurin Catja Baumann mühe bei ihrer Stuttgarter Bühnenadaption des Jugendromas "La Línea" über die Grenze zwischen Mexiko und den USA von Ann Jaramillos "langatmig damit ab, die Globalisierung in Lerntheater für Jugendliche zu übersetzen", findet Christian Gampert vom Deutschlandfunk (Kultur heute, 27.9.). Das "beginnt als klobiges 'Grips'-Sozial-Kabarett und endet als Abenteuerfilm. Immerhin ist das handwerklich sauber gemacht, mit abrupten Stimmungswechseln" und allerdings auch einem "Hang zu übertriebener Körperlichkeit".


Thomas Rothschild von der Stuttgarter Zeitung (28.9.) sieht in "La Línea" "weniger pädagogisches als politisches Theater, dem Berliner Grips der siebziger Jahre näher als dem Weihnachtsmärchen seligen Gedenkens". Das "großartige Ensemble" gewinne dem ernsten Thema "auch komische Aspekte ab". Der "Gang durch die Wüste, eher ein filmisches Motiv, wird mit einfachsten Mitteln dargestellt: Sand, Licht, Projektionen – den Rest leistet die Fantasie. Auf billige Effekte, die das Sujet durchaus anböte, verzichten sowohl Ann Jaramillo wie auch ihre Bearbeiterinnen in Stuttgart." Auch wisse Baumann, "was Rhythmus bedeutet: der Wechsel von lyrischen Tönen und rasantem Tempo, das eben nur dann ermüdet, wenn es einen Abend variationslos durchgehalten wird". Manches sei "anrührend, an der Grenze zum Kitsch", enthalte aber "jene Magie, die nur das Theater vermitteln kann".

 

 

Kommentare  
La Linea, Stuttgart: deutche Sprache?
Nicht schön geschrieben muss ich zugeben. Deutsche ordentliche Sprache - nicht wirklich vorhanden.
La Linea, Stuttgart: gestört und verwirrt
Ich persönlich finde dieses Buch nicht unterhaltsam. Alles wird beschönigt und wirkt unrealistisch. Die spanischen Begriffe, die immer wieder auftauchen haben mich zudem gestört und verwirrt.
La Línea, Stuttgart: Verortung
San Jacinto liegt fei in Kalifornien!
La Línea, Stuttgart: verwirrend
An Miguel:
es gibt mehr als 30 San Jacinto(s) auf der Welt. Ich habe das Buch in Englischer Sprache gelesen mit 14. Es ist sehr verwirrend, dass immer wieder Spanische Worte angegeben werden, die wenig mit der Handlung zu tun haben. Es wird für Klasse 5 empfohlen auf Englisch für einen 10Jährigen meiner Meinung nach fast unmöglich.
La Línea, Stuttgart: nicht auf den Punkt
Das Buch ist aufgrund der Spanischen Wörter Einwürfe extrem unverständlich und Schwer zu verstehen. Herr Tomo Mirko Pavlovic hat das Buch nicht wirklich auf den Punkt gebracht und es mit schlechter deutschen Sprache unnötig ins lächerliche gezogen.
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