Die asiatische Küche in deinem Kopf

von Robert Salzer

Bern, 4. November 2009. "Del Schmelz, del Schmelz", jammert der junge Asiate in der engen Küche des titelgebenden Schnellrestaurants "Der goldene Drache", bevor ihm ein Kollege den kariösen Zahn mit der Rohrzange zieht. "Knack", allein der Ton lässt den Zuschauer schmelzvoll, Verzeihung: schmerzvoll zusammenzucken. Doch Zeit zum Jammern bleibt nicht, denn sofort springt die Handlung in den nächsten Strang und dann wieder zurück. Es ist, als ob Roland Schimmelpfennig, der Autor des Stückes, wild auf der Fernbedienung herumdrücken würde, wobei das Hin- und Hergezappe dem Spannungsbogen des Stückes durchaus bekommt. Weniger bekömmlich ist der Zahn, der schließlich in der Suppe einer Stewardess landet, welche Nr. 6, die Thai-Suppe mit Hühnerfleisch, geordert hat.

Alle unter einem Dach
Fünf Schauspieler, zu Beginn alle in derselben Arbeitsuniform, stehen auf der schneeweißen engen Bühne, die aus lediglich zwei schmalen Podesten besteht. Sitzen oder stehen kann man darauf, liegen lediglich quer, und aneinander vorbei kommt man nur sehr mühsam. Doch gerade durch die vollkommene Reduktion hat die Bühnenbildnerin Stefanie Liniger eine Spielfläche geschaffen, die es in sich hat. Ebenso wie die frisch entstandene Zahnlücke, in der nämlich die Familie des jungen Chinesen sitzt und wissen will, wie es ihm gehe und warum er nie anrufe. Ob er die Schwester schon gefunden habe, wegen welcher er sein Heimatland verlassen habe, fragt man ihn. Doch der Junge kann keine anständige Antwort geben, es blutet viel zu stark, und auch die lange Toilettenpapierrolle kann die Unmenge an Blut nicht aufnehmen.

Siebzehn Rollen dürfen die Spielenden geben, meist gegensätzliche und solche des anderen Geschlechts. So spielt der "Mann über Sechzig" gleichzeitig einen jungen Mann, einen Asiaten und die zweite Flugbegleiterin. Mit Hilfe kleiner Requisiten und Kostümen werden die Rollenwechsel kenntlich gemacht, das kann ein gestreiftes Hemd sein, eine Sonnenbrille oder eine Perücke. Siebzehn Rollen, die in diversen Erzählsträngen eingesetzt werden, die alle irgendwie mit dem asiatischen Schnellrestaurant verbunden sind, zuerst nur räumlich, je länger der Abend geht aber auch inhaltlich. Im Stockwerk über dem Gastronomiebetrieb ist ein Paar, das ein Kind erwartet, einen Stock höher ein Paar, das auseinandergeht, und die Stewardessen, die den Zahn in der Suppe entdecken, wohnen auch im gleichen Gebäude.

Schnelle Schläge der flachen Hand
"Der goldene Drache" wurde zur Spielzeiteröffnung am Wiener Burgtheater uraufgeführt. Regie führte Schimmelpfennig selber und schien damit zumindest die Kritiker überzeugt zu haben. In der Schweiz ist Schimmelpfennig kein Unbekannter. Unter der Intendanz Matthias Hartmanns wirkte er als Regisseur (Die Ratte) und Autor (Hier und Jetzt) am Zürcher Schauspielhaus. Und in Bern ist mit dem "Goldenen Drachen" bereits das fünfte Stück aus seiner Feder zu sehen.

Speziell an Matthias Kaschigs Inszenierung ist der Umgang mit der Sprache. Regieanweisungen und Erzähltexte werden sowohl gesprochen als auch dargestellt. Wie die "Kurze Pause", die immer wieder für die Darstellung von Gefühlen genutzt wird. Sowieso wird hier fast alles erspielt: Die asiatische Küche etwa entsteht durch das Nachahmen von Hackbewegungen durch schnelle Schläge der flachen Hand auf die Oberschenkel – einfach, aber wirkungsvoll. Auch die chinesischen Speisen werden schauspielerisch interpretiert: pikant wird zu sexy. Es macht Spaß zuzuschauen und man freut sich ständig auf die nächste spielerische Pointe. Zahnlos bleibt an diesem Abend nur der junge Asiate.


Der goldene Drache
von Roland Schimmelpfennig
 (Schweizer EA)
Regie: Matthias Kaschig, Bühne: Stefanie Liniger, Kostüme: Romy Springsguth. Mit: Andri Schenardi, Henriette Cejpek, Milva Stark, Stefano Wenk, Diego Valsecchi.

www.stadttheaterbern.ch

Mehr zu Matthias Kaschig im Nachtkritik-Archiv: In Osnabrück inszenierte er im September 2008 die Uraufführung von Die ganzen Wahrheiten von Sathyan Ramesh, im April 2008 brachte er in Bern Yvonne, Prinzessin von Burgund von Witold Gombrowicz heraus.

 

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