Hamlet-Maschine ohne Müller

von Sabine Leucht

München, 26. November 2009. Eine Rüstung schwebt heran und kracht zu Boden. Aus einer Kunstgras-Sode im Vordergrund von Alu Walters locker mit Holzterrassen-Inseln gesprenkelten Bühne ragt eine bleiche Hand. Und plötzlich ist er da: Michael Tregor, ein am ganzen mageren Körper weiß geschminktes Rumpelstilzchen.

 

Tregor, sonst eher am Bayerischen Staatsschauspiel anzutreffen, gibt im Münchner Volkstheater den Hamlet Senior, der seinem Sohn als Geist erscheint. Als Geist, doch als kein guter. Wenn der Vater und sein um ihn trauernder Sohn nicht gerade vom Bühnennebel verschluckt werden, sieht man einen eifersuchtszerfressenen Untoten im ehedem weißen Nachthemd einen manipulierbaren Jüngling in die Zange nehmen. Emotional, da der Geist sowohl erbärmlich leidend wie enorm herrschsüchtig wirkt, aber auch ganz buchstäblich: Hamlet Junior windet und duckt sich unter dem Griff des kleinen Mannes, der so huhuu-mäßig auf dämonisch macht wie Michael Tregor das in solchen Fällen zu tun pflegt.

In Christian Stückls "Hamlet" zumindest erreicht er damit sein Ziel und bringt den Sohn mal schnell auf jenem Gleis voran, auf dem er ohnehin unterwegs ist: Gegen seinen Bruder und Nebenbuhler Claudius richtet er Hamlets Rachsucht. Ob jener aber wirklich ein Mörder ist oder der Geist nur ein raffinierter Manipulator, das lässt Stückls Inszenierung wie so vieles lange offen.

Selbstherrlicher Unsympath
Der Hausherr des Volkstheaters liebt seinen Shakespeare und bringt ihn wieder und wieder mit dem Grundvertrauen auf die Bühne, dass sich Geschichten wie die von Titus Andronicus, Richard III. oder eben von Hamlet immer zu erzählen lohnen. Nicht nur in diesem Fall reicht das nicht aus. Doch diesmal ist ein Grund dafür sein Hauptdarsteller.

Der 28-jährige Friedrich Mücke, der aus der Berliner Ernst-Busch-Schmiede stammt und in München bislang Erfreuliches gezeigt hat, spielt seinen Hamlet wie eine Hamlet-Maschine, die jedoch mit Heiner Müllers gleichnamigem Stück nicht das Geringste gemein hat. Mücke bleibt immer in der Rolle, ganz drin im vorgeschriebenen Text. Hamlets Trauer und sein Wüten aber bleiben so äußerlich wie sein nur behaupteter Wahnsinn, worin er Lacher herausbellt und so schnell die Posen wechselt wie bei der Morgengymnastik. Die berühmten Monologe wie "Sein oder Nichtsein" fließen direkt aus dem Gedächtnis über seine Lippen, als käme es auf die Instanzen dazwischen nicht an. Auf diese Weise wird der gut dreistündige Abend angefüllt mit Geplänkel und auf Wirkung bedachtem Gegockel. Den verkopften Zauderprinzen gibt es nicht mehr. Es entsteht – sicher zumindest halb beabsichtigt – ein selbstherrlicher Unsympath.

Penetrante Munterkeit im Edgar-Wallace-Nebel
Stückl, der mit einem Teil seiner enormen Energie schon in Oberammergau sein mag, wo er für den Sommer wieder die alle zehn Jahre stattfindenden Passionsspiele einrichtet, hat sich in seinem "Hamlet" auf das kapriziert, was ihm als Laienspielarchitekt zupass kommt. Stückl kann nämlich wunderbar Bilder komponieren, in denen Menschen mit dem Hintergrund zum Maximaleffekt verschmelzen. Doch wenn es prompt auf das Stichwort "England" hin Bindfäden in den Wassergraben regnet und der Edgar-Wallace-Nebel gar nicht mehr aufhören will, darf man das ruhig kunsthandwerklich finden.

Am Anfang hat Hamlet sich in diesem Graben gründlich den schwarzen Anzug nass gemacht, während Mutter Gertrud und der neue Stiefvater Claudius mit ihrer Hochzeitgesellschaft um ihn herum spritzten wie Models beim Werbe-Shooting für maritime Sommermode. Allesamt penetrant munter bis auf Polonius (Eckhard Preuß), dessen pastoraler Gestus immer wieder ins betont Tuntige und zurück kippelt.

Das Leuchten der Ophelia
Was die Schauspieler angeht, scheint so gut wie jeder in dem Fahrwasser zu schwimmen, in dem er sich am wohlsten fühlt. Der wie stets groß und enthemmt agierende Jean-Luc Bubert als Claudius darf in der mit Fremdkörpern gespickten Schlegel-Übersetzung "Ballaballa" und immer wieder "Ich mag ihn nicht, ich mag ihn nicht" zu und über Hamlet sagen. Und obwohl auch das reichlich kalkuliert ist, gelingt Bubert die rotzigste und lustigste Figur des Abends. Barbara Romaner dagegen die sensibelste: Ihre Ophelia leuchtet förmlich, auch noch nach der übelsten Zurückweisung durch Hamlet. Vor ihrem stillen Selbstmord bekommt das Strahlen Risse, vielerlei Dunkles zuckt auf und verschwindet wieder. Und dann geht Ophelia. In der Hand eine Kerze, die sich im Wasser spiegelt, zu den sanften Akkorden, die Micha und Markus Acher (The Notwist) in das immer wieder effektbewusst justierte Gesamtpanorama hinein gewebt haben. Geht mit so viel Unterstützung und wirkt dennoch allein gelassen.

Hamlet
von William Shakespeare
Deutsch von August Wilhelm Schlegel
Regie: Christian Stückl, Ausstattung: Alu Walter, Musik: Micha Acher.
Mit: Friedrich Mücke, Jean-Luc Bubert, Ursula Burkhart, Eckhard Preuß, Barbara Romaner, Pascal Fligg, Robin Sondermann, Justin Mühlenhardt, Axel Röhrle und Michael Tregor.

www.muenchner-volkstheater.de

 

Mehr zu Christian Stückl im nachtkritik-Archiv. Der Volkstheater-Intendant hat schon so manche Glanzrolle mit ganz jungen Schauspielern besetzt: Der 24jährige Nico Holonics war im November 2008 sein Richard III., und zum Intendanz-Start im Oktober 2007 schickte er Holonics als Don Carlos und Friedrich Mücke als Marquis Posa gemeinsam auf der Bühne.

Kritikenrundschau

Die Münchner Theater teilen sich die Aufgaben erstaunlich untereinander auf, so Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (28.11.). "An den Kammerspielen werden vor allem kluge Fragen gestellt, am Staatsschauspiel gibt es auf alles eine elaborierte Antwort. Und am Volkstheater macht man einfach Theater." Und zwar pralles, sattes, mitunter überbordendes Theater. "Vor allem wenn der Hausherr Christian Stückl selbst Regie führt." Jetzt habe Stückl "Hamlet" inszeniert, und es werde am Volkstheater geschwitzt, gelitten und geheult. Stückls "Hamlet" sei ein "Hamlet" für Anfänger, "für solche, die nichts wissen von dem Stück oder am Lesen gescheitert sind." Der hochbegabte und wunderbar klare Friedrich Mücke, ist in der Hauptrolle ein Zauderer und ein Täter, ist depressiv und verliebt, ist Mörder, Rächer, Nervensäge und sicherlich auch wahnsinnig. "Dieser Hamlet trägt alle Facetten aller denkbaren Hamlets in sich. Für eine dieser Facetten entscheiden mag sich Stückl nicht."

"Nach der Party-Sinnlichkeit des Anfangs greift sich das Übersinnliche Raum mit der Geistererscheinung. Eine Rüstung schwebt heran, kracht zu Boden, und dem Nebel entsteigt Michael Tregor als dürres, weißgeschminktes Gespenst im lächerlichen Kinderhemdchen." Gabriella Lorenz (abendzeitung, 28.11.) kann kaum glauben, dass das mal ein nobler König und Vatervorbild gewesen sein soll. Es gebe schöne Bilder und starke Momente, wenn etwa Hamlet dem von Reue geplagten Claudius direkt an die Gurgel springt), aber zur wirklichen Tragik fehle die Fallhöhe. "Die uneinheitliche Aufführung zerfasert mit der langen Totengräberszene, und am Ende ist man des ganzen Stürmens und Drängens herzlich müde."

 

 

Kommentare  
Stückl Hamlet: nur angebrüllt
Mir hat das Stück nicht gefallen. Claudius mit seinem ewigen "ich mag ihn nicht" ging mir auf die Nerven. Ebenso dass Hamlet seinen Freund Horatio immer nur angebrüllt hat. Und wenn er ihn mal nicht angebrüllt hat, ist er ihm davongelaufen. Von Freundschaft von Seiten Hamlets war da nichts zu spüren. Wieder einmal hat der Regiseuer die Figur des Horatio nicht wirklich verstanden, obwohl der Schauspieler sich Mühe gegeben hat. Aber Horatio ist nun mal kein Nägel kauender Teenager, der vor Aufregung sein Taschentuch zerknüllt, sondern könnte eine sehr interessante spirituelle Figur sein, wenn man ihn ließe.
Man fragt sich hier, was die beiden "Freunde" hier zusammenhält, und hat den Verdacht dass sich der Regiseur im Hintergrund ein homosexuelles Abhängigkeitsverhältnis vorgestellt hat. Schade. Die Schönheit und Klarheit, die Horatio auch haben könnte, wenn er nur dürfte, leuchtet kurz auf, als er - weiß geschminkt aber mit klaren Gesichtszügen - ausgerechnet den Königsmörder in Hamlets Theaterstück spielen muss.
Orphelia war die einzige "starke" Figur, viel zu stark um verrückt zu werden.
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