Und weil der Aff' ein Aff' ist ...

von Georg Kasch

Potsdam, 18. Juni 2010. Ach, er ist zum Lausen, dieser Affenzirkus: Sieben Schimpansen tummeln sich auf einer Bühne und sagen Elfriede Jelinek auf. Dieser Witz hat keine Pointe? Das ist auch das Problem von Lukas Langhoffs "Kontrakte des Kaufmanns"-Version in der Reithalle, der Nebenspielstätte des Hans-Otto-Theaters in Potsdam.

Aber von vorn: Vor rot bestrahltem Rundhorizont zirpen die Zikaden, bis sieben Schauspieler in Affenkostümen hervorkriechen, um auf den Steinplateau-Stufen an den Felsimitaten zu pulen, einander zu beschnüffeln, mit dem Finger das kreisrunde Wasserbassin zu entdecken, während ihre Geschlechtsteilchen gar lustig baumeln. Bis das Telefon klingelt, eine Art Münzfernsprecher, der da verloren und verfremdend als selbst schon überholtes Zeichen der Moderne in der Steinzeitwelt herumsteht. Niemand geht ran, dafür erschlägt ein Affe einen anderen mit einem Knochen.

Antikapitalistischer Agitprop

Der Affe ist dem Affen ein Wolf, ergo Manager, könnte das heißen, schließlich wird danach jene Jelinek-Passage aufgesagt, in der es um den strafmildernden Lebenswandel ebendieser Spezies geht. Es könnte aber auch etwas ganz anderes bedeuten. Wieso eigentlich Affen, wenn es um Banker, Kleinanleger und Wertpapiere geht? Das ist auch das Problem auf Langhoffs Planet der Affen. Denn Jelineks jüngere Texte halten Vieles aus, sie bieten sich als Endlos-Textschleifen geradezu an für Martern, aber auch Sinnfindungen aller Art. Man muss sich nur mit ihnen beschäftigen wollen.

Langhoff aber will offenbar nicht und inszeniert um wenige Jelinek-Fragmente herum ein recht beliebig wirkendes Affentheater. Er stellt ihre (oft schlecht gesprochenen) Sätze aus, als handele es sich um unverdauliche Brocken, lässt sie an der Rampe brüllen, als wäre es antikapitalistischer Agit-Prop. Und statt sich ihrer böse funkelnden Pointen zu bedienen, die uns über uns, unsere Dummheit, unser vergebliches Vertrauen ins System lachen lassen, schäumt er aufwändig die Schmierseife des Boulevard-Kalauers auf.

Lachnummern des Uneigentlichen

Da imitiert ein Nachäffer mit Ukulele den Oberaffen, singt ein anderer überdreht mit EU-Fahne um die Hüften Lenas Songcontest-Hit "Satellite", reihen sich Verhörer und Missversteher. Oder der Gag mit der Blume: Da zwirbelt sich zum Kitschsound eine rote Nelke aus dem Boden, das Schimpansen-Mädchen wird (trotz Politikverdachts: "Nachtigall, ick hör dir trapsen") ganz andächtig und bittet und bettelt, als sich das zarte Pflänzchen zurückzieht. Sie schaut ihr hinterher – prompt landet die emporschießende Blüte in ihrem Auge. Palim Palim...

Aber auch all das bringt den Abend nicht zum Flutschen. Nach etwa der Hälfte der eineinhalb bleiernen Stunden kommt einer der Affen auf den Trichter: "Das ist ja alles kaschiert!" Steine, Felsen, der Teich? Nicht echt! Die an den Rändern ausfransende Bühne, wie nicht fertig geworden? Alles bloß eine "Scheißmetapher"? Allein für diese Erkenntnis erscheint die Ausstattung (vom Regisseur höchstselbst, zusammen mit Regina Fraas) dann aber doch arg aufwendig. So wie die gesamte Inszenierung, wo nichts so sein will, wie es scheint, eine Lachnummer des Uneigentlichen. Wenn das dann wenigstens lustig wäre... Warum hier einer Jelineks kraftvoll bohrenden, musikalischen Text malträtiert, bleibt bis zum Schluss unklar.

Wenn der Münzfernsprecher klingelt

Dabei hat Langhoff schon bewiesen, dass er Jelinek kann, zum Beispiel in seiner lokal aufgefangenen Inszenierung von "Raststätte" 2006 in Magdeburg. In Potsdam aber lacht man jetzt nur über, nicht mit Jelinek: Wieder klingelt das Telefon, nun nimmt einer der Affen ab. Dran ist die Autorin persönlich, mit der der Schauspieler angelegentlich plaudert. Von Wirtschaft hat er keine Ahnung – wie sie? ach! – und will nur seine Ruhe – wie sie? aha! Nebenbei schiebt er ihr die Interpretation des Affentheaters in die Schuhe ("weil der Mensch ist ein Tier") und folgert: "Sie sind ich!" – da legt Jelinek auf.

Was möglicherweise als Diskurs über das Verhältnis von Autor und Schauspieler gedacht war, kommt als Jelinek-Persiflage über die Rampe. Langhoffs Planet der Affen zwischen "I got the power"-Tanz und Sprachrap amüsiert sich über einen starken Text – und sagt dabei nichts als Helau.


Die Kontrakte des Kaufmanns
von Elfriede Jelinek
Regie: Lukas Langhoff, Bühne: Lukas Langhoff/ Regina Fraas, Kostüme; Ines Burisch, Dramaturgie: Helge Hübner.
Mit: Nele Jung, Friederike Walke, Simon Brusis, Christoph Hohmann, Marcus Kaloff, Philipp Mauritz, Florian Schmidtke.

www.hansottotheater.de

 

Mehr lesen? Elfriede Jelineks Die Kontrakte des Kaufmanns war in Nicolas Stemanns Kölner Uraufführung für den Mülheimer Dramatikerpreis 2010 nominiert. Lukas Langhoff, der Regisseur der Potsdamer Aufführung, kam Anfang dieser Spielzeit mit Tobias Wellemeyer vom Theater Magdeburg, wo er u.a. 2008 Life after God nach Erzählungen von Douglas Coupland inszenierte.

 

Kritikenrundschau

Zum Glück, findet Lena Schneider (20.6.2010) im Berliner Tagesspiegel, offeriere Lukas Langhoff "weder Maßanzüge, Geldkoffer noch Zigarren". Stattdessen gehe er mithilfe von Kubricks "Odyssee im Weltraum" zurück "zum Ursprung des Habenwollens und zeigt, dass der menschliche Wettbewerbsgedanke eine ziemlich animalische Angelegenheit ist." Ein naheliegender Gedanke, allerdings beginne nun keine Auseinandersetzung mit Jelineks "Textmonster", sondern verharre man "beim Affengedanken, etwas Neues kommt nicht wirklich dazu". Einer der Affen entdecke, "dass ihre Welt eine Bühne und also aus Pappmaché ist". Diese "Alles-Fake-hier-Tirade" lasse sich "bestens auf das Thema des Abends beziehen: auf jenen absurden Moment, als die Anleger nach dem Börsencrash 2008 merken mussten, dass ihre Gewinne so wenig real waren wie Felsbrocken im Theater". Das sei einer der "Lichtpunkte in einem sonst ziemlich arglos dahin plätschernden Abend. An Ideenmaterial fehlt es ihm nicht", und die Schauspieler "ackern und schwitzen sich bravourös" durch die Veranstaltung. "Der Text scheint Langhoff aber insgesamt eher lästig gewesen zu sein." Herauskämen "lose dahingestellte Szenen", in denen sich die Schauspieler "so oft auf die Verschrobenheit des Stücks beziehen", dass man das Gefühl habe, "man wolle sich für die sperrige Textvorlage entschuldigen". Die "jelineksche, bei aller Komik stets mitschwingende essenzielle Dringlichkeit" gehe dabei gänzlich verloren.

Was ihm hier geboten wird, ist für Karim Saab von der Märkischen Allgemeinen Zeitung (21.6.2010) "nur eine öde Diät, beraubt um so ziemlich alle Geschmackskomponenten und Kalorien, die der leidenschaftliche wie routinierte Text der Österreicherin in die Waagschale wirft". Langhoff habe sich "ein paar plumpe Kinkerlitzchen einfallen lassen und immerhin zwei Ideen konsequent durchgezogen, die aber beide nicht aufgehen": Zum einen sprenge er "nur vereinzelte Trümmerstücke" aus der Textfläche heraus, die seine Schauspieler dann spielen müssten, "als handele es sich um konventionelle Shakespeare-Dialoge". Zum anderen mache er "plakatives Affentheater" daraus. Die Inszenierung werde "in die Vor-Steinzeit verlegt, als Gier und Geiz noch direkt zu Mord und Totschlag führten". Diese These werde "mit einem solchen Aufwand umgesetzt, dass der Umgang mit der Sprache darunter barbarisch leidet. Langhoff hätte es besser bei einer Pantomimen-Show belassen sollen!" Der Kritiker findet es "wirklich bedauerlich, dass die kleine und doch so wichtige Nische des zeitgenössischen Regietheaters in Potsdam von einem so hilflosen, nur klamaukverliebten Hausregisseur besetzt wird. Gerade Subversion müsste doch gekonnt sein."

Für Dirk Pilz von der Berliner Zeitung (21.6.2010) ist dies eine Inszenierung, "in der frisch und fröhlich drauflosgespielt wird, ohne sich weitere Sorgen zu machen, (...) inwiefern eine wie auch immer vage Beziehung zur Textvorlage erhalten bleibt". Langhoff überrasche "mit einer These, die offenbar eine Art stumpfe Zustimmung hervorzurufen versteht: Der Mensch, sagt uns dieser Abend, ist vom Affen praktisch nicht zu unterscheiden, so tierisch wie er sich in allem gebärdet. Freilich, Unterschiede gibt es schon. Banker zum Beispiel sind ganz besonders doofe Affen, noch doofer ist eigentlich nur der Kapitalismus, der solche Bankeraffen hervorbringt. Womit wir auch schon die Botschaft des Abends beisammen hätten. Sehr schön ist, dass uns diese in unerschrockener Deutlichkeit vorgetragen wird". Am allerschönsten aber sei es, "dass sich dieses Affentheater nirgends von Jelineks Text verunsichern lässt". Dieser sei ja "ein schlimm uneindeutiges Stück Literatur, aus dem sich leider nicht herauslesen lässt, dass die Banker, der Kapitalismus und das Geld die bösen Buben der Weltgeschichte sind." In Potsdam gebe man sich hingegen "in allem große Mühe, ein großes Irgendwie entstehen zu lassen, das in allem darauf hinausläuft, dass halt irgendwie mit dem Kapitalismus was nicht stimmt".

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