Es braucht eine neutrale Sicht auf die Dinge

von Reinhard Kriechbaum

Salzburg, 3. November 2009. Es ist nicht so leicht, Isabelle Huppert nachzuspielen. Die war in Claude Chabrols Geheimen Staatsaffären jene Untersuchungsrichterin, die rot, blutrot sieht, wenn sie den korrupten, Schmiergeld zahlenden und sich selbst bereichernden Wirtschaftsbossen gegenüber steht.

"L'Ivresse du pouvoir" (Rausch der Macht) heißt der Film von Claude Chabrol im Original, und das trifft die Sache allemal viel besser als der Titel "Geheime Staatsaffären", den er in der deutschen Synchronfassung trägt. Von diesen Machenschaften erfährt man nämlich nur ganz wenig, und schon gar nichts Konkretes. Dafür um so mehr über jene Jeanne Charmant-Killman, die sich glaubt anlegen zu müssen mit der Clique der Mächtigen, der skrupellosen Geschäftemacher, der von der Politik gedeckten merkantilen Charakterschweine.

Das ist der Rausch, in den sich die Juristin hemmungslos hineintrinkt. Sie ist besessen von der Vorstellung, dass sie als Einzelkämpferin etwas werde bewirken können. Am Ende, wenn ihr die Dinge längst entglitten sind, wenn ihr Berufs- so wie ihr Privatleben in Trümmern liegt, wird sie von ihrem Vorgesetzten hören müssen: "Es braucht eine neutrale Sicht auf die Dinge."

Klischeebild mit Spießer daheim
Diese Distanz bringt Jeanne nie und nimmer auf. Die "Rechnung für Orangenbäume", das Geld, das Monsieur Humeau in seine Freundin investiert hat: Darin wühlt sie mit geradezu masochistischer Wollust – sie, die daheim einen biederen Spießer als Ehemann sitzen hat. Ihr "Rausch der Macht" fußt auf überschwappendem persönlichem Frust.

Ulrike Arp ist in der Bühnenfassung im Schauspielhaus Salzburg diese Untersuchungsrichterin: eine kantige, in ihrer Arbeitswut verhärmt wirkende Frau, der vor allem eines fehlt: der Abstand zu sich selbst. Das ist ein so klares wie scharfes Rollenbild, und es ist durchaus typisch für die Inszenierung von Christoph Batscheider als Ganzes. Sämtliche Figuren wirken auf das jeweilige Grund-Klischee hin zugeschnitten. Das ist durchaus schon so impliziert im Filmscript (und das ist seinerzeit auch Chabrol prompt zum Vorwurf gemacht worden). Es ist ein Film in Klischee-Bildern.

Aber es ist eben der Vorteil des Kinos, dass die Kamera ganz nahe ran kann an die Akteure. Bei Chabrol bekamen sie also doch die nötige Brechung, sogar einen Schuss Ironie, ja Humor. Diese Chance tut sich auf der Bühne nicht auf. Auch nicht in kleinerem Rahmen, wie ihn das Salzburger Schauspielhaus bietet. Da werden die Figuren auf ihre Grundmuster zurückgeworfen.

Mise en scène
Christoph Batscheider, Spielleiter am Schauspielhaus, hat sauber mit dem Ensemble gearbeitet. Das aus-entwickelte Klischee hat, wenn man so will, Methode. Das gilt für die Hauptprotagonistin so wie für Olav Salzer, der einen Ehemann der Richterin gibt, den man so am liebsten in Loriots "Ödipussi" ansiedeln wollte. Auch den Wirtschaftskapitänen, die da vorgeführt werden (Georg Reiter, Antony Connor), eignet der Charme von Abziehbildern.

Wie geht man auf der Bühne mit dem "Schnitt" um? Da ist dem Bühnenbildner Tobias Kreft eine raffinierte Ineinanderschachtelung von Guckkastenbühnen eingefallen. Ganz vorne zwei Schreibtische. Da werkt die Untersuchungsrichterin. Dahinter eine Ebene, auf der wir das verkorkste Familienleben erleben, die gutbürgerliche Tristesse. Wieder dahinter eine Ebene mit ein paar Schalensitzen. Das kann eine U-Bahn-Station sein oder ein Gang in einem Spital. Und ganz hinten oben schließlich eine schmale Öffnung, ein Durchblick dorthin, wo die echten Drahtzieher amtieren, wo Ränke geschmiedet, Karrieren gemacht und Menschen fallen gelassen werden. Von diesen Leuten sieht man nicht die Köpfe. Sie haben kein Gesicht.

Neugierde auf Staatsaffären
Raffiniert ist das konzipiert und bühnenwirksam mit Lichteffekten koloriert. Rasche Szenenschnitte sind möglich. So geht die Schauspielfassung mit anderthalb Stunden Spieldauer deutlich schneller als der Film. Freilich auch eindimensionaler.

Der Gerechtigkeit halber muss man sagen: Im Jahr 2009 hat man völlig andere Erwartungen an den Stoff als 2006 (als der Film unter anderem im Berlinale-Wettbewerb lief). Manager wie jene, die in Chabrols Film ebenso wie in der Salzburger Theaterversion so seltsam vage bleiben, haben inzwischen die Weltwirtschaft mächtig ins Trudeln gebracht. Ihre Gagen wurden heftig diskutiert, und wir lesen jetzt, dass schon wieder Gewinnbeteiligungen auf Höchstniveau ausgeschüttet werden.

Da bescheiden wir uns auch im Theater ungern mit dem Psychogramm einer Untersuchungsrichterin, und sei das auch noch so ergiebig. Wir wollen heutzutage nicht sie, sondern eben jene "Geheimen Staatsaffären" sehen, die uns schon Chabrol eigentlich vorenthalten hat.

 

Rausch der Macht
von Claude Chabrol
Regie: Christoph Batscheider, Bühne: Tobias Kreft, Kostüme: Ragna Heiny, Dramaturgie: Angela Maria Pichler.
Mit: Ulrike Arp, Antony Connor, Harald Froehlich, Ute Hamm, Benjamin Lang, Philip Leenders, Constanze Passin, Georg Reiter, Olaf Salzer.

www.schauspielhaus-salzburg.at

 

Kritikenrundschau

In den Salzburger Nachrichten (5.11.) findet Michael Brommer Ulrike Arp in der Rolle der Untersuchungsrichterin "aggressiver, strenger, besessener, aber auch emotionaler" als Isabelle Huppert im Film. Dass es ihr dabei "an französischer Eleganz" fehle, sei nicht so schlimm. Dass "während der ersten Hälfte des rund 100-minütigen Abends viele Szenen zu wenig akzentuiert" seien, indessen schon. "Wirklich intensive Momente bleiben Mangelware." Olaf Salzer als Ehemann sei allerdings sehr überzeugend.

Auch Christoph Pichler in der Salzburger Volkszeitung (5.11.) hätte sich mehr "Einfälle" gewünscht. Anders als Chabrol, in dessen Film der Korruptionsfall um den Mineralölkonzern Elf Acquitaine mitschwinge, hätte der Theaterregisseur Christoph Batscheider auf einen Verweis auf österreichische Vorbilder verzichtet. Dem "im Film thematisierten Geschlechterkampf" werde gleichfalls "der Stachel gezogen". Die Bühne von Tobias Kreft indessen streiche "die unterschiedlichen Ebenen, auf denen die Machtkämpfe ausgetragen werden" "schön hervor".

Hans Langwallner in der Kronenzeitung (5.11.) lobt die "klar und klug strukturierte Inszenierung" Batscheiders, die die "menschlichen Dimensionen" hervorhebe und die "Monströsität der Machtspiele" weitgehend ausblende. Urike Arp spiele "glänzend", das Ensemble sei "stark und prägnant".

 

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