Dein Traum ist uns Befehl

von Mounia Meiborg

10. Juni 2010. Die Instrumente im Labor stehen bereit. Die Mitarbeiter haben die sterilen blauen Plastikhauben über den Kopf gezogen. Nur das Wichtigste fehlt: die Testpersonen. Ein interaktives Stück, bei dem Kinder ihre Träume erzählen und Performer diese spontan auf die Bühne bringen, ist angekündigt - allein, es ist weit und breit kein Kind zu sehen. Sind die bei der vormittäglichen Hitze lieber im Schwimmbad als in der stickigen Black Box des HAU3? Nein, nein, versichert hinterher die Produktionsleiterin, ein Planungsfehler ist schuld, an allen anderen Terminen sind Kinder dabei. Na schön. Dann sehe ich mir eben an, was erwachsene Zuschauer so träumen. Und wie ein paar Performer, die auf Märchen und Monster eingestellt waren, mit Lottogewinn- und Lampenfieberträumen improvisieren.

Das machen sie mit drei Videoleinwänden und jeder Menge schriller Requisiten stellenweise überaus komisch und unterhaltsam. Das Performance-Kollektiv She She Pop, vor zwölf Jahren aus dem Dunstkreis der Gießener Theaterwissenschaften entstanden, beschäftigt sich in seinen Produktionen oft mit dem Zusammenspiel von Inszenierung und Zufall. Im "Träumlabor", das vor zwei Jahren schon mal in der TheaterFabrik Gera zu sehen war und nun in veränderter Form am Berliner Hebbel-Theater Premiere hatte, lassen sich die Performer live von einzelnen Zuschauern inszenieren. Frei nach dem Motto: Dein Traum ist uns Befehl.

Mein Geld, mein Haus, meine geheimsten Wünsche

Schon die Auswahl der Testpersonen folgt dem Zufallsprinzip. Auf den Leinwänden sind drei der Performer zu sehen, die zu beschwingten Rhythmen mit Memorykärtchen spielen. Schuhe, Röcke, Brillen und Bärte sind darauf zu sehen. Als die Musik abbricht und das Videobild einfriert, suchen sie im Publikum nach einer Person mit blauem Kleidungsstück, Schuhen und einer wuscheligen Frisur. Der erwählte Proband, ein junger Italiener, der lieber Englisch als Deutsch redet, wird ins Labor hinter die Leinwände geführt. Auf einem Stuhl fixiert erzählt er seinen Traum: Er gewinnt viel Geld im Lotto und kauft sich ein Haus am Strand von Barcelona.

Aus wenigen Worten entstehen Charaktere und Geschichten. Die burschikose Versuchsleiterin mit strengem Zopf und Kittel verwandelt sich in eine blonde Paris-Hilton-Kopie, die im Muschelbikini mit dem Träumenden am Pool planscht. Auch eine hysterische spanische Prinzessin interessiert sich plötzlich für den Neureichen und übt mit ihm schon mal das staatsmännische Winken. Am Bühnenrand, gut sichtbar für die Zuschauer, entstehen die zur Situation passenden Bilder und Klänge. Aus blauen Steinchen in Nahaufnahme werden auf der Leinwand Wassertropfen, aus dem Laptop sprudelt, rauscht und plätschert es. Schließlich, wenn der Proband eine Viertelstunde lang Protagonist dieser improvisiert-inszenierten Traum-Wirklichkeit war, muss er sich entscheiden: Entweder er begegnet seinem Traum und dessen Personal nun jede Nacht - oder nie mehr. So oder so gibt's noch ein ausgedrucktes Foto als Souvenir und dann ist auch schon der nächste dran.

Süßigkeiten gegen Rapid Eye Movement

Der Ablauf bleibt immer gleich, und leider sind nicht alle der vier Premieren-Träume so leicht und fantasievoll umgesetzt wie der erste. Bei der Steinlawine, die einen Radfahrer am See überrollt (2. Proband) oder dem Träumenden, der in Figur eines Adlers ein Kind auffrisst (3. Probandin), werden dann auch küchenpsychologische Geschütze aufgefahren. Da geht's um Schuld, Angst und das Verhältnis zur Mutter. Monster und Märchen wären bestimmt lustiger gewesen. Aber der rote Kopf, der auftaucht, als eine Träumende (4. Probandin) von ihrem Bühnenalbtraum erzählt, ist auch schon ganz gut.

So machen die Performer mit selbstironischen Sprüchen das Beste aus dem Kindermangel. Und die erwachsenen Probanden haben sicher auch nichts dagegen, dass sie statt der bei She She Pop üblichen Alkoholika diesmal mit Süßigkeiten versorgt werden.


Träumlabor
Konzept und Performance: She She Pop.
Von und mit Johanna Freiburg, Fanni Halmburger, Lisa Lucassen, Ilia Papatheodorou.
Musik: Max Knoth, Jeff McGrory, Video: Bianca Schemel und SSP, Assistenz: Christoph Macha, Produktionsleitung: Elke Weber.

www.sheshepop.de

 

Mehr von She She Pop: Testament entstand im Mai 2010 im HAU, und dass die PerformerInnen darin frei nach Lear ihre Väter auf die Bühne holen, sorgte unter den Kommentatoren für Gesprächsstoff. Und wir besprachen Die Welt, in der wir leben, das im März 2009 im Berliner HAU Premiere hatte. Ebendort kam im März 2008 Familienalbum heraus und im Juni 2007 die Relevanzshow.

 

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