Kabumm Bumm Morgentau

von Daniela Barth

Hamburg, 13. Mai 2010. Die "Bin Sa'at LTD. Import Export" hat sich im Thalia Theater in der Gaußstraße eingenistet: In dieser Firma mit dem Tiger als Emblem dient eine Garage zugleich als chaotisches Flüchtlingslager, Airport und unaufgeräumte Schauspielerwerkstatt. Darsteller Felix Knopp schlägt den Gong: Seine drei Kollegen treten an die Lesehilfen und typisieren zur Erhellung des Premierenpublikums ihre Figuren. Das übliche Werkzeug (Geste, Mimik, Kostüm, Sprache) dient hier der überspitzten Handhabung - und entbehrt einer gewissen Komik nicht.

Nachwuchsregisseur Jonas Zipf entschied sich bei der deutschsprachigen Erstaufführung des Stücks "Flüchtlinge" vom in Singapur lebenden und dort für seine Literatur mehrfach preisgekrönten Malayen Alfian Bin Sa'at nicht für eine Eins-Zu-Eins-Über-und Umsetzung, sondern für die szenische Annäherung an das Fremde. Das Fremde als Gleichzeitigkeit von Nähe und Ferne. Das Produkt dieser Gleichzeitigkeit bedeutet für die vier Darsteller eine Form beweglicher Objektivität, Das macht ihre Figuren so komisch abstrakt und erlaubt ihnen auch eine erfrischend ironische Distanziertheit, die Brüche und private Kommentare durchaus mal zulässt. Zum Beispiel, dass das Umziehen für eine Rolle schon stattfindet, während der Darsteller noch als andere Figur agiert.

Grinse-Glückskatze und die liebe Familie

Wie aber funktioniert denn nun Familie in einer Stadt wie Singapur? Zwischen gestapelten Kisten erfährt man von Kommunikationsstörungen und unterdrückten Sehnsüchten, Liebe, Hass, Glaube. Alles, was auf den ersten Blick scheinbar nah ist, uns aber übertragen auf die chinesische Zwei-Kind-Familie gleichzeitig faszinierend fremd erscheint. Denn Konfuzius' Geist schwebt über allem, und die chinesische Glückskatze winkt auf den Monitoren. Singapur, ein Tigerstaat, der funktioniert wie eine Maschine. Dessen wirtschaftliche Entwicklung einem einzigartigem Boom gleicht.

Chinesische Emigranten, die sich über Jahrhunderte immer wieder in Singapur auf malaysischem Territorium niederließen, verstanden es, durch harte Arbeit sich und ihre chinesische Tradition in der neu gefundenen Heimat zu etablieren. Aber Malayen und Inder halten das Räderwerk als Minderheit ebenso am Laufen. Die Erkenntnis, dass man durch Fleiß etwas erreicht, hat in der singapurianischen Mentalität einen festen Platz. Strebsamkeit ist hohe Tugend. Jung und Alt sind äußerst geschäftig und wettbewerbsorientiert, da bleibt wohl so manch Zwischenmenschliches auf der Strecke...

Mercedes-Verkauf an einen Inder

Bin Sa'ats Figuren jedenfalls leben in einer Welt, die geprägt ist von fremdenfeindlichen Vorurteilen, Generations- und Identitätskonflikten im "kulturellen und religiösen Schmelztiegel" (wie uns Reiseführer so gern weismachen) Singapur. Hier trifft der Vater (Felix Knopp) der Familie auf seinen ehemaligen malaysischen Angestellten Samad (Sebastian Zimmler), der jetzt seine Firma leitet, während er selbst sich als Taxifahrer durchschlägt. Seinen Mercedes musste er an einen Inder verkaufen. (Welch' Schmach!) Er wünscht sich, dass Autos wie Hunde wären: "Denn die kommen zum alten Besitzer zurück, wenn sie sich nicht wohl fühlen."

flchtlinge_hammerlSebastian Zimmler, Felix Knopp, Sandra Flubacher © Foto: Fabian Hammerl

Hier begegnet der Sohn (Sebastian Zimmler) dem muslimischen Jungen Zainal (Felix Knopp), aber dem Interesse aneinander steht eine Reihe von Konflikten über Herkunft, Religion und gesellschaftliche Machtstrukturen im Weg. Hier leidet Tochter Ong Yun Fei (Birte Schnöink) unter der Bevorzugung ihres Bruders in der Familie ("Manchmal habe ich das Gefühl nicht da zu sein") und sucht gemeinsam mit ihrer Freundin Yan Ling (Sandra Flubacher) auf dem Flughafen Singapur Fluchtpunkte: Die Mädels hoffen auf einen Absturz, eine Katastrophe - sie etablieren ihre Sehnsucht nach Zerstörung, um ihre chaotischen Gefühle in den Griff zu kriegen: "Kabumm, kabumm!"

Gefühle bis Sonnenaufgang

Als sich Yan Ling in sie verliebt, gerät auch diese Freundschaft in Gefahr. Ong wünscht sich "Grafitti aus Morgentau". So könnte sie ihre Gefühle an die Hochhausfassaden sprühend ausdrücken und sichtbar machen, würden sie sich aber bis Sonnenaufgang aufgelöst haben. Alfian Bin Sa'ats Figuren suchen nach Wegen der Orientierung, und Regisseur Jonas Zipf überträgt dieses Suchen nach Wegen in seiner Inszenierung im Probenstil. Es ist nachvollziehbar, sehr kurzweilig - nämlich eine Stunde - wie auch komisch. Aber eines kommt mir dabei dann doch zu kurz: der durchaus in Ansätzen vorhandene tragische Tiefgang. Denn in Wahrheit können Menschen, die so zwanghaft versuchen einer verzwickten Tretmühle zu entfliehen, selten so distanziert auf sich blicken. Das macht es ja so tragisch.

 

Flüchtlinge
von Alfian Bin Sa'at
Regie: Jonas Zipf, Bühne: Christoph Rufer, Samuel Hof, Kostüme: Christoph Rufer, Samuel Hof, Dramaturgie: Tarun Kade.
Mit: Sandra Flubacher, Felix Knopp, Birte Schnöink, Sebastian Zimmler.

www.thalia-theater.de


Mehr zu Gegenwartsdramatik aus Asien? Am Düsseldorfer Schauspielhaus wurde vor einem Jahr im Rahmen eines China-Dramatikfestivals In die Mitte des Himmels von Duo Duo uraufgeführt. Und die Romane von Haruki Murakami werden in Deutschland - im Gegensatz zu Japan - immer wieder auf die Bühne gebracht, zum Beispiel hatte Monika Gintersdorfer im März 2008 Afterdark inszeniert.

 

Kritikenrundschau

Zum Bedauern des Hamburger Abendblatts (15. Mai 2010) ist Jonas Zipf bei seiner deutschsprachigen Erstaufführung von Alfian Bin Sa'ats "Flüchtlinge" zu stark der Versuchung erlegen, das Andersartige zu veralbern. Das Stück werfe persönliche Schlaglichter auf den von ihm beschriebenen Kosmos. Für Jonas Zipf jedoch sind die Figuren dem Eindruck von "asti" zufolge "in erster Linie Pointengeber aus dem Kuriositätenkabinett." Der als "szenische Annäherung" markierte Abend behaupte gar nicht erst, den Stoff des Stücks stringent übertragen zu wollen. "Die Akteure werden genötigt, ihre Regieanweisungen frontal über eine Notenständerwand ins Publikum mitzusprechen. Statt der Begegnung zwischen den Figuren bemüht Zipf erneut die leider so beliebte frontale Rampenansprache. Es reicht aber nicht aus, mit Grundsätzen des Konfuzius zwischendurch notdürftig eine philosophische Metaebene einzuziehen."

 

 

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