Am Beispiel des Hummers - Samuel Finzi tänzelt durch David Foster Wallace
Das Leben der Hummer
von Dirk Pilz
Berlin, 5. Januar 2010. Der kurze Text Consider the Lobster ("Am Beispiel des Hummers") von David Foster Wallace war ein Auftragswerk für die Zeitschrift Gourmet. The Magazine of Good Living. Wallace reiste im Sommer 2003 unter dem Decknamen "Hase" als vermeintlich Naiver zum Maine Lobster Festival. Sein Essay berichtet zunächst von den Fress- und Furzorgien im Festzelt, in dem "mehr als 25.000 Pfund fangfrischer Maine-Lobster über die Theke gehen". Anschließend erläutert er die Herkunft des Namens "lobster", kurz schildert er die Beschaffenheit der Hummer-Arten (sie sind "riesige Meeres-Insekten"); darauf ist von der Attraktion der Veranstaltung, dem "weltgrößten Hummerkessel", und folglich von der Zubereitung der Speise die Rede: "Der Hummer kommt lebend in den Topf." Er wird in kochendes Wasser geworfen.
Hier nun, so der Text, lässt sich einer Frage nicht mehr ausweichen: "Ist es eigentlich in Ordnung, aus reiner Freude am Genuss ein fühlendes Wesen in einen Topf mit kochendem Wasser zu werfen?" Daran, so Wallace, schließen sich weitere "Themenkomplexe" an, vor allem Fragen der Moral. Der Text gibt vor, ihnen lieber aus dem Weg gehen zu wollen.
Statt dessen befasst er sich mit der "Intimität" des Kochvorgangs, vor allem mit der Schwierigkeit, den lebenden Hummer in den Topf zu bekommen, schließlich auch mit dem Kratzen der Scheren an der Topfwand und den Stößen gegen den Deckel.
Zwischen Topf und Deckel
Diese Passage des Textes spielt Samuel Finzi in der Inszenierung von Ivan Panteleev dicht vor dem Publikum. Finzi trägt einen strahlendweißen Anzug, steht auf einem schmalen Stahlgittersteg und hängt die Arme hummermäßig in die Luft. Er identifiziert sich regelrecht mit dem traurigen Hummerüberlebenskampf, die Worte "Topf" und "Deckel" spricht er mit geschürzten Lippen, die Augen werden starr, über der Nasenwurzel bilden sich scharfe Falten.
Rechts hinter ihm sitzt Sir Henry an seinem Synthesizer in einem Holzgestell. Das Symbol der Bundesagentur für Arbeit ist an ihm angebracht. Eine Lidl-Tüte steht am Boden, zwei lange Stangen erinnern an Hummer-Fühler. Sir Henry untermalt die Topf-Szene erst mit sehnsüchtig-wimmerigen Klängen Arvo Pärts, dann tippt er kurz Bachs "Oh Haupt voll Blut und Wunden" an – der Hummer-Mord wird mit dem Christus-Tod analogisiert.
Eine Pause entsteht danach, eine dichte, knisternde, intensive Sekunde Theater. Sir Henry beendet sie, indem er musikalisch auf einen flockigen Lounge-Sound schaltet; Samuel Finzi verschiebt parallel dazu seine Mimik vom Betroffenheits- ins Entertainment-Fach. Er tänzelt wie Frank Sinatra, wackelt mit dem Hintern, grinst, parodiert, schwitzt und hüpft den Steg entlang.
Zwischen Pathos und Ironie
Immer wieder wechselt er vom ernsthaften Ton mit pathetischem Unterstrich ins plätschernden Plaudern des Amüsierbetriebes. In den besten Fällen verleiht diese Kippbewegung dem Text eine Ambivalenz, die man beim bloßen Lesen des Textes nicht bemerkt. In den ungünstigeren, häufigeren Fällen hingegen ist Finzi der zwar virtuose, aber leer laufende, mitunter auch nur eitle Illustrator der Vorlage.
Die Finger ahmen Hummerfühler nach, wenn von Hummerfühlern die Rede ist, die Stimme bebt, wenn er von Tod und Leiden spricht. Und immer lagert er seinen Vortrag weich und wohlbehütet auf dem sicheren Boden einer augenzwinkernden Ironie. Reibung zwischen Text und Spiel sind die Ausnahme, Überraschungen entsprechend auch.
Der bulgarischstämmige Regisseur Panteleev – vor drei Jahren banalisierte er mit Finzi am Deutschen Theater sein eigenes Stück "Drei Sterne suchen einen Koch" – hat sich darauf beschränkt, den Text vorsichtig umzuarbeiten und ansonsten Finzi nicht in die Quere zu kommen. Weder der Vorlage noch dem spielverliebten Treiben seines Solisten hat Panteleev inszenatorisch Widerstand geleistet. Alles ist hier darauf ausgerichtet, einen Textinhalt gefahrlos unter die Leute zu bringen.
Diese merkwürdige Verkleinerung auf die Inhaltsebene ist vor allem im zweiten Teil des kurzen Abends auffällig. Die Hummer-Geschichte wird mit einer Erzählung aus Wallace' "Kurze Interviews mit fiesen Männern" verflochten. Sie ist der erkenntnistheoretischen Standardfrage gewidmet, ob und inwiefern man fremde, nicht selbst gemachte Erfahrungen erfassen, nachempfinden und folglich überhaupt verstehen kann. Es geht hier, zum Beispiel, um den Holocaust und eine Vergewaltigung.
Reflexhaftes Denken, reflexhaftes Spielen
Das "reflexhafte Denken", so der Text, verurteilt beides sofort. Aber ist es nicht auch so, dass ein "solches Erlebnis" letztendlich "die Persönlichkeit wachsen lässt"? Wallace arbeitet sich damit an jener schreckensreichen Dialektik ab, der sich jede Philosophie im Zeitalter der Extreme stellen muss: dass selbst furchtbarste Ereignisse noch, wie es bei Wallace heißt, "positive Aspekte" besitzen, ja diese positiven Aspekte gleichsam aus sich heraustreiben, weil im Nachgang alles, wirklich alles Geschehene mit Sinn belegt werden muss – nichts lässt sich im bloßen Status des Schreckens einhegen, alles wird, wie auch immer, in Verstehenszusammenhänge eingeordnet.
Heiner Müller zum Beispiel hat sich mit dieser Frage literarisch intensiv beschäftigt, David Foster Wallace ebenso, vor allem in seinem Großwerk "Unendlicher Spaß". Dass sich auch aus dem größten Leid noch ästhetischer Gewinn schlagen lässt, ist die zwiespältige Erfahrung, die sich daraus ergibt, zwiespältig, indem Moral und Ästhetik dabei effektvoll auseinanderdriften.
Die Inszenierung zeigt uns dies, indem Finzi nun ein grünes Kleidchen trägt und sich zusehends in einen rauschhaften Zustand steigert. Er schwitzt, ironisiert, hüpft und tänzelt jetzt noch mehr. Er gerät dabei aber auch immer stärker in einen Bereich des reflexhaften Spielens – das Gespielte wird durch das Gesagte lediglich verdoppelt. Kaum ist dabei mehr zu erfahren, zu hören und zu sehen, was man nicht bereits beim Lesen imaginiert hat. Am Ende strebt dieser Abend dorthin zurück, woher er kommt: in eine szenische Lesung.
Am Beispiel des Hummers
von David Foster Wallace
Regie: Ivan Panteleev, Bühne: Jochen Hochfeld, Kostüme: Ulrike Köhler, Musik: Sir Henry, Dramaturgie: Ralf Fiedler.
Mit: Samuel Finzi und Sir Henry
www.volksbuehne-berlin.de
Mehr zu Samuel Finzi: Im Jahre 2006 hat Petra Kohse über den "Schauspieler, Clown, Tänzer und Musiker" ein Porträt geschrieben. Auf nachtkritik.de taucht Finzi außerdem regelmäßig als Protagonist von Dimiter Gotscheffs Theaterarbeiten auf, durch die er oft, wenn auch nicht immer, Seit' an Seit' mit Wolfram Koch schreitet.
Kritikenrundschau
Hoch unterhaltsam findet Jan Oberländer im Berliner Tagesspiegel (7.1.), wie Samuel Finzi als Schauspieler diesen Text zelebriert. Als "guten Regiekniff" lobt er auch, den "kommerziellen Eventcharakter des Mainer Fressfestivals in Finzis Gewitzel, seinen Grimassen und von Sir Henry begleiteten Songeinlagen einzufangen – die Überlegungen auf der Textebene, wenn man sie ernsthaft nachzuvollziehen bereit ist, sind schließlich alles andere als witzig." Die Beurteilung des zweiten Teils des Abends fällt dann etwas indifferent aus.
Aus Sicht von Katrin Bettina Müller in der taz (7.1.) ist es vor allem Finzis Gespür für die Dosierung seiner schauspielerischen Mittel, das diesen Abend vor dem Absturz ins Spektakel rettet. Zunächst hört sie dem Text mit Süffisanz und Genuss zu, später dann sträubt sich in ihr alles gegen die Vereinnahmung der Themen durch den Sprecher. Wie im ersten Teil gehe es um Empathie, um die Frage des Schmerzes, den ein anderes Wesen empfindet. "Aber diesmal im Ton des Vorwurfs: Keiner kann nachvollziehen, was dieses Opfer einer Vergewaltigung erlitten hat. Der Redner entzieht mit diesem Argument den Zuhörern das Recht zum Einspruch und presst ihnen ein schlechtes Gewissen ab. Wie der Überlebende eines Verbrechens um diese Überlebenserfahrung reicher sei, ist der Punkt, den er hartnäckig nutzt, um wieder und wieder auf das Verbrechen zurückzukommen. Es ist nicht mehr zu unterscheiden, ob er sich an der Darstellung der Gewalt berauscht oder sie durchleidet."
Was mag Ivan Panteleev zu dieser Inszenierung bewogen haben? fragt sich Stephan Speicher in der Süddeutschen Zeitung (7.1.) um auf das Naheliegende zu stoßen: "Vermutlich die Person Samuel Finzis, der auf dem Weg zum Star schon ziemlich weit ist, und als Alleindarsteller – musikalisch assistiert Sir Henry – das Publikum heranschafft." Finzi mache sich die Gelegenheit nach Leibeskräften zunutze und bringe den Text genießerisch zum Vortrag. "Für alles hat er eine Geste. Ist von den Fühlern des Hummers die Rede, spitzt er die Finger. Geht es um Säugetiere, wölbt er die Hände vor der Brust. Die Augen werden gerollt, ist von den verschreckten Hummern in ihren Bassins die Rede. Für alles gibt es eine Verzierung, nichts bleibt ohne Borte, Quaste, Krönchen. Das Publikum schleckte die Nuancenfülle mit Gier auf, der Schlussbeifall war ekstatisch."
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theater ist eitel. nunja. warum nicht. aber finzi hat sich wacker geschlagen, man wußte nur nicht warum? was ist künstlerisch an diesem abend dran? hätte er das telefonbuch von gera gesprochen, es wär das selbe gewesen. schade. eine szenische lesung hätte wahrscheinlich allen gut getan.
Haben "old boys" in "young boys" geändert. Hoffen so den Sinn genauer getroffen zu haben - Die Redaktion
Zum Glück war ich nicht allein im Theater, zum Glück wußte mein Begleiter, daß hier nicht nur "Am Beispiel des Hummers" vertheatert worden war, sondern auch eins der "Interviews mit fiesen Männern". Ich würde "hideous men" eher mit "widerliche Männer" übersetzen, und der allerwiderlichste des Buches ist eben dieser, der darüber spekuliert, ob so einer Vergewaltigung nicht auch etwas Gutes abzugewinnen wäre. Ich habe mich daran erinnert, daß ich diesen Text ja gelesen hatte und dabei dachte, daß mit dieser Figur vermutlich ein Vergewaltiger dargestellt wurde. Und das hat Foster Wallace wirklich großartig gemacht; was für ein verkommenes Wesen so ein Vergewaltiger ist, wird man nach der Lektüre nicht mehr bezweifeln wollen.
Es wird aber bei der Inszenierung nicht herausgearbeitet, daß in der ersten Hälfte das Ich des Textes Foster Wallace ist, der als Reporter spricht, und in der zweiten Hälfte das Ich eine seiner fiktiven Figuren ist. Weil darauf aber nicht verwiesen wurde, bzw. das nur die Leute wissen, bzw. sich denken können, die vorher die Pressemitteilung gelesen haben, war dieser Abend unerträglich. Weil da diese gequirlte Scheiße aus einem Vergewaltigerhirn ungebremst vorgetragen wurde, also so, daß man denken mußte, sie sei das, was Foster Wallace uns als bedenkenswert mitteilen wollte. Damit desavouiert man ihn, und das hat er nicht verdient, ganz und gar nicht.
Schon deswegen ist dieser Abend komplett mißlungen. Samuel Finzi in seiner Eigenschaft als wahrhaft großer Gaukler betrachten zu dürfen, ist im Prinzip schon schön, nur hätte er sich fürs Vorführen seiner Virtuosität halt einen harmlosen Text wählen sollen. Diesen unerträglichen Mist aber mittels Gaukelei vorzutragen, ist entsetzlich dumm.
Ich war da, ich war betroffen, Finzi ist ein Ausnahmeschauspieler und was seid ihr?
Am Ende des Abends gab es großen Applaus. Warum? War keiner von euch Pfeifen da, wer nennt sich schon Edgar Wallace Förster. So viel Einfallslosigkeit bei der Namensgebung ist widerlich. Lieber EFW, bleiben Sie bitte dem Theater fern, schauen sie woandershin.
"Was uns nicht umbringt, macht uns stärker", ist zwar von Nietzsche, populär geworden ist es aber doch eher bei der Erziehung des SS-Mannes in der Fassung "Was uns nicht umbringt, macht uns härter". Sie haben natürlich vollkommen recht: Die SS war nicht für Vergewaltigung, sie hat gleich erschossen und sich darum anständig gefühlt.
Was Sie zitieren, wurde auch auf der Bühne gesagt. Ihnen entgeht das Perfide an dieser Argumentation. Sicher ist es bedenkenswert, daß man nicht reflexhaft denken sollte. Aber hier wurde so argumentiert, um der Erfahrung, als Mensch negiert und statt dessen als Ding behandelt zu werden, noch etwas Positives abzugewinnen. Sicher ist niemand nur Opfer. Aber bedeutet das, einer Vergewaltigung auch irgendwie etwas Positives abgewinnen zu können? Ebenso der KZ-Erfahrung (es wurde ja wiederholt auf Victor Frankl verwiesen)?
Ich schlage vor, Sie unterhalten sich mal mit ein paar vergewaltigten Frauen und fragen sie, ob diese Erfahrung sie reicher gemacht hat. Ob sie es gut finden zu wissen, daß es wirklich und nicht nur theoretisch furchtbar ist, als Ding behandelt zu werden.
Es entsetzt mich wirklich, daß Ihnen, trotz genauer Lektüre, das Perfide dieser Argumentation entgeht.
Was sagt man einer vergewaltigten Frau?
Da ist man doch eher hilflos. Deswegen kommt man auf so komische Gedanken, als Mann. Als Frau würde man eher die Klappe halten und zuhören, bzw. einfach Präsenz zeigen. Das ist hilfreich in so einer Situation. Hingegen ist der Rat, sich eine dritte oder vierte Haut zuzulegen, um das Ganze dann zu einer "Erfahrung" zu machen, brutal, weil damit die Wirklichkeit der ersten Haut gar nicht zur Kenntnis genommen wird. Was diese erste Haut erlebt hat, konnte sie eh nur überstehen, weil sie sich während des Erlebens bereits eine zweite Haut zugelegt, sich von sich abgespalten hat. Wenn so eine Frau später "beängstigend stark" erscheint, dann, weil sie zu ihrer ersten Haut nicht zurückgekommen, sondern in ihrem Panzer verblieben ist.
Ich habe Ihnen geschrieben, daß es mich entsetzt, daß Sie das Perfide dieser Argumentation nicht begreifen. Jetzt sehe ich, daß es daran liegt, daß Sie nicht zwischen Fiktion und Essay unterscheiden. Foster Wallace will uns in diesem Text keine "alternativen Denk-Möglichkeiten" eröffnen, sondern er schildert einen Vergewaltiger, der seine Suada damit beginnt, daß man nicht immer reflexhaft denken solle. Darauf ist der Reflex: "sehr gut, nicht immer reflexhaft denken", und damit wird man dann hineingelockt in die Widerwärtigkeiten, die folgen. Immer noch einmal die Jack-Daniels-Flasche erwähnen, denn die war ja offenbar der Höhepunkt der Mißhandlung. Ich habe diese Widerwärtigkeiten, wie gesagt, kaum ausgehalten, und das lag genau daran, daß dieser Text nicht als fiktiver präsentiert wurde, wie Foster Wallace ihn geschrieben hat, sondern eben so, wie Sie es sagen, als habe er uns "alternative Denk-Möglichkeiten" eröffnen wollen. Das hat er gewiß nicht gewollt. Dagegen sprechen seine anderen Texte, in denen ziemlich meisterhaft Personen darstellt, die ziemlichen Mist in der Birne haben. Oder eben solchen Dreck.
Ist es nicht so, dass am Ende des Textes von David Foster Wallace eine Verschiebung stattfindet? Und dass wir damit erkennen müssen, dass alle unsere binären Schemata und symbolischen Konstruktionen von gut vs. böse, passiv vs. aktiv, weiblich vs. männlich usw. nur sprachliche Mittel sind, um die Welt verstehbar zu machen und ihr einen vereindeutigenden Sinn zuzuschreiben, den es aber nicht gibt? Zitat Foster Wallace:
"Was wäre, wenn ICH derjenige gewesen wäre? Wäre das ein Unterschied? Ihr mit euren Denkreflexen, Denkverboten über die Opfer. Und überhaupt, muss es unbedingt eine Frau sein? Du glaubst wohl, auf diese Weise wäre die Vorstellung realer, die äußerliche Erscheinung deckt sich mit deiner, so dass sie in deinen Augen eher als menschliches Wesen erscheint, wohingegen jemand mit einem Schwanz, dafür ohne Titten nicht einmal halb so real ist. Oder wenn es im Holocaust nicht die Juden erwischt hätte, sondern bloß mich: Glaubst du, irgendjemand würde sich darum scheren? Glaubst du, irgendjemand hätte sich um Viktor Frankl geschert oder auch nur einen Funken Achtung aufgebracht für seine unzerstörbare Menschenwürde, wenn er nicht das Buch DER MENSCH VOR DER FRAGE NACH DEM SINN geschrieben hätte?"
Sie schreiben, "als Frau würde man eher die Klappe halten und zuhören, bzw. einfach Präsenz zeigen". Befördern und fixieren Sie damit nicht wieder nur das polarisierende Welt- bzw. Menschenbild zwischen sprechenden (männlichen) Tätern auf der einen und schweigenden (weiblichen) Opfern auf der anderen Seite? Für mich demonstriert David Foster Wallace dieses stereotype Denken, womit wir die unendliche Variabilität der möglichen Welt- und Selbstentwürfe zu fassen kriegen wollen, welche uns angesichts solcher Sinn-Losigkeiten wie des Holocausts oder einer Vergewaltigung doch wieder nur entgleiten.
Das Problem liegt also darin, dass wir meinen, über das Theater der Bilder die Realität repräsentieren zu können. Oder auch, ihr den ideologischen Schleier zu entreissen. Allzu oft besteht diese Form von Theater letztlich jedoch allein darin, den Schrecken in Bilder zu rahmen und damit ein wirkliches Mit- und Nach-Denken zu verhindern. Diese Gefahr der Ästhetisierung des Schreckens besteht immer. Das heisst, die Repräsentation der Figur einer vergewaltigten Frau kann auch dazu führen, dass der Schrecken banalisiert wird und eben gerade nicht zur Katharsis/zur Reinigung führt. Sondern im Gegenteil, dass das kapitalistische und neoliberale Movens des schnellen und rauschhaften Genusses nur perpetuiert wird. Da kommt kein Denken mehr dazwischen, und ohne das Denken ist die Ethik suspendiert. Wir wollen auch im Theater nur allzu oft die realistische und Mitleid erregende Darstellung geschundener Körper sehen, anstatt uns an die Sprache zu halten, welche solche Bilder des Schreckens eben nicht stillstellt, sondern immer wieder neu verschieben und damit immer wieder neu hinterfragen kann. Die baby, it's showtime-Bilder dienen der reinen Unterhaltung, das Entertainment des obszönen Verbrechens führt direkt ins Nirwana. Die Verschiebungen des gesprochenen Texts dagegen verführen die utopische Vorstellungskraft, welche den Bann durch die Bilder lösen kann.
Und schließlich: Haben Sie denn keinen "Dreck" in der Birne? Nur die Anderen? Daran glaube ich nicht. Hauptsache, der Dreck bleibt in der Birne, oder?
Ich wollte auch nicht auf Opfer/Täter hinaus, als ich schrieb, eine Frau würde die Klappe halten, wenn sie mit einer vergewaltigten Frau konfrontiert würde, sondern wollte darauf hinweisen, daß eine Frau sich eben besser vorstellen kann, wie das ist, vergewaltigt worden zu sein, und darum wahrscheinlich nicht gleich mit guten Ratschlägen bei der Hand wäre.
Und was soll die Unterstellung im letzten Absatz, ich dächte, nur die anderen hätten Dreck in der Birne? Habe ich das irgendwo unterstellt? Gewiß nicht. Sie zum Beispiel haben keinen Dreck in der Birne, sondern keine Struktur, was in diesem Fall viel schlimmer ist. Denn es läuft am Ende darauf hinaus, daß Sie mit den vielen wertvollen Dingen, die Sie in Ihren Kopf haben, Mist produzieren. Weil Ihnen das Differenzierungsvermögen fehlt.
Zitat bei Foster Wallace: "und nur, weil vier kranke Typen (sic!) zufällig Spaß daran haben, dir in die Eier treten, dass du regelrecht zusammenklappst und ihnen von selbst den Arsch hinhältst, vier Typen übrigens, denen du nichts getan, die du nicht provoziert hast, die du noch nie zuvor gesehen hast im Leben, da kannst du lange fragen, warum, warum diese totale Erniedrigung, aber die Frage stellt sich eigentlich nicht mehr. Sie kennen ja nicht einmal deinen Namen, für Sie hast du keinen Namen."
Und natürlich ist eine Reportage etwas anderes. Aber darum geht es David Foster Wallace doch auch gar nicht. Zudem würde ich Sie gern fragen, ob Sie da nicht einem Vorurteil aufsitzen, wenn Sie meinen, dass ein männlicher Autor/Schauspieler/Regisseur eine Vergewaltigung automatisch gutheißen müsste. Klar, es gibt solche komplett unsensiblen und zur Einfühlung unfähigen Männer, welche Frauen nur als Loch sehen. Fiese Männer sind fiese Männer, die sehen nur sich selbst und ficken alles, ohne Rücksicht auf Verluste. David Foster Wallace würde ich allerdings eher nicht dazu zählen. Der hatte eine andere Haltung zu den Dingen, was in folgendem Zitat zum Ausdruck kommt: "The really important kind of freedom involves attention, and awareness, and discipline, and effort, and being able truly to care about other people and to sacrifice for them, over and over, in myriad petty little unsexy ways, every day."
Zum Dreck: Genau genommen, haben wir alle Dreck in der Birne. Ich jedenfalls schon. Haben Sie nicht auch gern als Kind im Sandkasten oder mit Fingerfarben rumgematscht? Aber wie gesagt, Dreck ist viel schöner, wenn er in der Birne bleibt. Denn dann kann man drüber schreiben - wie zum Beispiel David Foster Wallace.