Artaud und Seifenblasen

29. November 2009. Bei Impulse kann sich der Theaterfan per Marathon-Bus bequem von Köln nach Düsseldorf nach Mülheim nach Bochum transportieren lassen (Theaterkritikerin Christine Dössel sei Dank, wie der künstlerische Leiter Tom Stromberg verriet). Und sich dort genüsslich geistreichen Gesprächen über Postdramatik und Performanz, über Konstruktion und Dekonstruktion hingeben.

Fundamental allerdings wird die Unterhaltung im Regionalexpress (in diesem Fall an einem Freitag zwischen Bochum und Mülheim). Dort gab es folgenden Dialog zu belauschen: Er blättert lustlos in einer Broschüre. Sie: "Und steht was Interessantes für uns drin?" Er: "Nee, nur über Kunst und Theater." Sie: "Theater haben wir bei uns genug." Beide lachen. Er blättert weiter. Er: "Wer braucht schon Kultur?"

 

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Seifenblasen. Die habe ich im subventionierten Staats- und Stadttheater schon lange nicht mehr gesehen. Beim Festival haben sie Hochkonjunktur: andcompany&Co. lassen sie aufsteigen in ihrem spektakulären Totentanz um den Kommunismus. In Philippe Quesne La Mélancolie des Dragons schmeißen die langhaarperückten Heavy-Metal-Jungs gleich eine professionelle Seifenblasen-Maschine an, die nicht nur bei Verteilerkopfspezialistin Isabelle für magische Momente sorgt, sondern auch manchem Zuschauer ein entzücktes Jauchzen entlockt. Und auch Gob Squad zaubern gerne mit den schillernden, fliegenden Kugeln. Unaufwendig, billig und effektvoll, leichtgemacht wie in Kindertagen. Aber hoffentlich keine Metapher für den zerplatzten Traum vom Impulse-Preisgewinn.

 

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Wie die Seifenblasen findet auch Antonin Artaud, der Propagandist des Theaters der Grausamkeit, gleich in mehreren Festival-Inszenierungen Einzug. Malte Scholz schmettert seinen Namen in Boris Nikitins "F wie Fälschung" heraus, in seinem Schwall schlauer Sätze. Und Quesnes Rocker wollen ihren wunderbaren handmade Freizeitpark nach ihm benennen. Kunst sei ein Mittel, das Leben zu begreifen und auszuüben, meint Artaud. Ob das eine Antwort für die beiden Regionalexpress fahrenden Kulturkritiker wäre?

 

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Der Impulse-Marathonbus kommt gerne mal verspätet beim Veranstaltungsort an. Schnelligkeits-Rekorde zumindest will er nicht brechen. Aber darum geht es den meisten Marathonläufern ja auch nicht. Durchhalten heißt deren Parole. Und wer am Ende wie der Läufer aus dem antiken Athen noch eine Botschaft zu berichten weiß, der hat eh gewonnen.

(Sarah Heppekausen)


Mehr zum Festival Impulse: In einem Beitrag für nachtkritik.de fordern Impulse-Macher Matthias von Hartz und Tom Stromberg neue Fördermodelle, mit denen der Bedeutung des Freien Theaters Rechnung getragen wird. Und hier die diesjährige Auswahl.

 

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