Der zynische Kreislauf des Lebens und Sterbens

von Arnim Bauer

Stuttgart, 2. April 2010 . Das Stuttgarter Theater Rampe gilt als Spezialist für neue deutschsprachige Dramatik und so ist es kein Wunder, dass die kleine, aber schlagkräftige Crew um Intendantin Eva Hosemann immer wieder mit sehr viel Mut sich auch an risikobehaftete Experimente wagt. Auch "Friss und stirb" von Christina Rast und André Becker gehört eindeutig in diese Kategorie.

Denn die Thematik ist zwar topaktuell, aber nicht ganz neu. Es geht darum, dass die Nahrungsmittel für die Menschheit ebenso knapp werden wie das Wasser, und immer mehr in die Hände von Großkonzernen geraten, die diesen Mangel aus Profitgier gnadenlos ausschlachten. So weit, so gut. Wie aber kann man dieser Thematik auf dem Theater noch neue Aspekte abgewinnen, auch in ästhetischer Hinsicht? Christina Rast, die auch die Regie übernommen hat und ihre Schwester Franziska, die für die Ausstattung zuständig ist, haben sich einiges einfallen lassen, damit der Abend tatsächlich ungewohnte Perspektiven zeigt.

Es war einmal in einer überbevölkerten Stadt

Sie siedeln das Geschehen in der fiktiven Stadt Soylent City an, deren Name auf einen berühmten amerikanischen Science-Fiction-Film von 1973 anspielt. Dort sind die Verhältnisse klar geregelt, wie der Zuschauer schon beim Betreten des Raumes feststellen kann: Drei

größere und ein kleineres Podest in den Ecken und an der Seite des Raumes. Dazwischen Bürodrehstühle, auf denen die Zuschauer Platz nehmen dürfen und so bequem das Geschehen verfolgen können, egal, wo es gerade spielt.

Damit jeder weiß, was Sache ist, markieren Schilder die territorialen Claims: "Die Firma" steht auf dem größten Podest, wo Platz und bequemste Sessel und vier Monitore gleich klarstellen, dass hier sich das Zentrum der Macht befindet. Das zweite Podest, mit einer Couch bestückt, auf dem auch zwei Zuschauerinnen Platz nehmen durften, ist laut Hinweis das "Luxusappartement" für die Oberschicht der Bevölkerung von Soylent City. Ein weiteres Schild kennzeichnet den Rest des Raumes, wo auch die Zuschauer sitzen, als "Masse". Firma, Oberschicht und Masse haben dabei jeweils einen lautstarken Vertreter.

Soylent Grün ist Menschenfleisch!

So erfährt das Publikum bald um die Verhältnisse in Soylent City. "Die Firma" stellt eine Art Kekse her, deren grüne Version besonders beliebt ist, und verteilt sie als die einzige Nahrung, die es für die Masse überhaupt noch gibt. Allmählich wird jedoch klar, dass diese Kekse, makaber, makaber, aus Menschen hergestellt werden, die mehr oder minder freiwillig auf dem dritten Podest in eine Maschine steigen, die wie eine Sonnenbank aussieht, um dort weiter verarbeitet zu werden.

Es geht auch ums Wasser, und je nach Status im Kastensystem von Soylent City fallen die Statements der drei Sprecher natürlich recht unterschiedlich aus. Der Chef der Firma lobt die Effizienz und die Wohltäterschaft seines Konzerns in dieser Hinsicht, die Oberschicht gibt sich blasiert zurückgezogen, während die Masse Revolution fordert, um die Verhältnisse zu ändern.

Macht, Besitz, Überlebenskampf – auf der Bühne heißt das, Theaterherz was willst Du mehr, natürlich Remmi-Demmi. Fast übertreibt Christina Rast das wilde Treiben, manchmal fürchtet man, dass ihr Wollen zu viel ist und das zügig dahin eilende Theatergefährt aus der Kurve getragen wird. Aber sie hält letztlich, trotz des einen oder anderen Schleuderns, doch den Kurs.

Eine Veränderung findet nicht statt

Am Ende verschärft sie noch einmal den Ton, indem sie zeigt, dass der Revolutionär, kaum ins Luxusappartement aufgerückt, gleich ganz anders redet als vorher, der ehemalige Chef, nun in die Masse abgestiegen, gleich wieder nach Profit zu streben beginnt, und auch die Luxusklasse plötzlich anders spricht, kaum dass sie die Firma übernimmt

Die Floskeln, mit denen jeder sein Tun unterlegt, klingen stark nach denen heutiger Politiker und Wirtschaftsführer, die Wendehalsmentalität kommt einem ebenfalls sehr bekannt vor. So gelingt es den Machern und ihrem Stück, gleich mehrere Themen in einem unaufdringlichen, weil vordergründig ziemlich fiktiven und grellen Spiel mit sehr viel Tiefgang zu bearbeiten.

Dass dies auch noch recht überzeugend geschieht, ist auch den drei Darstellern Johanna Niedermüller, Alexander Merbeth und Volker Muthmann zu danken.


Friss und stirb (UA)
nach einer Idee von Christina Rast und André Becker
in einer Spielfassung des Ensembles
Regie: Christina Rast Bühne und Kostüme: Franziska Rast, Dramaturgie: André Becker.
Mit: Johanna Niedermüller, Alexander Merbeth und Volker Muthmann.

www.theaterrampe.de

 

Kritikenrundschau

In der Stuttgarter Zeitung (6.4.2010) schreibt Adrienne Braun: Die Uraufführung "Friss und Stirb" sei eine theatrale Neuauflage des Sci-Fi Klassikers "Soylent Green" von 1973. Ein "Zukunftsszenario" könne man den Plot nicht mehr nennen. Sowohl das Jahr 2022 wie die Themen "Kommerzialisierung der Wasserrechte, Kontrolle des Saatgutes und Ernährungskartelle" seien "verdächtig nah gerückt". Christina Rast habe "eine Art interaktives Theaterstück" inszeniert. Das Publikum sitzt auf Drehstühlen "als Masse ohne Macht", ausgeliefert "den Machenschaften der Industrie". Im "Luxusapartment mit Ausblick auf den letzten Rest Natur" residiere Johanna Niedermüller. Die "Firma" wird vom "Phrasendrescher" Alexander Merbeth geführt. Der "einsame Kämpfer" Volker Muthmann rufe zur Revolution auf. "Scharf" würden die drei Positionen "gegeneinander geschnitten". Ergebnis sei ein "unkonventionelles Szenario voller Querverweise und Anspielungen". Der Kampf werde "linear" erzählt, "aber durch den Einsatz unterschiedlicher Medien mehrdeutig". Die Aufführung sei als "theatrales Experiment kurzweilig und inspirierend" - und in ihrer Thematik "beunruhigend".

In den Stuttgarter Nachrichten (6.4.2010) schreibt Horst Lohr: Dass die Zuschauern auf Drehsesseln auf der Bühne sitzend sich nur um sich selbst drehen können, empfinde er als "starkes visuelles Zeichen", wie wir uns "als Betroffene der drohenden Umweltkatastrophe" (...) "nach wie vor im Kreislauf des Verdrängens bewegen". Den "Überlebenskampf" der Einwohner von Soylant City beobachte Regisseurin Christina Rast mit "sarkastischem Blick". Zwar wirke "manche Szene zu kurzatmig" und von "missionarischem Eifer überfrachtet", doch "insgesamt" überzeuge die Aufführung durch die "Präsenz der drei Schauspieler" und mit "eindringlichen Bildern einer von Zynismus gezeichneten Gesellschaft".

 

Der zynische Kreislauf des Lebens und Sterbens

von Arnim Bauer

Stuttgart, 2. April 2010 . Das Stuttgarter Theater Rampe gilt als Spezialist für neue deutschsprachige Dramatik und so ist es kein Wunder, dass die kleine, aber schlagkräftige Crew um Intendantin Eva Hosemann immer wieder mit sehr viel Mut sich auch an risikobehaftete Experimente wagt. Auch "Friss und stirb" von Christina Rast und André Becker gehört eindeutig in diese Kategorie.

Denn die Thematik ist zwar topaktuell, aber nicht ganz neu. Es geht darum, dass die Nahrungsmittel für die Menschheit ebenso knapp werden wie das Wasser, und immer mehr in die Hände von Großkonzernen geraten, die diesen Mangel aus Profitgier gnadenlos ausschlachten. So weit, so gut. Wie aber kann man dieser Thematik auf dem Theater noch neue Aspekte abgewinnen, auch in ästhetischer Hinsicht? Christina Rast, die auch die Regie übernommen hat und ihre Schwester Franziska, die für die Ausstattung zuständig ist, haben sich einiges einfallen lassen, damit der Abend tatsächlich ungewohnte Perspektiven zeigt.

Es war einmal in einer überbevölkerten Stadt

Sie siedeln das Geschehen in der fiktiven Stadt Soylent City an, deren Name auf einen berühmten amerikanischen Science-Fiction-Film von 1973 anspielt. Dort sind die Verhältnisse klar geregelt, wie der Zuschauer schon beim Betreten des Raumes feststellen kann: Drei

größere und ein kleineres Podest in den Ecken und an der Seite des Raumes. Dazwischen Bürodrehstühle, auf denen die Zuschauer Platz nehmen dürfen und so bequem das Geschehen verfolgen können, egal, wo es gerade spielt.

Damit jeder weiß, was Sache ist, markieren Schilder die territorialen Claims: "Die Firma" steht auf dem größten Podest, wo Platz und bequemste Sessel und vier Monitore gleich klarstellen, dass hier sich das Zentrum der Macht befindet. Das zweite Podest, mit einer Couch bestückt, auf dem auch zwei Zuschauerinnen Platz nehmen durften, ist laut Hinweis das "Luxusappartement" für die Oberschicht der Bevölkerung von Soylent City. Ein weiteres Schild kennzeichnet den Rest des Raumes, wo auch die Zuschauer sitzen, als "Masse". Firma, Oberschicht und Masse haben dabei jeweils einen lautstarken Vertreter.

Soylent Grün ist Menschenfleisch!

So erfährt das Publikum bald um die Verhältnisse in Soylent City. "Die Firma" stellt eine Art Kekse her, deren grüne Version besonders beliebt ist, und verteilt sie als die einzige Nahrung, die es für die Masse überhaupt noch gibt. Allmählich wird jedoch klar, dass diese Kekse, makaber, makaber, aus Menschen hergestellt werden, die mehr oder minder freiwillig auf dem dritten Podest in eine Maschine steigen, die wie eine Sonnenbank aussieht, um dort weiter verarbeitet zu werden.

Es geht auch ums Wasser, und je nach Status im Kastensystem von Soylent City fallen die Statements der drei Sprecher natürlich recht unterschiedlich aus. Der Chef der Firma lobt die Effizienz und die Wohltäterschaft seines Konzerns in dieser Hinsicht, die Oberschicht gibt sich blasiert zurückgezogen, während die Masse Revolution fordert, um die Verhältnisse zu ändern.

Macht, Besitz, Überlebenskampf – auf der Bühne heißt das, Theaterherz was willst Du mehr, natürlich Remmi-Demmi. Fast übertreibt Christina Rast das wilde Treiben, manchmal fürchtet man, dass ihr Wollen zu viel ist und das zügig dahin eilende Theatergefährt aus der Kurve getragen wird. Aber sie hält letztlich, trotz des einen oder anderen Schleuderns, doch den Kurs.

Eine Veränderung findet nicht statt

Am Ende verschärft sie noch einmal den Ton, indem sie zeigt, dass der Revolutionär, kaum ins Luxusappartement aufgerückt, gleich ganz anders redet als vorher, der ehemalige Chef, nun in die Masse abgestiegen, gleich wieder nach Profit zu streben beginnt, und auch die Luxusklasse plötzlich anders spricht, kaum dass sie die Firma übernimmt

Die Floskeln, mit denen jeder sein Tun unterlegt, klingen stark nach denen heutiger Politiker und Wirtschaftsführer, die Wendehalsmentalität kommt einem ebenfalls sehr bekannt vor. So gelingt es den Machern und ihrem Stück, gleich mehrere Themen in einem unaufdringlichen, weil vordergründig ziemlich fiktiven und grellen Spiel mit sehr viel Tiefgang zu bearbeiten.

Dass dies auch noch recht überzeugend geschieht, ist auch den drei Darstellern Johanna Niedermüller, Alexander Merbeth und Volker Muthmann zu danken.


Friss und stirb (UA)
nach einer Idee von Christina Rast und André Becker
in einer Spielfassung des Ensembles
Regie: Christina Rast Bühne und Kostüme: Franziska Rast, Dramaturgie: André Becker.
Mit: Johanna Niedermüller, Alexander Merbeth und Volker Muthmann.

www.theaterrampe.de

 

Kritikenrundschau

In der Stuttgarter Zeitung (6.4.2010) schreibt Adrienne Braun: Die Uraufführung "Friss und Stirb" sei eine theatrale Neuauflage des Sci-Fi Klassikers "Soylent Green" von 1973. Ein "Zukunftsszenario" könne man den Plot nicht mehr nennen. Sowohl das Jahr 2022 wie die Themen "Kommerzialisierung der Wasserrechte, Kontrolle des Saatgutes und Ernährungskartelle" seien "verdächtig nah gerückt". Christina Rast habe "eine Art interaktives Theaterstück" inszeniert. Das Publikum sitzt auf Drehstühlen "als Masse ohne Macht", ausgeliefert "den Machenschaften der Industrie". Im "Luxusapartment mit Ausblick auf den letzten Rest Natur" residiere Johanna Niedermüller. Die "Firma" wird vom "Phrasendrescher" Alexander Merbeth geführt. Der "einsame Kämpfer" Volker Muthmann rufe zur Revolution auf. "Scharf" würden die drei Positionen "gegeneinander geschnitten". Ergebnis sei ein "unkonventionelles Szenario voller Querverweise und Anspielungen". Der Kampf werde "linear" erzählt, "aber durch den Einsatz unterschiedlicher Medien mehrdeutig". Die Aufführung sei als "theatrales Experiment kurzweilig und inspirierend" - und in ihrer Thematik "beunruhigend".

In den Stuttgarter Nachrichten (6.4.2010) schreibt Horst Lohr: Dass die Zuschauern auf Drehsesseln auf der Bühne sitzend sich nur um sich selbst drehen können, empfinde er als "starkes visuelles Zeichen", wie wir uns "als Betroffene der drohenden Umweltkatastrophe" (...) "nach wie vor im Kreislauf des Verdrängens bewegen". Den "Überlebenskampf" der Einwohner von Soylant City beobachte Regisseurin Christina Rast mit "sarkastischem Blick". Zwar wirke "manche Szene zu kurzatmig" und von "missionarischem Eifer überfrachtet", doch "insgesamt" überzeuge die Aufführung durch die "Präsenz der drei Schauspieler" und mit "eindringlichen Bildern einer von Zynismus gezeichneten Gesellschaft".

 

Kommentare  
Friss oder stirb in Stuttgart: recht überzeugend
"recht überzeugend"...
das klingt recht überzeugend :-)
Friss und stirb in Stuttgart: klug, böse, lustig
Als leidenschaftlicher Theatergänger, der seit Jahren sowohl das Staatstheater wie auch kleinere Spielorte wie oben beschriebenes Theater Rampe häufig frequentiert, bin ich restlos überzeugt von diesem unkonventionellen Theaterabend, der sich mit einer großen Spielfreude und ohne moralischen Zeigefinger mit einem unbequemen Thema auseinandersetzt. Politisches Theater, ohne den reißerischen Ton eines Herrn Lösch, der sich unter Verwendung von "Echtmenschenmaterial" selbst zum Ausbeuter macht, Theater als Modell und nicht als vermeintliche Abbildung einer Realität. Ein kluger, böser und lustiger Abend, der natürlich die Welt nicht verändert, aber den eigenen Blick in den Spiegel und auf unsere globalisierte Welt und unsere Bequemlichkeit nach dem Theaterbesuch zumindest neu anspitzt. Chapeau, Frau Rast, Herr Becker und Frau Hosemann!
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