Im Volksbühnen-Exil

Berlin, 14. Juni 2010. Wenn ich demnächst meine Party feiere, dann wird es schwierig, den Stefan einzuladen. Denn ich möchte gerne den Frank dabei haben. Lade ich aber den Stefan ein, dann sagt der Frank: "Wenn Du den Stefan einlädst, dann komme ich nicht!" Jetzt würde ich zwar den Stefan schon ganz gerne bei meiner Party sehen, aber eine Party ohne Frank? Schwierig, schwierig! Können die sich nicht untereinander einig werden? Aber nein, sie setzen mir die Pistole auf die Brust: "Du musst entscheiden. Wer ist dir wichtiger?"

Fast jeder Gastgeber kennt solche Nöte. Im vergangenen Jahr etwa durfte die Frankfurter Buchmesse leidvoll erfahren, dass es nicht so einfach ist, ein Gastland namens China zu haben. Denn die Chinesen sagten: "Wenn ihr zu dem Symposion 'China und die Welt' auch Regimekritiker und Exilchinesen einladet, dann – tja, dann garantieren wir für nichts." Natürlich war die Buchmesse ein guter Gastgeber und lud die Regimekritikerin Dai Qin und den Exilschriftsteller Bei Ling wieder aus. Als die dann aber doch kamen, um ein Statement zu verlesen, verließen die offiziellen chinesischen Gäste beleidigt den Raum. Ach Menno, ist das kompliziert – arme Buchmesse!

Ein gar nicht unähnlicher Fall ereignet sich dieser Tage in Berlin. In der Rolle des Gastgebers fungiert das Institut für Kultur- und Medienmanagement (IKM) der Freien Universität Berlin. Ganz so einfach ist das aber nicht, denn das IKM wollte Anfang Juli seine Tagung "Die Neue Nähe – Kultur, Medien und Politik im Netzwerkzeitalter" in den Räumen der damit ebenfalls gastgebenden (und auch kooperierenden) Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz abhalten. Womit das IKM zweifelsohne nicht rechnete: Auch die Volksbühne hat ihre Exil-Chinesen. Und ausgerechnet so ein Exil-Chinese steht auf der Rednerliste des IKMs – was dessen Direktor Klaus Siebenhaar freilich nicht ahnen konnte, denn die Exilierung der betreffenden Person, des ehemaligen Volksbühnen-Chefdramaturgen Stefan Rosinski, wurde erst vor wenigen Tagen bekannt.

Doch man würde den Großen Vorsitzenden der Volksbühne in seiner unendlichen Weisheit unterschätzen, wüsste er nicht auch in so einer prekären Situation Rat. Über seine verbliebenen Propagandaminister, die am Haus Dramaturgen genannt werden, ließ er an das IKM verlauten: "Ihrem verständlichen Anliegen, dass Stefan Rosinski auf dem geplanten Panel in der Funktion als Kulturmanager auftritt, können wir leider nicht entsprechen. Da die Konferenz in den Räumen der Volksbühne stattfindet, ergäbe sich zwangsläufig eine Beziehung zwischen Herrn Rosinski und seiner ehemaligen Funktion als Chefdramaturg. Dies ist von der Theaterleitung nicht gewünscht. Ich hoffe, Sie haben Verständnis für diese Entscheidung. Zudem würde ich Sie bitten, in dem Programm die Teilnahme von Stefan Rosinski herauszunehmen."

Alles ganz einfach also! Exil-Chinesen müssen draußen bleiben. Dass sich "eine Beziehung zwischen Herrn Rosinski und seiner ehemaligen Funktion als Chefdramaturg" ergeben könnte, das ist selbstverständlich nicht zu dulden – gibt es etwa Beziehungen zwischen Personen und ihren ehemaligen Funktionen? Das wäre ja so, als würde ein Exil-Chinese behaupten, er sei einmal Chinese gewesen! Frechheit!

Nun hat Klaus Siebenhaar seltsamerweise das so einfache Spiel nicht mitmachen wollen und hat einen neuen Ort für die Konferenz gefunden: die Berliner Repräsentanz der E-Plus Gruppe. Da wurde doch glatt der zweite Gastgeber ausgeladen und von Siebenhaar gar des "poststalinistischen Schmierentheaters" bezichtigt. Was für harte Worte!

Doch wen wundert hier noch etwas? Die Volksbühne in Berlin-Mitte ist längst zu einem Reich der Mitte geworden: Ehe man einen Exilanten wieder hineinlässt, verzichtet man lieber auf den Diskurs und schickt ihn in die Räume des kapitalistischen Klassenfeindes. Denn der Diskurs könnte etwas in Frage stellen. Einen Großen Vorsitzenden aber stellt man nicht in Frage.

So, ich wende mich jetzt wieder Dringenderem zu, meiner eigenen Einladungsliste. Wen lade ich denn nun ein – den Frank oder den Stefan?

(Wolfgang Behrens)

 

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