Kein Mann, nirgends!

von Ute Grundmann

Gera, 13. November 2009. 20 Jahre lang ist sie mit Mutti ins Allgäu in den Urlaub gefahren, jetzt kann Ursula das Wort "Allgäu" nicht mehr hören, ohne einen Schreikrampf zu kriegen. Endlich mal ohne Mutti, nicht nur im Urlaub, endlich mal allein sein! Aber einen Mann sollte es in ihrem Leben schon geben, für ein "kleines, großes Glück".

Von solchen Lebensträumen und –enttäuschungen, von Plänen und deren Scheitern erzählt Jan Neumanns Stück "Herzschritt", das Amina Gusner in der kleinen "Bühne am Park" inszenierte. Mit dem Theater-Spektakel Heimat_Los! hatte die neue Schauspieldirektorin des Theaters Altenburg-Gera ihr neues Ensemble präsentiert, sich selbst mit einer eher zwiespältigen "Nibelungen"-Inszenierung nach Hebbel dem Publikum vorgestellt. Nun also die kleine Form mit Jan Neumanns "Herzschritt". Der 1975 in München geborene Schauspieler, Regisseur und Autor war schon beim Spektakel dabei, mit dem wunderbaren Kurzstück "Sechzehn Sommer", inszeniert von Helen Schröder.

Gerne langweilig, Hauptsache gesund
Für den zweiten Neumann-Text in Gera hat Johannes Zacher eine Art Riesensandkasten gebaut, mit Rasen ausgelegt, darauf Doppelbett, Stühle, dahinter eine Glaswand, auf der schon mal Wolken treiben: alles wird umwallt von viel Kunstnebel. Auf dem Bett sitzt zu Beginn eine ältere Frau in schwarzen Hosen und einem Mantel in Leopardenmuster, die unentwegt nach "Ursula, Pummelchen" ruft. Das ist Mutti (Ursula Staack), und dass neben ihr noch jemand liegt, ihre Tochter Ursula nämlich, sieht man erst später.

Schon das ist symptomatisch für die Situation, die Stück und Inszenierung zeigen: Hier die ewig plappernde Mutter, scheinbar dominant und mit festen, ewig repetierten Meinungen über das Leben der Tochter ausgestattet ("das kann es nicht gewesen sein mit Deinen Ex-Männern"). Dort die 40jährige Tochter (Anne Keßler), Verwaltungsangestellte, zweimal geschieden, die nichts so sehr sucht wie einen neuen Mann ("gerne langweilig, Hauptsache gesund") und die nichts so sehr möchte, als endlich Mutti loszusein.

Amina Gusner und ihr Ensemble setzen das kleine, feine, lakonische Stück dicht, schnörkellos und unaufgeregt um. Die kleinen, alltäglichen Verletzungen werden beiläufig geschlagen, die ewig gleiche Routine der Mutter-Tochter-Abende mit Kochen und Fernsehen schon mal von pampigem Schweigen gestört. Mit mal leisem, mal schrillem Aufbegehren versucht Ursula sich aus den Fängen der Mutter zu lösen, die genauso einsam ist wie die Tochter und der sie ihr Lebensmodell eingeimpft hat: Frauen ohne Mann sind nichts wert, haben einen Makel, also schaff Dir schnell wieder einen an, ich hab mir ja auch wieder jemand gesucht.

Schlittschuhlaufen im Bühnennebel
Das zieht sich, genau beobachtet, ebenso durch Stück und Inszenierung, wie das Verhältnis der beiden Frauen aus Abhängigkeit und Abwehr. Auch Ursulas Freundin Sabine (Mechthild Scrobanita) lebt dasselbe Lebensmodell: Mann, Haus, Sohn – und die größte Sorge, der Junge könnte schwul sein, weil er lieber mit Puppen als Krieg spielt. All die kleinen Einsamkeiten dieser Menschen werden von melancholischen Songs stimmig begleitet, das ist mal anrührend, mal abschreckend, auch komisch – aber Amina Gusner verrät ihre Figuren nie.

Und so funktionieren selbst scheinbar kitschige Szenen wie die, in der Ursula mit dem Mann, den sie endlich per Kontaktanzeige gefunden hat, wie schlittschuhlaufend durch den Bodennebel gleitet. Doch auch mit diesem Josef (Rüdiger Rudolph) wird es nicht mal mit dem kleinen Glück etwas werden. Nicht nur, weil die nach dem allein verbrachten Urlaub plötzlich gestorbene Mutti ihr immer noch dazwischen redet. Sondern vor allem, weil der so verzweifelt geliebte Mann schnell merkt, dass er allein sein will, was Ursula nicht kann und nicht will. Und so muss sie, zu einem leisen Song, weiter nach einem Mann und nach ihrem Leben suchen.


Herzschritt
von Jan Neumann
Regie: Amina Gusner, Bühne: Johannes Zacher, Kostüme: Inken Gusner, Dramaturgie: Anne-Sylvie König.
Mit: Anne Keßler, Ursula Staack, Mechthild Srobanita, Rüdiger Rudolph

www.tpthueringen.de


Mehr zu Jan Neumann im nachtkritik-Archiv: den 1975 in München geborenen Autor, Schauspieler und Regisseur porträtierte Esther Boldt. Neumanns Stück "Herzschritt" wurde 2008 in Düsseldorf von Hermann Schmidt-Rahmer uraufgeführt und im November des gleichen Jahres von Neumann selbst auch am Schauspiel Frankfurt inszeniert.

 

Kritikenrundschau

Stück für Stück entblättere Anne Keßler in einem Monolog über den Tod der Mutter "das Gefühlschaos ihres Charakters", beschreibt Franziska Nössig von der Thüringischen Landeszeitung (15.11.) einen Moment in Amina Gusners Inszenierung von Jan Neumanns "Herzschritt". Auf die Dauer könne Keßler die sich bekämpfenden Stimmen im Kopf ihrer Figur allerdings nicht überzeugend darstellen. Ebensowenig nehmen man Ursula Staack die Rolle der Mutter ab. Grund sei Gusners "Regiekonzept, das die Charaktere nicht wirklich ergründen will". Sie eliminiere "die Übergänge zwischen diesen Äußerungen", so dass kaum etwas "von den ambivalenten Empfindungen der Figuren" zu spüren sei. "Was an Kontur und Tiefe in der Rolle angelegt ist, löst Gusner auf, indem sie ihre Schauspieler einzelne Passagen wiederholen lässt. Das setzt keinen Akzent auf das Gesagte, sondern zerfasert dessen Inhalt bis zur Bedeutungslosigkeit". Dabei mangele es Neumanns Text nicht an Inhalt und Themen: es sei "ein Stück über Liebe und Einsamkeit, viel mehr aber noch über die Schwierigkeit, sein Leben und sich selbst anzunehmen". Auch das eigentlich thematisierte Älterwerden blende Gusner "durch die Verjüngung ihrer Ursula vollkommen aus". So bleibe die Inszenierung trotz einzelner berührender Bilder oberflächlich.

 

 

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