Matthias Fontheim – Staatstheater Mainz, Intendant

Welches war Ihr herausragendstes, schönstes, beeindruckendstes Theatererlebnis im Jahr 2009, am eigenen Haus oder an anderen Häusern? Und warum?

Am meisten beeindruckt hat mich im letzten Jahr Jürgen Goschs Möwe-Inszenierung im Bühnenbild von Johannes Schütz, die ich in der Volksbühne gesehen habe. Es war ein hoch konzentrierter Abend mit überwältigenden Schauspielern, allen voran Corinna Harfouch als Irina Nikolajewna Arkadina und Kathleen Morgeneyer als Nina. Der Moment, in dem Nina auf einem tonnenschweren Stein über dem (Bühnen)Abgrund tänzelte, sagt alles über das Leben wie über das Theater aus. Ein so unvergesslicher, anrührender und wahrhaftiger Augenblick.

Inspiriert von diesem Abend, fasziniert von dieser reduzierten Spielweise musste ich in meiner eigenen Inszenierung in Mainz einen gänzlich neuen und anderen Zugang suchen. Wie geht man damit um, dass ein Stück bereits seine großartige Umsetzung erfahren hat? Herausgekommen ist eine Arbeit, deren Räume unkonventionell angelegt sind, denn das Spiel findet an vier unterschiedlichen Orten in und ums Theater statt. Dabei steht der schauspielerische Wille, dass Leben und Theater zum authentischen Ereignis werden, im Vordergrund – vielleicht eine Seelenverwandtschaft zu Goschs Theaterarbeit?

Nicht zuletzt entfalten die Schauspieler emotionale und körperliche Entäußerungen in den atmosphärischen Räumen, die Jürgen Gosch mit seinem kongenialen Bühnenbildner Johannes Schütz entwickelte. Der leere Raum als gespiegelte Welt, das Aufeinanderprallen von menschlichen Beziehungen, von Gefühlen wie Liebe, Neid und Begehren ins Maßlose vergrößernd. Diese Erfahrung durfte ich selbst mit Johannes Schütz am Schauspielhaus Zürich in meiner Inszenierung von Andorra erleben. „Andorra“ ist nun auch in Mainz zu sehen.

Was man in deutschsprachigen Theaterleitungen über das Jahr 2009 sonst noch denkt, sagen: Andreas Beck (Schauspielhaus Wien), Karin Beier (Schauspiel Köln), Thomas Bockelmann (Staatstheater Kassel), Amelie Deuflhard (Kampnagel Hamburg), Matthias Fontheim (Staatstheater Mainz), Elmar Goerden (Schauspielhaus Bochum), Markus Heinzelmann (Theaterhaus Jena), Jan Jochymski (Theater Magdeburg), Ulrich Khuon (Deutsches Theater Berlin), Sewan Latchinian (Neue Bühne Senftenberg), Julia Lochte (Münchner Kammerspiele), Enrico Lübbe (Theater Chemnitz), Joachim Lux (Thalia Theater Hamburg), Stephan Märki (Nationaltheater Weimar), Roland May (Theater Plauen-Zwickau), Barbara Mundel (Theater Freiburg), Amélie Niermeyer (Schauspielhaus Düsseldorf), Christoph Nix (Theater Konstanz), Elias Perrig (Theater Basel), Oliver Reese (Schauspiel Frankfurt), Friedrich Schirmer (Deutsches Schauspielhaus Hamburg), Holger Schultze (Theater Osnabrück), Wilfried Schulz (Staatsschauspiel Dresden), Kathrin Tiedemann (Forum Freies Theater Düsseldorf), Lars-Ole Walburg (Schauspiel Hannover), Barbara Weber (Theater Neumarkt Zürich), Hasko Weber (Staatstheater Stuttgart), Tobias Wellemeyer (Hans-Otto-Theater Potsdam), Kay Wuschek (Theater an der Parkaue Berlin).