Felix Nussbaum - Johann Kresnik und Christoph Klimke über Leben und Tod eines Osnabrücker Künstlers
Panik, Ekel, Abscheu
von Heiko Ostendorf
Osnabrück, 30. Januar 2010. Diese Stadt ist seit Intendant Holger Schultze das
örtliche Theater übernommen hat, stets für eine Überraschung gut. Festivals, die bundesweite Anerkennung erhalten haben, wurden aus dem Hut gezaubert und talentierte junge Regisseure sowie namhafte ältere Spielleiter konnte das Theater Osnabrück in den letzten Jahren präsentierten. Dass nun kein geringerer als Johann Kresnik in dem Provinzstädtchen die Inszenierung der Uraufführung von Christoph Klimkes Stück "Felix Nussbaum" über den Osnabrücker Maler übernommen hat, überrascht gleichwohl.
Doch noch erstaunlicher ist das völlige Ausbleiben eines Skandals im Stile der Bremer "Zehn Gebote". Schließlich hatte das Theater schon früh in der örtlichen Presse nach Statisten gesucht, die nicht davor zurück schrecken, sich auf der Bühne nackt zu zeigen. Und selbst nach neunzig Minuten mit entblößten Schauspielern, Tänzern und Laien, Kunstkacke, einem Gummipenis und Gasduschen wollte sich eine Entrüstung über soviel Provokation einfach nicht einstellen. Am Ende waren nur wenige Zuschauer pikiert. Die meisten anderen verfielen nach einer kurzen Schockstarre in starken Applaus, der in stehende Ovationen mündete.
Erstaunliche Bildgewalt
Dieser Erfolg ist der großartigen Arbeit Kresniks zu verdanken, der aus dem stellenweise eher schwächeren, mit viel zu vielen biografischen Einzelheiten überfrachteten und hin und wieder aus zu pathetischen lyrischen Elementen zusammengebauten Text Klimkes eine erstaunliche Bildgewalt generierte. Ihm gelingt es unvergleichlich Schauspiel, Bühne und Tanz zu einer Einheit zu verbinden – was er den häufig als singuläre Ereignisse erscheinenden einzelnen Szenen allerdings leider oft versagt. Die Kindheit Nussbaums, die Ehe mit Felka und letztlich der Tod im Konzentrationslager wollen sich nicht zu einer Biografie vereinen.
Wer sich die Mühe gemacht hat, sich auf den Text zu konzentrieren, weiß nun, dass Felix Nussbaum als Jude in Osnabrück geboren, von den Nazis als entarteter Künstler abgestempelt und schließlich in Auschwitz ermordet wurde. Zwischendurch sind Felix und Felka nach Belgien geflüchtet, doch weiter wollte seine Frau nicht. Ein Gemälde Nussbaums, das das Paar zeigt, wird zum Motiv für diesen Theaterabend: Felix hat seine Hose geöffnet, Felka steht nackt neben ihm und hat ihren Fuß auf seinen gestellt. Dieses Bild soll angeblich zeigen, dass Felka die weitere Flucht und damit schließlich das Überleben Felix' verhindert hat.
Die Provo-Maschine Kresnik zieht an
Kresnik bringt diese Szene quasi eins zu eins auf die Bühne. Felix Nussbaum, gespielt vom aus Kino und Fernsehen bekannten Gast Matthias Walter, reißt seiner Angetrauten die Kleider vom Körper, öffnet seinen Hosenbund und stellt ihren Fuß auf seinen. Doch gerade als das Stück in solchen biografischen Feinheiten zu verlieren gehen droht, zieht die Provo-Maschine Kresnik an. Ein KZ-Aufseher zwingt Insassen zu einer zynischen Revueeinlage, später wird er mit einem Kollegen das Ehepaar Nussbaum mit Hilfe von Pisse und mit Exkrementen beschmierten Tora-Rollen demütigen.
Steffen Gangloff und Laurenz Leky haben keine Scheu, diese beiden Nazis als absolut perverse Schweine zu zeigen, als sie mit den nackten Insassen im Schlamm toben, als wären diese Menschen nur ihr Spielzeug. Aus dem überragenden Ensemble überrascht aber am meisten die junge Schauspielerin Andrea Casabianchi, die Felka Nussbaum als starke aber verletzliche Persönlichkeit zeigt. Neben ihr ist Matthias Walter in der Titelrolle ganz verspieltes Kind, verstörter Künstler und leidendes Opfer – ohne in eines der Extreme abzugleiten.
Ort des Mitfühlens
Am Ende strömt aus den aufgestellten Duschen statt Wasser Dampf. In dieser letzten halben Stunde erreicht Kresniks Aufführung ungeheure Intensität. Natürlich kann man die perversen Entwürdigungen, die Juden in den Vernichtungslagern erfahren haben, nicht nachempfinden. Aber Kresnik schafft es, das Theater zum Ort des Mitfühlens werden zu lassen. Panik, Ekel, Abscheu, Traurigkeit und Verlorenheit schleichen sich mit den Gasschwaden ihren Weg von der Bühne ins Parkett.
Entsprechend lange brauchten die Zuschauer, bis sie sich nach dem Vorhang vom Gesehenen erholt hatten und applaudierten.
Felix Nussbaum
von Christoph Klimke
Regie, Bühne, Choreografie: Johann Kresnik, Kostüme: Erika Landertinger, Musik/Sound-Design: James Reynolds, Dramaturgie: Tobias Vogt.
Mit: Matthias Walter, Andrea Casabianchi, Laurenz Leky, Steffen Gangloff, Friedrich Witte, Oliver Meskendahl u.a.
http://theater-osnabrueck.de
Das bewährte Duo Johann Kresnik und Christoph Klimke setzte sich in ihrem Künstlerporträt Maestro im November 2008 in Salzburg mit der Nazi-Biografie des Star-Dirigenten Herbert von Karajan auseinander.
Kritikenrundschau
Der Autor Christoph Klimke erzähle im jetzt am Theater Osnabrück uraufgeführten Stück "Felix Nussbaum" dessen Leben, "viel mehr allerdings nicht", schreibt Stefan Lüddemann in der Neuen Osnabrücker Zeitung (1.2.2010): Eine "neue, überraschende Sicht auf Nussbaum" erschließe sich nicht. Es beeindrucke jedoch "vor allem die grandiose Bühnensprache" Johann Kresniks, des "Altmeisters eines selbst entworfenen und bis heute intensiv gelebten Theaterstils". Diese Bühnensprache verdanke sich "vor allem zentralen Gemälden Nussbaums, deren Motive in Bewegungstheater übersetzt scheinen. (...) Selbstporträts, Totentänze, Straßen- und Hafenszenen erwachen nun zu genau dem Leben, das sich Nussbaum selbst für seine Kunst gewünscht hat." Die Inszenierung sei eine "Lebensbeschreibung als bizarre Zeitgeistrevue, die Kresnik von Anfang an unter das Gesetz bissiger Karikatur und frei kombinierender Montage stellt". Kresnik setze aber auch "ein schockierendes Schlussbild, indem er den Tod in der Gaskammer selbst darstellt" und fessle Nussbaum so "auch neu an sein Schicksal als Opfer – jenen Künstler, der vor allem als Maler wahrgenommen werden wollte".
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Die Inszenierung enttäuschte maßlos, der Regisseur feierte allein sich selber, Nussbaum muss sich bei all dem narzistischen tamtam hinten anstellen. Geht es hier nicht in erster Linie um einen Maler? Wie kann man da derart anmaßend sein, und seine Bilder allein durch den eigenen Regiestil zeigen? Einzig ein Bild war zu sehen - es ist doch aber nicht dasselbe, ein Bild sinnbildlich zu zeigen. Zudem hat Kresnik seine Regie-Panade definitiv zu dick aufgetragen. pathetischer und theatralischer ginge es kaum noch. So überbordend und laut versucht Kresnik seinen Stil ans Publikum zu bringen. Nicht aber den Maler Felix Nussbaum, denn abgesehen von einem gehörigen Schwall an psychotischer Panik kommt leider nicht viel Wesentliches über den Maler rüber.
Den starken Applaus habe ich nicht vernommen, eher ein zögerliches, wenn auch langes, Geklatsche, das einzig bei den Hauptdarstellern intensiver wurde. Die Standing Ovations gab es allein von Mitarbeitern des Theaters. Welch Überraschung.
Wo "Anonym" recht hat, hat er recht.
Die Bilder Felix Nussbaums in Leibsprache und Sprechkörpern eindringlich werden zu lassen, seine innere Zerspanntheit zwischen Dunkelheit und Auflichten in seinem Leben auszusprechen, es war ein Versuch des Ensembles - ein gelungener Versuch des ganzen Ensembles! Seine Bereitschaft und Darstellungstiefe hat die Texte Christoph Klimkes ausdrucksstark werden lassen. Matthias Walter und Andrea Casabianchi haben besondere Akzente dabei gesetzt.
Sicher war größere Tiefe im Ablauf des Stückes jenen Zuschauern beschieden, die zuvor die Bilder im Museum wahrgenommen haben. Wer das Programmheft liest, bemerkt das Zusammenspiel der Kräfte, die mitgewirkt haben: Museum und Tanzensemble, Schaupiel und Musiker, Museum und Bürger. Und das hat das Theater ausgemacht!
Kresniksche Selbstplagiate haben nur unwesentlich gestört.