In Sackgassen so kurz

von Sabine Leucht

München, 29. September 2009. Man kennt das Phänomen: Wenn das Grinsen zu breit wird, das Schenkelklopfen zu forciert und alles ruft einem "Stimmung! Feiern! Fröhlichsein!" zu, dann schnurrt der Wille zum Spaß – schwupps! – ganz schnell in sich zusammen. It's Partytime in München. Nicht nur auf der Theresienwiese, wo die Oktoberfestseligkeit sich tapfer gegen Bombendrohungen und Sicherheitsterror behauptet, sondern auch im Club Ampere, wo Tobias Bühlmann "Zarathustra. Das Fest" ausgerichtet hat, unter dem gar nicht herbstlichen Motto "Alles ist Freude, Wachsen und Lust." Und er hat sich das Ganze soooo originell gedacht, dass man sich aber auch wirklich überhaupt nicht amüsiert.

1979 in Pfäffikon in der Schweiz geboren, hat der Regieneuling nach seinem Studium an der Otto-Falckenberg-Schule schnell eine Debütförderung vom Münchner Kulturreferat bekommen und nach begabten Fingerübungen in der Freien Szene und den Münchner Kammerspielen den bislang einzigen Fast-Skandal am Münchner Volkstheater provoziert. 2006 verschwand dort Bühlmanns Stück über die Angst sofort nach der Generalprobe vom Spielplan, weil es der Intendant unzumutbar fand. Und Christian Stückl hat wahrlich gute Nerven.

Achtung, in die Gräben! Ein Witz!

Nun also "Zarathustra", und nachdem man eine gute Stunde lang vor einem herumscharwenzelnden Drachenschwanz und zu bedeutungslosem Akustikbrei zerkauten Ideenbergen in Deckung gegangen ist, kommen einem die Worte jenes Kollegen in den Sinn, der anlässlich von Bühlmanns "Faust" 2007 in der Muffathalle schrieb, dem Regisseur gehöre "einmal richtig der Hintern versohlt". Nun, produktiver wäre es wohl, seine im Detail durchaus griffige Phantasie hart an die Kandare zu nehmen und ihr eine möglichst kleine Spielwiese am Rande eines Raumes freizuräumen, für dessen Gesamtkonzept aber bitte, bitte ein Anderer zuständig sein sollte.

Eine fast nackte Frau in einer Art Insektenpanzer, mal mit Mickymaus-Ohren, mal ohne, Schulterpolster, Styroporhaare und Geklampfe, Weihnachtslieder und Pink Floyd, ein "Honigopfer" als Ausrede, Paartherapie-Geflüstere und eine sich plötzlich einmischende Hitler-Stimme (jaja, Nietzsche und der Faschismus) und natürlich immer wieder der Übermensch: Der nebeldurchwaberte Wald, in dem auch die Zuschauer sitzen, ist gespickt mit Motiven, die alle vielversprechend so tun, als wollten sie irgendwo hin führen, sich dann aber als Sackgassen erweisen. Als ausnehmend kurze zumal, denn es scheint hier als Todsünde zu gelten, länger bei einem Thema zu verweilen oder es wenigstens so zu wechseln, dass noch einer hinterher kommt.

Hektik im Monströsitätenkabinett

Der krude Abend hat vielleicht mal kurz an Thomas Vinterbergs Dogma-Familien-"Fest" geschnuppert. Mit Nietzsches prophetischem Jahrhundertwerk "Also sprach Zarathustra" teilt er den demonstrativen Gestus der Abrechnung und vor allem die gnadenlose Selbstüberschätzung, ja Arroganz.

Wie Nietzsche vor 123 Jahren scheint Bühlmann hier und heute auf der Suche nach bedeutenden Geistern, die ihn verstehen mögen. Doch während Zarathustra mit seinem "halkyonischen Ton" von einem Punkt der Ruhe nach dem Sturm aus auf das zu Erkennende blickt, herrscht in Bühlmanns Monströsitätenkabinett blanke Hektik – und hemmungsloser Quatsch. Es ist, als hätte Nietzsche in seinen geistesverwirrten späten Jahren wild geträumt, oder als hätten Oktoberfestheimkehrer einen Packen buntes Lack- und Pappzeug gekapert, um noch mal so richtig einen drauf zu setzen: Was haben wir doch für tolle Einfälle! Inspiriert von "Alice im Wunderland", "Karlsson vom Dach" und dem eigenen, heiligen Bierdusel.

Geklaute Momente

Nichts gegen Traumlogik auf der Bühne und auch nichts gegen ein gesundes Selbstbewusstsein, aber von diesem Abend bleiben nur drei Momente ein Weilchen haften, und alle drei sind geliehen: Der an der Glasknochenkrankheit leidende Peter Radtke wird auf einer Sänfte als König hereingetragen: Ein kleiner Mann, der den Nietzsche-Text mit so viel Verständnis spricht, dass man ihm glatt zuhört.

Aber Radtke hat schon Tabori entdeckt und er wirkt, weil er Radtke ist. Dann also Oberstaatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt, dessen unsichtbarer Zwerg ihn gleich gewarnt hat: "Lass es, bleib in Hamburg! Hier ist überhaupt keine Klarheit reinzubringen!" Der Mann ist klug, auch wenn er kein Zweithirn aus Plastik auf dem Kopf trägt. Vielleicht ist er demnächst wieder bei Schlingensief zu sehen.

Und zuletzt gibt es Kinder, singende, tanzende, sich ernsthaft bemühende Kinder, die Sätze aufsagen müssen wie " Ich will nur schaffen, schöpfen, mich schaffend erleben." Und Kinder auf das Bühne, das ist einfach nicht fair. Da wird applaudiert, schon um sie nicht zu enttäuschen.

 

 

Zarathustra. Das Fest
nach Friedrich Nietzsche
Regie: Tobias Bühlmann, Dramaturgie: Fabian Larsson, Bühne: Alberto Lang, Kostüme: Mirjam Bühlmann, Musik: Los Dos, Video/ Grafik: Alberto Troia, Licht: Michael Bischoff.
Mit: Anneke Schwabe, Ina Maria Jaich, Gerdy Zint, Johannes Suhm, Peter Radtke, Dietrich Kuhlbrodt, Los Dos und der Klasse 3b der Grundschule an der Stuntzstrasse.

www.muffathalle.de

 

 

Kritikenrundschau

Im München-Teil der Süddeutschen Zeitung (1.10.) stellt Egbert Tholl fest, dass es bei Tobias Bühlmann eine "ewige Wiederkunft des Gleichen" offenbar nicht geben werde. Vor zwei Jahre hätte er mit Goethes "Faust" den Wahnsinn entfacht. Und nun ausgerechnet mit Nietzsches ein Wald-und-Blumenfest ausgerichtet, das im Grunde ein "literarischer Abend" sei. Mit Peter Radtke auf einer Sänfte und einem echten Oberstaatsanwalt, der "Nietzsches Worte einer versimplifizierenden Exegese unterzieht". So recht hätten die Zuschauer dazu nicht tanzen wollen.

Michael Schleicher vom Münchner Merkur (1.10.) hält "Zarathustra. Das Fest" für ein "großes Ärgernis". Der Schweizer Regisseur sei vor dem Nietzsche-Pathos "in die Knie" gegangen". Alles sei "plump, platt, peinlich, pubertär". "Das ist kein Theater. Das ist ein Abi-Scherz, auf den keiner der Beteiligten sonderlich Lust gehabt zu haben scheint."

Und Gabriella Lorenz von der Abendzeitung (1.10.) assistiert und moderiert zugleich: "Ein Sinn lässt sich nur schwer ausmachen, aber immerhin hat Bühlmann wild seine Fantasie spielen lassen."

 

 

Kommentare  
Zarathustra in München: wie Oberon, nur menschlicher
In Wäldern keine Sackgassen suchen
Es stimmt. Zarathustra ist kein Fest. Entgegen der Ankündigung. Deshalb ist es nicht fair, es mit der Bierseligkeit der Theresienwiese in Verbindung zu bringen. Seltsam dieser angenommene Wechsel zwischen den Biotopen. Hat man je einen Oktoberfestfrosch, einen biertrunkenen in die freie Münchner Theaterszene hüpfen sehen? Gebt mir Bescheid, sobald sich die Münchner Schickeria, die Käfersitzer, Hippos und Fischer Vroni Jünger freiwillig in Theaterdenkräume wagen. Ich werde sie jauchzend empfangen.

Ganz ironiefrei: Ja! Bühlmann ist originell. Einer der mit starkem Willen zur ästhetischen Gestaltung einen Club bewaldet. Seinen Wald bestückt er mit quietschend bunten Gummianzüge und monströse Drachenbauten - wie oft hat er dafür schon eins auf die Mütze bekommen, von den Inszenierungssatten, die beim Betrachten des Theaterspektakels nicht im Moment, sondern in der Vergangenheit schwelgten - ach, ja, das haben wir ja alles schon mal bei Schlingensief gesehen. Schön für euch.

Ich hatte Anfang der 90er, nicht das Glück dabei zu sein, als Tabori in Berlin Peter Radtke entdeckte. In Bühlmanns Wald hielt er Hof, wie Oberon in Shakespeares Sommernachtstraum, nur menschlicher: Ein Mensch so voller Leidenschaft, ein strahlender Sonnenkönig, so kraftvoll - hoffnungspendend. Heimlich beobachtet im Märchenwald.

Ich saß im Wald. Mit offenen Sinnen. Ohne den Anspruch, Nietzsches Philosophie vermittelt zu bekommen. Dafür wäre eine Dokumentation im ZDF Infokanal oder auf Arte auch besser geeignet. Ich habe einen Diamenten gefunden, den Zwerg auf der Schulter des Gehirnmannes gesehen und ein unschuldiges Blatt gemordet. Menschen hab ich tanzen sehen. Alte mit Kindern - was für eine Utopie. Ein Kaleidoskop der Sehnsüchte und Träume von einer Welt, in der der größte Feind des Ich - das Ich - die Waffen streckt und sich selbst die Hand reicht zur Versöhnung.

Man mag sich über Bühlmanns Genialität uneinig sein, die Kraft seiner ästhetischen Vision jedoch ist bemerkenswert. Weil er es sich leistet, geradlinig seinen Weg zu gehen. Abseits der vielbefahrenen Straßen. Im Wald eben.
Zarathustra: Gähnend schön
oder anders: Gähnende Langeweile, wunderschön verpackt in Kostüm und Bühnenbild.
Zarathustra in München: bezaubernd
Leider kann ich es nicht wagen, mit euch beiden auf Augenhöhe über das Theater und seinen Anspruch zu schreiben. Dafür fehlt es mir nicht zuletzt an Bildung.

Ich kann nur für mich sprechen, dass ich bezaubert bin von dieser Inszenierung. Dass ich schon beim Betreten des Nebel-durchwaberten Waldes ein wenig kindlich gestaunt habe und auch beim Entdecken der bizarren Figuren, der Wonder-Woman, der Libellenarmee, dem BRD-Drachen-Zarathustra. Dass mich - und deren Wippen nach zu urteilen auch mein Umfeld - die Livemusik mit auf die Stimmungsreise genommen hat und dazwischen der Gehirn-Kapitän nicht nur brilliant gespielt, sondern mir auch seiner Rolle entsprechend Inhalte nahebringen konnte.

Ich habe die ungemein positive Lesart des Zarathustra von Bühlmann genossen und fast, fast so wirkte es, hätte das Stück uns alle transformieren können. Hätte mich die glückliche Version der Wonder-Woman bei der Hand genommen und zum Tanz geleitet, ich wäre liebend gern zum Kind geworden.
Zarathustra: Einfache Message, die gut rüberkommt
Mir schien Bühlmanns Zarathustra als Treffpunkt von Low und High, Witz und Ernst, Theater und Performance, ich wäre versucht zu sagen von Jung und Alt, was aber zu kitschig rüberkäme, was aber wiederum vielleicht eines der wenigen ist, was bleibt in eben dieser konstruierten Post-Postmoderne. Wenn man mit großen Worten um sich schlagen möchte, dann würde ich sagen: Nietzsche als Vorreiter der Postmoderne ist hier ein Rahmen gebaut worden, ein mit Baudrillard’schem Zeichenchaos zugemüllter Märchenwald. Und da liegt auch genau das Problem der Kritik von Sabine Leucht. Wenn sie ernstes Theater will, bei dem die BesucherInnen vor Schwere und Erfurcht zittern, dann soll sie ins die Staatsoper gehen. Die Message hier war einfacher und hat funktioniert: Leben muss gelebt werden, manchmal wird’s wild, manchmal macht’s keinen Sinn, manchmal müssen einfach alle tanzen auch wenn’s kitschig ist und an hippie-eske Kreistanzrituale erinnert (wozu die Musik sehr gut passte...) – wer das alles nicht mehr braucht, die soll doch steif in der Ecke sitzen oder einfach gehen...
Zarathustra: Hier kann nichts falsch sein
welch kontroverse bühlmann hervorruft ist bezaubernd faszinierend. und schreit danach, sich selber eine meinung bilden zu dürfen und schnurstracks in die wabbernde märchenmasse zu sausen, mit den eigenen getunten elfenflügel natürlich.
ein fest für alle und keinen. schon der titel rief zur teilnahme auf - bei diesem zusammentreffen kann nichts falsch sein, jeder ist willkommen, keiner in seiner eigenheit der alleinige trendsetter und diktator für die übrigen mitläufer.
es scheint, als hätten einige der partygäste vergessen, dass anwesenheit alleine allerdings noch keine teilnahme ausmacht.
bei einem fest von aussen zuzuschauen wie die anderen flaschen drehen und dies doof finden, ist leicht. selber mitzuspielen braucht mut... aber die aussicht darauf, allenfalls von superwoman geküsst zu werden, sollte sich allemal lohnen.
bedauerlicherweise hatte ich die möglichkeit nicht, mich zum festgelände zu begeben. wie blöd muss einer aber sein, wenn er sich für anwesenheit, nicht aber für teilnahme entscheidet...
...es wirkt so, als wäre da die absicht zu feiern von vornhinein nicht existent gewesen, sondern die sensationslust und die hoffnung darauf, beobachter des scheiterns zu werden die treibende kraft. da bleibt mir nur zu sagen ; selberschuld. chance verpasst die eigenen flügel wieder zu spüren.
Zarathustra in München: armselig
Leider hat Sabine Leucht Recht:
Dummes, überhebliches, schlecht vorgetragenes Geschwafel. Armselig. Herr Bühlmann scheint mir völlig überschätzt. Radtke war mit seinem Vortrag der einzige Lichtblick. Herr "Oberstaatsanwalt" Kuhlbrodt ist absolut zu vernachlässigen. Was sollte denn dieser langweilige, schlechte, selbstverliebte Komiker in dieser Schmierenkomödie? Das reicht ja alles nicht. Völlig beliebiges Kasperltheater mit in Haft genommenen Schulkindern. Wirklich armselig.
Herr, laß Hirn und Demut auf Bühlmann regnen.
Bühlmanns Fest: als ob sie Nietzsche-Experten wären
pseudo-intellektuelle scheisse...jetzt tun fast alle so, als wären sie nietzsche experten, zum kotzen!
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