Hosenrolle in Frauenkleidern

von Simone Kaempf

Berlin, 12. November 2009. Marie-Antoinette höchstpersönlich schenkte ihm Kleider. Was sein Geheimnis nur noch interessanter machte. Bis heute halten sich Gerüchte über das Geschlecht des Chevalier d'Eon, der für Ludwig XV. als Spion in Frauenkleidern am russischen Zarenhof Einfluss nahm. Er trat quer durch Europa so überzeugend als Frau auf, dass auch die Autopsie nach seinem Tod 1810 in London nicht die Zweifel und Mutmaßungen ausräumen konnten. Weil man den Bericht natürlich sofort für gefälscht hielt.

Die Reifröcke, Roben und Turm-Perücken leisteten dem Chevalier mit dem sehr schönen, weichen Gesicht, das er gehabt haben soll, bestimmt hilfreiche Dienste beim Verwechslungsspiel. Und ohne reichlich Zitate jener Zeit, als Männer noch figurbetonte Culotten und Gehröcke trugen, als verspielte und verschwenderische Maskeraden in Versailles tagtäglich stattfanden, kommt eben auch dieser Abend nicht aus, an dem sich der Chevalier auf der Bühne gleich verdreifacht und damit der Eindeutigkeit zur Gänze entzieht.

Drei-Mann-Show zwischen Rokoko und Kabuki

Robert Lepage, Sylvie Guillem und Russell Maliphant, Theatermacher, Tänzerin und Choreograf haben "Eonnagata" nicht nur zusammen entwickelt, sie stehen auch gemeinsam auf der Bühne. In wechselnden Rollen erzählen sie Szenen aus dem Leben des Chevaliers, die über weite Strecken ans Raffinement des Rokoko angelehnt sind. Kindlich tollt man unter Tischen herum. Durchlebt das Erwachsenwerden in zarten nächtlichen Annäherungen. Und die Leichen-Untersuchung in der Pathologie wird mit einem schnurgeraden Schnitt vollzogen, wie aus der Vormoderne, als man mit dem Blick aufs Fleisch schon das ganze Geheimnis der Identität zu erkennen glaubte.

Diese letzte Szene des Stücks trifft das Vexierspiel tiefer als alles in den 90 Minuten zuvor. Sie trägt auch ganz die Handschrift Lepages. Genauso wie die hingezauberten Schattenspiele, in denen die Reise des Chevaliers bedrohliche Züge bekommt. Oder die von ihm gespielten Kämpfe des Spions mit einem jüngeren Alter ego, das wiederum seine Geheimnisse auszukundschaften versucht. "Eonnagata" funktioniert im Grunde wie eine One-man-Show von Lepage, zu der von zwei weiteren Seiten Bewegungskunst beigesteuert wird, die allerdings keine weitere Ebene in des Chevaliers Geschlechterspiel zu öffnen vermag.

Die von Maliphant choreografierten Kampfkunstszenen bebildern ausführlich die Fechtkunst, die der Chevalier perfekt beherrscht hat. In der Anfangs-Szene lässt der rotschopfige Lepage erst ein, dann zwei Kampfschwerter kreisen – wohl so etwas wie ein symbolischer Kampf mit sich selbst. Und eine Anspielung auf Onnagata, die männlichen Frauendarsteller im japanischen Kabuki-Theater. Dieser Tradition trotzt der Abend eine schöne Szene ab, wenn sich Maliphant aus einem japanischen Gewand wie aus einem Kokon schält. Die Verbindung zum Chevalier bleibt jedoch rätselhaft.

Zwitter und Zwiespalt

Von der Eleganz, mit der die Dinge ihre Natur wechseln können, erzählen kleine Details: eine Schreibfeder, die wie ein Degen übers Papier tanzt und dann als Haarschmuck die Perücken-Silhouette perfektioniert. Die Verwandlungskunst der drei Darsteller wird zurückhaltender ausgespielt: Maliphant strahlt durchweg geerdete Ruhe aus, die Ballerina Guillem wirkt wie eine höfische Zeremonienmeisterin, Robert Lepage hat von allem etwas. Aber es ist dann doch Guillem, die typische Geschlechtsmuster an sich abprallen lässt und den strammsten Bizeps, den androgynsten Auftritt, die fließendsten Bewegungen mitbringt. Wenn alle drei als gleich gekleidete Chevaliers auftreten, zeigen sich ihre Unterschieden wie ihre Ähnlichkeiten. Aber auch das ist nur eine Szene und keine durchgehende Strategie dieses Abends, der als wohlfeiler Zwitter zwiespältige Gefühle erzeugt.

Das Publikum wird sich schon finden bei drei Superstars auf der Bühne, samt Alexander McQueens Kostümen, dem Lichtdesign, den ausgewählten Cembalo-Sonaten. Das Event, das vor einem halben Jahr Premiere in London hatte, zieht im November via Spielzeit Europa weiter nach Frankreich. Die Verehrung ging in Berlin jedenfalls so weit, dass Sylvie Guillems Soli eifrig beklatscht wurden, selbst, wenn sie gar nicht tanzte, sondern nur dastand und eine Episode aus dem Leben des Chevaliers erzählte. Dafür kann das Trio Guillem, Lepage, Maliphant natürlich nichts. Aber es bleibt ein stilisiertes Spiel, das sie präsentieren, mit allzu wohlparfümierten Nöten und Neigungen.

Eonnagata
von und mit Sylvie Guillem, Robert Lepage und Russell Maliphant.
Kostüme: Alexander McQueen, Ton: Jean-Sébastien Côté, Mitarbeit Regie: Félix Dagenais, Dramaturgie: Patrick Caux, Schwertkampftrainer: Olivier Lunardi, Musik: Georg Muffat, Antonio Soler, Kálmán Balogh, Maria V. Zubova, Giovanni Battista Pergolesi, Alessandro Scarlatti, Carl Philipp Emanuel Bach, Christoph Willibald Gluck, Johann Sebastian Bach.

www.berlinerfestspiele.de

 

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Kritikenrundschau

Trotz Überfülle "pathetisch leer und nüchtern", ja, auf "eigentümliche Weise blutleer" findet Franz Anton Cramer in der Frankfurter Rundschau (14.11.) diesen Abend, der aus seiner Sicht zwar nicht mit Pomp aber mit Inhalt spart. Und das, obwohl die Geschichte des Chevaliers d'Eon zu tollsten Fantasien Anlass gebe. Robert Lepage, der neben Sylvie Guillem und Russell Maliphant selbst auf der Bühne steht, begegnet dem Stoff, Cramers Eindruck zufolge, jedoch "mit undeutlicher Absicht."  Der gender trouble, das Unbehagen mit dem Geschlecht, werde auf der Ebene der Kostüme abgehandelt, das Transgressive der Figur d'Éons verblasse zur Travestie-Show. Auch das "tänzerische Potenzial von Guillem und Maliphant bleibt zu Cramers Bedauern rein ornamental. Für eine einzige Szene habe sich der Abend am Ende dennoch gelohnt: "Lepage, in die taftigen Kleider einer Matrone gehüllt, mit üppiger Haube und vielen Rüschen, lässt für einen Moment alle Gefälligkeit und Theatertrickserei beiseite, um mit gebeugter Haltung, unsicherem Gang und teilnahmslosem Blick die Gebrochenheit eines Menschen zu zeigen, der an seinem Schicksal und an seiner Zeit zuschanden gegangen ist. An einem Tisch sitzend, dessen Platte verspiegelt ist, sieht der Künstler, selbst Jahrgang 1957, seinem eigenen Altern ins Gesicht."


"Über weite Strecken ein müder Theaterzauber", befindet Michaela Schlagenwerth in der Berliner Zeitung (14.11.). "Nur auf höchstem Niveau versteht sich", fügt sie süffisant hinzu. Vielleicht hätte dieser Abend etwas werden können, wenn man sich mehr auf die Geschichte des Chevaliers konzentriert hätte. Dafür sehe Robert Lepage in den Kostümen von Alexander McQueen, etwa auf feuerroten Kothurnen mit zum Geschlecht offener Krinoline, ziemlich lustig aus.


Eher enttäuscht zeigt sich auch Frank Weigand in der Berliner Morgenpost (14.11.). Russel Maliphant und Sylvie Guillem sind seinem Eindruck zufolge eindeutig nicht daran interessiert, "das Stück durch bloße virtuose Tanzeinlagen aufzuwerten. Wer von der ehemaligen Partnerin Rudolf Nurejews ein Feuerwerk technischer Brillianz erwartet, sieht sich alsbald enttäuscht. Hier eine Arabeske, dort ein atemberaubend langes durchgestrecktes Bein, und das war es auch schon." Dennoch habe der Abend auch seine starken Momente. Anstatt die Biographie des Chevalier d'Éon narrativ abzuarbeiten, werde sie in eine Revue suggestiver Bilder aufgelöst. Doch nur ganz selten entfaltet sich für Weigand darin dann eine theatrale Magie.

 

 

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