Boulevard mit Bürokraten

von Bernd Mand

Mannheim, 18. Juni 2010. Weit schaut es sich von hier aus. Weit und ein wenig dunstig. Die Kantine der Mannheimer Stadtverwaltung ist ein eigentümlicher Ort. Nicht nur für eine Theaterinszenierung. Über neun Etagen voller Ablagen und Regulierungskatalogen thront sie weitläufig und breit befenstert. Während unter ihr rote Plastiksitzschalen, Ordnerschränke und verwinkelte Gänge regieren. Lajos Talamonti zieht es mit seiner ersten Inszenierung für das Nationaltheater hinaus in die Stadt. Genauer gesagt zu ihrem Herzstück: der Verwaltung.

"Im Kreis der Besten. Leben im Quadrat" ist eine gutwillige und unmittelbare Versuchsanordnung am Tatort. Ein Format, das sich nach Gesine Danckwarts Ausflügen in den öffentlichen Nahverkehr oder den Mannheimer Hafen, auf bestem Wege zur örtlichen Schauspieltradition befindet. Einen Monat lang haben Talamonti und sein Ensemble in Bürgerämtern, Kantinen und Rathäusern recherchiert und Interviews geführt. Ausgangspunkt für die Stückentwicklung bildet dabei die großangelegte Umbauaktion in der lokalen Stadtverwaltung, die Mannheims Administrationsapparat zu einem der modernsten seiner Art in der Republik machen soll. Es geht um Veränderung und Bewahrung, um Innovation und Verweigerung.

Abstieg ins Verwaltungsgewölbe

Herausgekommen ist ein zweistündiges Theaterstück, das sich wacker am Grenzgang zwischen dramatischer Realitätsspiegelung und absurd komischer Boulevard-Performance versucht. Und amüsant schlingernd zu scheitern weiß. Grundsätzlich geht es darum, den Zuschauer in seiner Funktion als Bürger auf seine neue Aufgabe innerhalb des modernen Verwaltungsnetzes vorzubereiten. Stichwort: Bürgerbeteiligung. So werden zu Beginn in einer Podiumsdiskussion mit leitenden Angestellten der Verwaltung die neuen Ziele dargestellt. Im zweiten Teil taucht man tief ein in die behördliche Rangordnung und trifft auf den regulären Betriebsalltag, der mit den großen Zielen recht wenig zu tun hat.

Für den Zuschauer bedeutet das einen permanenten Schwebezustand zwischen Reportage und Workshop, der bisweilen Züge einer düsteren Freakshow annimmt. Wenn sich das Publikum in Gruppen aufteilt und den Abstieg ins Verwaltungsgewölbe antritt, so entpuppt sich die beamtete Reiseleitung schnell als manische Ordnerhexe mit eindeutigem Hang zum Okkulten. Almut Henkel agiert hier ehrgeizig ausladend und mit bestechender Nähe.

Abziehbilder vom bürokratischen Alltag
Insgesamt kann sich Lajos Talamonti auf ein stark spielendes Ensemble verlassen, das immer wieder zu präzisen Sprüngen ansetzt. Gerade im zweiten Teil des Abends, der im Großen Wartesaal zwischen den ehemaligen Büros des Stadtarchivs spielt, tragen Ragna Pitoll, Thorsten Danner und Jacques Malan in einem über weite Strecken stummen Tür-auf-Tür-zu-Spiel den Spannungsbogen um einiges weiter, als es die dramaturgische Anlage eigentlich zulässt.

Immer wieder schlurft der Abend durch inhaltliche Wiederholungen und ominöse Längen. Zum größten Teil mag das den unbedarften Abziehbildern geschuldet sein, die hier vom bürokratischen Alltag gezeichnet werden und sich vorschnell abnutzen. Wenige Untertöne werden den oftmals stark polternden Zitatphrasen entlockt, die das textliche Grundgerüst bilden. "Verwaltung, das heißt für viele, die können nichts" heißt es am Anfang des Stückes und irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Talamontis theatrale Untersuchung dem nicht viel entgegen zu setzen hat.

Wirklich kein Scherz
Der teilweise haarsträubend absurden Komik des Abends schadet das allerdings nur unwesentlich. Ist doch die schleichende Eskalation der behaupteten Podiumsveranstaltung im ersten Teil ein mustergültiges Beispiel für flott und genau gearbeitete Humorigkeit. Clever wird hier mit den Kernen der vorgestellten Klischees gespielt und ein großspurig angekündigtes Reformunternehmen ordnungsgemäß auseinander genommen. Schade, dass sich der Abend am Schluss in einem langwierigen Spiel mit Sichtbarkeiten und verdeckten Einsichten verliert.

Weite Teile der Handlung spielen hinter verschlossenen Bürotüren und der Zuschauer verfolgt das Treiben über Flachbildmonitore an den Wänden. Ein realistisches Bild vom Warten auf dem Amt und dem diffusen Alltag seiner Beamten wird hier gezeichnet. Als wollte man einem sagen, dass das alles aber nun wirklich kein Scherz ist. Atmosphärisch ist das zwar eine dichte Angelegenheit, doch ein seltsam schweres und verwirrendes Ende für einen Spielabend, der sich so lautstark für die leichte Komödie entschlossen hatte. Und am Ende aber irgendwie den Mut zum Spaß verloren zu haben scheint.

 

Im Kreis der Besten. Leben im Quadrat
von Lajos Talamonti
Regie: Lajos Talamonti, Ausstattung: Kathrin Younes, Dramaturgie: Jan-Philipp Possmann. Mit: Almut Henkel, Ragna Pitoll, Thorsten Danner und Jacques Malan.

www.nationaltheater-mannheim.de


Der Performer, Schauspieler und Regisseur Lajos Talamonti, Jahrgang 1969, ist ausgebildeter Tänzer. Bekannt wurde Talamonto um die Jahrtausendwende vor allem durch Produktionen von Nico & the Navigators und Forced Entertainment. Zuletzt hat Talamonti viel mit Hans-Werner Kroesinger zusammengearbeitet, u.a in dem dokumentarischen Abend über die Flick-Familie CAPITAL politics im Januar 2010 im Berliner HAU.

 

Kritikenrundschau

"Büroschlaf war gestern, längst hat das New Public Management alle größeren Rathäuser der Republik erobert", schreibt Monika Frank in der Rhein-Neckar-Zeitung (21.6.2010). "Die Verwaltung versucht, sich nach den privatwirtschaftlich bewährten Methoden zur Kundenorientierung, Qualitäts- und Produktivitätssteigerung neu zu gestalten. Doch zwischen Vision und Realität klaffen schwer überbrückbare Abgründe, wie Lajos Talamonti (...) am Verhalten der vier Prototypen zeigt, die hier als Experten am Podium sitzen und das Publikum zum Bürger-Infoabend begrüßen." Das in der Bürgerrolle immer wieder direkt angesprochene Publikum amüsiere sich, "zumindest im ersten Teil des Abends, königlich, wobei der Witz der dramaturgisch gut gestalteten Textvorlage eine wichtige Grundlage für das Vergnügen an der unterhaltsamen Produktion" liefere, "diese aber ganz entscheidend von der ansteckenden Spielfreude des vierköpfigen Ensembles getragen" werde.

 

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