Das Grundheitere des Dichters aus Sozialistisch-Preußen

von Thomas Irmer

Bremen, 18. März 2010. Dass Peter Hacks wieder salonfähig ist, wurde merkwürdigerweise von der FAZ angestiftet. Selbst seine kühnsten Bemerkungen zum Untergang des Sozialismus und Sieg des Kapitals werden heute von einer Bewundererphalanx goutiert, die vom konservativen Martin Mosebach bis zum neulinken Dietmar Dath reicht. Nur die Theater haben bislang das Niveau der Debatte unterschätzt, die natürlich auch auf die Neuentdeckung seines Werks aus ist.

Wieder einmal ist es das kleine Theaterlabor Bremen, das mit dem "Der Schuhu und die fliegende Prinzessin" ein ungewöhnliches Stück wagt. Eines von Hacks weniger bekannten Werken, trotz der daraus entstandenen Oper von Udo Zimmermann, die zwar auch nicht mehr gespielt, aber immerhin von manch einem erinnert wird.

"Der Schuhu" war zunächst eine längere Märchenerzählung (soeben in der Inselbücherei wieder aufgelegt), die 1963 entstand, als Hacks mit seinem Produktionsstück "Die Sorgen und die Macht" ziemlich viel Ärger hatte und wohl auch erkannte, dass eine direkte Behandlung der realen Probleme kaum erwünscht war.

Von Coburg nach Messopotamien

Diese interessante Ausweichbewegung ins Märchen arbeitete er dann selbst zu einer Bühnenversion um, die jetzt auch die Grundlage für Patrick Schimanskis mit vielen Songs durchsetzte Spielfassung ist. Der Schuhu, eine Art Menschenvogel, der einem armen Schneider aus einem Ei geboren wird, ist tatsächlich zunächst reine Märchenfigur mit besonderen Eigenschaften. Er kann aus wenig viel machen, das weckt die Begierde des Bürgermeisters, der allerdings nicht begreift, dass der Schuhu auch die schlechten Dinge vermehrt.

Er muss verschwinden, hinaus in eine Welt, wo verfeindete Reiche von miesen Herrschern geführt werden. So ziemlich am Ende seiner Weltreisen von Coburg bis Mesopotamien (einer von Hacks' Witzen, die deutsche Provinz mit untergegangenen Weltreichen zu verbinden) trifft er schließlich auf die fliegende Prinzessin von Tripolis für eine auch nicht ganz unkomplizierte Liebe.

Ein poetisches Stationendrama voller merkwürdiger Gestalten und verschlüsselter Gleichnisse. Das aktuelle antikapitalistische Interesse am Sozialisten Hacks wird hier nicht leicht bedient.

Wimpern und Toupet fürs Vogelhafte

Patrick Schimanski geht die Geschichte gewissermaßen forschend an, und das tut der Inszenierung im Ganzen gut. Die Naivität des Märchens, die Hacks freilich auch nur vorgibt, ist von Anfang an durch eine äußerste Ernsthaftigkeit in der Deutung der einzelnen Figur ersetzt. Was zu den besonderen Schulungsaufgaben des Theaterlabors gehört - hier wird es zum Stilprinzip für ein Stück, das als Ganzes sich nämlich kaum schlüssig ausdeuten lässt.

So haben sich Kay Sharif Helfrich und Sia Niskios als Schuhu-Eltern mit wenigen Gesten - er wundert sich über das Ei, sie muss sich in Demut üben - praktisch die ganze kleine Welt erspielt, aus der dieser von Patrick O'Beirne dargestellte Wunderling hervorgeht. Für das Vogelhafte reicht ihm äußerlich ein Toupet als Kopfputz und ein Auge mit fiedrigen Wimpern - den Rest macht er ganz wunderbar mit gelegentlichen Kopf- und Handbewegungen.

Schlacht mit 3000 Schiffen

Auch das Bühnenbild bietet mit wenigen weißen Stellwänden, Auftritten aus der Rückwand und einem Obergang (fürs Fliegen) vor allem einen funktionalen Hintergrund für die insgesamt zwanzig Spieler, Sänger- und Tänzerinnen. Die vielen Szenensprünge geben Schimanski, der ja von Hause aus Musiker ist, die berechtigte Gelegenheit für beziehungsreiche Liedereinschübe zur Unterstützung der erzählenden Passagen, von denen es in Hacks' massiver Stückbewegung nicht wenige gibt.

An einer Stelle, kurz nach einer Schlacht mit 3000 Schiffen (!) und dann doch noch einem Dietmar-Dath-Statement zum neuen Kapitalismus, wird der gute alte Beatles-Song "Lucy in the Sky with Diamonds" von Sabrina Becker als Kunstlied mit Klavierbegleitung vorgetragen. Und siehe da, man entdeckt die Verwandtschaft zwischen Hacks' Märchen und der Beatles-Poesie, in der das fantastische Grundheitere all das Unheitere der Welt wenigstens ausbalanciert. Auch das könnte eine Farbe in der neuen Hacks-Rezeption werden.

 

Der Schuhu und die fliegende Prinzessin
von Peter Hacks
Regie: Patrick Schimanski, Choreographie: Constantin Georgescu, David Williams, Bühne: Andreas Braun, Kostüme: Andrea dos Santos Cornelius.
Mit: Jeannette Arndt, Sabrina Becker, Patrick O'Beirne, Julia Franzke, Carina Gerwig, Thomas Grabau, Julia Helbich, Kay Helfrich, Cornelia Hellbrügge, Vanida Karun, Björn Klein, Nils Machens, Sia Niskios, Jule Pater, Ronen Temerson, Marlin von Wick und den Tänzerinnen Doro Eitel, Verena Kutschera, Jasmin Peters.

www.theaterlab.de

 

Mehr zum Theaterlabor Bremen gibt es in unserem Archiv. Weil das Theaterlabor die einsatzfreudigsten Unterstützertruppen hat, gewann es mit Frank-Patrick Steckels Inszenierung von Aristophanes Stück Plutos unangefochten das nachtkritik-Theatertreffen 2010.

 

Kritikenrundschau

Mit dem "Schuhu" sei dem Theaterlabor nun die vielleicht überzeugendste Inszenierung seit seinem Bestehen gelungen, schreibt Johannes Bruggaier in der Bremer Kreiszeitung (20.3.2010). "Ein großartiges Stück, ein bemerkenswerter Hauptdarsteller, ein im Wesentlichen überzeugendes Regiekonzept." Es sei eine fantastisch bunte Welt, in der Hacks subversiv gängige Herrschafts- und Wirtschaftsmuster karikiere. "Hätte Schimanksi nur halb so viele Popsongs trällern lassen: Der Abend wäre grandios geworden."

 

 

Kommentare  
Peter Hacks in Bremen: Aufheiterer im Theaterhimmel
Wie dem auch sei, wer dafür "haftbar" gemacht werden
soll, daß Peter Hacks wieder "salonfähig" geworden ist, wie Herr Irmer behauptet (Salon ? Aber doch nicht Salon-Sozialismus, oder ??), denn der wird nun durch Herrn von Treskow, genau: in W U P P E R T A L, sicherlich eher unabhängig von FAZ-Erwägungen auf die Bühne gebracht: das hört sich tatsächlich nach einem lohnenswerten Abend an, der hoffentlich noch eine Weile läuft !
Wäre schön, Weiteres aus Bremen zu diesem Abend zu
vernehmen: Bremen und Osnabrück sind heute offenbar
die Aufheiterer am Theaterhimmel, gut das !!
Peter Hacks: am Himmel, nicht im Himmel!
Ne, Redaktion, schon "am Himmel": Ich spreche oder schreibe doch als Theatergefährte, hier und jetzt und ganz irdisch, da ist "am Himmel" schon mehr leitsternmäßig gemeint, d.h. eine erreichbare Vorstellung
von Kiel aus, wozu ich mir einen Knoten ins Taschentuch, das die Aufschrift "Hacks gibt es auch in Wuppertal und
nicht nur in der FAZ" trägt, gemacht habe, was qua nachtkritik de. öffentlich möglich ist und mir gelegentlich auf verwandte Weise ähnliche Winks beschert. "Im Himmel": das könnte ja dann doch eher unerreichbar werden, zumindestens im Hiesigen: LSDU
stellte mich da zwar schon in eine solche Ecke vor Zeiten: ... durchgeknallter Jesusjünger ungefähr, aber sie hat das garnicht so direkt gesagt, stimmt schon,
ich sollte mich wohl dennoch angesprochen fühlen, vermute ich, doch "Im Himmel", das paßt mehr zu "40 Huris im Himmel", und mit dieser Vorgabe geht es ganz sicher nicht nach Bremen !!
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