Elternzeit

von Tomo Mirko Pavlovic

Das Stück spielt in der Gegenwart. Es geht um Marie und Jo, ein Paar im besten Alter mit besten Aussichten und besten Kontakten. Schick ist die Wohnung, fein ihre Lage. Das Haus mit Garten ist dennoch bereits in Planung – Klein-Sebastian soll es dereinst noch besser haben. Und Marie will ihre Mutterschaft in Dichtung ausleben: Auf ihr Märchen von Prinzessin Gundi hat die Menschheit gewartet, zumindest der Kinderbuchverlag. Die diplomierte jugoslawische Putzfrau darf sich ihre ewigen Kriegsgeschichten von der Seele wienern, der reiche Schwiegervater beim Babysitten endlich sein Humankapital investieren und Jo als Key Account Manager das Geld herbeischaffen. Und zwischendurch wird in Kultur gemacht. Alles bestens eigentlich. Aber dann. Dann kommt erst Maries Hippie-Mutter vorbei und danach ein Brief aus dem Buchverlag.

In der Szene, die wir mit freundlicher Genehmigung des Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebes hier vorab veröffentlichen, ist die Mutter gerade eingetroffen.



Jo geht aus dem Zimmer. Man hört ihn bald aus dem Babyphon, wie er das Kind liebevoll tröstet.

MARIE: Mutter, was machst du hier?

MARIES MUTTER: Ich war gerade in der Gegend. Und könntest du mich bitte mit meinem Vornamen anreden? Wie oft muss ich dir das noch sagen? Seit du mit diesem BWL-Kretin zusammenlebst, hast du alles vergessen, was uns beide verbindet. Du trägst Dessous. Du sagst Mutter zu mir. Du hasst meine Hunde.

MARIE: Ich trage diese prickelnde Unterwäsche, damit ich von meinem müder werdenden Ehemann nach Feierabend wahrgenommen werde. Ich nenne dich nicht mehr bei deinem Vornamen, weil du nicht meine Freundin bist. Ich hasse deine Hunde, weil sie dreckig sind und alt und krank und ein Symptom deiner akademischen Frustrationen. Ich habe den lahmenden Adorno gehasst, ich hasste den blinden Marcuse und diese Töle hasse ich auch, weil sie meinen schönen, teuren Boden vollsabbert. Und noch etwas: Ich benütze eine Anti-Falten-Creme! Das gibt dir den Rest.

MARIES MUTTER: zum Hund Komm her, Habermas, dich kann wohl keiner mehr leiden, nur die Putzfrau und ich, wir haben dich gern, nicht wahr?

Aus dem Babyphon ein Jauchzer

MARIE: Kannst du nicht vorher anrufen? Wir gehen aus. Gleich kommen seine Eltern. Wir bereiten uns schon den ganzen Nachmittag seelisch auf ein wichtiges Event vor. Nach der beschwerlichen Zeit des Austragens will ich jetzt wieder aktiv mit guten Freunden am Kulturleben teilnehmen. Die aufregende Stadt pulsiert bereits.

MARIES MUTTER: Ich rufe nicht an. Ich bin eben spontan. Nicht so spießig wie du. Ich besuche meinen Enkel Sebastian, wenn’s mir passt, kapiert.

MARIE: Merkst du nicht, wie du nervst?

MARIES MUTTER: Überhaupt: Ich habe den Eindruck, dass du mit diesem Kind nicht klar kommst. Ohne die Eltern deines Ernährers geht hier wohl nix voran. Putzfrauen. Maschinen. Du machst dich total abhängig.

MARIE: spricht anfangs aggressiv, später dozierend und sachlich, während sie sich langsam anzieht; Marie sitzt dann vor dem Spiegel, schminkt sich, kämmt das Haar; die Mutter hört nur zu Verschone mich mit deinem postmaterialistischen Geschwätz. Deine Zeiten sind vorbei. In diesen Augenblicken trennt sich die Spreu vom Weizen. Und ich will auf der Gewinnerseite sein. Ein neues Bewusstsein macht der Beliebigkeit ein Ende. Jo und ich und alle anderen, die so sind und denken wie wir, haben eine Mission zu erfüllen: Wir sind auserwählt, um der schrecklichen Welt um uns herum ein letztes Lebenssignal zu geben.

MARIES MUTTER: Kürzlich standen zwei Zeugen Jehovas vor meiner Tür. Die haben auch so geklungen.

MARIE: Es ist nur der Anfang. Wir Frauen müssen uns auf unsere Stärken besinnen, das mag schmerzlich sein, hat aber auch Vorteile. Ich weiß nicht, was daran so erstrebenswert ist, als Frau jahrzehntelang ins Büro zu gehen und sich in den Tod zu schuften? Ist das die ersehnte Freiheit, die du mir seit meiner Geburt angepriesen hast?

MARIES MUTTER: hält einen Spitzenbüstenhalter in die Höhe Lieber verkaufst du dich in deinem häuslichen Separée als Afterwork-Hure?

MARIE: Macht? Karriere? Ich bitte dich, Geld verdienen ist echt hart und macht dumm und faltig. Und wer hier die Nutte ist, kann ich dir sagen. Wenn er mal einen hochbekommt, dann bumse ich eben mit meinem Mann. Jetzt frage ich dich: Wie viele sind über dich drübergestiegen, bis du endlich deine Professur hattest? Mach mir nichts vor, Mutter. Die schlappschwänzigen Herausgeber, Redakteure, Verleger, Dekane und Dozenten, alle hast du ran gelassen – für einen Aufsatz, für eine Einladung zu einem Kongress, für einen Vortrag. Du Flittchen.

MARIES MUTTER: Ich habe es freiwillig getan. Ich habe mir meine Sexualpartner stets frei und willig ausgesucht.

MARIE: Ach, hör doch auf mit deinem Unabhängigkeitsscheiß. Du wärst doch damals nie im Leben mit deinem Prof ins Bett gehoppelt, wenn er dir nicht die Assistentenstelle verschafft hätte. Das hast du doch selbst erzählt. Hast du das vergessen?

MARIES MUTTER: Ich hätte es bestimmt auch ohne seine Hilfe geschafft. Er war mein Doktorvater. Und ich hatte dich. Da war kein Ehemann, keine Putzfrau, keine Schwiegereltern. War nicht einfach. Außerdem war ich verliebt in ihn. denkt kurz nach Ja. Ganz bestimmt. Das war Liebe.

MARIE: lacht Ja, bestimmt.

MARIES MUTTER: Ich war oft verschossen in kluge, auratische Männer. Manchmal bedeutet Liebe Freiheit. Oder Hingabe. Das ist der Unterschied zu deiner Kaltschnäuzigkeit.

MARIE: Niemand ist frei. Am allerwenigsten die Frauen, die lieben. Ich liebe den Jo nicht, wozu auch? Liebe macht blöd und unfrei. Trotzdem respektiere ich seine Rolle als Vater und Ehemann und Konsument.

MARIES MUTTER: Du machst mir Angst, ehrlich.

MARIE: Ich bin ein neuer Typus Frau, der die Realitäten anerkennt. Wir sollten lieber Talente fördern und im Hintergrund die Strapse ziehen. Charity, Erziehung, Creative Writing. Was ist schon dabei? Was gilt schon eine intelligente Frau ohne einen Gutverdiener an ihrer Seite? Schau dich doch an? Will ich so enden wie du, habilitiert, allein lebend, mit Hund, Vibrator und einer Phalanx aus welken Büchern? Wann war dein letztes Wellness-Weekend? Wie siehst du überhaupt aus?

MARIES MUTTER: Du solltest dir bei der nächsten Ölung unbedingt mal dein reaktionäres Gehirn massieren lassen. Es ist ja völlig verkrampft.

MARIE: Natürlich will ich keine Hausfrau sein, nur das nicht. Es geht um etwas drittes, eine Alternative. Unser Sohn soll es schließlich einmal besser haben als wir. Das Kind ist ein wichtiges Projekt. Der Sebastian soll sich nicht abmühen müssen in schlechten Schulen und Universitäten. Er soll lieber auf direktem Wege in die besseren Kreise hineinwachsen, wo ihn wohlwollende Netzwerke vor einem eventuellen Absturz sichern. Er wird Karriere machen und große Geschäfte tätigen. Liebe und Strenge werden unser Land wieder nach vorne bringen. Und da müssen alte Zöpfe fallen. Was hilft uns deine Emanzipation, wenn nur noch die Degenerierten Kinder auf die Welt bringen. Verstehst du eigentlich, was du und deine Revoluzzer diesem Land angetan habt? Ich weiß noch, wie du mir irgendwann das Wort Elite verboten hast. Ich wollte auf ein Internat gehen, ich hatte mir das gewünscht, ich wollte weg von dir und deinen Männerbekanntschaften, von deinen lila Frauenzirkeln und nächtelangen Laberrunden. Ich wollte eine Mutter haben, die nur mit einem einzigen Mann ins Bett geht, der zufälligerweise mein Vater ist und nicht mit dem halben Lehrkörper der germanistischen Fakultät. Meine Freundinnen hatten Papis, die sie zum Ballett brachten, ich hatte nur deinen verschwitzten Doktorvater, der mich fragte, ob ich mal mit ihm duschen will. Ich wollte weg von dir und deiner Paranoia, überall hast du Faschisten, Chauvinisten und Kapitalisten gewittert. Alles hast du schlecht gemacht. Ich wollte Tennis spielen. Ich wollte auch einmal an Weihnachten in die Kirche gehen . . .

MARIES MUTTER: Du hast nie an Gott geglaubt.

MARIE: Na und? Stattdessen hattest du mir eine Karte für ein Gospel-Konzert geschenkt. Immer sollte ich an irgendwelche Minderheiten denken. Du hast mir die Begriffe Asozial und Elite verboten, ich habe längst vergessen, warum. Ich finde, es klingt sehr schön, dieses Wort. Elite.

Marie ist fertig, betrachtet sich noch einmal im Spiegel, wirkt halbwegs zufrieden.

MARIE: So, das war’s. Ich hab jetzt keine Zeit mehr für Diskussionen. Du weißt: Du bist jederzeit willkommen, wenn du bereit bist, dich einzubringen und deine Großmutterpflichten anzunehmen. Das würde mir helfen und im Übrigen auch dich aus deiner emotionalen, egoistischen Sackgasse führen. Ich begleite dich und deinen Köter noch zur Haustür.

 

Die Uraufführung von Elternzeit findet heute, am 18. Februar 2010, im Südthüringischen Staatstheater Meiningen statt; Regie führt Meike Niemeyer.

2007 wurde Tomo Mirko Pavlovic' Der alte Sänger und ich haben Liebe gemacht am Staatstheater Darmstadt uraufgeführt; einen Auszug aus diesem zum Stückemarkt des Berliner Theatertreffens 2006 geladenen Stückes finden Sie hier.

Kommentare  
Elternzeit: aus der Fernsehdose
herr, hab erbarmen mit uns und gib und endlich, endlich wieder gegenwartsdramatik, in der es nicht um kinder oder wohlstandsfeeling geht. diese ewige nora-ostermeier-berlinmittelofft-schiene. wir wollen endlich wieder theater und nicht diesen gefühlsbrei aus der fernsehdose!
Elternzeit: so ein fieser Kerl
liebe redaktion: da kündigt man großen herzens die uraufführung eines kollegenstückes an und veröffentlicht auch noch einen auszug aus dem text - und dann kommt gleich so ein fieser kerl daher und redet den auszug schlecht.
das wurmt sicher, kann ich verstehen. aber meinen beitrag deshalb gleich gänzlich zensieren und löschen? weil ich dieses geschreibe zum anlass nehme, meiner laune auf die gegenwartsdramatik luft zu machen?

von ihnen hätte ich aber mehr erwartet. traurig, aber auch augen öffnend.

Ach, werter Prospero, geht es nicht eine Nummer kleiner? Wieso denn gleich der Schlachtbegriff Zensur, nur weil ein Kommentar nicht sofort online steht?
Geöffneten Auges grüßt Sie: die Redaktion/Dirk Pilz
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