Der Angreifer

von Tomo Mirko Pavlovic

23. Juli 2007. "Das ist mein Platz!" Da ist er schon wieder, dieser Satz. Und sein dazugehöriger Mensch. Baut sich vor einem auf wie eine Fleisch gewordene Aufforderung. Ein Vertreibungsdekret mit Lesebrille. Ein performativer Akt mit Theaterkarte am langen Arm.

Es ist - der Angreifer. Wie fast immer: in Wohlstandsuniform. Nicht mehr ganz jung. Kein Verwirrter. Überheblicher Mittelstand. Ein Macher, für den Ehefrauen und Sekretärinnen das Alltägliche besorgen. Besitzt soviel Herzenswärme wie Schillers Landvogt Gessler. Drängelt mit der Lichthupe auf der linken Spur des Lebens. Betritt nur selten das Parkett der Masse, wo mickrige Ticketnummern für ein geordnetes Miteinander sorgen. Denkt, dass seine von allen Selbstzweifeln freie Feststellung jeden Gegner sofort in die Flucht schlägt. Und der Gegner: Das bist jetzt du! Der Wurm. Das Volk. Der vermeintliche Sitzplatzdieb.

"Hallo, Sie. Das ist mein Platz!" Spätestens nach dem zweiten Mal heißt es: Ruhe bewahren. Nicht provozieren lassen. Runterkühlen, auch wenn die Faust juckt. Das ist nicht die Vorstadt. Tumulte vermeiden. Ticket hervorholen. Aufstehen. Aber langsam. Blickkontakt herstellen. Aus den Augenwinkeln die Lage sondieren, man weiß ja nie. Nachher schreit einer "Steinigt ihn!" und schon ist dein ganzer Abend im Eimer. Die Ersten gucken schon. Während sich der Rest demonstrativ tuschelnd wegduckt. Typisch. Und das soll nun eine Bürgergesellschaft sein?

Schwamm drüber. Also: Atem und Stimme kontrollieren. Den zuckenden Wangenmuskel durch ein entwaffnendes David-Niven-Lächeln in Schach halten. Und schließlich dem Angreifer in angemessenen Ton den Irrtum der falschen Reihe offenbaren. „Das kann doch nicht sein!“, ruft er, starrt aufs Ticket, geifert in die Runde, versteht seine Herrenwelt nicht mehr und verlässt ohne Entschuldigung das Revier. Die Stimmung kippt, zu deinen Gunsten, natürlich. Jemand greift sich an die Stirn. Du setzt dich und wartest. Gleich hebt sich der Vorhang. Irgendwo hinter dir, du hörst ihn deutlich, sucht der Gessler in einer anderen falschen Reihe seinen nächsten Tell.

Aber das hier, das ist mein Platz.

 

Hier lesen Sie Teil I , Teil III und Teil IV der Serie "Das Parkett ist ihre Bühne".