Der Tod und das Mädchen aus der Standuhr

von Charles Linsmayer

Zürich, 13. November 2009. Aus dem Autorenlabor des Düsseldorfer Schauspielhauses ging unter anderem das Stück "Im Wald ist man nicht verabredet" der 1985 in Wolfhagen bei Kassel geborenen Anne Nather hervor. Thomas Jonigk, bis vor kurzem Leiter dieser Fördereinrichtung, ist inzwischen Autor und Dramaturg am Schauspielhaus Zürich geworden, und in der "Kammer" genannten Studiobühne dieses Hauses ist das Stück am 13. November nun auch zur Uraufführung gelangt. Jonigk begnügte sich allerdings mit der Dramaturgie und überliess die Regie Daniela Löffner.

An ein Laboratorium erinnert im übrigen auch der Ort der Uraufführung, und die Inszenierung weckt auf weite Stecken den Eindruck, als wolle sie mit Lautstärke und Expressivität gegen die nüchternen Betonwände dieses Kellerraums ankämpfen.

Wo das Schicksal zuschlägt

Schon die erste Szene beginnt mit einer mehr geschrieenen als gesprochenen Szene zwischen Simon, gespielt vom präsent und impulsiv wirkenden Markus Scheumann, und seinem Bruder Anton, den der eher zurückhaltend-versonnene Jirka Zett verkörpert. Simon, der unheilbar krank ist, will sich während eines Gewitters in einem Waldsee umbringen: "Ich sortier mir ein schnelles, ein schönes Ende heraus." Anton, der ihm immer dann, wenn er in konvulsivische Zuckungen gerät, eine Spritze verpasst, hat sichtlich Mühe mit dem todeswilligen, aber nicht todesmutigen Bruder.

Aber das verknorzte Verhältnis der beiden erfährt eine spürbare Lockerung, als der Deckel der auf dem Boden liegenden Standuhr aufgeht und, wie ein Glamourgirl gekleidet, die laut Stücktext achtzehnjährige Elsie ans Tageslicht tritt und staunend von der durch eine Unmenge ausgestopfter Waldtiere charakterisierten Behausung der beiden Brüder Kenntnis nimmt. "Ich habe mich entschieden, nicht mehr zu entscheiden", erklärt Elsie den Brüdern. "Das hab ich jetzt davon. Ich hab mich laufen lassen, und jetzt bin ich hier." Später wird sie noch deutlicher werden und ihr Erscheinen als etwas Schicksalhaftes definieren: "Im Wald ist man nicht verabredet, wer sich im Wald trifft, bei dem hat das Schicksal zugeschlagen."

Elsie bandelt wechselweise mit den Brüdern an, macht sie eifersüchtig aufeinander und versöhnt sie wieder, mit ihrer überbordenden Phantasie und ihren eigenwilligen Einfällen verführt sie die beiden Männer zu immer turbulenteren Eskapaden und Blödeleien, und am Ende, kurz bevor Simon tatsächlich das Zeitliche segnet und von Anton zwischen den zum Kunstwerk erklärten ausgestopften Tieren aufgebahrt wird, seifen sich alle mit Rasierschaum ein und turteln und balgen wie wildgewordene Teenies auf dem Betonboden der spröden Behausung herum.

Tragisches Brüderstück

Anne Nathers gelegentlich etwas altertümlich daherkommender Text ist ganz offenbar poetischer und beziehungsvoller, als er in dem expressiv geladenen Rollenspiel der beiden Brüder zum Tragen kommt. Wenn er traumhaft sicher und geglückt erscheint, dann in den Auslassungen und Monologen des Mädchens Elsie, das in der Verkörperung durch Lilith Stangenberg zu einer komisch-absurden Glanzrolle avanciert.

Die entwaffnende Fröhlichkeit ihres Mickey-Mouse-Lachens, die Grazie und der Charme ihres körpersprachlichen und tänzerischen Einsatzes, die naiv-arglose und dann wieder schelmisch-burschikose Artikulation ihres Sprechparts – all das hat zur Folge, dass das tragische Brüderstück mehr und mehr zur burlesk-komischen und doch berührenden Kür dieser an Ophelia aus "Hamlet" erinnernden Gestalt wird. Wunderbar, wie sie aus einem harzigen Dialog mit Anton eine Steptanzeinlage macht, wie das Picknick mit den beiden Brüdern zum puren Slapstick wird und wie ihr Charme sogar den verbitterten Simon nochmals weich und zärtlich werden lässt.

Elsies Gedanken kreisen ohne Unterlass um die von ihr rudimentär nacherzählten Filme. Einmal aber spricht sie von einem Film, den sie selbst erfunden hat und in dem ihre zentrale Rolle in dem Stück ganz klar umschrieben ist: "Kennst du den Film, in dem dieses wahnsinnig nette Mädchen aus dem Nichts bei diesen zwei zähen Typen auftaucht und Unterschlupf sucht, und nach ner Weile können die sich gar nicht mehr vorstellen, dass sie mal ohne dieses irrsinnig nette Mädchen sein konnten?"


Im Wald ist man nicht verabredet (UA)
von Anne Nather
Regie: Daniela Löffner, Bühne und Kostüme: Claudia Kalinski, Dramaturgie: Thomas Jonigk.
Mit: Markus Scheumann, Lilith Stangenberg, Jirka Zett.

www.schauspielhaus.ch

 


Mehr zur Daniela Löffner im nachtkritik-Archiv: in Düsseldorf, wo an Thomas Jonigks Autorenlabor das nun uraufgeführte Stück von Anne Nather entstand, inszenierte Daniela Löffner im Dezember 2008 die Uraufführung von Juliane Kanns Piaf. Keine Zeit für Tränen. Anne Nather, 1985 geboren, war 2008 mit einem Minidrama zu den Achtziger Jahren auch bei dem Werkstattprojekt der Berliner Schaubühne Deutschlandsaga vertreten.

 

Kommentare  
Nather in Zürich: UAs für alle
Erfreulich zu lesen, was hier so liebevoll über Elsies Charme geschrieben wird.
Erstaunlich, wie es Thomas Jonigk gelingt, seine Schützlinge aus dem Autorenlabor des Düsseldorfer Schauspielhauses (fast allesamt Absolventen der UDK Berlin) Möglichkeiten zu Uraufführungen ihrer Stücke zu verschaffen.
Die Qualität will ich hier nicht beurteilen. Das ist Sache der Theaterkritiker und auch der des Publikums. Wenn sie nur Gelegenheit bekämen, auch mal UA zu erleben, die nicht aus diesem begrenzten Kreis kommen?

Da sind viele - ganz sicher auch sehr gute, zeitnahe Stücke eingereicht worden bei Ausschreibungen etc. Wer sind die Juroren? Oftmals immer dieselben Seilschaften. Das ist nachprüfbar.

Appell: Gebt jenen jungen Dramatikern, die nicht so eng verknüpft sind mit diesem ausgewählten Kreis, auch mal eine Chance zur Uraufführung ihrer Stücke.
Nather in Zürich: wider die Neidfraktion
Lieber Nobody,
das ist doch schon wieder eine Neiddebatte. Guck doch mal bitte die UAs anm die jedes Jahr gemacht werden, wieviele UdK-Absolventen jedes Jahr dabei sind. Klar, das sind einige, aber es gibt auch noch viel mehr andere als UdKler. Es ist einfach nicht wahr, dass es UdKler da bevorzugt werden. Außerdem wird immer so getan, als ob der UdKler an sich so existiert, quasi aus dem nix. So ist es aber nicht, auch der UdKler musste sich um diesen "Titel" bewerben. Wurde ausgesiebt aus einer Menge von Leuten. Einige der UdKler haben bereits vor der UdK veröffentlich/Preise gewonnen. Es ist auch bei den Preisen nicht so, dass da nur UdKler absahnen: Letztes Jahr beim Theatertreffen war nur ein UdKler eingeladen. 1:4 wo bitte ist die Verhältnismäßigkeit deines Neids? Außerdem wunderst sich doch auch niemand darüber, dass Spitzensportler meist vom Sportgymnasium o.ä. kommen. Die meisten aber, die an der UdK studiert haben, sind hinterher gar keine Dramatiker versperren dir also auch nicht den Weg zu deiner UA.
Es hat doch wirklich jeder die gleiche, faire Chance. Es gibt genug Wettbewerbe, Verlage, Workshops etc. Bewirb dich doch einfach. Meist klappt es nicht beim ersten Mal, aber wer schreiben will und seine Stücke aufgeführt sehen, der muss eben schaffen.

Zu Nathers UA: Ich war da und es war schön. Gutes Stück, tolle Schauspieler und vor allem eine tolle Regie, die das Stück ernst genommen hat, obwohl es das erste Stück der Autorin war und obwohl sie noch Studentin ist. Da wurde nicht, wie all zu oft, der Text benutzt, sondern da haben sich zwei gefunden: Ensemble/Regie und Text. Sowas geht nicht durch Fäden ziehen. Leute, der Theaterbetrieb ist doch so klein nur weil da einer Dramaturg am einen Haus ist und nachher am anderen. Die Regisseurin war doch vorher auch in Düsseldorf. Was wird denn hier von den Theatermachern verlangt? Dass sie so tun als kennten sie sich nicht, dass man wenn man Regissuer ist und einen Autor trifft nicht mal fragt, hast du ein Stück, kann ich das mal lesen? Und wenns einem gefällt, dass mans dann auch macht? Wo ist das Problem? Ich verlange von Theater, dass es sich selbst ernst nimmt, dass die Leute wissen, was sie da machen, welche Fragen sie an sich/ans Stück haben und dass sie das mit Leidenschaft tun, mit vollem Einsatz. Das war in Zürich hier der Fall und ich hoffe, dass wird noch sehr oft so sein.
Danke nach Zürich!
Nather in Zürich: unabhängige, wechselnde Juroren
nee nee. nicht neid. nur: bitte die zuvor besten stücke mit unabhängigen - wechselnden juroren besetzen. nicht "alle" UAs- wie nachtkritik titelt. das wäre blöd.
Nather in Zürich: Verteidigung der UdK
liebe Frechheit,

ich hab das gefühl du verteidigst hier regelmäßig die udk. wozu? willst du die öffentlichkeit informieren? die sprüche von nobody und wer hier sonst noch irgendwie hetzt sind meistens so dumm, da musst du doch nich drauf reagieren(?)

und die zweite hälfte mit dem lob zur produktion und für die kommilitonin, ich weiß nicht. das kannst du den leuten doch selbst sagen. ich find das schon klüger als nobody und ehrlich und so, du reagierst ja auch auf was, aber irgendwie ist es genauso redundant wie dein vorredner, meinst du nicht?
Nather in Zürich: Keine Verteidigung der UdK
keine sorge xy, habe hier die udk noch nie verteidigt und werde es auch in zukunft nicht tun. das hat sie zum glück gar nicht nötig. es hat micht nur geärgert, dass da jemand nen ersten kommentar zu einer inszenierung/zu einem stück schreibt, der bloß unterstellungen beinhaltet und nichts mit der vorstellung zu tun hat. nobody schreibt ja selbst, dass ers nicht mal gesehen hat. das finde ich einfach dreist und unhöflich.
ansonsten verstehe ich nicht, warum ich nicht auch etwas dazu schreiben darf, wie es mir in der vorstellung ging, dazu ist doch das forum hier da. oder nicht? hab ich sonst wohl was falsch verstanden.
Nather in Zürich: Welche Seilschaften?
Welche Seilschaften?
Über eine UA entscheidet immer das Theater, an dem die UA stattfindet. Seilschaften helfen da nicht - das Stück muss überzeugen. Und das auch schon im Vorfeld, z. B. um einen Verlag zu finden.
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