Wertschöpfung im Heidiland

von Felizitas Amman

Walenstadt/Kanton St. Gallen, 26. Juli 2007. Es ist ein erhebender Anblick. Von der steilen Tribüne sieht man hinunter auf den glitzernden See, der von schroffen Bergwänden gerahmt ist. Hinter den Gipfeln geht golden die Sonne unter, und das Orchester hebt an zur Erkennungsmelodie.

Was in den folgenden zwei Stunden zu sehen ist, braucht den Vergleich mit der eindrücklichen Kulisse nicht zu scheuen: Es ist ein professionelles Musical, mit einer etwas glatten, aber rührenden Geschichte, engagierten Darstellern, mitreissender Musik – und einem sichtbar glücklichen Publikum. Wer möchte bei solchem Glück an Zahlen denken.

Falsche Talseite mit Businessplan 

Doch der erste Schritt zu "Heidi – das Musical" vor drei Jahren waren eine Machbarkeitsstudie und ein Businessplan, das freudig präsentierte Resultat eine Wertschöpfung in Millionenhöhe. Aber der Reihe nach: In den 90er Jahren beanspruchte die Tourismusdirektion Sarganserland die Marke "Heidiland" für sich – obwohl Spyris Heidi eigentlich auf der anderen Talseite, in der Bündner Herrschaft, angesiedelt war. Damit stiess man die echten "Heidiländer" vor den Kopf, doch das Sarganserland am Walensee bekam touristisch Aufwind. So stieß auch die Idee des Musikers Stefan Menz, ein Musical zum Thema Heidi zu machen, auf offene Ohren.

Tourismusdirektor Marco Wyss startete die Wertschöpfungsmaschine im großen Stil und überließ nichts dem Zufall. Der Amerikaner John Havu entwickelte die Idee, dazu wurden die erfahrenen Londoner "West Ender" Stephen Keeling (Komposition) und Shaun McKenna (Text) geholt, für die Regie Stefan Huber verpflichtet. Angekündigt wurde "Heidi – das Musical" (obwohl es bereits andere Heidimusicals gibt) als Welturaufführung, wohl mit Blick auf den Welterfolg des Kinderbuchs, das in über 50 Sprachen übersetzt und bisher 50 Millionen Mal verkauft wurde. Der Plan ging auf, das Musical wurde 2005 zum Publikumsrenner.

Wunderbar, unendlich wandelbar

Das nicht ohne Grund, denn das – man möchte lieber Produkt sagen als Werk – überzeugt. Das liegt nicht zuletzt an der Ursprungsidee von Stefan Menz, neben der etwas dünnen Heidigeschichte den Schreibprozess und die Lebensgeschichte ihrer Erfinderin Johanna Spyri zu zeigen. Auch die Bühne begeistert, eine steile graue Rampe, die unendlich wandelbar ist. Aus unzähligen Treppen entstehen Berge, das Heididorf wird einfach aufgeklappt, eine Drehbühne vereint Alphütte und Felsgestein, und wie in einem Kasten sitzt zuoberst das kleine Orchester. Der große Publikumszuspruch ermöglichte die Wiederaufnahme im Sommer 2006. Und dass Spyris Kinderbuch glücklicherweise aus zwei Teilen besteht, erlaubte 2007 die nahtlose Weiterführung der Erfolgsstory.

Links Syris Schreibtisch, rechts Heidis Alp 

Allerdings ist der zweite Teil des Buches inhaltlich noch viel dünner als der erste Teil (Heidi ist wieder zu Hause, Klara kommt zu Besuch und lernt laufen und Peter ist eifersüchtig), und der naiv-rührseligen Geschichte fehlt der ironische Witz des ersten Teils. Sie wurde deshalb wiederum aufgepeppt mit Episoden aus Spyris Leben – und deren historisch verbürgte Freundschaft zum Schriftsteller C.F. Meier wurde kurzerhand zur großen Liebe verklärt. Wieder finden die Szenen auf der weiten Bühne parallel statt. Wir sehen links Spyris Schreibtisch und rechts Heidis Alp. Dazwischen wird die Sicht auf den Walensee frei, der nun den Genfersee darstellt. An dessen Ufer, in Montreux, vergnügt sich die feine Gesellschaft der Jahrhundertwende, und verbringen Spyri und der verheiratete Meier heimlich einige glückliche Tage.

Mit der lächerlichen Haute Volée und Meiers resoluter Schwester ist für Abwechslung gesorgt. Noch überraschender aber ist die Idee der Autoren, Spyri über ihren Schreibprozess mit Meier diskutieren zu lassen. Denn das ermöglicht ihnen, Spyri einige witzige und dramatische Szenen unterzuschieben, die sie zwar nie geschrieben hat, die den Unterhaltungswert des Abends aber beträchtlich steigern, etwa eine amouröse Annäherung von Fräulein Rottenmeier und dem Dorfpfarrer.

Milchprodukte aus der Heidi-Linie 

Bei so viel Erfindungsreichtum ist nicht zu fürchten, dass den Musicalmachern bald die Ideen ausgehen – auch wenn Spyris "Heidi" nun zu Ende erzählt ist. Tourismuschef Wyss jedenfalls freut sich über die bisherige Bruttowertschöpfung von 7 Millionen Franken und die 16.000 zusätzlichen Übernachtungen in der Region, und er plant künftig jährlich einen Großevent zum Thema Heidi. Dass der Mythos Heidi nicht nur Hotelbetten füllt, sondern alle möglichen Dinge in die Welt hinausträgt, das ist keine neue Erkenntnis. Wieder einmal in Erinnerung gebracht wird sie von der Migros, die als Sponsor fungiert und zur Premiere Milchprodukte aus der eigenen Heidi-Linie verteilt – und dazu ein Heidi-Mineralwasser, das mit reinem Sauerstoff versetzt ist. Vielleicht, damit der Erfolgsgeschichte "Heidi" nie die Luft ausgeht. Fortsetzung folgt garantiert.

 

Heidi – das Musical Teil 2
von Shaun McKenn (Buch) und Stephen Keeling (Musik)
Regie: Stefan Huber, Bühne: Harald Thor.
Mit Sue Mathys (Johanna Spyri), Sabine Schädler (Heidi), Florian Schneider (Alpöhi) und Patric Scott (Peter).

www.heidimusical.ch

 

 

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