Wenn junge Leute räubern gehn

von Irene Grüter

Basel, 14. Januar 2010. "Sprechen wir über ihr Engagement in den Schwellenländern, Herr Moor." Die Moderatorin schlichtet lächelnd, doch es hilft nichts, das Familienunternehmen ist in der Krise. Die Moors, in der Chemiestadt Basel als Pharmazeuten-Dynastie gezeichnet, zerstreiten sich vor laufender Kamera. "Wir müssen handeln", ruft Karl Moor und fordert eine neue, ethische Ausrichtung der Firmenstrategie. "Richtig", setzt der Vater säuerlich nach, "wir müssen handeln. Mit China, Indien, Pakistan."

Idealismus gegen Kapitalismus - auf diese Formel bringt Simon Solberg Schillers Räuber. Die sitzen mit Karl im Keller der Moorschen Villa, die sich hoch- und runterfahren lässt, und klagen die "Kastratengesellschaft" an. Mit Sonnenbrille und Rappermütze singt der Räuberhauptmann, mit der Aura eines aufmüpfigen Gymnasiasten, das Lied von der "vergifteten Gesellschaft" und gefällt sich bei der Systemkritik. Genau das wirft ihm Franz, sein ungeliebter Bruder, vor: Ist es nicht einfach, auf links und kritisch zu machen, wenn man ein Pharma-Vermögen im Hintergrund weiß?

Volldepp tötet Teddybär

Radikale Rebellion gegen die gesellschaftliche Ungerechtigkeit und ein System, das seine Kritiker nicht ernst nimmt - eine Konstellation, die unweigerlich in die Gewaltspirale führt. Dieses Spannungsfeld wäre eine interessante Ausgangslage für die Geschichte der ungleichen Brüder, wenn die Regie ihre Figuren denn ernst nehmen würde. Doch von der inneren Zerrissenheit, die sie bei Schiller antreibt, ist hier kaum noch etwas zu spüren. Karl kauft man seine Zweifel in keinem Moment ab, und Franz wird allein durchs Kostüm schon zum Volldeppen verdammt: Im Pullunder, weiß wie seine Kniestrümpfe, über der Schulter das Set mit den Golfschlägern, so streift er durch die elterliche Villa, erhängt seinen Teddybären mit dem Telefonkabel und spinnt, übers Terrarium gebeugt, seine Intrigen, während der alte Moor im Nebenzimmer fette Zigarren schmaucht.

Symbole wie Zaunpfähle. Den Zeigefinger wird die Inszenierung nicht mehr los. Der Vater erfährt aus dem "Blick", der Schweizer Boulevardzeitung, von Karls Bandenbildung, die Räuber feiern sich im Untergeschoss mit Songeinlagen, kochen gemeinsam in der Kommunenküche, und überm Kühlschrank hängen Zettel mit Empfehlungen wie "beim Bauern kaufen". Türkenslang durchsetzt das Räuberleben, Alltagssprache prallt auf Schiller. Das hat Tempo und könnte reizvoll sein, wenn die Sprache wirklich Raum bekäme. Doch jeder Monolog wird mit Musik zugekleistert, Trauer trieft vor Geigenschwere, Wut pulsiert mit harten Beats. Je tiefer das Gefühl, desto näher geht die Kamera an die Gesichter, verwackelt die Videobilder in der Simultanprojektion.

Terror-Amalia mit Sprengstoffgürtel

Irgendwann brennt die Stadt, und Amalia ist Gudrun Ensslin. Karls verlassene Liebe, die sich anfangs noch im Deuxpiece um den Moorschen Haussegen bemüht, stößt blond und mit Sprengstoffgürtel zu den Räubern. - Der Rest ist nicht mehr Schiller und doch voraussehbar. Helikoptergeknatter, Kalaschnikows, die Räuber, vom Staat in die Enge getrieben, zerstreiten sich, doch für den Ausstieg ist's zu spät. Die Nummernshow wird zum Showdown.

Die reichsten Schweizer werden namentlich genannt, auch Afrika und Aids sind Thema, die Basler Oberschicht bekommt ihr Fett weg. Brauchen wir wirklich so viele Direktzitate um zu kapieren, dass Schillers Stücke nicht von gestern sind? Engagement in Ehren - es kann auch ganz schön eitel sein.

 

Die Räuber
von Friedrich Schiller
Regie: Simon Solberg, Bühne: Simeon Meier, Kostüme: Sara Kittelmann, Video: Christoph Menzi, Dramaturgie: Ole Georg Graf. Mit: Urs Bihler, Lorenz Nufer, Martin Hug, Marie Jung, Andrea Bettini, Özgür Karadeniz, Florian Müller-Morungen, Jan Viethen.

www.theater-basel.ch

 

Auch über Simon Solberg finden Sie Basisinformationen und Links zu anderen Nachtkritiken im Glossar.

 

Kritikenrundschau

Christine Richard schreibt in der Basler Zeitung (16.1.2010): "Dies ist eines jener Spektakel die sich gratis im Supermarkt Zeitgeschichte bedienen, Menschentragödien verwursten und in ein bekanntes Theaterstück stopfen bis es platzt. Abfall für alle." Solberg raube Schillers Räubern ihre "ureigene" Sprachkraft. "Hoppla, jetzt knallt's. Jux und Ballerei. Und immer Musik, damit der Zuschauer weiß, was ... er zu fühlen hat." "Hybridkultur aus Versatzstücken. Abwechslungsreich, aber arm an innerer Dramatik." Das sei für eine "Comedy zu lahm gespielt, für eine Tragödie zu lau gefühlt". Dabei ginge es nicht darum die "verschimmelte Polemik gegen das Regietheater nachzumümmeln". Die "Herausforderung" sei, aus den Figuren heraus, ein "modernes Neurosenprofil" zu erspielen. Menschen, die "packend sind, beissend, eklig, witzig, berührend oder verspielt bis zur Selbstauflösung." Stattdessen gespielt werde "die Geburt der Revolte aus dem Geist der Sendung mit der Maus".

"Nachhaltige Theaterkost schmeckt anders," schreibt Bettina Schulte in der Badischen Zeitung (16.1.). Zwar habe "Solbergs Bande" geplündert und gefleddert, gebrandschatzt und vergewaltigt, "bis kein Textstein mehr auf dem anderen blieb" und man könne das eine radikale Aktualisierung nennen: "Die Fürsten von damals sind die Vorstandsvorsitzenden von heute, die romantisierten Außenseiter in den Wäldern von damals die anarchischen Grafittisprayer und Greenpeace-Aktivisten von heute." Doch Solbergs "Raubkopie" erntet bei der Kritikerin schließlich nur ein belustigtes Achselzucken. "Es lohnt vielleicht, darüber nachzudenken," räumt sie ein. Auch funktioniert die Aktualisierung des Stoffs am Beginn der zweistündigen Inszenierung für sie zunächst erstaunlich gut. "Doch dann verspielt der Regisseur die politischen Möglichkeiten seines Ansatzes in der Überfülle an szenischen Einfällen und Effekten."

Simon Solberg geht den "häufig begangenen Weg der Aktualisierung" so "lustvoll wie radikal", schreibt Alfred Schlienger (NZZ, 16.1.). Er lasse Vater Moor und seine Söhne Franz und Karl über "globale Unternehmehmensstrategie" diskutieren und entwerfe dabei einen "zeitgemäßen Diskurs", der "einem Schiller heute durchaus einfallen könnte". Dass der unterlegene Karl aber "von der Chefetage gleich in die Rebellenkluft wechselt", darüber dürfe man nicht so lange nachdenken. Ums Nachdenken gehe es auch gar nicht, wenn man diesen "Rebellen im Untergrund" zuschaue, es gehe um "Slapstick pur, rasant, witzig, gut gemacht". "Wir lachen uns gerne krumm, auch wenn der Ernst der Anliegen dadurch denunziert wird: So sind wir halt." Im "Dauerbeschuss der Einfälle" gehen "die feinstofflichen Regungen der Figuren etwas verloren." Zu untersuchen, "wo die Inszenierung vom Original abweicht, ist aber ein vielfältiges – und nicht unernstes – Vergnügen".

"Ob unten irgendwann wieder Räuber hausen werden?", fragt Nikolaus Cybinski in der Basellandschaftlichen Zeitung (16.1.). "Nach Schillers Geschichtsverständnis keine Frage", antwortet er. Insofern ist Solbergs "raubkopierende" Bühnenfassung stimmig. Sie hat sich "bewusst vom Original entfernt", ist zugleich jedoch "inhaltlich und, sehr schön, sprachlich punktuell" darauf zurückgekommen. "Zwei Stunden irres Theater" ergebe das, "voller kraftstrotzender Vitalität". Ein "geglückter" Versuch: "Simon Solbergs Regie beschönigt nichts, aktualisiert in dem Maße, dass das Stück ein Ärgernis bleibt, und seine Schauspieler beweisen, dass noch ein skelettierter Schiller jeden Einsatz lohnt".

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