In Wahrheit ist alles die harte Tour

von Reinhard Kriechbaum

Graz, 30. April 2010. Mit Smirnoff hat David, der Ehemann, nachgeholfen, als er seine Frau Jess so da liegen sah. Eine Überdosis Schlaftabletten hatte sie genommen, auf den Alkohol vergessen. Den Smirnoff hat er ihr schließlich mit einem Schlauch eingeflößt. Die Gelegenheit war günstig, beim Selbstmord nachzuhelfen. Von einer Probefahrt mit einem chicken Auto war David eben heimgekommen - wohl wissend, dass er sich ob der Schulden, die seine Frau angehäuft hatte, ein solches Auto abschminken werde können. "Jetzt kann ich mir dieses Auto leisten!" Das ging ihm durch den Kopf, als er nicht den Krankenwagen, sondern den Vodka holte.

Ein Stoff, aus dem sich eine verbiesterte Tragödie kneten ließe. Ein Stoff auch, über dem man so heftig mit der Moralkeule schwingen könnte, dass das Publikum den Kopf einzieht. Der Londoner Dramatiker Dennis Kelly hält's anders. Er weiß auf die tiefsten Seelenzerklüftungen noch eine Pointe aufzusetzen, dass der Weg zum Schmunzeln, ja sogar zum Lachen geebnet ist. Beihilfe zum (Selbst-)Mord? Nebbich in einer Zeit, da Geld alles ist. "Ich glaube nicht mehr an Gott - woran glaube ich eigentlich?" Das fragt Val, Davids Ex-Freundin. Die Antwort kommt schnell: "An Kohle.

Dickicht des Finanziellen

So originell ist sie in Wirklichkeit nicht, die Geldgesellschaftskritik von Dennis Kelly. Aber sie ist dramaturgisch pfiffig und sie überrumpelt einen mit geradezu frivoler Direktheit. Die lockere Szenenfolge beginnt mit dem geschilderten Verbrechen und endet mit der Hochzeit eines glücklichen Paares. Aber nicht krebsläufig geht es dahin, sondern querfeldein. Da lernen wir Jess' Eltern als Teilnehmer einer Show "Love + Money" kennen. Sie klagen drüber, dass der Besitzer des Nachbargrabes so richtig auf den Putz haut mit der Nekropole für seien Frau: "Das überschattet das Grab unseres kleinen Mädchens" - auf Heller und Pfennig, pardon auf den Pfund genau erfahren wir, wie teuer die Grabgestaltung ohnedies war.

Schnell ist klar: Wir haben es mit Menschen zu tun, in deren Hirnen die Zahlen langsam die Ganglien in simple Plus- und Istgleich-Zeichen verwandelt und aus deren Seelen sie allen Saft gesogen haben: "In Wahrheit ist alles die harte Tour!" Jess war anders. Sie hat noch nachgedacht über die Welt als solche: "Was ist so schlimm dran, dass es einen Sinn gibt?" Gut gefragt, aber dann hat es auch sie erwischt. Sie ist einkaufswütig geworden, denn sie wollte "das Leben ein bißchen so, wie es sein soll."

Zeigen, reden, nicht verurteilen

Patrick Schlösser, regelmäßig Gastregisseur im Grazer Schauspielhaus (zuletzt mit Thomas Bernhards "Am Ziel" und der Dramatisierung von Ingeborg Bachmanns "Malina"), führt uns krasse Figuren vor. Val (Steffi Krautz) zum Beispiel, die Chefin eines Telekom-Unternehmens. Bei ihr sucht der von Schulden geplagte David Hilfe. Er bekommt nur einen miesen Job. Sie rechnet in der Situation beinhart ab mit ihm, seinem privaten und seinem vermeintliches Versagen in der Geld-Welt.

Einen grandiosen Showdown liefert Martina Stilp als Jess. In ihrem Schluss-Monolog, den sie nur so heraussprudelt, steckt grandiose Naivität und unverblümte Einsicht. Ein Dummerchen, das die richtigen Fragen stellt und die beinah richtigen Antworten auch gleich mitliefert. Martina Stilp hat dafür Charme, Temperament - und sie suggeriert entwaffnende Denk-Unschuld.

Jan Thümer ist David, der ein wenig schlacksig herumtapst. Freilich ist auch er infiziert vom Geld-Virus. Aber "jeden Tag durch Blut waten" ist nicht seine Sache. Er glaubt eben, nolens volens, dass es so sein muss. So einem kann man nicht bös sein, nicht einmal wenn er zum Mörder wird. Überhaupt zielt der pointierte Text, den Regisseur und Ensemble in regelrechten Wortkaskaden fallen lässt, nicht auf Verurteilung. Geld verdirbt den Charakter - viel weiter zielt das Stück nicht, das letztlich Boulevard bleibt, aber auch nie vorgibt, etwas anderes bedienen zu wollen.

Karikatur und Sehnsucht

Mit simpelsten szenischen Mitteln ist das Stück auf der Probebühne des Schauspielhauses umgesetzt. Ein grauer Quader kann Schreibtisch sein, eine ebenfalls graue Wand hat eine fensterartige Ausnehmung. Einige Projektionen suggerieren Umräume, engen die Fantasie aber nicht ein: Man kann sich das Umfeld dieser buntscheckigen Figuren, die doch nur an das Eine - das Geld - denken, ja bestens ausmalen.

Schlösser setzt auf Tempo, auf den verbalen Slapstick, und damit ist er gleichrhythmisch mit dem Text unterwegs, der ja überrumpeln will. Gerade die Gruppenszenen gewinnen dadurch sprachlich geradezu Musikalität. Der Regisseur setzt den Karikaturisten-Stift an, aber gerade so weit, dass die unerfüllten Sehnsüchte der scharf profilierten Figuren nicht zugedeckt werden, und sorgt dafür, dass man mit einem jedem dieser Leute auch ordentlich Mitleid haben kann.

 


Liebe und Geld
von Dennis Kelly, Deutsch von John Birke
Regie: Patrick Schlösser, Bühne: Jens Burde, Kostüme: Tanja Kramberger, Dramaturgie: Tobias Schuster.
Mit: Martina Stilp, Jan Thürmer, Steffi Kautz, Eva Spott, Florentin Groll und Franz Josef Strohmeier.

www.schauspielhaus-graz.com

 

Mehr zu Dennis Kelly: Elias Perrig inszenierte die deutschsprachige Erstaufführung von Liebe und Geld im März 2008 in Basel. Im Dezember 2008 brachte Markus Dietz das Stück dann in Magdeburg erstmals in Deutschland auf die Bühne. Stephan Kimmigs Inszenierung von Liebe und Geld am Hamburger Thalia Theater vom März 2009 ist zum Theatertreffen 2010 eingeladen. Von Patrick Schlösser, ab der Spielzeit 2010/11 Oberspielleiter in Kassel, besprachen wir Malina, das im Januar 2009 in Graz Premiere hatte.

 

Kritikenrundschau

"Dass die teils sehr rohen, teils plakativen Skizzen", die Dennis Kelly in seinem Stück "Liebe und Geld" entwerfe, "mitunter nicht zum Gähnen sind, ist Regisseur Patrick Schlösser, seinem musikalischen Gespür und dem starken Ensemble zu verdanken", meint Christian Ude in einer Kurzkritik für die Kleine Zeitung (3.5.2010). Vor allem Martina Stilp bringe bei ihrer Abschiedspremiere die Probebühne des Grazer Schauspielhauses "noch einmal zum Leuchten". Lange klinge "ihr Schlussmonolog als Braut in Weiß nach, deren Konsumsucht noch ein stiller Vulkan ist. Es ist der Anfang vom Ende für ihre Figur".

 

 

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