Die Revolution liegt im Sterben

von Katrin Ullmann

Hamburg, 15. Oktober 2009. Vom Vordach des Schauspielhauses skandieren sie noch gemeinsam: Danton und Robespierre. "Die Freiheit ist kein Kinderspiel!" und "Die Regierung muss aktiv sein!" rufen sie in Richtung Kirchenallee und Premierenpublikum. Sie stacheln sich gegenseitig an. Mal von Lautsprecherakustik umjubelt, mal ausgebuht. Da sind die beiden Revolutionäre noch im Kampf, sind Brüder im Geiste und auf der Straße.

Auf der Bühne dann, wenn Büchners "Dantons Tod" beginnt, liegt die französische Revolution bereits im Sterben. Danton hat sich müde gekämpft. Er ist misstrauisch und ekelt sich vor dem menschlichen Leid, vor dem "Fatalismus der Geschichte", vor dem "Fluch des Muss". Danton sehnt sich nach Ruhe, nach dem Nichts. Robespierre hingegen hat gerade das Blut der Macht geleckt und terrorisiert als Anführer der Jakobiner das postrevolutionäre Frankreich. Robespierre wird Danton aufs Schafott bringen, seine Diktatur wird folgen – wenn auch nur kurze Zeit.

Fleischeslust und Enthaltsamkeit

In Dušan David Pařízeks Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus verkörpern Danton und Robespierre zwei höchst gegensätzliche Lebensprinzipien. So barock und fleischeslustig der eine lebt, so enthaltsam und karrieristisch ist der andere. Und Pařízek hat die beiden Kontrahenten gut besetzt: Lukas Holzhausen spielt den sortierten, aalglatt wendigen und nahezu ätherischen Politikerglatzkopf Robespierre. Vielleicht gibt er diesen eine Spur zu eindimensional, denn dessen karrieregesteuerte Marionetten- und Boshaftigkeit ist allzu schnell klar.

Markus John hingegen – seit dieser Spielzeit neu im Ensemble – spielt einen großartigen, freundlich trägen Genussmenschen, der erst dann wolfsheulend aufbegehrt, wenn es für ihn schon längst zu spät ist. Unaufdringlich präsent ist John dabei und umschifft so geschickt wie misstrauisch jedes Klischee: Sein Danton ist ein sinnlicher, rückhaltloser und zugleich ungemein abgeklärter Lebemann.

Natürlich spielt der eine seine Rolle mit Rollkragen und Pullunder, der andere sie aufgeknöpft hemdsärmelig mit wirrem fettigen Haar (Kostüme: Kamila Polívková). Doch diese Deutlichkeit sei gern erlaubt, zumal Pařízek Büchners Stück auf knapp zwei Stunden Aufführungskürze bringt. Großzügig streicht er Text, legt Rollen zusammen. Mal gibt er Volkes Stimme an St. Just (eifrig jugendlich: Aleksandar Radenković), mal politisiert er Dantons Frau Julie (bisschen spröde: Ute Hannig) durch ihr zugesprochene Textpassagen der Mitrevolutionäre.

Argument und Lebensentwurf

Pařízeks Inszenierung konzentriert sich ganz auf die beiden Kontrahenten, auf ihre Argumente und Lebensentwürfe und gibt vor allem dem Diskurscharakter von "Dantons Tod" Raum. Tatsächlich ist der Raum selbst eine, von Parizek entworfene, weitgehend leere Bühne, die zur Linken mit einer fünf Meter hohen dunklen Holzwand abschließt. In dieser puristischen Umgebung lässt er die Darsteller agieren.

Mal vergrößert eine Videoprojektion die Szene, etwa wenn Marion (Irene Kugler) Danton voll warmer Wolllust küsst; meist jedoch vergrößert sich Büchners Text wie von selbst. Und das ist auch der Hauptgewinn des Abends: dass man den Worten, Sätzen und Sprachgebilden Büchner fasziniert nachhört: "Bist Du der Polizeisoldat des Himmels?" – "Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal, ganz leise, heimlich sagte, du lügst, du lügst?" – "Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?"

Mit großer Genauigkeit und einer natürlichen Selbstverständlichkeit benutzen die Darsteller Büchners kunstvolle Sprache (weit vorne: Julia Nachtmann als Camilles so spöttische wie trauernde Frau) und machen sie so zur eigentlichen Hauptfigur des Abends. Dušan David Pařízek schafft durch diese Konzentration ein sehenswertes und sehr gelungenes Stück Theaterarbeit, doch ein die Sinne erschütternder Krieg im Palast ist es nicht.

 

Dantons Tod
von Georg Büchner
Regie und Bühne: Dušan David Pařízek, Kostüme: Kamila Polívková, Musik: Roman Zach, Licht: Annette ter Meulen. Mit: Markus John, Janning Kahnert, Lukas Holzhausen, Aleksandar Radenković, Michael Prelle, Irene Kugler, Ute Hannig, Julia Nachtman.

www.schauspielhaus.de


Mehr Büchner? Am Theater Plauen-Zwickau hat Matthias Thieme Anfang Oktober Dantons Tod inszeniert, Tilmann Köhler brachte den Woyzeck am Berliner Maxim-Gorki-Theater Ende Mai 2009 heraus.

Kritikenrundschau

Die (online nicht genannte) Stimme der Hamburger Morgenpost (17.10.) ist begeistert: "Äußerlich karg und konsequent reduziert, dabei psychologisch sinnreich und packend erzählt der junge Regisseur aus Prag das Stationendrama vom Scheitern der Französischen Revolution an sich selbst." Dem Leiter des Prager Kammertheater gelinge es, alle insgesamt acht Darsteller präzise und nuanciert seelische Dispositionen und Abläufe offen legen" zu lassen. Am Deutschen Schauspielhaus hätte Pařízek nun schon die dritte Arbeit vorgelegt, "in der er anhand eines Klassikers ein Kernthema deutscher (Geistes-)Geschichte auf den Punkt bringen will: Nach Kleists 'Die Hermannsschlacht' (2007) und Schillers 'Kabale und Liebe' (2008) wirkt auch 'Dantons Tod' als Tiefenanalyse von Gewalt, die nicht nur die Existenz der Opfer auslöscht, sondern auch das innere Leben der Täter.

Im Hamburger Abendblatt (17.10.) streicht Klaus Witzeling die Konzentration auf den Text heraus. Das Stück sei stark gestrichen, "die 30 Figuren auf acht Schauspieler reduziert, von denen einige Passagen anderer Rollen sprechen". Die Rededuelle zwischen Danton und Robespierre stünden im Zentrum. Lukas Holzhausen gebe Robespierre "einen 'unschuldig' festen Glauben in seine Ideale, verweist jedoch darin auf die Gefahren 'ehrlicher' Überzeugung von Fanatikern oder Ideologen". Markus John zeichne den Danton als einen "an sich und der Revolution (ver)zweifelnden Frauen- und Freiheitshelden", der des "Blutvergießens und Lebens" überdrüssig sei. Die Schauspieler addressierten direkt das Publikum. "Den 'Parteien'-Gegensatz spiegelt der Regisseur – wie in seiner 'Kabale und Liebe' – im Raum, den die Diagonale einer hohen Holzwand spaltet. Auch nimmt er sich wieder die Freiheit, den gestrafften Text analytisch zu durchleuchten, was zwar auf Kosten der Action geht, aber Büchners plastische Bildersprache zum Leuchten bringt."

 

 

 

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