Miss Soweto und der Gott des David Beckham

von André Mumot

Braunschweig, 9. Juni 2010. Man könnte jetzt ins höfliche mitteleuropäische Drucksen kommen und so was sagen wie: Die Dame, um die sich hier alles dreht, sei etwas vollschlank. Aber das ist schon mal absoluter Blödsinn, denn Pinkie Mtshali ist einfach dick. Eine gewaltige schwarze Braut aus Südafrika, die knallrote Chucks trägt, einen Schleier und ein weißes Kleid, das sich straff um ihre Körperkurven legt. Sie sei hier hergekommen, erklärt ihr Begleiter, Boyzie Cekwana, um einen Bräutigam zu finden. Einen, der nicht unter "Frauenphobie oder Fettphobie oder Fickphobie" leidet. Einen, der Manns genug ist für sie.

Ja, sie bietet sich an, lässt sich von einem Herrn im Publikum kokett den weißen Handschuh von den Fingern streifen – und spricht während der gesamten Vorstellung kein einziges Wort. Dafür singt sie aber, und das mit umwerfender Stimme. Lieder, die an diesem Abend im Theaterzelt in Braunschweig wohl nur die wenigsten verstehen, weil die Texte nicht auf Englisch verfasst sind, wie die Kommentare, die aus dem Off kommen, sondern in Mtshalis afrikanischer Muttersprache gesungen werden. Damit ist schon einmal eine Trennung etabliert – und ein Thema.

Die Gegenwart baut neue Sozialschranken

"Presence of the Colonial Past" lautet einer der Schwerpunkte der diesjährigen Theaterformen, weshalb sich Regisseur und Performer Boyzie Cekwana als idealer Gast erweist. "On The 12th Night Of Never, I Will Not Be Held Black" ist der zweite Teil seines "Influx Controls"-Zyklus. (Auch den ersten führt das Festival auf.) Der verbindende Übertitel bezieht sich dabei auf Gesetze, die in den Zwanziger Jahren in Südafrika erlassen wurden, um der schwarzen Bevölkerung Zutritt zu den weißen Städten und gesellschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten zu verstellen. Mit dem Ende der Apartheid sollte all das Geschichte sein, die Gegenwart aber, das wissen wir, baut neue Sozialschranken.

Südafrika heute: Das heißt erst einmal, sehr bald, jede Menge Fußball. Also gute Laune und so. Deshalb kickt auch Cekwana einen kleinen Ball in die Zuschauerreihen. Aber das ist nur ein rasch vergangenes Bild in einem Reigen, dessen spröde Versatzstücke aus Gesten und Posen und Gesang sich erst nach und nach schlüssig verdichten: "Was ist mit einer Identität, die nicht durch Haut, Geografie oder Geometrie vorgegeben ist?", fragt irgendwann sehr explizit eine Projektion an der Rückwand und formuliert so das eigentliche Programm.

"Mach wenigstens meine Freunde fett"

Boyzie Cekwana selbst tritt als Zwischenwesen auf: Die schwarze Haut mit heller, silbern schimmernder Schminke überzogen, eine goldene Engelsperücke samt roter Teufelshörnchen auf dem Kopf, tanzt er durch einen Parcours aus kleinen Pappkameraden, die sein Sekundant (Lungile Cekwana) zuvor aufgestellt hat: Es sind traditionelle afrikanische Figuren neben europäisierten Silhouetten von Männern mit Zylindern und sich räkelnder Models. Zwischen diesen schematischen Menschenbildern wird zu leisen und zu lauten Beats gesungen, lasziv verführt und schließlich gebetet. Das heißt: Ziemlich gehässige Worte gehen an "den Gott der freundlichen Polizisten und der nicht korrupten Beamten, an den Gott von Tiger Woods und David Beckham, an den Gott der Schweizer Banken und des I-Phones 3GS". Stellvertretend für die singende Braut erbittet Cekwana: "Du Gott, wenn du mich schon nicht schlank machen kannst, dann mach wenigstens meine Freunde fett."

Das konkrete Panorama gesellschaftlicher Zerrissenheit ist also durchaus greifbar und dient doch nie als Vorwand für simple Appelle oder stumpfes Lamentieren. Was wirklich schön ist an dieser guten Stunde, die bereits vor Kurzem in Paris uraufgeführt wurde, ist ihr unverdrossener Sarkasmus, der schließlich darin gipfelt, dass Cekwana höhnisch aufs Jenseits setzt. "Im Himmel ist alles weiß, das Essen und die Wolken, und du bist dann auch weiß. Und wirst nur noch Weihnachtslieder hören. Hoffentlich magst du Weihnachtslieder."

Dünnsein ist Verschwendung

Pinkie Mtshali ficht all dies nicht an. Sie hat sich inzwischen selbst zur "Miss Soweto" gekürt, trägt ein Krönchen und eine Schweinemaske, und stimmt noch ein paar neckische Koloraturen der Königin der Nacht an. Damit ist sie endgültig zum Sinnbild einer Aufführung geworden, die sich all die kulturellen Unvereinbarkeiten und die rassistischen Stereotypen als schrille Kostüme überstreift und in einem aufmüpfigen Theater der Bewegung, der Musik und des Spottes auflöst. Immer mehr setzt sich eine unverfrorene Unbekümmertheit durch, die das Publikum ähnlich beglückt wie Pinkie Mtshali. Die grinst jedenfalls zum Schluss sehr überlegen, und auf dem Schild, das sie sich um den Hals gelegt hat, können wir lesen: "Thin is Waste."

 

Influx Controls
Teil Zwei: On The 12th Night Of Never, I Will Not Be Held Black

Regie und Choreografie: Boyzie Cekwana, Musik: Jacques Poulin-Denis, Ausstattung: Lungile Cekwana, Lichtdesign: Eric Wurtz. Mit: Boyzie Cekwana, Pinkie Mtshali, Lungile Cekwana.
www.theaterformen.de

 

 

 

Kommentare  
Influx Controls in Braunschweig: Fehler
Der Titel lautet: On the 12th Night of Never, I will not be held Black.
Black, nicht Back.

(Ist korrigiert! geka / Redaktion)
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