In der Burgtheater-Beifallsbrandung

Wien, 9. Januar 2010. Autsch, was für ein Abgang. Beim Premierenapplaus zu seinem "Richard II.", als Claus Peymann wieder abgehen wollte, ist er gegen eine Wand gelaufen. Hat ein schwarzes Bühnenelement in der Wand mit einer Tür verwechselt, im schwarz-weißen Achim-Freyer-Bühnenbild.

Aber nichts Schlimmes ist passiert, so eine Lappalie konnte dem Umjubelten an diesem Abend nichts anhaben, hat sein Sympathiekonto nur noch ein bisschen weiter wachsen lassen.

"Ich bin ja auch nur ein Mensch"

Denn menschlich ist's, dass man geblendet wird von Scheinwerfern, aufgeregt ist am Premierenabend, und bei einem so überwältigenden Applaus vielleicht sogar ein wenig durcheinander gerät.

Claus Peymann wird in Wien derzeit sehr herzlich aufgenommen, man ist ihm offenhörlich dankbar für seine Intendanz- und Lebensleistung, schwelgt in Nostalgie. Kaum betritt er eine (bzw. "seine") Bühne, machen die Zuschauer ihr rhythmisches Geräusch mit den Händen. Am Neujahrsabend etwa, als er Thomas Bernhards "Claus Peymann kauft sich eine Hose" gab, wurde einem im Akademietheater so warm ums Herz, dass man sich eine Woche zurückversetzt fühlte: es war wie unterm Weihnachtsbaum.

Jeder Auftritt von Peymann wurde mit Applaus, jeder Witz mit lautem Lachen quittiert, und Bernhards Stück steckt ja voll Komik, voll wunderbarer Nörgeleien, die nach allen Seiten austeilen und zugleich so selbstironisch sind. Ich habe die Inszenierung nicht zum ersten Mal gesehen, aber der Wiener Auftritt hatte wirklich was besonderes, weil Aura des Ortes und Aura der Darsteller so rührend (fast rührselig) zusammenfielen, dass Gegenwart und Vergangenheit hier Walzer tanzten.

"Ich bin in die Burgtheaterfalle gegangen"

Das ist schon charmant, wenn Peymann und Herrmann Beil, die ins Alter gekommenen, aber noch so aktiven, dem treuen Publikum (altersmäßig übrigens sehr durchmischt) nochmal vorspielen, wie alles begonnen hat in Wien, damals. Ein Blättern im Familienalbum.

Um die Burgschauspieler zu beschäftigen, fiel Peymann damals ein: "Die stecken wir alle in einen großen Shakespeare." Und an anderer Stelle heißt es bei Bernhard: "Einerseits diese passende Hose, andererseits Richard III. im Kopf". Nun macht Peymann "Richard II.", macht neu aus alt. Im Jahr 2000 hat er diesen Shakespeare in der sehr klaren, sprachmächtigen Übersetzung von Thomas Brasch am Berliner Ensemble inszeniert, nun aktualisiert er ihn in Wien: mit einigen Umbesetzungen und neu gestalteter Bühne.

Drei Stunden wird über Macht und Ohnmacht, Treue zum König, zu den Gesetzen oder der eigenen Familie gestritten. Aber obwohl Königin Isabel bei allen schlechten Nachrichten so herrlich schön in Ohnmacht fällt: Das berührendste an diesem Abend war der Schlussapplaus. Wie lange und durchchoreographiert sich erst die Schauspieler verbeugen – gemeinsam, in Grüppchen, und einzeln – ehe die "Schwarzen" dazustoßen.

"Das Theater ist eine einzige Ausweglosigkeit"

Und wie der Applaus dann anschwillt, die Bravo-Rufe aus allen Rängen tönen – ein beeindruckender anschwellender Beifalls-Gesang. Im zweiten Rang, wo ich gesessen habe, waren während der Vorstellung Zuschauer eingeschlafen, andere gegangen. Beim Schlussapplaus aber ist das ganze Theater hellwach, man zollt seinem Peymann Respekt und Anerkennung, man jubelt. Als bekäme er gerade den Oscar, Nestroy oder Bernhard für sein Lebenswerk.

Und er? Genießt. Begnügt sich nicht mit einem Vorhang, sondern kommt noch mehrfach raus. Überraschender Weise wirkt das sogar bescheiden: er wird von den Schauspielern gedrängt und gezogen, verkrümelt sich hinter der Darstellerreihe, und versucht, schnell wieder abzugehen – nur ist dabei die Tür dann eben keine. Der elegante Abgang liegt Claus Peymann wohl nicht so.

Der Auftritt aber sehr. Man glaubt die Akklamationen schon abgeebbt, die ersten Zuschauer haben längst die Winterjacken an, da kommt Peymann noch einmal raus, ganz allein. (Die Schauspieler folgen natürlich bald hinterher). Und nochmals wächst die Beifallswelle an, die tsunamiartige Beifallsbrandung. Da steht er, auf der Bühne seines Burgtheaters, und bekommt Balsam gespendet von den gewogenen Wienern. Wahnsinn.

"Wo Peymann arbeitet, ist das beste Theater der Welt"

In Shakespeares Stück riskieren viele Figuren ihr Leben, aber die Gefahren und Nöte bleiben in Peymanns Inszenierung eher Behauptung, werden immer wieder verwitzt oder verschrien, existentielle Anliegen oft mit peinlichem Pathos vorgetragen. Viel echter, interessanter scheint es da, wie sich die Theatermacher selbst den Risiken ihres Berufes, den Bravos, Buhs und Kritiken aussetzen.

Als die Schauspieler zum Einzelapplaus antraten, löste das größere Emotionen aus als die gesamte Inszenierung. Und am stärksten galt das natürlich für den Auftritt des ehemaligen Herrn Direktor: für Peymann, der so viel austeilt und so viel einsteckt, der so arrogant-herablassend sein kann und dann doch wieder so sympathisch, so rührend liebesbedürftig wirkt, während er den herzlichen Beifall der Wiener genießt. Allein für diesen Applaus, für diese Emotionen hat sich der Premierenbesuch gelohnt.

(Stefan Bläske)

 

Die Zwischentitel sind Zitate aus Thomas Bernhards Dramolett "Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen".

 

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