Im Bann des Blümchenmusters

von Ute Grundmann

Magdeburg, 20. Februar 2010. Man kann die Hände noch so heftig waschen, die Finger und das Gewissen werden nicht wirklich rein davon. Das wußte schon Lady Macbeth. Und so schrubben auch die Herren Lenglumé und Mistingue ihre Hände plantschend in der Waschschüssel. Zwar haben sie kein Blut, sondern nur Kohlenstaub an den Fingern; aber da sich Herren der feinen Pariser Gesellschaft gewöhnlich nicht in Kohlenkellern herumtreiben, bleibt die Frage, wo kommt der Schmutz her? Und dann sind da noch ein Damenschuh und ein Häubchen...

Das ist die Ausgangssituation in Eugène Labiches 1857 spielender Komödie "Die Affäre der Rue de Lourcine", die Herbert Fritsch im Magdeburger Schauspielhaus inszeniert hat. Ihm gelingt ein wunderbar klamottig-komischer Auftakt: Durch den roten Vorhang zockeln drei scheußlich geblümte Bettbezüge (in denen natürlich die Schauspieler stecken), die sich mit Buh-Rufen erschrecken und dann ins Wohnzimmer der Lenglumés führen. Hier wiederholt sich das Alptraummuster: Blümchen überall, an den Wänden, auf Tisch und Stühlen.

Das verräterische Indiz

In dieser Karikatur bürgerlicher Wohlanständigkeit kommt Lenglumé (Bastian Reiber, in grüner Trainingshose und künstlichem Schmerbauch unterm Unterhemd) verkatert zu sich. Was war, weiß er nicht, wohl aber, was er hört: Schnarchen aus seinem Bett. Und da spielt Reiber Schrecken und wohligen Schauer in einem: Er werde doch wohl keinen Mann abgeschleppt haben, fürchtet und phantasiert er gleichzeitig. Genauso doppelbödig dann das Aufeinandertreffen mit dem Schnarcher: Mistingue (Jonas Hien) und Lenglumé spielen sich (und dem Publikum) pantomimisch vor, was sie voneinander halten würden, könnten sie sich nur an die letzte Nacht erinnern.

Auf diesem schmalen Grad zwischen Komik und Klamotte bewegt sich Herbert Fritschs 75 Minuten kurze Inszenierung lange Zeit souverän, auch wenn sie mehr auf Typen und Karikaturen als auf genau gezeichnete Figuren setzt. Da ist der schmachtend-schmollend-schwule Diener Justin (Frank Benz), der Schürzchen zum Lederoutfit trägt und sich wie auf dem Catwalk bewegt, als würde ihn gleich jemand als Superstar entdecken. Und da ist Lenglumés Gattin Norine (Heide Kalisch), deren giftgrün-plissiertes Kleid signalisiert, als was sie sich entpuppen wird: als Hausdrachen. Sie bringt denn auch die Lawine ins Rollen, als sie beim Katerfrühstück aus der Zeitung vom Mord an einer jungen Frau vorliest, Kohlenstaub, ein Schuh und ein Häubchen spielen eine Rolle. Wunderbar, wie da der alkohol-dumpfe Lenglumé das verräterische Indiz (ein Regenschirm) immer wieder ausspricht, bis endlich der Groschen fällt, dass es seiner sein könnte.

Überdeutlich serviert, zeigefingerhaft illustriert

Und ab jetzt geht bei den beiden Saufkumpanen (es bleibt unklar, wie gut sie sich wirklich kennen) die Angst um. Vor sich selbst (war ich fähig zu einem Mord?), vor dem anderen (was steckt hinter dessen, wenn auch ramponierter, Fassade?), vor den anderen (was wird man von mir denken?). Und schließlich: Zu Erinnerung und (Er)Klärung der vermeintlichen "Affäre in der Rue de Lourcine" wird man nicht kommen, wenn man nicht darüber spricht. Was aber, wenn alles nur Phantasie war und man sich dem anderen gegenüber lächerlich macht?

Die Komödie des Vielschreibers Labiche (mit wechselnden Co-Autoren verfasste er 175 Stücke) ist da ziemlich vielschichtig. Leider dreht Regisseur Herbert Fritsch die Schraube aber immer weiter in Richtung Klamotte. Da kommt die Nummer, wie man mit heftig zitternden Händen eine Schnapsflasche nicht aufkriegt und sie, als sie endlich am Mund ankommt, leer ist. Die Herren stecken die Köpfe nicht in den Sand, sondern in die Waschschüssel. Das Zittern, Zappeln, Zagen der vermeintlichen Mörder wird gerne so oft wiederholt, bis es auch in der letzten Reihe angekommen ist. Es darf auch gesungen werden, es gibt bajuwarische Klänge zum Mitklatschen und eine Minipolonaise durch den Saal. Phantasie, Nachdenken braucht der Zuschauer da nicht mehr, es wird ihm alles überdeutlich serviert. Und auch das Offensichtliche – die Brüchigkeit dieser vorgeblich feinen Gesellschaft – wird zeigefingerhaft illustriert.

Hinter den knallbunten Wandbehängen züngeln Flammen. Leider nimmt das Blümchenmuster keinen Schaden.

 

 

Die Affäre der Rue de Lourcine
von Eugène Labiche
Übersetzung und Fassung von Sabrina Zwach
Regie/ Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Ulrike Gutbrod, Musik: Ingo Günther, Dramaturgie: Heide Palmer.
Mit: Bastian Reiber, Jonas Hien, Heide Kalisch, Frank Benz, Axel Strothmann.

www.theater-magdeburg.de


Der Regisseur Herbert Fritsch ist auch Schauspieler und Medienkünstler, was genau im entsprechenden Glossareintag nachzulesen ist.

Kritikenrundschau

Die Saufkumpanen-Geschichte von Eugéne Labiches 1857 entstandener "Affäre in der Rue de Lourcine" sei "außerordentlich aktuell", meint Liane Bornholdt von der Magdeburger Volksstimme (22.2.2010). Herbert Fritsch habe auf der von ihm selbst geschaffenen Blümchenbühne einen "wirklich lustigen Tanz inszeniert", "in teilweise rasanter Geschwindigkeit, akrobatischem Slapstick, wunderbarer Mimik". Alle Katastrophen endeten schließlich "im Blümchenrausch und hinterlassen ein sehr amüsiertes Publikum".

Kommentare  
Fritschs Labiche: Angriff aufs Humorzentrum
Heute war die 2.Vorstellung und Herbert Fritsch spielte selbst, da ein Schauspieler erkrankt war! Das war ein Vergnügen! Ein Theatervergnügen auf hohem Niveau und das in Magdeburg, obwohl ich mich bei Sonne in die Nachmittagsvorstellung quälte! Klamotte war das nicht! Das war ein Angriff auf das Humorzentrum!
Fritschs Labiche: Komödie verboten
unterhaltung ist in deutschland böse. das theater ist gut. gute unterhaltung im theater ist der feind der intellektuellen. geprägt von adorno gibt es ein verbot im kopf von vielen theatermenschen. ich verfolge mit grossem interesse, die art und weise, wie komödien in deutschland besprochen werden. die labiche-inszenierung in magdeburg ist ja nicht eine, die auch auf dem kudamm spielen könnte, sie ist überdreht und bricht gesetze, theaternorm-gesetze, sie wagt etwas und dennoch bleibt in der art und weise der besprechung das gefühl, dass man sich mit unterhaltung auf dem theater immer ein bißchen schuldig macht. das ist schade, meine ich. mir hat die komödie gefallen. ich sehe aber auch gerne etwas anderes, ernstes, politisches, was auch immer, die mischung macht das theater aus. und in diesem wunsch nach vielseitigkeit war fritsch komödie eine echte entdeckung.
Fritschs Labiche: Potenzial im Komikkrampf verramscht
Das ist doch Schwachsinn. Man kann doch inzwischen nirgendwo mehr hintreten, ohne dass man in irgendwelche Comedy-Kacke tritt. Fernsehen, Theater, alle verrenken sich, um noch irgendwie komisch rüberzukommen. Sogar Tom Burow versucht sich in den Tagesthemen ab und zu an einem Witz. Ernst ist doch etwas komplett Unverkäufliches geworden. Das Theater ist doch auch längst vom neoliberalen Fernsehcomedy-Virus befallen, dieser Gattung für selbstzufriedene Analphabeten, die sich auf ihrer Couch daheim zu Tode amüsieren wollen. Fritsch hat Ansätze zu einer gewissen Anarchie in seinen Arbeiten, die eben diese Billigkomik vorführen und unterwandern. Leider aber gefällt er sich so sehr darin, dass da keine Entwicklung passiert. Auch Magdeburg fängt ja nur gut an und dann verrennt sich der Abend und steckt fest wie alle anderen: im Komikkrampf (oder der Krampfkomik). Hat man einen Abend gesehen, kennt man sie alle. Und das ist total schade, weil hier ein sehr origineller Künstler sein Potenzial verramscht.
Fritschs Labiche: wann ist Stil gut?
ich habe den abend leider nicht gesehen, aber andere von herbert fritsch und frage mich und auch sie, verporten, wann es gut ist, wenn ein künstler seinen stil gefunden hat und wiedererkennbar wird, wie christo, der immer was einpackt, oder castorf, der immer was auspackt, oder gosch, lösch, marthaler.....wie sie auch immer heissen, bei all diesen würde der satz stimmen, der sagt, wenn du eins gesehen hast, kennst du alle. also, was denken sie, wo ist der grad zwischen im-eigenen-feststecken und einen eigenen stil finden, entwickeln und behaupten?
Fritschs Labiche: Gespür für das Dazwischen
Ja, ist das nicht das Problem? Man trifft auf "Comedy-Kacke" oder bierernste Papp-Kunst - aber selten findet man gut gemachte Komik, ein Gespür für Humor ... deswegen habe ich auch schon lange keine gute Shakespeare-Inszenierung gesehen. Entweder setzt man mir fades Deklamationstheater vor, oder Bruhaha-Komik mit dem Holzhammer. Ein Gespür für das Dazwischen finde ich selten.
Fritschs Labiche: Comic und Komik (und Sprechblasen)
Ich habe den Zusammenhang zwischen Komik und Comic bei Fritsch deutlich gesehen und das hat mir gefallen, weil die Wortnähe für mich erstmals so auf der Hand lag. Selbstverständlich ist Asterix auch keine tiefe Figur und macht auch keine Entwicklung durch und die Geschichten sind ja auch eher der gute Rahmen, aber man liebt zu sehen, wie der kleine Gallier vom Zaubertrank nascht und mit einem lauten "WOOOM" explodiert und man liebt, dass der Barde nicht singen kann ... etc... und so habe ich die Fritsch-Figuren gesehen, ich habe vor meinem geistigen Auge die Sprechblasen auf der Bühne aufsteigen sehen, die Schauspieler habe ich in extremen Posen gesehen, wie sie nur gezeichnete Figuren einnehmen können, diese Comic-Komik war für mich etwas Neues und verblüffend!
Fritschs Labiche: Raster der Brachialkomik
Lieber von Guericke und auch Sie namenloser Nachredner Nummer Fünf,
ich war ja mal Fritsch-Fan, bin aber zunehmend ermüdet, weil dieses Theater langsam in der Masche erstarrt und eben genau in die Bruhaha-Zonen reinwächst, die es angeblicht bekämpft. Fritschs Theater wird immer flacher, immer selbstzufriedener und langsam merke ich, daß mich das aufhört, zu interessieren. Stil ist ja schön und wichtig. Aber es darf halt keine Masche werden, kein Manierismus. Ich will auch wissen, was interessiert den Mann an einem Stoff. Da muss doch noch mehr sein, als Frage, ob die Stücke ins Raster seiner Brachialkomik passen. (Denn was Herr Lutz beschreibt, ist ja genau das Problem: Fritsch macht aus jedem Stoff eine neue Folge Fritscherix und ebnet dafür alle Differenziertheiten der Stoffe ein..) Der Mann kann doch eigentlich mehr. Ich schreibe das hier auch noch immer voller Sympathie - trotz der wachsenden Enttäuschung.
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