Presseschau vom 28. Januar 2010 – Christoph Schlingensief über René Polleschs Ich schau dir in die Augen ...

Der Raum muss seine Körper lieben

Der Raum muss seine Körper lieben

28. Januar 2010. Ob des ungebrochenen Interesses an René Polleschs neuestem Abend Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang! soll nicht versäumt werden, auf den Schlingenblog-Eintrag hinzuweisen, den Christoph Schlingensief nach Besuch der Pollesch-Premiere verfasste. Er schreibt darin über den "überwältigend schönen" Raum von Bert Neumann und über sein Zuschauglück angesichts eines Fabian Hinrichs – "an diesem abend stimmte wirklich alles!"

Als er "nach fast 3 jahren abstinenz" die renovierte Volksbühne besuchte, habe Bert Neumanns Raum auf ihn "überwältigend schön, beruhigend, anmachend und wahrhaftig", schreibt Christoph Schlingensief in seinem Schlingenblog (14.1.).

Dieses Haus habe "mit seinen durchhalteparolen schon seit ewigkeiten" den "immensen druck (...) des: ich mach dich fertig" ausgeübt. "und ich dachte immer es lag an den angestellten. aber seit gestern abend weiß ich, dass das gebäude gesprochen hat. das gebäude wollte höchstleistung sehen, es wollte, dass etwas passiert, was woanders nicht möglich ist, weil der raum schon so toto und kaputt (...) alles kleinkocht und funktionalisiert. die volksbühne scheint aber tatsächlich ein lebewesen zu sein, dass er jetzt verstanden hat, dass es auch mal lieb sein muß, dass es um die liebe zu denen geht, die da auftreten. und wie der raum dann plötzlich mit fabian hinrichs verschmolzen ist, war ein großer moment". Angesichts der Kritiken, in denen "von zitaten, von auflösung von irgendwem und vorbildern, von glück, dass nicht so schnell geesprochen wurde" zu lesen ist, fragt sich Schlingensief, "warum theaterkritik so wenig chancen hat, einfach mal über die macht des raumes" zu schreiben, "über die luftballons zu schreiben, die plötzlich am boden feststanden, und dann wie von geisterhand anfingen zur gitarre ihren platz zu verlassen".

Froh ist Schlingensief auch, dass "dieser funktionalisierungswahn mit text, bedeutung, einfall und verwertung endlich mal als miese absprache zwischen uns und einem die welt in keinster weise beeinflussenden medium wie theater thematisiert oder besser: erlebbar macht, glaubwürdig und zart". Beeindruckt hat Schlingensief vor allem auch Fabian Hinrichs, "fast nackt, dürr, durchtrainiert und gesundgehungert", alles sei "plötzlich reiner raum-körper ... raum/zeit/körper ...." gewesen.

"danke, danke, danke! an diesem abend stimmte wirklich alles! Da habe ich richtig Lust bekommen auch mal wieder an die Volksbühne zurückzukehren, ... jetzt wo der Raum bemerkt hat, dass er seine Körper auch mal wieder lieben muß."

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