Scheinidyllisches Ölschinkenpanorama

von Sabine Leucht

München, 5. Mai 2010. Dies ist ein klarer Fall von vergeblicher Liebesmühe, bei dem das Theater seine Federn spreizt, um ein kaum ganz gelegtes Ei wie ein ausgewachsenes Huhn aussehen zu lassen. Das Ei ist das Thema "Ausverkauf von Rumäniendeutschen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts", das die Autorin Gianina Carbunariu kurz mit "Sold Out" überschreibt.

Der Programm-Flyer wartet mit amtlichen Zahlen auf, wonach die Bundesrepublik in den Jahren 1967 bis 1989 977.372.520 DM an den Rumänischen Staat gezahlt hat, um deutschstämmigen Rumänen die Ausreise zu ermöglichen. Das ist im Prinzip bekannt. Doch erst ganz allmählich sickert ans Licht, dass auch auf der anderen Seite Geld geflossen ist, von echten oder vermeintlichen Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben an echte oder vermeintliche Geheimagenten der Securitate – als nicht ganz legale Aufbauhilfe für den sozialistischen Staat von jenen, die ihn satt hatten.

Begehbares Terrarium mit Plastik-Reh

Mit fast 40 Menschen hat Carbunariu über ihre Zahlungen, Wege und Erfahrungen gesprochen, und die Münchner Kammerspiele, die vor drei Jahren auch ihr Erfolgsstück "Kebab" inszenierten, haben der 33-jährigen Rumänin für das Ergebnis ihrer Recherchen eine Bühne zur Verfügung gestellt. Eine falsche Entscheidung, denn wie viel lieber hätte man eine Reportage oder einen Essay zum Thema gelesen als eineinhalb Stunden lang dabei zuzusehen, wie sechs Schauspieler engagiert darüber hinwegzutäuschen versuchen, dass es hier wenig zu erzählen gibt – und fast nichts, was nach einem Bild, einer Bewegung oder einer großen Szene schreit.

Darum gibt es auch nur eine kleine, die die vermeintliche Exotik des Themas eigentlich recht hübsch ironisiert: Eine Art begehbares Terrarium mit Plastik-Reh, Kunstrasen und Dorfidyllen-Panoramatapete, worin zu Beginn eine Familie Weihnachten feiert. Der Sohn in Naziuniform, der Großvater in Stänkerlaune gegen die Deutschen, die Eltern überangepasst und die Tochter voller Freude über die Puppe, die ihr Bruder aus Deutschland mitgebracht hat.

Ein Gruselmonster namens Ceausescu

Hildegard Schmahl spielt die Puppe Annemarie mit sichtlicher Freude, besäuft sich an deren breitem Grinsen, wenn sie über "die Roten" berichtet, über deren Spiel mit der Pistole sich der Großvater "totgelacht" habe. Später malt sie ein Gruselmonster namens Ceausescu an die Folienwand des Terrariums und beichtet fröhlich, dass sie täglich Tötungsmethoden für ihn ersinne.

Diese kindliche Instanz als Abstandshalter zum Ernst der Geschichte wäre eigentlich ein geschickter Kniff der hier auch Regie führenden Autorin, mixte nicht schon der ganze Abend Ernst mit Unernst, Geschichts-Nachhilfe, Einzelfallschilderungen und Klischees. Auf dem Weg der Rahmenhandlungsfamilie vom 2. Weltkrieg bis zu ihrer erfolgreichen Ausbürgerung hören wir Sylvana Krappatsch mit unterschwellig drohender Kinderstimme zu ihrer Puppe sagen: "Du musst sauber sein, weil du deutsch bist".

Fast wie zuhause

Wir sehen Besucher aus Deutschland in einer goldenen Weste von 60 Sorten Käse und fehlendem Tempolimit schwärmen. Wir hören Witze über abbrechende Fernsehübertragungen und von Telefonen in Kühlschränken. Kündigungen und Exmatrikulationen werden verhängt und unter der Hand schon West-Bestellungen aufgegeben. Wir sehen einen studentischen Spitzel sich outen und haben am Ende so viele Beispiele für die Gier und Korrumpierbarkeit des Menschen gesehen, dass wir uns fast wie zuhause fühlen. Viel aus westlicher Sicht Neues steckt in diesem Häppchendrama nicht.

Dafür lässt Carbunariu, die (in Deutschland) als erfolgreichste rumänische Dramatikerin gilt, in ihrer Heimat aber vor allem eine Off-Theater-Bastlerin ist, die Musikerin Pollyester mehrmals aufs Dach des Terrarium-Kastens steigen und schön, aber ohne Bezug zum Rest, singen. Daniel Gontz wirft eine Collage aus Film- und Fernsehbildern auf die Folie an der Vorderseite des Bühnenkastens, durch die das scheinidyllische Ölschinkenpanorama dann nur noch fein hindurch scheint. Und die Kammerspiel-Schauspieler wirken diesmal zwar nicht besonders textsicher, haben aber schon so manche halbgare Idee zu einer fast genießbaren gemacht.

Sind die Truhen echt? Und was wäre wenn?

Und im hinteren Mittelteil, wo Carbunariu übrig gebliebene Interviewschnipsel abgeladen hat, dürfen sie sogar lesen. Zum Beispiel das: "Ich bin mit einer Holzkiste in Deutschland angekommen. Ich habe sie immer noch. Sie können sie gerne für Ihr Stück verwenden. Mein jüngerer Bruder hat noch eine kleinere." Und tatsächlich stehen in München zwei Holzkisten auf der Bühne. In eine davon hat die Puppe zuvor jede Menge Ausreisebeschleunigungsgeschenke gestopft. Aber sind es die nämlichen Truhen? Und was wäre, wenn?

In einem Interview vor der Premiere hat Gianina Carbunariu gesagt, sie wolle das Theater für größere Themen öffnen. Schön! Dann muss man sie aber auch reinlassen.

 

Sold Out
von Gianina Carbunariu (UA)
Regie: Gianina Carbunariu, Bühne und Kostüme: Dorothee Curio, Licht: Christian Mahrla, Video: Daniel Gontz, Musik: Pollyester, Dramaturgie: Malte Jelden, Julia Reichert. Mit: Sylvana Krappatsch, Lasse Myhr, Hildegard Schmahl, Lenja Schultze, Edmund Telgenkämper und Michael Tregor.

www.muenchner-kammerspiele.de

 

Kommentare  
Sold Out in München: ich kann Ihnen meine Kiste zeigen
Ihre Frage, Frau Leicht:
"Sind die Truhen echt? Und was wäre wenn?"
zeigt Ihre Ahnungslosigkeit.
1. Wir übersiedelten nicht mit "Truhen" sondern bekamen die "großzügige Erlaubniss" einige unserer Sachen in eine Kiste aus Lattenrahmen, bedeckt mit 5 mm. Sperrplatte, einzupacken und bei demZoll Ceausescu´s kontrolliert, nach Deutschland zu schicken.
Ich kann Ihnen meine Kiste zeigen, sie ist noch immer im Keller, vollgestopft mit Büchern als Erinnerung, mit der Originalbemalung der Adresse des Übergangswohnheims Nürnberg, die der Zoll anbrachte. Diese kam nur deshalb nicht auf die Bühne, sondern eine andere, weil meine eben voll war...
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