Ein Hartz-IV-Stipendium ist kein Ehevertrag

von Elena Philipp

Berlin, 12. Oktober 2009. Was ist nachhaltiger: Auf einem sinkenden Tanker anzuheuern oder eine Ehe einzugehen? Die Antwort "Ehe" liegt näher, und so war beim Symposium "Schleudergang Neue Dramatik" viel von Beziehungs-anbahnung zwischen AutorInnen, DramaturgInnen und RegisseurInnen die Rede: Einen "Flirtraum" wolle man schaffen, langfristige Arbeitsbeziehungen stiften, Ehen schließen.

Zwei Tage lang machten sich mehr als 150 Theaterschaffende Gedanken über diesen Ehevertrag, mithin über die "Zukunft der zeitgenössischen Dramatik". Der Einladung der Berliner Festspiele in Kooperation mit dem Deutschen Bühnenverein folgten vorwiegend AutorInnen, DramaturgInnen, Intendanten und die Leiter- Innen diverser Autorenförderprogramme, aber auch VerlagsmitarbeiterInnen, RegisseurInnen, PressevertreterInnen oder HochschuldozentInnen.

Betriebsintern analysierte man am ersten Tag in sechs Workshops die momentane Situation von Dramatikern und Dramatik und entwickelte Visionen für die Zukunft. Überraschende Einigkeit herrschte zwischen den AutorInnen, die sich eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen erhoffen und an den Subventionen für das öffentliche Theater beteiligt, sprich: angemessen bezahlt werden möchten, und den TheatervertreterInnen, die sich qualitätsvollere Stücke wünschen und fragen, wie sie die "Produktivkraft Autor" in den Theateralltag integrieren können. "Erstaunlich homogene Ergebnisse" wurden erzielt, wie Moderator Peter Michalzik lobte: Mehrheitsfähig schien das Modell Hausautor ebenso wie die Abschaffung der Altersgrenzen in den Förder-programmen, um die Förderlücke für AutorInnen über 35 Jahren zu schließen und durchgängige Autorenbiographien zu ermöglichen.

Dramenblase oder Schongang?

Einig war man sich zudem, dass ein Stückauftrag mit nicht weniger als 5.000 Euro dotiert sein sollte und dass die Koppelung junger AutorInnen mit jungen RegisseurInnen und SchauspielerInnen zeitgenössischer Dramatik ebenso wenig gut tue wie das Abo auf die kleine Bühne. Gewünscht wurde allseits mehr Zeit, um ergebnisoffen und von Produktionszwängen befreit zusammenzuarbeiten, in Ruhe schreiben und produzieren zu können – mindestens ein Jahr statt sechs Monaten Laufzeit für einen Stückauftrag war eine konkrete Forderung von Autorenseite, die in ihrer Konkretheit aber wenig Nachhall fand.

Man verblieb im Harmonischen, und auch wenn die Berliner Festspiele im Material zum Symposium auf diverse, seit zwei Jahren immer wieder aufflackernde Debatten zur Lage von AutorInnen und Neuer Dramatik hinwiesen, hatte man nach dem ersten Tag fast den Eindruck, dass eigentlich kein Diskussionsbedarf bestehe. Franz Wille suchte denn auch, statistikgestützt, in seinem Impuls-referat gleich zu Beginn die These des Symposiums, dass es einen regelrechten Uraufführungsverschleiß gebe, zu demontieren: Die Zahl der Uraufführungen neuer Dramatik sei seit zwanzig Jahren stabil bis leicht steigend. Von wegen Schleudergang – eher Schonprogramm für Autorinnen und Autoren, die gezielt gefördert würden. "Es gibt keine 'Dramenblase'. Das ganze Gerede ist Unsinn." Nur eine bessere Bezahlung von DramatikerInnen gelte es durchzusetzen.

Fördern und Fordern

Tag Zwei brachte manche Wünsche und Visionen auf den Boden der pekuniären Tatsachen zurück. Der Kasseler Intendant Thomas Bockelmann sah im Zuge der Wirtschaftskrise auf die Theater harte Finanzverteilungskämpfe zukommen und sorgte sich um die "nackte Existenz" des öffentlichen Theatersystems – eine Hausautorenstelle einzurichten sei den meisten Häusern angesichts schrumpfender Etats und minimaler Ensembles nicht möglich. Dem allerdings bleibt zu entgegnen, dass man sich um alternative Finanzierungsmodelle bemühen kann, etwa um die Errichtung einer Theaterstiftung, die auch der Autorenförderung dienen könnte.

Es besteht mithin ein sehr konkreter Aushandlungsbedarf – das trat als die "gewerkschaftliche" Seite des Symposiums deutlich zutage. Eine neue Balance zwischen Autoren und Theatern muss gefunden werden: Die durch Förder-programme und Studiengänge "produzierten" AutorInnen möchten eine Berufschance im Betrieb geboten bekommen, sich eventuell enger binden – müssten sich aber dadurch wohl auch mehr in die Pflicht nehmen lassen. Fördern und Fordern, das Motto gilt auch für das Theater. Von "Hartz IV-Stipendien" sprach Battle-Autor Andreas Sauter bei der abschließenden Podiumsdiskussion am zweiten Tag ironisch; eine öffentliche Umwegfinanzierung für Leistungen, die dem Theater zugute kommen, die es aber nicht bezahlen kann oder will. Sauter benannte auch das Thema "individuelle versus institutionelle Verantwortung": Wie könne das Theater qualitätsvolle, "welthaltige" Stücke zu großen Themen einklagen, ohne die Entstehungsbedingungen von neuer Dramatik im Blick zu haben?

Wie welthaltig ist die Welthaltigkeit?

Wendet man sich der künstlerisch-inhaltlichen Seite zu, ist auch dort Diskussionsstoff reichlich vorhanden. Der Journalist Tobi Müller riet dringend, sich angesichts schnellerer und demokratischerer Medien über die Stärken theatraler Produktion und Darstellung zu verständigen – und begreift das Theater als langsam sinkenden Tanker. Auf einem leck geschlagenen Schiff anzuheuern, das macht keinen Sinn, daher müssen sich die AutorInnen ebenso verantwortlich fühlen, den Kahn wieder flott zu machen, wie die übrigen Theaterschaffenden – es klang gelegentlich an, dass die AutorInnen sich zu wenig mit den Bedürfnissen der Theater, ihrer Abnehmer und – um bei der Metaphorik zu bleiben: "Ehepartner" – befassten.

Eine wichtige Frage auch: Wie kann man das Publikum für Neue Dramatik gewinnen? Nis-Momme Stockmann schlug vor, den Aspekt der Unterhaltung in der zeitgenössischen deutschsprachigen Dramatik zu stärken, betrachtete ihn aber gleichwohl als generationell gebunden: "Ältere Semester fühlen sich durch 'Welthaltigkeit' unterhalten, jüngere nicht." Fehlt es an Kriterien zur Beurteilung zeitgenössischer Dramen? Kommunizieren Theater und Autoren, Arrivierte und Nachwuchs auch in punkto Qualität aneinander vorbei? "Welthaltigkeit" – beim Symposium ein so notorisch verwendetes wie diffuses Qualitätskriterium – scheint jedenfalls kein konsensfähiger Begriff. Ebenfalls thematisiert: Welche Verantwortung haben die Theater inhaltlich? DramaturgInnen müssten mehr Zeit haben, Stücke genauer und auch erneut zu lesen, sie müssten den Schreibprozess früher begleiten können, eventuell müsse man die AutorInnen sogar in die Spielplangestaltung einbeziehen – der Ideen waren viele.

Das fehlende Dokument

Die Einsicht von Theaterseite, mit AutorInnen angemessene Arbeitsbedingungen aushandeln zu müssen – das als Ergebnis des Symposiums betrachten zu können, wäre ein großer Erfolg. Ein Abschlussdokument hätte mögliche Forderungen festgeschrieben und ihnen mehr Verbindlichkeit verliehen; so bleibt das Meiste vage und eine mögliche Umsetzung von Anregungen den einzelnen Theatern überlassen. Doch die Diskussion ist spätestens jetzt auf höchster Theaterebene verankert. Es gilt, sie gemeinsam weiterzuführen, denn gelungene Kommunikation ist angeblich die Grundlage jeder guten Ehe. Dann muss sich "das Theater" nur noch über Wasser halten – und die Neue Dramatik kann Fahrt aufnehmen.

PS: Wer mehr über den Verlauf der Diskussionen wissen möchte, der sei auf die geplante Dokumentation der Berliner Festspiele verwiesen, die demnächst im Internet veröffentlicht werden soll. Die Lücken in der vorliegenden Berichterstattung zu schließen und subjektive Verzerrungen auszugleichen – das möge die Diskussion leisten, die hiermit eröffnet sei.


Schleudergang Neue Dramatik
Symposium zur Zukunft der zeitgenössischen Dramatik
9.–11. Oktober 2009 im Haus der Berliner Festspiele
Veranstalter: Berliner Festspiele / Theatertreffen in Kooperation mit Deutscher Bühnenverein, unterstützt von: Verband Deutscher Bühnen- und Medienverlage e.V. und Dramatiker Union e.V.
Konzept und Projektleitung: Iris Laufenberg und Yvonne Büdenhölzer, Mitarbeit: Friederike Jäcksch

www.berliner-festspiele.de

 

Der Dramatiker Moritz Rinke hat im Rahmen des Symposiums über seine Erfahrungen als Autor gesprochen, was hier zu lesen und auch zu hören ist: {mmp3}rinke.mp3{/mmp3} (Pfeil anklicken).

Auf nachtkritik.de wurde bereits mehrfach über Neue Dramatik diskutiert: So veröffentlichten etwa die Battle-Autoren hier im September 2007 ihre 10 Wünsche für ein künftiges Autorentheater. Im Mai 2008 hielt Joachim Lux den Eröffnungsvortrag des Theatertreffen-Stückemarktes und vertrat darin die These, dass die wesentlichen ästhetischen Impulse im Theater seit Längerem schon nicht mehr vom Text ausgingen. Und im September 2009 wurde gemeldet, dass die Wiener Werkstatttage in diesem Jahr ob des "Mangels an qualifizierten Bewerbungen" ausgesetzt würden.

 

 

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