Revolte ohne Hoffnung

von Michael Laages

Wien, 30. Oktober 2009. Am Ende steht Tyrannenmord. Doch danach kommt nicht das, wofür er begangen wurde und worüber zuvor so lang und breit gestritten und agitiert worden ist: der Aufstand gegen ein überlebtes Fürstentum und für die Republik. Denn der Attentäter selbst war nur ein finstrer Clown, der ziemlich heruntergekommene Ober-Bohemien der Stadt und auch am Hof von Florenz. Und wie laut auch immer er den eigenen Plan durch die Straßen trug, ernst hat ihn dort keiner nehmen mögen.

Außerdem war dieser Mörder Lorenzaccio nicht nur ein Cousin des von ihm schließlich ermordeten Potentaten, sondern hatte auch noch jahrelang für den (speziell was Frauen betraf) nimmersatten Herzog Alessandro Orgien organisiert. Als der Fürst jedoch in unstillbarer Gier sogar Lorenzaccios schöne junge Schwester zu sich ins Bett befahl, wurde es dem abgewrackten Schöngeist zu bunt.

Er, der immer ein Doppelspiel gespielt hatte und neben seinen Fürstendiensten auch für die Republikaner zu kämpfen vorgab, glaubt nun, das Fanal für die Revolte zünden zu können. Aber im alten Trott, in den das Fürstentum Florenz sofort nach dem Tod des einen und der Thronbesteigung des nächsten Medici-Herrschers zurückfällt, wird bald auch Lorenzaccio selbst für ein paar Silberlinge abgemurkst. Es war wohl unter diesen Umständen nicht anders zu erwarten.

Nähe zu den europäischen Ereignissen um 1989

Der französische Schriftsteller Alfred de Musset ist selber der Lebemann und ständig unter Absinth-Strom stehende Müßiggänger gewesen. Auch de Musset sympathisierte mit neuer Revolution, als der 1810 Geborene mit 22 Jahren im repressiven, postrevolutionären Klima Frankreichs unter König Louis-Philippe am "Lorenzaccio" zu schreiben begann, diesem geschichtsphilosophisch finstren Panorama einer vergangenen Epoche; mit Quellen aus dem Florenz des 16. Jahrhunderts wie mit liebender Energie versorgt von der Schriftstellerin George Sand.

Was Stefan Bachmann da also auf die Burgtheater-Bühne hebt, ist als politischer Theaterstoff in praktisch jeder Hinsicht ziemlich weit weg. Und man könnte meinen, es bedürfe beträchtlicher Mühe, das Stück nun in die Nähe eines nachbarschaftlichen Kommentars etwa zu den europäischen Umwälzungen vor zwanzig Jahren zu rücken. Doch wird die neue Wiener Fassung des selten gespielten "Lorenzaccio" erstaunlicherweise zum sehr starken Stück.

Das hat vor allem handwerkliche Gründe. Zum einen hat Bachmann die Modernität im szenischen Gefüge des Dramas (das laut Programmheft auch den glut- und blutvollen amerikanischen Kino-Haudegen Sam Peckinpah beinahe für eine Verfilmung begeistert hätte) auf äußerst trickreiche Weise genutzt. Das Stück strotzt nur so von intelligenten Übergängen von Szene zu Szene.

Wie auf Drogen rotierend, immer in Bewegung

Alle Räume der Geschichte, Straßen, Festsäle, Kirchen, Hinterzimmer, Bordelle, hat Bühnenbauer Johannes Schütz in ein einziges Bild gezwungen; wofür er allerdings, wie fast immer, Bauteile aus früheren Inszenierungen (etwa aus Schimmelpfennigs Hier und Jetzt von Jürgen Gosch) recycelt und in neuem Zusammenhang noch einmal nutzt – aber das weiß ja nur, wer die gesehen hat.

Ein Kasten ganz aus Platten-Gold begrenzt nach hinten die Bühne, die ansonsten ganz mit Erde aufgeschüttet ist, darin gibt's nur ein Sofa und zu Beginn des zweiten Teils eine lange Familientafel. Das Personal tritt (wie zuletzt fast immer bei Gosch) recht häufig aus den ersten Reihe im Zuschauerraum auf, schaut sich quasi selber bei der Arbeit zu und zieht sich dort auch um. Und das ist auch dringend nötig, denn fast alle Akteure im in jeder Hinsicht erstklassig besetzten Ensemble bewältigen in rasanten Umzügen mehrere Rollen.

So wirkt das unruhige Stück immer in Bewegung, wie auf Drogen rotiert es, selbst wo es über lange Strecken eher bedächtig daher kommt. Schließlich verfügt der Regisseur noch über zwei Protagonisten, wie sie so schnell nirgends zu finden sein werden.

Wild, wüst, wuchtig, winselnd vor Lust und Gier

Über den wie so oft meisterhaft fahrigen, ironie- wie verzweiflungssatten Michael Maertens in der Titelpartie und über Nicolas Ofczarek, dem es als Fürst Alessandro tatsächlich gelingt, einen Menschen ohne Maß zu erfinden: ein wildes, wüstes, gerne nackt im Dreck sich wälzendes Kind im Kettenhemd, unberechenbar in fast jeder Sekunde, wuchtig und winselnd vor Lust und Gier, debil und delirant in seinen Süchten, unbeirrbar in der todbringenden Energie seines Wesens. Nackt und blutüberströmt lässt der Attentäter dieses Monstrum auf dem Sofa zurück, wie nach einem Kinderspiel, das nur ein bisschen zu weit gegangen ist.

Die Aufführung prunkt jenseits dieser beiden Schauspieler-Ereignisse aber auch mit filigranen Phantasien für praktisch alle, auch die kleinsten Rollen – etwa zwei republikanische Mitverschwörer, die wie deutsche Jägermeister daher kommen, die Waffen ungenutzt auf dem Rücken, und die schon wieder verführbar sind noch für das kleinste Privileg dieses zutiefst verkommen Fürstentums. Bachmanns Inszenierung kann zirkushafte Comedy ebenso beschwören wie musikalische Italianità oder den romantisierenden Eros einer Revolte, die zwar weiß, dass sie wichtig und nötig ist, aber eben nicht, wohin sie streben soll.

Das letztlich ist vielleicht die haltbare Wahrheit dieser starken Alptraumphantasie – dass da fürs erste keine Hoffnung wächst aus der Revolte; und dass sie darum stets höchstens die beste aller schlechtesten Lösungen sein kann – wie Winston Churchill zufolge die Demokratie. Wer mag, kann das aktuell finden. Immer wieder von neuem.

Lorenzaccio
von Alfred de Musset
Fassung nach den Übersetzungen von Michael Eberth, Katarina Hock und Host Laube
Regie: Stefan Bachmann, Bühne und Kostüme: Johannes Schütz, Musik: Felix Huber.
Mit: Michael Maertens, Nicolas Ofczarek, Martin Schwab, Sebastian von Blomberg, Jörg Ratjen, Daniel Jesch, Gerrit Jansen, Silvia Fenz, Melanie Kretschmann und Mavie Hörbiger.

www.burgtheater.at

 

Mehr lesen über Stefan Bachmann im nachtkritik-Archiv: der Schweizer Regisseur hat sich bereits in früheren Arbeiten anhand vergessener Dramen mit den nach 1989 brüchig gewordenen Gewissheiten über das progressive Voranschreiten der Geschichte auseinander gesetzt. In seiner Inszenierung von Paul Claudels Coufoutaine-Trilogie Die Gottlosen zum Beispiel, die im März 2007 am Berliner Maxim Gorki Theater herausgekommen ist. Zuletzt inszenierte Bachmann im September 2009 am Zürcher Schauspiehaus die Uraufführung von Thomas Jonigks Dramatisierung von Gottfried Kellers schweizerischer Mentalitäts- und Kapitalismusstudie Martin Salander.

 

Kritikenrundschau

"Die auf drei Stunden zurechtgestutzte Fassung, welche Stefan Bachmann nun mit Top-Besetzung herausbringt, wirkt wie massgeschneidert für die Vorlieben dieses Regisseurs", findet Barbara Villiger Heilig in der Neuen Zürcher Zeitung (3.11.), "er blättert ein grosses Bilderbuch auf, bunt, opulent, kurzweilig und voll theaterwirksamer Effekte." Nicht nur formal, sondern auch atmosphärisch ergänzen sich Musset und Bachmann. "Wo der Autor den hohen – und oft hohlen – Tragödienton mit schwerem Pathos unterlegt, repliziert der Regisseur mit szenischer Ironie, ohne freilich in Blödeleien zu fallen." Allerdings, so wendet Villiger-heiliger ein, schürfen weder Bachmann, noch Musset dort, wo es wirklich schmerzt: "Trotz durch den Dreck robbenden Halbtoten, trotz verkrustetem Blut und verspritztem Wein liegt das propere Abziehbild immer in Griffnähe."

Wenn am Ende der nächste "Staatskapo" in gelbe Strumpfhosen gesteckt und ihm ein Lampenschirm auf den Kopf gesetzt wird, kommt die Inszenierung des "in die Jahre gekommenen Junghallodris" Bachmann für Gerhard Stadelmaier von der Frankfurter Allgemeinen (2.11.) "nach drei endlosen Stunden (...) zur Harmlosigkeitspointe: Herrscher sind Armleuchter". Der Regisseur ziehe Mussets Stück ganz und gar seine Stacheln. Nämlich verschwinde der Staat hier "nicht in Privattragödien, sondern in Privatmarotten – der Schauspieler": Ofczarek spiele seine "Lieblingsprivatrolle: die launische tickende Mimenbombe", einen "aggressiv launisch gedunsenen Wiener Vorstadtschwamm, aus dem die Regie tröpferlweise Wüstlingsklischee auspresst". Maertens "Lieblingsprivatrolle" sei hingegen "das Hirnrisskasperl", in diesem Fall ein Tyrannenmörder mit "klatschnassen Haare, irrem Blick, dem Dolch in der Brieftasche, in denen auch die Zertifikate des Dr. Freud vergilben, die ihm wohl eine Höchstneurose bescheinigen". Dazu trügen die Bürger "Westen von heute, gehen uns aber nichts an".

Nicolas Ofczarek gebe den "von der Macht berauschten Bastard des Medici-Clans (...) fabelhaft als großes, monströses Kind", so eine ganz anders gestimmte Margarete Affenzeller im Standard (2.11.). Es sei vielleicht die "provokanteste Aussage dieser leicht daherrollenden, superfein nuancierten Inszenierung", dass einer, Lorenzaccio, "demutsvoll auf dem erdigen Boden kniet, bedächtig Rotwein in sich hineintrinkt und erklärt: Er fühle sich berufen! Inmitten von Männern, die in gelben Strumpfhosen als Stehlampen dienen (...) oder in Rot als Kardinäle (...), spürt einer den Auftrag zur historischen Tat in sich. Für diese Anmaßung findet Bachmann (...) verrückteste, grausame und zugleich lächerliche Ausschmückungen." Diese "entfesselte Welt" steck voll "hohler Rituale", nichts zähle mehr etwas. Das allerdings zeige Bachmann "auf frappierend schöne Weise zwischen Drama und Karikatur". Auch die "dämonisch-depressive Musik" Felix Hubers, die die Kritikerin an die Orgienszenen in Kubricks "Eyes Wide Shut" erinnert, gebe "diesem Edel-Untergang zudem eine verstörende Tiefe - und Thrill. Einfach schön."

Bachmann lasse "keinen Zweifel aufkommen, dass er unsere Gegenwart im Visier hat", schreibt Stephan Hilpold in der Frankfurter Rundschau (2.11.), und er sie "als ein durch und durch amoralisches Zeitalter, das weniger durch idealistische Ideale als durch die Zuckungen in der Hose geformt wird. Gegen den Reiz der schlechten Sitten kommt keine aufrechte Haltung an", was mit Maertens in der Rolle des "modernen Brutus" seine "perfekte Verkörperung" finde. "Hat der Begriff Camp je Sinn gemacht, dann für diesen Schauspieler, der die Grenze zwischen Ernsthaftigkeit und Ironie zu einer faszinierenden Schlingerpartie macht." Sein Lorenzaccio spiele "das Spiel der allgemeinen Verstellung (...) so lange, bis er zum perfekten Abbild dessen geworden ist, was er verabscheut". Mit den Kategorien Gut und Böse wisse Bachmann nicht allzu viel anzufangen, vielmehr zelebriere er "die Amoralität so genussvoll, dass man jeden Widerstand gern aufgibt".

Von Bachmanns "Regie im Jürgen-Gosch-Gedächtnis-Stil" gibt es laut Christopher Schmidt von der Süddeutschen Zeitung (2.11.) "nicht viel Rühmenswertes zu berichten". Er habe de Mussets "bahnbrechendes, verstörend modernes Stück nicht ausgegraben, sondern nur umgebettet auf den immergrünen Acker der Gesellschaftssatire" und inszeniere "allzu spekulativ und unorganisch", teilweise würden Szenen "nur auf- und ausgestellt – als provokative Tableaux der polymorph-perversen Zuchtlosigkeit". Über ihren "schmalen Ansatz eines Sittenbildes aus dem verlotterten Berlusconi-Italien" käme die Inszenierung nicht hinaus, wären da nicht Ofczarek und Maertens, die "mit Lust und Fleiß den Rahmen" sprengten. Keiner könne "so schnoddrig und glasklar sein" wie Maertens, der Lorenzaccios Weltekel "monologisch vor sich hinschlenzt" und dem "Nonchalance zur Maske der inneren Leere wird". Auch Ofczarek als "Triebtier im Lurex-Leibchen" gehe "ungewöhnlich weit, er entblößt sich nicht nur körperlich, sondern zeigt mit großer Härte die Tragödie eines Getriebenen".

Inzwischen wüsste man, schreibt Ulrich Weinzierl in der Welt (2.11.), dass sich de Mussets Historienschinken "Lorenzaccio" "durchaus lecker zubereiten lässt", die Regie müsse lediglich "die richtigen Zutaten wählen, das saftige Stück ordentlich an- und aufschneiden und würzen". Bachmann aber serviere "ein ebenso zähes wie buchstäblich geschmackloses Bühnengericht. Es fehlen Pfeffer und Salz, die Ironie-Sauce kitzelt unseren Gaumen kaum: Bisweilen wird ein wenig gelacht. Für ein Werk, das auch eine Tragödie des Politischen ist, reicht das nicht im Geringsten. Und Renaissance-Orgien sollten nicht gar so ranzig sein". Michael Maertens spiele vornehmlich "Michael Maertens, der Michael Maertens als Lorenzaccio spielt. Ziemlich virtuos und unziemlich uninteressant", den Zwiespalt der Figur spreche er aus, "ohne ihn zu gestalten". Auch das "behauptete erotische Verhältnis" zwischen ihm und dem Herzog wirke selbst dann unglaubwürdig, "wenn er beim Meucheln traurig lüstern auf Ofczareks nacktem Fleischgebirge herumturnt".

"Hauptsache es spritzt," ätzt Philipp Blom in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (1.11.), wo er jedoch mitunter auch Momemte der Beeindruckung zu Protokoll gibt. Stefan Bachmann habe das sechsstündige Original auf schlanke drei Stunden getrimmt und Alfred de Mussets hehre freiheitskämpferischen Prinzipien durch Pulp Fiction und Klamauk ersetzt. "Das Patchwork aus drei Übersetzungen torkelt durch die Register zwischen Schiller und 'Tatort'. Da trifft: 'der Hochmut der Tugend ist hoher Mut' auf: 'is' doch total klar!' Brüllendes Sofawuchten und Action überspielen oft Ratlosigkeit, irgendjemand ist immer pitschnass oder völlig eingeschlammt." All diesen Angriffen könne das Drama nicht standhalten, findet Blom, und als der verfettete Tyrann Alessandro endlich nackt und bekleckert auf dem frischgeweißten Sofa liege "und scheinbar beim Sex mit seinem Busenfreund von diesem erstochen wird, ist aus dem anfänglich verlegenen Kichern im Publikum lautes Lachen geworden. Der Herzog bleibt liegen wie ein gestrandeter Wal. Wo sind die Greenpeace-Aktivisten, wenn man sie mal braucht?"

Ein Dauerrausch von Stück, ein gößenwahnsinniger, von seiner Zeit und der Liebe enttäuschter Autor. Was aber mache Bachmann aus dem Projekt? fragt Norbert Mayer in der Wiener Tageszeitung Die Presse (1. 11.) Einen faden Karneval! Bachmann betreibe postmoderne Spielchen auf einer symbolschweren Bühne. "Florenz ist ein goldener Guckkasten, auf Erde gebaut, mit einem langen Sofa, an dem Ofczarek als Herzog Kraftmeiereien ausüben darf, wenn er nicht gerade Frauen oder den blasierten Vetter Lorenzaccio beglückt. Später, wenn die Familien Strozzi, Cibo oder Pazzi intrigieren, steht im Zentrum ein langer Tisch, der an Leonardos Abendmahl erinnert." Es werd "gevöllert, geknattert, gefochten (Jörg Ratjen macht das sogar nackt!)", wie Statuen ständen "schmucke Kardinäle dazwischen", manchmal galoppiere das halbe Ensemble "adrett und spärlich bekleidet mit Pferdemasken" vorbei. Die Handlung sei wirr, die Anspielungen auf alle Revolutionenm bis 1989 nur halb so originell, wie man tue. Und auch ein paar tolle Schauspieler können den Abend für Mayer nicht retten.

Über weite Teile "amüsant, sarkastisch, bizarr, spektakulär" findet Frido Hütter von der größten österreichischen Regionalzeitung Kleine Zeitung (1.11.) den Abend. Über Musik und Geräusche verlinke Stefan Bachmann de Mussets Stoff mit "Kubricks 'Clockwork Orange', Tarantinos 'Kill Bill', Italowestern, mit Partisanenromantik etc." Sehr gelungen findet der Kritiker auch das schlichte Bühnenbild, "das mit einem golden schimmernden Kubus, einer langen Couch und ein paar Tischen auskommt", protokolliert stürmischen, ermüdungsbedingt jedoch eher kurzen Applaus. Insgesamt würde der Abend aus seiner Sicht trotzdem schwerer wiegen, wenn er um ein paar Plattitüden leichter wäre.

 

Kommentare  
Bachmanns Lorenzaccio: 1989 übersehen
Danke für den Hinweis auf 1989. Den Zusammenhang habe ich leider wirklich übersehen.

Ich habe mich nämlich den ganzen Abend lang gefragt, warum ein Regisseur, den ich schätze, so jegliche Assoziation mit Italien und Renaissance tötet, auch keinerlei gedanklichen Zusammenhang mit der Entstehungszeit des Stückes erlaubt.

Ich habe mich dann in die Idee des Archaischen, Universiellen, ewig Kreatürlichen verrannt. Rabenschwarze Nacht und kein Enlightment! Immer und überall! Dass Menschen mit Macht halt oft zwar schrecklich brutal aber doch auch ziemlich lächerlich agieren (hervorragend gespielt)und nahm es als Satyrspiel zu Kimmigs "Rosenkriege".

Ich werde mir das unter dem Aspekt des noch miterlebten Zeitgeschehens nochmals ansehen.
Bachmanns Lorenzaccio: eine Überraschung
Den Zusammenhang mit 1989 habe ich leider auch nicht bemerkt. Ansonsten gebe ich der Kritik aber Recht. Ich habe im Thater lange nichts mehr gesehen, das so scharf gedacht, so genau umgesetzt und so ernsthaft gespielt war, wie dieser Abend. Noch dazu mit einer Lust und Verve, dass man 3 1/2 Stunden dran bleibt, ohne den Faden oder das Interesse zu verlieren. Und wieder einmal zeigt sich: Gerade wenn man diese riesen Bühne bespielen will, muss man genau wissen, warum man diese Größe braucht und wie man sie nutzt. Da hat auch das großartige Bühnenbild von Johannes Schütz das Seine beigetragen. Dass mich dieser Text dabei so berührt, war für mich die Überraschung des Abends, das habe ich nicht erwartet.
Bachmanns Lorenzaccio: lange kein spannenderer Abend
Ein nachbarschaftlicher Kommentar soll Bachmanns Lorenzaccio gewesen sein? Vielleicht. Ganz sicher war es der gestrige Abend. Denn schräg gegenüber protestierten zur selben Zeit an der Universität Wien tausende von jungen Menschen gegen das derzeitige Bildungssystem.
So war es also kein Wunder, dass Lorenzo dann kurz vor seinem Mord am Herzog Alessandro beim Publikum nur auf taube Ohren stieß, als er nach Mitstreitern suchte – die engagierten Bürger waren alle gerade ein paar Meter weiter drüben.
Lange gab es keinen spannenderen Abend im Burgtheater, denn es ging nicht darum, dem zwanzigjährigen Jubiläum des Mauerfalls zu gedenken, sondern sich als Premierenpublikum nicht zuletzt Lorenzos Vorwurf der (politischen) Gleichgültigkeit zu stellen.
Bachmanns Lorenzaccio: erweiterter Kunstdiebstahl
unglaublich wie bachmann hier gosch plündert. das ist ja leichenfledderei und erweiterter kunstdiebstahl. und schütz verkauft seinen kasten munter an alle häuser weiter, widerlich.
Bachmanns Lorenzaccio: Kunst ist frei
das stimmt doch nicht. die Kunst ist frei und kann mit allem und jedem kombiniert werden. Wieso soll die Bildarbeit von Schütz nicht auch bei vielen anderen Regisseuren weitergetrieben werden?
Bachmanns Lorenzaccio: Bühnenbildnerverbrennung
@pompes.. Was meinen Sie damit. Soll man in Zukunft, nach altindischem Vorbild der Witwenverbrennung, nach dem Tod eines Regisseurs deren Mitarbeiter mit beerdigen, eine Bühnenbildnerverbrennung zum Beispiel organisieren? Ansonsten möchte ich Sie freundlich darauf hinweise, daß auch konsequente Bühnenbilder große Mitgestaltungskraft und Einflüsse auf die Entwicklung von Regiehandschriften haben. Gosch verdankt Schütz viel.
Bachmanns Lorenzaccio: der Grundton der Kommentare
@pompes. Kennen Sie das Wort "fremdschämen" ? Das ist es, was mit mir geschieht, wenn ich Ihren kleinen Kommentar lese. - Auch bei dem Wort "Bühnenbildnerverbrennung" wird mir leicht übel, da ich mir Johannes Schütz leibhaftig vorstelle. Man muss kein Freund von ihm sein, um sich zu wünschen, man solle mit Lebenden anders umgehen. Mit mehr Anstand. So wie den Debatten hier häufig ein Grundton zu Grunde liegt, der so gegenüber der professionellen Kritik nicht wirklich funktionieren kann, falls man vor hätte ein ernstzunehmender Gegenpol zu werden. Ein Gegenüber für Kritiker und Macher zugleich, in denen sie ihr Verhalten, ihre Wertungen gespiegelt sehen.
Bachmanns Lorenzaccio: unschöne Niedrigkeiten
wow, ein Glück, dass dieser schäbigen Denkungsart widersprochen wird, insbesondere auch weil Ansteckungseffekte im Theater, wie in der Kunst und der Mode, also in allem was mit und im Gegenwärtigen wirkt etwas lebendiges und befruchtendes haben - warum soll gutes und richtiges nicht sich weiter entwickeln können, warum soll es keine Befruchtung geben dürfen? Soll das, wovon Impulse ausgehen, die das Denken und Erleben erweitern, gebannt und verriegelt werden? Die Niedrigkeiten, die sich gegen Schütz da herausgenommen werden, sind wirklich eklig.
Bachmanns Lorenzaccio: entschieden Partei ergreifen
ich wollte mit meiner Polemik entschieden Partei für Schütz und gegen das Kunstklau-Gestänkere ergreifen. Nur, dass das hier nicht mißverstanden wird.
Bachmann Lorenzaccio: verkaufte Ästhetik
mein mitgefühl einen bühnenbildner, der hemmungslos bei bildenden künstlern (und architekten) klaut, wie zb. schütz bei fred sandback, hält sich in grenzen. es ist auch durchaus legitim zu kritisieren, dass hier nicht nur ein bühnenbild, sondern eine regiehandschrift, eine über jahre entwickelte ästhetik, verkauft wurde. das ist genau das gegenteil von künstlerischer freiheit, das ist billige reproduktion eines erfolgrezepts auf kosten eines toten.
Lorenzaccio-Kritiken: jedenfalls nicht nackt
Ich finde es spannend, dass eine Kritik zitiert wird, bei der der Kritiker nicht mal die Schauspieler auseinanderkennt. Jörg Ratjen hat jedenfalls nicht nackt gefochten!
Bachmanns Lorenzaccio: unfassbar hinkender Vergleich
Der Gosch-Vergleich musste ja kommen, obwohl er unfassbar hinkt. Das kommt davon, wenn man sich nur an der Oberfläche aufhält - also der Bühne. Dass die Regie - in ihrem Stoff, ihrer Textfassung, ihrem Menschenbild eher nicht mit Gosch verglichen werden kann, wird übergangen. Also, an all die Vergleicher: Wo, abseits des Bühnenbilds, sind da Parallelen zu Gosch? Wäre doch spannend, mal Argumente zu besprechen ...
Lorenzaccio-Kritiken: im Web 2.0. korrigieren
@1. ich finde das gut, dass man im web 2.0 solche fehler jetzt durch user korrigieren kann. super, dieses forum.
Bachmanns Lorenzaccio: Gosch-Momente
Das Spiel wird ausgestellt, Schauspieler kommen aus 1.Reihe, schmieren sich anarchisch mit Material voll, der Macht-Mensch als triebgesteuertes Urwesen, dass nur das Spiel kennt, der Spieler als Archetyp des Existentiellen. Na ja wenn das nicht Gosch ist, was dann ? Diese Tiefe wäre mir bei Herrn Pop-Bachmann bis jetzt nicht aufgefallen. Aber besser gut geklaut als schlecht selbst gemacht.
Bachmanns Lorenzaccio: zum Gähnen
lange nicht so einen langweiligen theaterabend erlebt. zum gähnen sich anstrengende schauspieler, die mühe haben, einem die geschichte zu erzählen.....
Bachmanns Lorenzaccio/Zauberberg: alles andere als epigonal
Weil ich hier gerade das Gesicht von Marek Harloff auf einem Werbebanner sehe, darf man aber schon sagen, dass Bachmanns "Zauberberg" am Gorki Theater ein gelungener Abend und alles andere als epigonal war.
Bachmanns Lorenzaccio: vorher reduzierter, uneitler, besser
Habe Lorenzaccio gesehen und muss sagen das ich die letzten beiden arbeiten von S. Bachmann gelungener fand. Ich spreche von ZAUBERBERG & MARTIN SALANDER. Es waren erstaunlich reduzierte Arbeiten, fast schon formal zu nennen, und die Spieler agierten uneitler und bescheidener als in Wien. Das ist wohltuend!
Bachmanns Lorenzaccio: No pop, but sadness and severity
Natürlich, das nächste Schlagwort: "Pop". Warum können so viele angebliche Theaterfans nur in Schubladen denken? Wo fanden Sie bei dem abend denn Pop? Doch nicht mal in der Musik ... geschweige denn der Inszenierung. Vielleicht habe ich ein anderes Stück gesehen, aber ich habe lange nicht mehr eine derartige Ernsthaftigkeit und Traurigkeit gespürt. Das Verzweifeln am Menschen als politischen Wesen fand ich übrigens alles andere als epigonal - da empfand ich Goschs Menschenbild in den letzten Inszenierungen doch weit privater, auch zärtlicher, als bei Bachmann. Zweiterer schien mir einen weitaus gnadenloserern, zynischeren Blick auf seine Figuren zu haben. Das liegt auch am Stoff - aber auch da kann ich mir nicht vorstellen, dass Gosch dieses Stück inszeniert hätte. Dagegen bleibt für mich das Auftreten aus der ersten Reihe pure Oberfläche. Und zu dem Vollschmieren: Wann ist das denn passiert? Ich habe hin und wieder Wasser gesehen und am Ende Blut (aber das steht ja wohl im Stück). Vollgeschmiert wurde wohl eher in Ihrer Phantasie ...
Lorenzaccio-Kritiken: positive Stimmen fehlen
Schade, dass hier die positiven Kritiken fehlen - ich habe auch in österreichischen Zeitungen einige gelesen. So entsteht doch ein etwas einseitiger Eindruck ... oder waren die positiven Kritiken nur nicht "rechtzeitig" erschienen? Schade auf jeden Fall ...


(Lieber KritikerKritiker,
wir haben die gestern begonnene Kritikenrundschau mittlerweile um die heute erschienenen Rezensionen aktualisiert, das dauert je nach Anzahl der Stimmen mal länger, mal kürzer. Jedenfalls finden sich nun auch jene Stimmen dort, auf die Sie sich vermutlich beziehen.
Beste Grüße, Anne Peter / Redaktion)
Lorenzaccio-Kritiken: schlecht bliebe schlecht
@Wiener
Aber wird es denn durch solche Fehler weniger wahr? Wenn's wirklich schlecht wäre, wär's doch egal, wie der Schauspieler heißt.
Lorenzaccio-Kritiken: Bitte um genauere Verrisse
Sie haben Recht - schlecht bliebe schlecht. Aber es zeugt von einer Ungenauigkeit des Blicks, einer Überheblichkeit den Leistungen der Schauspieler gegenüber. Wenn der Kritiker den Schauspieler in den vielen Jahren seiner Wiener Tätigkeit auch in großen Rollen offenbar nie so genau betrachtet hat, dass er ihn unterschieden kann, zeigt das schon eine gewisse Faulheit oder ein Unwissen. Und das ärgert mich. Auch wenn ich die Inszenierung sehr mochte: Auch in negativen Kritiken hätte ich gerne mehr Genauigkeit.
Lorenzaccio-Kritiken: um die Ohren hauen
Wahrscheinlich war der Kritiker von der Nacktheit des Akteurs so geblendet, dass er sein Gesicht nicht erkannt hat. Aber mal im Ernst. Ich finde auch, das geht nicht. So etwas kann zwar passieren, muss dem Kritiker aber dann doch um die Ohren gehauen werden.
Lorenzaccio-Kritiken: Entschuldigung
Die Verwechslung von Jesch und Ratjen nach einem ziemlich erschöpfenden Abend im Burgtheater tut mir leid. Beide hatten mehrere Rollen in ziemlich turbulenten Szenen zu spielen, ich habe beim Schreiben offenbar einen Moment nicht aufgepasst. Falls dadurch irgendjemand verletzt wurde, entschuldige ich mich nochmals. Ein Erratum wurde bereits veröffentlicht.
Lorenzaccio-Kritiken: im Wiener Falter ...
Ich wollte noch auf die Kritik von Wolfgang Kralicek - immerhin langjähriger Juror des Theatertreffens - in der Wochenzeitung "Falter" hinweisen:
"Stefan Bachmann hat ein Faible für französische Historiendramen, die andere nur mit spitzen Fingern angreifen würden; unter anderem inzenierte er 2003 eine ungekürzte Aufführung von Paul Claudels 'Der seidene Schuh'. Danach geriet er in eine Schaffenskrise, aus der er sich spätenstens mit dieser Inzenierung befreit hat.
Sein 'Lorenzacchio' ist ein leichter, souveränder Theaterabend, süffig und ironisch zugleich. Auf der von Johannes Schütz luxuriös-karg ausgestatteten Bühne herrscht permanent Partystimmung; (...) Die Aufführung fühlt sich an, als hätte Shakespeare ein Königsdrama namens 'Ein Käfig voller Narren' geschrieben. In der Titelrolle liefert Michael Maertens eine sensationell unausgeschlafene Performance; (...) Stark auch Nicholas Ofczarek, der als Fürst noch mehr Mut zur Hässlichkeit beweist, als man das von ihm ohnedies gewohnt ist."
Ich finde, da ist in wenigen Worten viel von der Stimmung des Abends getroffen.
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