Presseschau vom 26. Mai 2010 – Thomas Ostermeier antwortet auf Botho Straußens Kritik am gegenwärtigen Theater

Sie wollen Gift verspritzen

Sie wollen Gift verspritzen

In der Süddeutschen Zeitung (26.5.2010) antwortet der Intendant der Berliner Schaubühne Thomas Ostermeier, Jahrgang 1968, auf Botho Strauß', Jahrgang 1944, Laudatio auf Jutta Lampe zum Joana-Maria-Govin-Preis, in der der frühere Dramaturg eben dieser Schaubühne das gegenwärtige Theater als "Reservat für unantastbare Dummheit und Bildungsferne"  geschmäht hatte. Ostermeier fragt woher denn diese Feindschaft käme?

Ostermeier fragt weiter, ob Strauß überhaupt oft genug Theater besucht habe in den letzten zehn Jahren, um pauschal über "das Theater" urteilen zu können. Und wenn die Schaubühne unter Peter Stein "selbstverständlich Hochperiode" war, wieso habe sie dann keine "maßgeblichen Regisseure hervorgebracht"? "Wo sind die ehemaligen Assistenten von Peter Stein, Luc Bondy, Peter Zadek, die die Theaterlandschaft geprägt haben?" Die Generation von Botho Strauß habe ihre Söhne "weggebissen" und jetzt versuche sie, auch noch in der Generation der Enkel "Gift zu verspritzen".

Ostermeier wehrt sich vehement gegen den Vorwurf der Geschichtslosigkeit. Er nimmt für sich in Anspruch, dass ihm "immer an einem Dialog mit der Generation von Strauß gelegen war", und dass er in seinen Jahren an der Baracke des Deutschen Theaters mit dem ehemaligen Schaubühnen-Dramaturgen Dieter Sturm genauso zusammengearbeitet habe wie später mit Jutta Lampe und Angela Winkler. Nur sein Ansuchen, mit Peter Stein ein Gespräch zu führen, sei von diesem mehrfach und ohne Angabe von Gründen abgelehnt worden.

Besonders trifft Ostermeier der Vorwurf, es gäbe "keine 'vernarrten Regisseure mehr', die ihre Schauspieler entwickeln und betreuen". Seine Arbeitsbeziehung zu Lars Eidinger, sei so eine Vernarrtheit. Genau wie die von Nicols Stemann in Philipp Hochmair, die von Jan Bosse in Joachim Meyerhoff und Edgar Selge.

Alles in allem sei die heutige Theaterlandschaft "wesentlich pluralistischer als die des alten West-Berlins vor dem Mauerfall", in der es für die Schaubühne "keine ernstzunehmende Konkurrenz in der Stadt gab". Naturgemäß konnte es einem im Kalten Krieg, in dem die CDU gegen eine Aufführung von Brechts "Mutter" im Abgeordnetenhaus agitierte, vorkommen, als sei man mit dem Theater "gesellschaftlich wirksam".

Heute, nach dem Ende des Kalten Krieges, seien die "ästhetischen und gesellschaftskritischen Positionen in unserer Theaterlandschaft" höchst "unterschiedlich und ausdifferenziert". Diese "reiche und kraftvolle Theaterlandschaft" müsse sich nicht vorwerfen lassen, dass sie nur 'überzeichne', 'der Ton sich zur Eindeutigkeit verhärte' und 'kalt und exzentrisch' sei.


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