Im Jubeleinsatz

Berlin, 20. Juni 2010. Die Zusammenhänge von Repräsentation und Diktatur geben ja immer mal wieder zu denken. Und die Zusammenhänge von Fußball und Theater auch. Nicht genug kann man außerdem in diese Tagen darauf aufmerksam machen, dass das Theater schon von jeher nichts anderes als praktiziertes Public Viewing ist.

Aber was ist von der Nachricht zu halten, dass der nordkoreanische Diktator Kim Jong Il nun dem Mangel an nordkoreanischen Schlachtenbummlern bei der WM in Südafrika damit auszugleichen sucht, dass er tausend chinesische Schauspieler engagiert hat, als Koreaner nach Südafrika zu reisen, um die nordkoreanische Elf zu bejubeln? Dazu muss man wissen, dass die Bewohner der Demokratischen Volksrepublik Korea einem generellen Ausreiseverbot unterliegen, normale nordkoreanische Fußballfans also, selbst wenn sie gewollt hätten, gar nicht nach Südafrika hätten reisen können. Und nordkoreanische Schauspieler aus diesem Grund eben leider auch nicht in Frage kamen.

An ihrer Stelle sollen nun die arbeitslosen chinesischen Schauspieler die Elf aus Pjönjang beklatschen und bejubeln. Unter Anleitung eines koreanischen Chorleiters übrigens – ein Sachverhalt, der einen demystifizierenden Schatten plötzlich auch auf das aktuelle Chorwesen auf deutschen Bühnen wirft. Und darüber hinaus die Frage aufkommen lässt, ob sich in Zukunft in Korea nicht Betätigungsfelder für Schauspieler auch aus deutschen Landen auftun, die auf Grund immer weiterer Theaterschließungen hierzulande keine Beschäftigung mehr finden. Das künftige Betätigungsfeld lässt sich ja morgen zunächst einmal am Fernseher studieren: wenn die chinesischen Koreaner beim Spiel Portugal-Nordkorea ihre Plätze eingenommen haben und der Chorleiter im Auftrag von Kim Jong Il das Zeichen für den Jubeleinsatz gibt. (sle)

 

Passend dazu im Redaktionsblog: die nachtkritik-Elf für Afrika und chinesische Verhältnisse an der Volksbühne. Hier geht's zu den gesammelten Blog-Beiträgen im Menü "gemein & nützlich".

 

Kommentare  
Redaktionsblog Korea-Chor: Chinesen im Sommerloch
Die Chinesen im Sommerloch. Na Gott sei dank gibt es die Volksbühne und die Fußball-WM, sonst würde hier keinem mehr was einfallen. Lustig ist das schon, zeigt es doch wieder mal das in jeder Diktatur solche potemkinschen Dörfer blühen und Jubelperser gab es ja auch nicht nur im Kommunismus. Durchaus passend dann auch der Reichsparteitags-Spruch unserer ZDF-Journalistin KMH in Südafrika. Was das alles mit Theater zu tun haben könnte, außer das da chinesische Schauspieler klatschen, nun der Claqueur sitzt auch bisweilen hier im Publikum und so können die deutschen Schauspieler auch zu Hause bleiben.
Redaktionsblog Korea-Chor: 7:0
Portugal hat 7:o gegen Nordkorea gewonnen!!!!
7:0
Redaktionsblog Korea-Chor: wieder zwei Nationalmannschaften
@stefan. Also wenn man heute vor der Volksbühne steht, liest man da von oben nach unten "Ost Kommunismus Volksbühne". Vielleicht haben wir ja demnächst wieder zwei Nationalmanschaften und nur noch die Schauspieler wissen, wem man eigentlich applaudieren muss.
Redaktionsblog Korea-Chor: Draußen Kommunismus, drinnen Krömer
@123.Draußen Kommunismus, drinnen Krömer. TV-Kader-Theater. Pollesch als Türsteher. Lude Castorf. Und Hitlerine an der Stange. Plus Finzi Samuel als Hummer-KZ-Koch. Fein, fein. Und Harald lacht dazu.
Redaktionsblog Korea-Chor: was passiert nach der Wiedervereinigung?
@ 123
Na, mit dem Kommunismus war das doch wohl nur ein kurzes Gastspiel, die einen raus die anderen rein und zwischendurch ein wenig Unterhaltung vom Unterklassenclown aus Neukölln. Leider ist Jakob Hein ja bekanntlich sportlich eine Niete, aber er hat eine lustige Geschichte zu den Schattenseiten der Schauspielerei geschrieben, „Dieter Krebs` letzter Kalauer“. Leider hat er nun doch nicht auf seine Eltern gehört und ist im Schauspielfach gelandet. Aber es gibt noch eine nette Geschichte wie Jakob Hein zum Antikommunisten wurde, nachzulesen in „Mein erstes T-Shirt“.
Zwei Nationalmannschaften gibt es dann doch nur weiterhin in Korea und die sind nun auch schon wieder zu Hause auf ihrer Halbinsel. Wenn man da an 1990 denkt, einig Vaterland und gleich Weltmeister, da wird einem immer noch ganz komisch dabei. Was wird erst passieren, wenn sich Korea wieder vereinigt?
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