Der Diener zweier Herren - Andreas Kriegenburgs circensische Goldoni-Inszenierung
Die reinste Budenzauberherrlichkeit
von Shirin Sojitrawalla
Frankfurt, 9. März 2010. Die Bühne im Bockenheimer Depot ist eine Mischung aus Amphitheater und Zirkuszelt. Kleine Vorsprünge, auf denen noch nicht einmal ein Kinderfuß genügend Platz fände, sind Steilvorlage für allerlei lustige Auftritte und führen von oben hinunter auf eine kleine Drehbühne, auf der drei weiße schwermütige Luftballons ihre Köpfe in den Himmel zu recken versuchen. Freundliche Quatschmacher bevölkern die Bühne, und so richtig weiß man nicht, in welchem Stück man sitzt.
Bis der erste Satz aus Goldonis "Der Diener zweier Herren" ertönt, dauert es nämlich eine ganze Weile, doch bis dahin vertreibt die aufgeweckte Truppe uns die Zeit mit ihren Späßen. Und auch später, wenn alle Wesentlichkeiten des Stücks Erwähnung finden, dehnt das Ensemble die Handlung mit seinen schönen Schnapsideen, polyglott radebrechendem Sprachwitz, übermütigen Musik- und Turneinlagen sowie jeder Menge Schabernack und schwarzhumorigem Slapstick. Und das bringt einen oft mehr zum Lachen als Goldonis Sätze.
Unwirklich fantastisches Licht
Andreas Kriegenburg inszeniert den Commedia-dell’arte-Klassiker ohne Masken und in zirkushafter Budenzauberherrlichkeit. Alle Figuren sind weiß und cremefarben angezogen und die Bühne umstrahlt ein unwirklich fantastisches Licht. Truffaldino trägt als Clown vom Dienst zumindest eine Harlekinkrause um den Hals, aber ansonsten spielt ihn Mathis Reinhardt als sehr eigene Marke, nämlich hinreißend niedlich.
Mit seinen traurigen Augen und dem kindsköpfigen Gebaren ist er drolliges Kerlchen und süßer Tolpatsch. Valery Tscheplanowa gibt die umwerfende Rosaura als görenhaft kieksenden Goldengel und Roland Koch ist ein Pandolfo, der sich nicht zu schade ist, auch einmal als Albatros im Metallreifen zu kreisen. Wie überhaupt an diesem Abend keiner der Schauspieler auf der Bühne den Eindruck erweckt, er gehöre da nicht hin.
Dabei motzt die Truppe das Stück auf, wie es ihr in den Sinn zu kommen scheint. Zum Prusten blöd erstickt da etwa Blandina (Henrike Johanna Jörissen) an eben jenem Brotkrumen, den Truffaldino aus Versehen absichtlich hinunterschluckte, was in Frankfurt bloß von Pandolfo gesagt, von Truffaldino aber nicht ausgeführt wird. Aus diesem kleinen Einfall ergibt sich eine komödiantisch vollkommen übergeschnappte Glanznummer, die zwar Goldonis Text links liegen lässt, aber dafür gleich drei Schauspielern die Möglichkeit gibt, zu glänzen.
Originelle Form der Arbeitsverweigerung
Dabei hat man zuweilen den Eindruck, die Inszenierung nehme das ganze Stück auf den Arm, besonders die Liebesgeschichten wirken in Frankfurt wie ein Vollscherz, aber nicht viel anders wirken sie auch auf denjenigen, der das Stück heute liest. Während man aber vor der Pause aus dem Lachen gar nicht mehr herauskommt, verläppert sich das wilde Amüsement danach ein bisschen. Dann wartet man eigentlich nur noch auf den üblichen Höhepunkt: die Kellner-zweier-Herren-Nummer, bei der Truffaldino seinen beiden Arbeitgebern zur gleichen Zeit das Essen serviert.
Doch diese berühmte Szene, "the famous scene", wie Truffaldino sagt, fällt in Frankfurt aus. Na ja, nicht ganz, doch wir sollen uns das Meiste einfach einbilden. Truffaldino versichert dem Publikum, man habe lange geprobt, doch es sei einfach unmöglich, die Szene hinzubekommen. Das glauben wir gern, und lächeln über diese originelle Form der Arbeitsverweigerung, die mit wilder Spieltriebhaftigkeit wettgemacht wird. Die Nummer wird dann irgendwie doch noch aufgeführt, statt Essen verteilt Truffaldino aber bloß T-Shirts, auf denen die jeweiligen Speisennamen stehen. Den Rest besorgen Wille und Vorstellung. Nach exakt zweieinhalb Stunden verbeugt sich das Ensemble dann zum Schlussapplaus. Und wir? Sind amused.
Der Diener zweier Herren
von Carlo Goldoni
deutsch von Friedrich Ludwig Schröder
Regie: Andreas Kriegenburg, Bühne: Harald Thor, Kostüme: Katharina Kownatzki, Dramaturgie: Alexandra Althoff.
Mit: Roland Koch, Valery Tscheplanowa, Thomas Huber, Christian Bo Salle, Bettina Hoppe, Sascha Nathan, Nils Kahnwald, Henrike Johanna Jörissen und Mathis Reinhardt.
www.schauspielfrankfurt.de
Mehr über Andreas Kriegenburg lesen Sie im entsprechenden Glossareintrag von nachtkritik.de. Eine andere Diener zweier Herren-Inszenierung fand vor zweieinhalb Jahren in der Wiener Josefstadt statt.
Kritikenrundschau
"Er ist bunt. Er ist ein Betrug. Und er ist eine Beleidigung", schreibt Gerhard Stadelmaier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (11.3.2010) über diesen Abend. Auf dem Theaterzettel stehe, man gebe den 'Diener zweier Herren' von Carlo Goldoni. Doch das sei ein Betrug. Denn dieses Stück werde zweieinhalb lange weilende Stunden lang derart in den Hintergrund gedrängt, "dass der Vordergrund sich in andauernder szenischer Schaumschlägerei selbst befriedigt." Man sehe einen bunten Abend. Comedy statt Komödie. "Der Abend zerfällt in Zirkusnummern. Statt Commedia dell'arte eine Commedia dell'Schwarte. Das Traumspiel wird zum Albtraumgehopse. Angerichtet von Andreas Kriegenburg, einem der altgedienten einfallspinselnden Folterknechte des neudeutschen Theaters. Dessen ostdeutsch gefärbte Spezialität war es bisher eigentlich, Tragödien zu enteignen und zu regievolkseigenem Allerlei zu sozialisieren. Jetzt macht er sich auch noch an Komödien."
"Im ersten Moment ganz witzig, irgendwann aber auch überflüssig" findet in der Süddeutschen Zeitung (11.3.2010) Jürgen Berger den entschleunigten Abend, den Andreas Kriegenburg aus Goldonis rasanter Verwechslungskomödie gemacht hat. Denn für den Kritiker sieht es so aus, "als habe Kriegenburg sich gelegentlich in der Weite der Improvisation verloren und Goldonis Komödie nicht immer dort abgeholt, wo sie auch aus heutiger Sicht noch ganz knackig ist. Geschieht es dann doch, wird es richtig gut."
"Zweieinhalb Stunden des Vergnügens an einer leichtfüßigen, aber nie leichtfertigen Aufführung" gibt in der Frankfurter Rundschau (11.3.2010) Peter Iden zu Protokoll, und zwar "durchzogen von eigenwillig schwebenden und doch kontrolliert in Form gehaltenen Phantasien." Dargetan wird das ganze aus seiner Sicht "von einem Ensemble, das mit seiner Spielfreude und vielfältigen Begabungen sehr für sich einnimmt. Alles ist hier Eroberung: Wieder entdeckt und gewonnen werden das Bockenheimer Depot als Spielort, Bühnenbild von Harald Thor und Kostüme von Katharina Kownatzki als wesentliche Elemente des Theaters, und mindestens zu Teilen eine der berühmtesten Komödien der dramatischen Literatur."
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Was sagen eigentlich die Frankfurter Zuschauer dazu?
Sorry, Herr Stefan, aber gemäß unseren Goldenen Regeln für die wahre Kommentarkunst fallen auch nachvollziehbare Wutschreie, die mit rhetorischen Aufrufen und Unterstellungen gegenüber Personen des öffentlichen Bebens arbeiten, unter die Zensur.
Grüß Gott
die Redaktion
Lieber Herr Stefan,
nein, "Spiralblock" und "Schönsprechtheater" sind super-Worte.Ich freu mich schon drauf, welche Sätze Sie damit konstruieren werden.
Und nochmal nein, er nimmt wirklich kein Blatt vor den Mund. Aber er unterzeichnet eben auch mit vollem Klarnamen. Das ist immer wieder der Unterschied.
Herzlich
nikolaus merck
davon abgesehen: mich persönlich reizt die kritik, schade, dass ich's in absehbarer zeit kaum nach frankfurt schaffen werde, um mir diesen scheinbar spielfreudigen, bunten abend anzusehen.
Danke
zur Rettung der abendländischen Kultur
Die Kunst des schönen Sprechens am Theater
Oh Block du weißt welch Geistes Vater
Sie zu verdrängen sucht in einem fort
Von diesem wunderbaren Ort
Die will ich preisen auf dir jeder Zeit
Zu allem dafür bin ich stets bereit
Just Edith sah ich deklamieren
So wunderschön und nicht auf allen Vieren
Wie diese Frevler vor des Macbeth Thron
Verspottend diese Kunst Doch ihren Ton
Wird niemand treffen nicht in Jahren
Dies bin ich angetreten zu bewahren
Und so Spiralblock mein
Muss ich Tag aus Tag ein
Beschreiben dich ohn Rast und Ruh
Doch ach die Liebesmüh wozu
Kannst lieber Block du mir das sagen
Ich will nicht ob der großen Last verzagen
Und wieder muß ich da entdecken
Versuchen heimlich ein paar Gecken
Die Kunst des wahren Schönen
Mit lauter Ekel zu verhöhnen
Als Waffe für oh Block ich Dich ins Felde
Der Sieg ist unser schon in Bälde
Na bitte, sach ichs doch.
Glückwunsch
nikolaus merck
Ein Ort "wilder Kunstproduktion": nachtkritik de. !
Freut mich, Ihre Ode zu lesen, versuchte mich ja auch schon, -so castorfangebunden- mit Werchowenskij und Polleschabenden statt Schuhen als "Protestform" ("Das Werchowenskij-Gambit",
siehe Wuppertal I, wird ja von Herrn Chlebusch so getan, ich werde auf seinen "Biedermeier 2.0-Artikel" noch zurückkommen
("Die Deutsche Bühne", Märzausgabe 2010), als hätte es dergleichen in Wuppertal I nie gegeben, sondern nur ein einziges Gehacke, Gebeiße, Lamentieren ...)), wirklich, ohne Witz, machen Sie bitte weiter so und ähnlich, denn das können in der Zukunft noch ganz ordentliche Threads werden, denke ich !!
Meinen Sie Edith Clever ??
Dazu fällt mir allerdings ein, wo anderenorts so über die Volksbühne hergezogen wird oder die goldene Vergangenheit besungen, daß das gerade für mich ein Erlebnis war, die Edith Clever neben der Rois, neben der Peters in Genets "Zofen": das ist noch garnicht so lange her und hat irgendwie auch etwas von einem Fingerzeig gegen verhärtete Fronten !
satz für satz, block um block vor meiner brille.
oh dies linde schauspielgesinde, wohlan erinnyen,
ich, der einzig sehende, ich, unter lahmen blinden.
hier auf dem sperrsitz meiner lauen liebe
verwalt ich der ausgelaugten augen meisterdiebe
um zu schaun der seel´ blutenroten samt
wohlan dies ist mein behuf, dies ist mein amt.
jedoch,kein antlitz, welches kleistern kotzt,
kein organ, das vom geschlechte lüstern kündet,
alles harrt und weilet, alles still dem jetzo trotzt
und in ewiggleichem immerschönem mündet.
nicht derbes, herbes verwandtes sich verirrt ?
auf diese bretter, denen welt ich zollen sollt ?
mein sold, zug um zug erster klasse, wollte groll
und nun: ein "jawoll" erles ich meinem goldnen blatte hort.
so liegt es vor mir, verworren und verwirrt
ich torkele durch hohle gassen, narziss in lacken,
von wirt zu wirt, alle lachen meiner macken,
oh ich tier,
ein lob hat sich verirrt, so stehts geschrieben,
schwarz auf weiss, pointiert auf a 4, kleinkariert.
oh meine seel....
Die Formulierungskunst beherrscht er ja ohne Frage nur die Polemik ist immer so billig.
Sie haben Recht, das würde eine Fähigkeit zur Selbstironie bei St. voraussetzen.
Wer besitzt denn eigentlich neben dem Autor die Deutungshoheit über ein Theaterstück? Doch nicht der Kritiker oder irgendeine Gruppe von selbsternannten Schöngeistern, sondern die Macher und der mündige Zuschauer als Gegenüber. Ansonsten könnte man das Theater ja auch mit samt den Regisseuren abschaffen und Bewahranstalten für den guten Geschmack einrichten, in denen uns immer wieder Stücke gezeigt würden, die wir so schon Dutzende Male gesehen haben. Das wäre doch auf Dauer öd und gäbe keinen Sinn. Herr Truck ist gegen Massenkompatibilität, propagiert aber mit seinem Willen zu Stücktreue Einfalt statt Vielfalt? Darin ähnelt er fast schon den Kulturpolitikern der DDR.
Es würde irgendwann die gediegene Langeweile herrschen und übrigens kämen dann auch keine Gegenwartsstücke mehr vor.
Hat denn nicht auch im Gegenzug zur These vom importierten Osten, Michael Thalheimer seine Art der Reduktion als westsozialisierter Regisseur in den Osten gebracht.
Ich würde heute kein Theater mehr betreten, wenn ich schon vorher wüsste, was dort tatsächlich gegeben wird. Die sogenannte Blendung oder Vereinfachung besteht nicht darin, etwas zu zeigen was nicht erwartet wird oder wie es sein könnte, sondern darin, schon vorher wissen zu wollen, wie es sein müsste.
In diesem Sinne wünsche ich Oliver Reese weiter ein gutes Händchen bei der Auswahl der Regisseure und den Frankfurtern interessante Stückinterpretationen in immer vollen Theatersälen.