Skandinavisches Kettensägenmassaker

von Beat Mazenauer

Basel, 12. Dezember 2009. Tiptop rasiert sich auf dem Sofa seinen Schwanz, Simpel drückt sich auf dem Klo einen ab – und Speedo hat soeben gekotzt. Wow! Nicht irgendwie gekotzt, sondern authentisch, echt (wirkend), was in der vordersten Reihe im Theater Basel von den Zuschauern gleich mit Entrüstung erwidert wird. Doch genau so und nicht anders muss eine Theaterfassung von Matias Faldbakkens abgefuckter, comicartiger Romantrilogie "Skandinavische Misanthropie" wohl aussehen. Nur: lässt sich derlei einen Abend lang durch- und aushalten?

Im Sommer überdreht, im Winter tief betrübt, so sind sie, die Nordländer. In den Romanen des norwegischen Autors und Künstlers Matias Falbakken sind sie permanent beides zugleich – und in höchstem Grad. Da tummeln sich Pornoproduzenten, Faschisten, Anarchisten, Gewaltintellektuelle – kurzum eine ebenso schillernde wie kaputte Bande, die die finsteren Seiten unserer Gesellschaft repräsentiert. Ein gefundenes Fressen für die Bühne, müsste man meinen – aber keine leichte Kost!

Widerstand gegen den Wohlfühlstaat
In der Basler Aufführung unter der Regie von Marie Bues gehen "Fotze", "Arsch" und "Sack" als Worthülsen leicht über die Rampe. Faldbakkens Stoff ist hart und kompromisslos, bewusst skandalös und voll bösem Zynismus: Unfun. Die Familienstrukturen sind kaputt, Politik und Wirtschaft korrupt, der skandinavische Wohlfühlstaat die Pest für freie Unternehmer wie Simpel. Er leistet "allgemeine Widerstandsarbeit", indem er Pornos produziert und der Ess-Fick-Schlaf-Gesellschaft genau das liefert, was sie braucht.

Sein Motto "Gegen alles und für nichts" ist freilich ein gefährliches Konzept. Nach einem kurzen Zwischenstück (auf den Roman "Macht & Rebel" anspielend) tritt Lucy ins Rampenlicht – wie schon die Figur Simpels von Astrid Meyerfeldt gespielt – eindrücklich stark und, vor allem nun im zweiten Teil: melancholisch leise, beinah lyrisch. Der Monolog über ihre afrikanischen Wurzeln und ihren ganz persönlichen Anarchismus bildet den Gegenpart zur eingangs erwähnten Szene. Das einfache Setting: Eine Frau auf der leeren Bühne erzählt – beeindruckt im Gesamtkontext dieses trashigen Stücks erst recht.

Lucys Ex Slaktus, ein ungeschlachter Gewaltintellektueller, möchte der eigenen Gesellschaft den Spiegel vorhalten, indem er Joseph Conrads "Herz der Finsternis" umdreht und einen Schwarzen mit Kettensäge massakrierend durch Paris rasen lässt. Nicht in echt, soweit geht er dann doch nicht, sondern nur in Form eines Slasher-Games, einer virtuellen Schlächterorgie, die auf der Bühne entsprechend auch nur blutig angedeutet wird.

Oh Ordnung! Oh Schutz vor ihr!
Dann aber hat Lucy genug, von Slaktus wie auch von ihren Söhnen Atal und Wataman, zwei grausigen Personifikationen des spassgesellschaftlichen Zynismus. Sie schreitet zum finalen Akt in der Rolle des "Final Girl": als eben jene Figur, die in Slasherfilmen zuletzt schließlich Ordnung schafft und als einzige unbeschadet das Massaker überlebt. So erzählt es Faldbakken – und Lucy liest die entsprechende Stelle aus dem Buch am Bühnenrand vor, um die grauslichen Details nicht vorspielen zu müssen. Das Basler Stück endet also in Minne, so sieht es zumindest aus.

Aber funktioniert es auch? Diese Frage muss zweifach gestellt werden. Zuerst: funktioniert das Stück als Spiel? Die Figur Rebels im Zwischenstück verkündet lauthals: "Ich weigere mich, eine Meinung zu bilden". Soweit kommt es nicht, allein schon wegen der Kotze im ersten Teil, die zumindest zu ästetischer Positionierung zwingt. Nebenbei mitgehörte Zuschauerkommentare nach Spielende bestätigen es: "Und dafür gibt es Subventionen!" Klar, warum auch nicht. "Final Girl" hält dem Publikum einen Zerrspiegel vor.

Einen freilich, der auch unfreiwillige Sprünge aufweist. Die Hauptrollen – gespielt von Astrid Meyerfeldt, Tony Panza und Sebastian Heidenreich – haben es gut: Sie können sich ihren starken Figuren vitale und oft auch komische Facetten verleihen.

Finsteres Potenzial
Schwerer haben es dagegen die Nebenrollen. Sie wirken häufig blass und nicht optimal ins Stück integriert, haben meist nur eine Füllfunktion. Eine Ausnahme macht der Auftritt von Slaktus als aufgelasener Konsolentycoon im dazu passenden aufblasbaren roten Plantschbecken.

Die zweite Frage, ob nämlich die tausendseitige Romanmontage als Stück funktioniert, ist nicht leicht zu beantworten. Erst recht nicht, wenn die Buchvorlagen bekannt sind, weil sich in diesem Fall das Geschehen auf der Bühne leicht mit Lektürewissen ergänzen läßt. Doch was ist mit denen, die hier nun erstmals mit dem Stoff konfrontiert werden?

"Final Girl" hat starke, drastische und wunderbar intensive Momente, aber auch seltsam unschlüssige Passagen. So ist beispielsweise auch die Rolle, die eine Figur namens Castellaneta für diesen Abend spielt, kaum zu entschlüssseln. Oder die finale Abrechnung, die hier nur notdürftig begründet wirkt. Lucy greift zum Messer, weil ... ja weshalb bloss? Der Eindruck, den "Final Girl" hinterlässt, bleibt zwiespältig. Was aber nicht so schnell verblasst ist der starke Auftritt der Hauptdarstellerin Astrid Meyerfeldt, die selbst in ihrem Irrsinn rührend wirkt.

"Das reine Potenzial ist finster – glaube ich". Sagt sie – Schluss.

 

Final Girl (UA)
nach der Romantrilogie "Skandinavische Misanthrophie", inkl. "The Cocka Hola Company", "Macht & Rebel" und "Unfun"
von Matias Faldbakken
Regie: Marie Bues, Ausstattung: Sebastian Hannak, Video: Lisa Böffgen. Mit: Astrid Meyerfeldt, Tony Panza, Bastian Heidenreich, Nicole Coulibaly, Dirk Glodde, Benjamin Kempf, Hanna Eichel, Claudia Jahn.

www.theater-basel.ch


Mehr lesen zu Matias-Faldbakken-Adaptionen auf deutschsprachigen Bühnen? In Stuttgart verwandelte Volker Lösch im Januar 2008 Faldbakkens Debütroman The Cocka Hola Company in genuines Stück Lösch-Theater. Ebenfalls in Stuttgart inszenierte Katja Wolff im Oktober 2008 die deutschsprachige Erstaufführung von Faldbakkens Ibsen-Variation Noras Baby.

Kritikenrundschau

Das Kürzelduo bru/sda meint in der Basler Zeitung (14.12.) über "Final Girl", Marie Bues' Adaption einer Romantrilogie von Matias Faldbakken, am Basler Schauspiel: "Trotz der oft nur angedeuteten Provokationen kommt Faldbakkens bitterböse Gesellschaftsanalyse in Bues' Inszenierung nicht schlecht durch: In der abgestumpften Spassgesellschaft mit ihrem unstillbar gewordenen Hunger nach Reizen gibt es weder Moral noch Unmoral, weder Gebote noch Verbrechen. 'Das Negative ist die letzte Triebkraft', wie Faldbakken wiederholt erklärt hat." Bei der Eindampfung der etwa 1000 Seiten auf zwei Bühnenstunden sei "allerdings auch viel Kitt verlorengegangen. Manche Szenen wirken ohne  Kenntnis der Romanvorlage unverständlich." Der "relativ zurückhaltend inszenierte dritte Teil", der Faldbakkens Roman "Unfun" entspricht, überzeuge übrigens "dank der Leistung von Astrid Meyerfeldt, die über weite Strecken monologisiert".

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