Vom Verschwinden des Autors und dem anschwellenden Theater

von Nis-Momme Stockmann

Juni 2010. Alles ist in konstanter Veränderung. Oder eher: Veränderung ist die grundlegende Motorik und der einzige gemeinsame Nenner aller Phänomene und Dinge. Nichts ist grundsätzlicher als die Veränderung. Und eine potente, die Rezeption und Narrativität beseelende menschliche Krux war schon immer: die Angst vor dieser Beweglichkeit, die Angst vor der Transzendenz, vor der diffusen Morphologie der Dinge.

Unser gesamtes kognitives System und die ausufernde Lexikalität der Moderne – sie sind der Versuch, die Welt und ihre Veränderbarkeit zu greifen und zu beherrschen. Eine grundsätzliche ästhetische Begierde ist die Begierde nach Statik, Messbarkeit, Kalkulierbarkeit, Verständlichkeit und mit ihr nach Kontrolle über unsere Welt. In einer Welt, die die zunehmende Disparität der Dinge effektiv katalogisieren muss, ist jede kognitive Statik, jede kollektive Annahme über die Wirklichkeit ein kleiner Sieg.

Jedes Wort muss ein Begriff sein, jeder Sektor klare Konturen haben. Jede Messung die Messbarkeit bestätigen. Denn das bedeutet Macht über die Vorgänge zu haben – sie verstehen, sie kalkulieren, sie bezeichnen können.

Ich liebe das Wesen des Autoriellen

Mein Verleger hat diese Angst nicht. Als ich ihm in der Vorbereitung zu diesem Referat schrieb und ihn fragte: "Glaubst du, der Autor verändert sich?", da sagte er ganz nüchtern: "Natürlich bzw.: hoffentlich." Was mich zuerst in Form einer Panik, ich könne überflüssig werden (oder vielleicht schon sein?), überkam, hat in der Arbeit an diesem Referat eine ganz andere Kraft entwickelt.

Ich glaube: Man liebt die Dinge nur wahrhaft, wenn man sie auch in ihrer Veränderung liebt. Oder eher: Dann liebt man ihr Wesen, nicht nur ihre Form. Und ich glaube ich liebe vor allen Dingen das Wesen des Autoriellen und nur zweitrangig seine jeweilige Form.

Zur Frage, was eigentlich genau das Autorielle ausmacht, gibt es kaum noch zeitgemäße Überlegungen, denn der Autor, der nicht in totaler Verquickung mit dem Markt stattfindet, kriegt immer ein "aha", das so viel sagt wie "so so – ein Idealist" (wobei Idealist hier für "Loser" steht). Das Autorielle wird immer in Verquickung mit dem Markt gedacht. Die Schamlosigkeiten des Mainstreams, sie sind anders als in der Musikindustrie am Theater und in der Literatur höchste Zierde. Ein erfolgreicher Autor ist ein relevanter Autor.

Die brennende Notwendigkeit des Dramatikers aber gibt es auch in seiner erfolgreichsten Form nicht mehr, allerorten wird er durchgenickt und erhalten – das hat etwas hochgradig Museales, ein bisschen wie eine Trachtengruppe. "Ach, das gibt's noch?", ist die Paradefrage, wenn ich bei einer Mitfahrgelegenheit erzähle, ich schreibe für's Theater. Von Relevanz sprechen führt immer zu einigem "Peinlich-zur-Tischkante-Heruntergucken". Es fehlt eigentlich nur noch, dass wir Schärpen tragen und uns zum Fechten treffen.

Braucht es den Autor überhaupt noch?

Ich glaube, es ist wieder wichtig, sich über die Form und mit ihr die Rolle des Autors, seine Attribute und Affekte, seine Kraft und seinen Zweck auseinanderzusetzen. Denn bei der Markthegemonie, in die die Theaterkultur mittlerweile ohne große, und wenn, dann nur lauer und nie ehrlich hoffnungsfroher Gegenwehr eingebettet ist, gibt es eine Verschiebung der Wahrnehmung des Autors zugunsten seiner Figur und ihrer oberflächlichen Bewegungen (ästhetischen wie räumlichen) und zulasten der autoriellen Kräfte, die ihn beseelen (die kaum noch jemand ernst nimmt und wahrnimmt – oftmals nicht einmal der Autor selbst – ich habe schon die furchterregendsten Antworten auf die Frage nach dem autoriellen Anliegen erhalten. Einer der Gründe, warum wir Elfriede Jelinek so feiern – für ihre Anliegen).

Und das Infragestellen der Autorenfigur und seiner Aufgabe findet nicht mehr statt. Es wird nur noch schwammig von der "Qualität der Dramatik" gesprochen, die keine Maßstäbe kennt (die sich aber, glaube ich, oft im Orbit des Anliegens aufhält, ihr Fehlen merkt und beweint, es aber seltsamerweise nie als ursächlich reflektiert. Stattdessen wird von der Welthaltigkeit gesprochen, die sich in ihrer Diffusität mittlerweile für jeden feuilletonistischen Zweck prostituieren muss, ohne eigentlich wirklich etwas zu bezeichnen).

Der Autor ist seiner ursprünglichen Rolle nicht mehr gewachsen und auch nur latent an ihr interessiert. Sie gilt als naiv und anachronistisch.

Ich glaube es ist wichtig, mal wieder die sehr simpel anmutende Frage zu stellen:
Was ist uns der Autor eigentlich, wofür steht er und wofür braucht es ihn? Oder: Braucht es ihn überhaupt noch (außer für die ökonomischen Strukturen der Theaterindustrie)? Und gibt es genug Raum am Theater für die notwendigen Veränderungsprozesse des Autoriellen? (Und notwendig sind sie, sobald jemand in ihre Richtung arbeitet, sobald jemand für sie aufsteht und sie bezeichnet: Wir haben ein Anliegen. Wir möchten dem Anliegen Raum und Redezeit geben.)

Die Seele der Arbeit muss das Anliegen sein

Das ist der Gegenstand, den wir in den Künsten jederzeit und immer überprüfen müssen: Ist das Anliegen das Zentrum unserer Bemühungen? Ist am Theater und seinem Markt ein Raum geschaffen, der dem Anliegen Luft lässt? Oder hat unser Bemühen etwas Systematisches, etwas Prinzipielles – und dadurch auch die Rolle des Autors etwas Prinzipielles?

Ich glaube: Es soll, es darf den Autor nur geben, wenn er denn Sinn macht. Ansonsten hält man ihn artifiziell in der Struktur, gibt ihm eine Form, die nicht zeitgemäß ist, die kontraindikativ ist für das Theater und seine Sache, für die Diskurskultur im allgemeinen. Und das ist in der trägen Struktur der Theater und Verlage und dem Missverständnis um die Autorenförderung und ihren herbeigesehnten Effekten zu einem Teil schon so geschehen.

Hält das Theater die autoriellen Tendenzen fern, die aufstreben – die es geben will –, dann hält es sich die Energien der Veränderung, der Erneuerung und damit den erneuerungsinteressierten aktiven Zuschauer fern. Beruft es sich auf tradierte Werte, dann behauptet und feiert es burschenschaftsartig den Anachronismus und bietet nur Raum für Diskussionen, für Werte, für ein Klima, das auf einem "Gestern" beruht, das krötig auf Stolz und Eitelkeit und Eigennutz und Prinzipien hockt und es als Kunst verkauft. Auf Werten und nicht auf deren Überprüfung. Dann stehen wir einem System gegenüber, das Strukturen im Geiste von Prinzipien und nicht im Geiste von Notwendigkeiten erzeugt. In den Dienst welcher Kraft wollen wir uns stellen?

Der Mensch benötigt autorielle Kanäle. Wir müssen ganz naiv aber wieder die Frage danach stellen: Was transportiert unsere autorielle Arbeit, welche Kultur geben wir ihr? Transportiert sie der Gedanke, transportiert sie das Anliegen?

Denn die Seele unserer Arbeit muss das Anliegen sein. Ist das Anliegen nicht der Motor des Theatergeschehens, dann ist das Theatergeschehen seelenlos.

Ich erlebe: Man gilt als naiv, wenn man sich nicht den gängigen Routinen anschließt. Zu den gängigen Routinen gehört der Zynismus und die Kälte in der Begegnung mit der Phänomenologie des Menschlichen. Der Ort für Emphase ist die Lektüre der Kritiken. Es gibt am professionellen Theater kaum Chancen an der Ertragsfixierung vorbei zu denken, vorbei zu leben, vorbei zu schreiben.

Und das Theater ist einer der am meisten subventioniertesten Kulturbereiche!

Liebt naiv, denkt naiv, arbeitet naiv!

Die implizite Haltung, der professionell am Theater Arbeitenden ist: Es ist naiv zu denken, man könne am Geld vorbei denken, arbeiten. Es ist naiv zu denken, man könne mit dem Theater oder mit der Literatur etwas verändern. Es ist naiv dem Autor eine bedeutungstragende Rolle zu geben. (Denn der Autor ist überholt.)

Ich sage: Ich bin gerne naiv. Und ich bin es aus voller Überzeugung.

Und ich möchte dazu anstiften, naiv zu sein, naiv zu lieben, zu denken, zu arbeiten.
Die Konvergenz von Kunst und Markt tut dem Autor nicht gut. Markt bedeutet Dressur. Dressur bedeutet Abschliff der Diskurse. Autor sein aber bedeutet, sich in den Dienst der kleinen und aufstrebenden Diskurse, der Alternativen, der Ungehörten, der Subjektivität zu stellen. Dem Fremden in uns – dem Zweifel – und dem Fremden in der Welt Stimme zu geben. Es bedeutet, nicht in erster Linie das Bekannte und Erwünschte handwerklich kompetent zu verschachteln.

Wir dürfen nicht nur für das Theater und seinen Markt schreiben, wir müssen auch dagegen schreiben. Nicht nur für die Menschen und ihre Gewohnheiten, auch gegen sie.

Was sind wir für Künstler, für Autoren, wenn wir uns in der immanenten Profitabilitätsreflexion unseres Berufsbildes immer die Frage nach dem "Ob" stellen.
Und das "Ob" den Einflüsterungen des Marktes überlassen.

"Ob das wohl so geht."
"Ob mir das wohl nützt."
"Ob das wohl verdient"
"Ob die Theater das wohl spielen."

Das "Ob" soll den Autor nicht bedrücken. Nur das "Wie". Das "Wie" bestimmt, welche Gestalt der Autor hat. Das "Ob" stellt den Autor in Frage, mit dem "Ob" macht er sich überflüssig, mit dem "Ob" ist er sein trauriger Schatten, mit dem "Ob" ist er seine eigene Satire.

Ich bin überzeugt: So lange es Anliegen gibt, gibt es Autoren. Egal welcher Kanal es sich sucht, egal wer der Autor ist: eine Gruppe, eine zwingende Idee, dokumentarisches Theater, performatives Theater, Laientheater, Regietheater.

Wie die autoriellen Kräfte zutage treten dürfen, bestimmt, was für ein Ort das Theater ist: ein reaktionärer, verstaubter, dummer, tauber Ort, oder ein beseelter, kräftiger, ein wichtiges Zentrum zum Angriff auf Diskurse, zur Produktion von Alternativdiskursen.

Meine Mutter hat es immer gesagt, es klingt eine Spur plump, ist aber im Grunde sehr weise: Der eine so, der andere so. Eine der hervorragendsten Eigenschaften der Post-Postmoderne ist, wie auch Luhman formuliert, das unbeschadete Koexistieren aller Strömungen und Strukturen.

Bildet wirklich und ernsthaft das Anliegen das Zentrum, dann ist die klassische Figur des Autors egal. Und das sollte sie auch sein. Der Weg, in dem sich ein Anliegen medial herausbildet, ist zweitrangig, wenn es einem wirklich um das Anliegen geht.

Erste Priorität hat immer, muss immer haben: zweifeln, Anliegen transportieren, anstiften zum Zweifeln.

Und diesem Fokus müssen wir Rechnung tragen, ihn müssen wir pflegen und ihn müssen wir frei halten, da, wo wir es können, und am Theater können wir es noch weitestgehend – ihn frei halten von den Zwängen, den expliziten Zwängen des Marktes und den impliziten, die wir durch unseren sozialen Umgang, durch unsere Kultur, ihre Semantik, ihre Denkbilder (die von einer Markt- und Handelsgebildeten Gesellschaft geprägt werden) in unseren Umgang mit Kunst und Kultur tragen.

Denn nur wenn die Theater den Boden ebnen für den freien Autor, dann kann diesem das "Ob" egal sein, und er kann sich wieder mit dem "Wie" auseinandersetzen.

Kunst ist der brennende Wunsch nach Veränderung

Wir dürfen nicht nur den Autor, nicht nur Karrieren, nicht nur Profile, nicht nur die Erträge und alles im Lichte des plumpen symbolischen oder finanziellen Mehrwerts fördern. Wir müssen auch selbstlos das, was keinen augenblicklichen, keinen offensichtlichen Nutzen und Ertrag hat, pflegen.

Wie begreifen wir Kunst? Wir dürfen Kunst nicht begreifen wie Waren im Kapitalismus. Die Haltung, auf die wir treffen ist: "Was interessiert mich der Autor vom letzten Jahr, die Idee vom letzten Jahr?" Und auch der Autor begibt sich in diese Hegemonien. Er übernimmt das Rückratlose, Flaue, Vorsichtige, Gefällige. Die Resignation und Desillusion, die Niederlage der Idee – sie wird nicht mal mehr durchlebt, sie steckt in vielen Künstlerleibern und -köpfen schon per Anlage, weil sie sonst den Eintritt in den Markt gar nicht vollziehen können oder dürfen. Der Markt, er steckt in allem: in Form, in Inhalt, in Arbeitsstrukturen.

Nein: Wir müssen zurückkehren zu dem essentiellen Gehalt von Kunst. Wir belächeln sie als randständig und harmlos und tragen sie mit einer Spur Wohlwollen in das nächste Jahrtausend. Wir müssen ihre semantischen Aktivitäten wieder ernst nehmen. "Kunst", das ist das, wodurch wir Mensch sind, das ist das, wofür man leben und sterben will, Kunst, das ist das, wofür man in letzter Instanz sogar bereit sein muss, das künstlerische Arbeiten zu lassen. Kunst, das ist Wille zum Leben, der brennende Wunsch nach Veränderung, nach Alternativen, nach Flexion von Welt und Wirklichkeit. (1) Kunst ist die Stimme gegen eine Welt des Offensichtlichen. Sie ist die Dialektik unserer Identität. Kunst hat uns durch die Jahrtausende getragen. Sie hat uns die Veränderungen unserer inneren und äußeren Welt erfahrbar, reflektierbar gemacht. Sie hat Veränderungen möglich gemacht. Sie ist die Liebe zu unserer Veränderlichkeit. Kunst ist Mensch! Überlassen wir sie nicht dem Markt und seiner Semantik!

Lasst uns Texte betrachten, Ideen, Anliegen – nicht Profile, Karrieren. Der Autor muss weg vom Plakat und rein in die Dynamiken der Auseinandersetzung. Da gehört er hin. Wir müssen mit unserem Fokus weg von Werk und Autor, weg von Ergebnisheiligkeit, weg vom Karrierismus – hin zur Arbeit, zum Gedanken, zur Meditation. Weg vom verfeuernden Duktus, von der Hysterie des Kapitalmarkts: Die Premiere bekommt etwas von der Dramaturgie der Bescherung am Heiligabend – sie steht im Brennpunkt der gesamten Rezeption, mit ihr beginnt und endet die künstlerische Auseinandersetzung. Die Geschenke sind aufgerissen – die Kritiken geschrieben.

Nein!

Ich will ein Theater sehen, das anschwillt, das meditiert, das flexibel ist, das in seinen Strukturen nicht dem Tempo der Welt hinterherhechelt, das seinen eigenen Rhythmus vorgibt, der auch ruhiger sein darf, der auch meditativ sein darf, der auch alternative Dramaturgien, Ideen, Wahrnehmungshorizonte, Ontologien und politische Diskurse zulässt, hineinlässt. Das dem künstlerischen Prozess, der Arbeit wieder dieselbe Liebe und Aufmerksamkeit schenkt wie dem Produkt. Der Suche wieder genauso viel Liebe widmet wie dem Ergebnis. Das sich nicht mit dem Gängigen zufrieden stellen lässt und das auch nicht immer das Neue schöpfen muss.

Ein Theater, das viel Zeit für autorielle Projekte zur Verfügung stellt. Das nicht mit Provisionen und Sanktionen arbeitet, sondern die laufende Arbeit des Autors sieht, honoriert und schätzt: das Nichtgroße, das Kleine, das Alltägliche, die Idee, den Inhalt, das Anliegen, den Prozess fördert und genießt.

Es braucht Autoren, die entfesseln

Wen interessiert denn noch der Dramatiker? Nur das Theater. Es ist eine kalte Zweckehe, eine prinzipielle, eine kulturpflegende, eine museale Sache geworden.

Braucht es einen solchen Autor? Muss man einen solchen Autor erhalten? Muss eine Idee nicht stets aus Notwendigkeit und nie aus formalen Prinzipien erwachsen?

Es braucht einen solchen Autor nicht!

Welchen Autor braucht das Theater dann? Das kann nur das Theater und in erster Linie das Publikum beantwortet. Und das Publikum kann sich auch nicht auf seinen passiven Status berufen. Es muss nach seinen Autoren schreien. Es muss einen von Ihnen zum Autor erklären!

Dass es Autoren braucht, steht außer Frage.

Es braucht aber nicht nur gutes autorielles Handwerk - Autoren, die in der Lage sind zu ästhetisieren, zu verkünsteln, zu verpacken, das ist der große Irrtum des öffentlichen Diskurses, der meint, das Problem der Autoren sei ein schlechtes Handwerk - Nein: Es braucht vor allen Dingen Autoren, die entfesseln, die quer und neu denken, die versuchen; es braucht Autoren, die naiv sind, und nicht den Zynismus und die Trägheit des Mediums schon bei Berufseintritt akzeptieren, sondern es konstant reflektieren möchten, weil sie die Möglichkeiten im Theater sehen, weil sie es lieben, weil sie die Vorgänge lieben, die Bühne lieben, die Arbeit lieben, den Text und das Gespräch über ihn, die Verzweiflung an ihm, die Arbeit mit ihm lieben, die Veränderung des Apparats und der Welt lieben. Wie "gut" es ist, was er schreibt, das interessiert dann doch nicht die Bohne.

Das plakativste Attribut des Autors muss sein, dem Zweifel Kraft geben zu wollen. Und das Theater muss den Zweifel wieder lieben lernen. Mutig sein. Aushalten. Nicht nur unterhalten. Schütteln, nicht rühren. Umwerfen und sich nicht an etwas werfen. Weder an die Strukturen, noch an den Habitus des Marktes, den wir bereits über unsere Sozialisierung implizit überall mit in die Künste tragen.

Das widerlichste Kind des Marktes in der Kunst ist der "Teufel Signifikant". Wie oft wurde ich auf Podien gefragt "was soll mir das geben?". Ich mache aus tiefster Überzeugung in der Beantwortung dieser Frage nie ein Geheimnis um meine Genervtheit: "Nichts". Der Signifikant, das ist das Produktivitätsdiktat unserer Kultur übertragen auf die Künste. Sowohl in der Rezeption als auch in der Gestaltung der Arbeit.

Jimmie Durham sagt ganz treffend: Der Sinn ist die Gottheit, in dessen plumpe Dienste wir uns stellen.

Alle Vorgänge und Verläufe, mittlerweile auch am Theater konvergieren zum kausalitätsbeseelten System der Produktorientierung, das sich in ästhetischer und formaler Stringenz einlösen muss um qualitativ hochwertig zu erscheinen.
Gute Dramaturgie, das ist narrative Kausalität im Dienste eines konsumierbaren Signifikanten.

Antworten sind dumm und einsam

Kaum jemand fällt die zunehmende Konvergenz von Ertragsaxiomatik mit Qualitätsaxiomatik als problematisch oder überhaupt nur als exotisch auf. Sie ist halt eben einfach nicht exotisch. Trotzdem, und das ist mir sehr sehr wichtig das auszuweisen, – ist sie ein Skandal.
Und hier liegt auch die Krux: Dürfen wir sie noch als Skandal betrachten oder ist die Dressur soweit, nicht nur in unsere Gewohnheiten, sondern auch in unseren Herzen vorgedrungen, dass uns nur die Wahl bleibt zwischen Naivität und folgsam sein?
Haben wir noch die Freiheit, diese Konvergenz als problematisch zu begreifen und darzustellen oder sind wir zu weit versponnen in die Logik des Ertragsgedanken, des Ergebnisgedanken?

"Streamlinig" ist das widerliche Wort, dass die ästhetische Systematik treffend beschreibt.

Pfui – der Markt darf einfach nicht auf dem Rücken der Künste seine plumpe Polka tanzen.

Wir können das Theater davon befreien!

Einer der größten Irrtümer, den der Signifikant proklamiert, ist die Heiligkeit der Antwort. Es sind aber nie die Antworten wichtig! Hollywood – also der Ort, wo die Ergebnisorientierung von Kulturproduktion einen peinlichen Freistaat gefunden hat – zeigt, wie Kunst ist, wenn sie der Gier nach dem Signifikanten, nach dem konsumierbaren Sinn, freien Lauf lässt – ein Film arrangiert sich um eine plakative, eine redundante Prämisse. Sie muss redundant sein, sie muss dem Kanon entstammen, andere müssen sie bereits für uns verstanden haben, weil wir sie sonst nicht ohne Anstrengung entnehmen, lesen und dekodieren können.

Und je universeller die Prämisse, desto größer der potentielle Ertrag eines Films, weil desto mehr Menschen ihn betrachten und verstehen können. Filme sollen heute von einem Milliardenpublikum gelesen werden können. Die duale Dialektik dieser Form der Massenrezeption: Die gigantischen Medienprojekte bringen uns auf einen Nenner, auf einen Nenner gebracht, bekommen die gigantischen Medienprojekte eine größere Projektionsfläche. Die Diskurse werden flacher und universeller, wir alle sollen eins werden. Wie das Innere einer McDonalds-Filiale auf dem ganzen Planeten gleich ist. Unsere Medienrezeption bekommt etwas dümmlich-hymnisch Gleichgeschaltetes.

Und diese Bemühung der größtmöglichen Universalität wird es immer geben, solange der Markt und seine Zwänge die Motorik der künstlerischen Bemühungen beseelen. Und in dieser Universalität, von der das Theater durch seine Strukturen, alte wie neue, bedroht ist, ist kein Platz für Nischendiskurse, für Alternation, für Fragen und Zweifel.

Der Nischendiskurs aber ist die hervorragendste Eigenschaft des Theaters und seine große Chance, um ein Zukunftsmedium zu sein. Ein Medium, das der Verflachung der Ontologie entgegenarbeitet. Das dem Individuum und der Subjektivität Raum gibt. Das Raum gibt für das, was anders, was viel, was kompliziert rezipiert werden will.

Die strukturelle Orientierung am Finanzmarkt reproduziert lediglich Diskurse. Der Markt will Schablonen. In einer Semantik des "Gebens-nehmens" – man bekommt etwas von jemanden, der es produziert – einer Ware nicht unähnlich – und gibt ihm dafür Geld, Aufmerksamkeit, Zeit.
Es ist ein "aktiv-passiv"-Gefüge, als welches wir die Künste, eben im Lichte einer in sozial, psychologisch und kulturell produktorientierten Gesellschaftsstruktur oft falsch verstehen.

Ich möchte keine Antworten "bekommen"! Antworten sind dumm und einsam – auf ihnen entsteht nichts. Ich möchte neue Fragen. Denn Fragen aktivieren den Leser.
Sie machen ihn zum Akteur. Und das ist die ganze Idee von Theater. Die aktive Rezeption. Etwas schreiben, etwas spielen, etwas darstellen – bei seiner ganzen Pervertierung am und durch den Markt muss man hin und wieder zum Kern der Sache zurückkehren. Warum machen wir das überhaupt? Für eine anachronistische Unterhaltungsnische?

Was wir brauchen, ist Raum für "das Viele", für das Uneindeutige, für das, was diskutiert und überlegt werden will, damit es Sinn macht. Jenseits der Stromlinienform der Literatur, des Films und Fernsehens, des Internets. Jenseits der gängigen Diskurse. Jenseits des politischen Kanons.

Ich möchte für die Dummheit begeistern

Theater kann eine Graswurzel sein. Das Medium, an dem alles zusammenläuft; und im Zentrum stehen – ich kann es nicht oft genug sagen – echte Menschen, mit echten Anliegen, die anders als in der Stromlinienform der Literatur, des Films und Fernsehens, des Internets (wo die Stimme des Marktes laut ist und sich niemand dafür schämen muss, ihr zu gehorchen) anders als dort, diskursiv flexibel und frei sein könnten. Wo Subversivität nicht peinlich und verkommen ist, sondern einfach mal patent und notwendig.

Ich möchte niemanden etwas geben. Ich möchte den Menschen eher etwas wegnehmen - die scheiß Souveränität im Umgang mit der Welt. Das verfluchte Einverständnis mit den Phänomenen und unserem mittlerweile alternativlosen Wirklichkeitsbild.

Ich möchte den Fokus vom Reißerischen, vom Hysterischen auf den eigentlichen Skandal, nämlich das Akzeptierte, das Selbstverständliche verrücken, so dass es wieder "fragwürdig" erscheinen darf. Ich möchte Fragen pflanzen und keine Antworten abspulen. Ich bin dumm. Und ich möchte für die Dummheit begeistern. Lieber Dumm und auf der Suche, als im Gefängnis der Proklamation für immer der Ästhetisierung des Bekannten und der Reproduktion unserer Kausalitäten dienen müssen.

Weg von der verfluchten Stringenz, hin zur Meditation. Der Meditation ist das Ergebnis zuwider, denn es beschränkt den Gedanken, es kappt ihn sozusagen.
Und in den marktgefälligen Künsten, seien sie es offensichtlich oder nur tonal, bleibt der Gedanke stets hinter der Natur zurück - eben weil die meditative Medienproduktion der ästhetischen Begierde des Marktes widerspricht.

Die ergebnisorientierte Dramaturgie, mit ihren zeitlichen, ästhetischen und strukturellen Vorgaben, ist als eine im kapitalistischen Produkt- und Produktivitätszwang pervertierte Form Narrativität zu begreifen. Eine Beschäftigung mit einer Fragestellung oder einem Phänomen hat aber niemals ein Ergebnis.

Die moderne marktwirtschaftliche Art Kunst zu betreiben, nötigt ihr, und mit ihr unserer Ontologie, aber genau dieser Signifikant allerorten auf.

Ich will Häresie bringen

Wie begreife ich Kunst? Begreife ich sie als Auseinandersetzung (an der ich aktiv teilhabe) und damit als prozesshaft – oder begreife ich sie als statisches und bewertbares Produkt, wo sich Wert an Form, Ort und Uniform aber immer seltener an Anliegen orientiert? In der das Vorgaukeln von Finalität, Stärke und Statik wichtiger wird als das Unterwegssein, als das auf der Suche sein.

Es idealisiert einen klaren, einen indizierbaren Signifikant, das man in der Filmproduktion sogar als einen Satz vom Papier ablesen können muss – die Prämisse, die Pervertierung unserer Suche nach konsumierbaren Sinn –, die man gibt, die jemand nimmt. Ist das die Dialektik die wir wollen für unsere Auseinandersetzung mit Welt, Wirklichkeit und Wahrnehmung? Ein statisches System ohne diskursive Bewegung?

Lynch, Kafka, Pollesch, Rimini Protokoll – sie brechen diese Dramaturgie, sie übertragen weder Form noch Sujet die unehrenhafte Aufgabe für den Betrachter, die Deutung, die Projektion vorzunehmen. Sie glauben an den intelligenten Zuschauer, sie helfen ihm, sich zu aktivieren, sie emanzipieren ihn, denn ohne ihn, ohne seine synaptische Tätigkeit ist der Text, der Abend, die Auseinandersetzung leer. (Oder eher: eine Auseinandersetzung darf ja nur im seltensten Fall entstehen, denn wenn man sich mit etwas auseinandersetzen will, braucht es die Kraft der Naivität, der man nirgendwo mehr Platz geben will).

Lynch, Kafka, Pollesch, Rimini Protokoll geben keine Antworten. Sie geben neue Fragen. Sie nötigen den Betrachter in diese befreiende Naivität hinein. Ein anschwellendes Theater.

Ich sehne mich nach neuen Fragen. Mit denen ich arbeiten, mit denen ich ratlos durch die Straßen gehen kann. Und diese Fragen sollen beseelt sein von Häresie, vom prometheischen Feuer. Und nicht von impliziten oder expliziten ökonomischen Ängsten, von Kalkulationen und von Rechnungen.

Wann haben sie sich zum letzten Mal wirklich umgestürzt gefühlt nach dem sie ein Theater verlassen haben?

Diese neuen Fragen, die entstehen – sie machen den Rezipienten zum Akteur. Vom Konsumenten zum Gestalter. Zum Teilhaber am Diskurs. Das ist oft etwas – und dabei sticht es mir im Herz –, was wir als Anachronismus begreifen in unserer kapitalistischen Dressur. Das Teilhaben. Das Aktive.

Wir missverstehen: Wir wollen beherrschen durch die Antworten, und in Wirklichkeit lassen wir uns von ihnen beherrschen. Genau dieser Anachronismus ist das Zukunftsweisende des Theaters und der Ort, wo das Theater alle anderen Medien überholt – bei seiner Rezeptionsstruktur, bei seinen Entstehungs- und Diskussionsparametern.

Ich will mit meiner Energie und Liebe dazu beitragen, die Geschichten, das Theater, seine Strukturen, die Professionsbilder, die Narrativität zu befreien: von Konnotationsgefängnissen, von Strukturgefängnissen, von Haltungsgefängnissen, von Wahrnehmungsgefängnissen, von gängigen Gefügen und Bildern der Medien, der Sparten und der Berufen.

Und am wichtigsten: Das Theater befreien heißt seinen Autor befreien (in welcher Gestalt nun auch immer – als Figur oder als hervorbrechende autorielle Kraft). Ihn lieben, ihn arbeiten, ihn seine Kanäle finden lassen. Ihn die Form annehmen lassen, die sein Anliegen benötigt.

Auch wenn das ein Wagnis darstellt am Markt. Denn das ist das Theater seinem Publikum schuldig und das ist das Theater als Kultursektor der Kulturlandschaft im Ganzen schuldig.

Noch einmal: So lange es Anliegen gibt, wird es Autoren geben.

Ich danke meiner Freundin Yassu: Sie hat mir beigebracht, dass ich nicht für die Form und wegen der Profession schreibe, sondern immer für die Idee – das gilt es immer zu überprüfen: Steht man noch im Dienste der Idee? Diese Überprüfung ist am Theater zum Fremden, zum Naiven, zum Unprofessionellen verkommen.

Autor sein heißt, anstiften, heißt perspektivieren, erlauben, entdecken – wie käme das zusammen mit dem Beharren auf seine kulturellen Konnotationen.

Ich will nicht mehr Autor sein und wieder Autor sein. Ich will bestimmen, was es heißt, Autor zu sein.

Ich will das "Autor sein" kaputtschreiben und es wiederauferstehen lassen.

Das genau bedeutet Autor sein: Häresie bringen. Das ist das prometheische Feuer - es gibt keine treffende Parabel für den wichtigsten Motor unserer Kulturgeschichte. Und der Autor ist das genuinste Bild dieser Motorik. Er verinnerlicht den Zweifel. Wir brauchen ihn. Ein intelligenter Umgang mit Welt ist ein aktiver, ist ein zweifelnder, ein umstürzlerischer. "Prometheus", das ist erkennen wollen, streben und gegebenenfalls leiden; niemand will mehr leiden - "das ist es", so der implizite Duktus, "dann doch nicht wert, was ich zu sagen habe".

Der Markt hält uns kuschelig warm und kuschelig unveränderbar und dumm.
Und stehendes Wasser fault. Schluss mit der Limitierungen der Idee durch die Eitelkeit von Form und Funktion.

Ich will nicht mehr souverän sein

Und ja, das ist naiv, und ja, ich will genau das sein und dazu anstiften: Naiv zu sein. Und naiv alles, wirklich alles in Frage zu stellen: das Geld, die Kälte, die Professionalität, den Zynismus, die Souveränität, den Autor, das Meisterwerk, das Genie, das Kollektiv, die Form, den Inhalt, die Zweck- und die Ertragsorientierung der Stadt- und Staatstheater, die Finalität von Form und Inhalt, die Didaktik, die Statik des medialen Gefüges in dem wir arbeiten, die Heiligkeit von Wachstum und Progress, die Verteufelung von Stillstand und Rückschritt.

Ich will stagnieren, ich will meditieren, ich will aktiv rezipieren und diskutieren, ich will in Frage stellen, ich will naiv sein, nein – ich will dumm sein, ich will in Bewegung sein und alles, was ich bin, von mir schmeißen und neu denken dürfen, ich will stottern, ich will widersprechen, ich will neu entdecken, ich will an der Vielheit der Phänomene verzweifeln dürfen. Ich will nicht mehr souverän sein und ich will, dass es für meine mangelnde Souveränität einen Ort in der Kunst gibt. Und diesen Ort will ich miterschaffen. Ich will Kunst so machen, dass ich bereit bin, für die Kunst alles aufzugeben, selbst die Kunst – und ich will auf solche Menschen treffe. Ich will, dass all das am Theater möglich ist. Ich will, dass das Theater dafür kämpft das möglich zu machen.

Und das ist mein Aufruf an die Theater: Lasst die autoriellen Kräfte arbeiten, gebt ihnen Raum für die Häresie, für den Umsturz, für die Rückbildung, für Zerstörung, für das Kleine, für das Stille, für das Seltsame, für das Schmutzige, für das Nicht-Perfekte, für das Dumme, für das Geringe, für das Alternative, für das Neue, für das Andere, für das Alte, für das Wiederentdeckte - kurz für eine jenseits der großen kulturellen Diktate existierende Kultur, Dinge zu verhandeln, sowohl was ihren Inhalt, als auch was ihre Form und die Prozesse ihrer Erzeugung angeht. Denn unsere Geschichten, unsere Bilder, unser Theater, das ist unsere Identität, daran spiegelt und erneuert sich unsere Sozialität, das ist unsere Kultur. Und wenn nicht wir, die Theater machen, Theater als solches ernst nehmen, dann ist es klar, dass Theater diese Rolle nach außen hin auch nicht mehr zukommt.

Und unser Theater verdorrt entweder durch die implizite Marktfähigkeitsanalysen die wir permanent auf es anwenden, an einem auf alles projizierten Ertragsgedanken oder sie darf wieder ihre chaotische, ihre gefährliche Schönheit entfalten.

Das Theater ist ein Ort des Feuers, der Vernichtung, der Gegenbewegung.

Ich will stottern dürfen

Im Augenblick ist er etwas schläfrig, müde, kalt und vor einer auf Progress und Produkt hingestreamlineten Welt in den Staub geworfen. Als Beispiel die Rede und die Rhetorik: Die Rhetorik ist der Rede, was der Markt dem Autor ist. Sie gibt ihm Struktur, bestimmt seine Wege, gibt eine ideale Gestalt vor. Und genau so ist das rhetorisch perfekte Reden zum Zeichen für Stärke und das Stottern und Widersprechen zum Zeichen von Schwäche geworden, so wie alles, was einen Makel hat, mittlerweile als schwach und unprofessionell begriffen wird. Wer rhetorisch immer einwandfrei spricht, irrt ständig, aber er ist der stärkere, er bezwingt den Gedanken, er bezwingt die Natur und gibt ihr das Korsett einer Idee, er ist stärker als die Welt, als die Natur, die sich jeder Argumentation per Konzept entzieht. Er kann nicht zurückkehren, für ihn gibt es nur das in der Argumentation verharren.

Wer stottert und sich widerspricht, der ist der Schwächere, gibt aber seiner Suche und der Frage nach dem Wesen der Dinge Raum.

Wir brauchen diese Suche.

Die Zeit der großen Diskurse ist vorbei? Ich sage: Sie steht wieder an. Wir müssen es nur angehen. Es liegt nicht an der Welt, es liegt daran wie wir sie betrachten. Wenn alles rhetorisch perfekt ist, wo ist der Ort, wo gestottert werden darf, wo darf man sich überzeugen lassen, schwach sein, einknicken, sich widersprechen, wo darf man das, was als schwach gewertet wird?Wo darf man sich verbinden, wo darf man der Natur entsprechen, sich ihr öffnen, sich von ihr mitreißen lassen, wo darf gesprochen, gestritten, bewegt, verändert werden, sowohl in der künstlerischen Gestaltung, als auch in der Kultur seiner Rezeption? Am Theater!

Und ein Theater dass sich mit Anliegen befüllen will, braucht autorielle Kräfte, die aus Anliegen heraus schöpfen.

Es muss an den Autor glauben, aber nicht an seine Form, seinen Ruf, sein Bild, seinen Ruhm - sondern einzig und allein an sein Anliegen. In den unterschiedlichsten Formen über die dieses autorielle Anliegen zu Tage treten kann.

Lasst uns das Theater durchrocken!

Was können wir tun, um das Klima für die autoriellen Kräfte zu verbessern? Öffnet die Proben, integriert die Autoren, belebt eure Häuser, arbeitet und diskutiert, holt das Publikum rein, gebt das Theater den Prozess zurück und nehmt ihm das Produkt.
Begreift eure Proben als begehbare Installationen und als Teil eurer Kunst. Macht nicht eine Premiere, sondern fünf oder keine. Rückt das Gespräch in den Vordergrund - Autoren wie Theater. Macht den Prozess und die Auseinandersetzung, die Meditation wieder genauso wichtig wie den zur Klassenarbeit verkommenen Premierenabend. Lasst das Theater einen Ort sein der anschwillt, immer und fortlaufend in Bewegung sein darf!

Den Autor "erhalten" wie wir ihn kennen, ist ein Fehler. Wir müssen ihn rekontextualisieren, ihm die Kraft geben, sich neu zu erfinden, aus den Kanälen seiner Begierde heraus, für eine reiche, eine intensive Kultur, die über die strukturelle Freiheit wieder die Kraft bekommt, das "Herkömmliche" in Frage zu stellen und aufzuarbeiten. Für ein Theater, das den Bedürfnissen der Häresie Raum gibt. Für die Liebe zu dem, was gesagt werden will.

Lasst den Autor verschwinden und lasst ihn wiederauferstehen, in einer Form, die befüllt ist mit Notwendigkeit, Anliegen, Wut, Idee – vor allen Dingen aber mit Liebe zur Arbeit, zum Gedanken und zum Zweifel, zur Meditation. Denn dafür brauchen wir Autoren. Und nicht als taube Lieferanten eines anachronistischen Kulturindustriezweigs, der verlangt und dafür Dinge gibt, die Menschen auch weiterhin ruhig schlafen lassen – und auch sonst alles in den Dienst von "geben/nehmen" und "aktiv/passiv" stellt.

Lasst uns alle dazu beitragen, das Theater ordentlich durchzurocken.

Konnotationen, Schubladen, Professionsbilder – weg mit dem Scheiß! Gebt dem Autor Luft, um zu schreien und Brot, um zu arbeiten. Gebt ihm laufend Geld und keine Ausschüttungen bei Erfolg. Der Wettbewerb soll seine phlegmatischen und eigennützigen Finger von der Kultur lassen.

Holt den Autor ins Theater, in die dauerhafte Arbeit. Seid selbst Autor. Grundsätzlicher: Stellt euch in den Dienst des Autoriellen und nicht in die der Reproduktion, oder des Kapitals – symbolisch oder finanziell.

Dann kann sich das Autorielle auch seine Kanäle suchen.

Etwas schreiben, etwas spielen, etwas darstellen – warum machen wir das? Wir machen es, um weiterzukommen, um zu verstehen, um zu verhandeln, um zu rätseln. Wir geben unserer Liebe und unserem Verstand einen Ort - und das ist das Theater. Und es sollte niemals ein Ort werden an dem wir in erster Linie arbeiten, oder noch schlimmer rechnen und kalkulieren.

Auch wenn es schwer ist, auch wenn es ein Wagnis bedeutet.

Die Alternative zum Unterwegssein, zum Entdecken, zur Suche ist seine Kraft, dem Rückschritt und der Zerstörung der feinen Wege zu widmen. Die Form, das Berufsbild des Dramatikers bestimmt nicht seine künstlerischen Kräfte und seine Intentionen. Andersrum wird ein Schuh draus: Die autoriellen Kräfte suchen sich das beste Reittier aus. Wenn wir das Anliegen wieder lieben lernen.

Federico García Lorca hat 1935 (und seine Worte erscheinen seltsam zeitgemäß, auch im Koinzidieren mit der ersten großen Besinnung auf die Pflege des Marktes als heilbildend - der ersten Weltwirtschaftskrise) in seiner "Plauderei über Theater" geschrieben: "Jeden Tag, liebe Freunde, höre ich von der Krise des Theaters reden, und immer denke ich, dass dieses Übel nicht vor unseren Augen, sondern im Verborgenen seines Wesens liegt; es ist kein Übel, das nur vorübergehend an der Oberfläche auftritt, das heißt mit anderen Worten, der Leistung, sondern es ist zutiefst eingewurzelt, es ist, mit einem Wort, ein organisatorisches Übel. Während Schauspieler und Autoren in der Hand lediglich kommerzieller Unternehmen sind, die frei und ohne literarische oder in irgendeiner Hinsicht staatliche Kontrolle schalten - Unternehmungen bar jedes Urteils, jeder irgendwie gearteten Garantie –, gehen Schauspieler, Autoren und das ganze Theater von Tag zu Tag mehr und mehr und rettungslos zu Grunde. (...) Vom bescheidensten bis zum hervorragendsten Theater soll man das Wort ‚Kunst' an die Zuschauerräume und Schauspielergarderoben schreiben; geschieht das nicht, wird man das Wort ‚Handel' anschreiben müssen oder ein anderes, das ich nicht auszusprechen wage." (2)

Braucht es den Autor? Ja es braucht ihn! Aber wie es ihn braucht – in welcher Gestalt – das sollte keine andere Kraft bestimmen als die des Anliegens.

Ich sage: Alles, was autoriell sein will, muss autoriell sein dürfen! Und: Um gute Früchte zu treiben braucht die Veränderung Liebe und keine Furcht.

Theatermacher zur Transgression.
Für beides braucht es uns!


(1) Veränderung nicht nur im kapitalistisch-progressivem Sinne
(2) Vielen Dank an Ralf Waldschmidt für den Hinweis


Nis-Momme Stockmann
geboren 1981 in Wyk auf der nordfriesischen Insel Föhr, bildete sich im Studiengang "Szenisches Schreiben" an der Berliner Universität der Künste zum Dramatiker aus; derzeit ist er Hausautor am Schauspiel Frankfurt. Mit seinem Debüt Der Mann der die Welt aß gewann er 2009 die Stückemärkte in Heidelberg und beim Berliner Theatertreffen.

 

Zu den Mülheimer Theatertagen 2010 war Nis-Momme Stockmann mit seinem Stück Kein Schiff wird kommen eingeladen; auf unserer Sonderseite zu den Mülheimer Theatertagen ist ein aus diesem Anlass geführtes, ausführliches Interview mit Stockmann zu lesen, der dort auch schon innnerhalb der Diskussion um Realismus Gedanken zur autoriellen Intention aufschrieb.

Die hier erstmals veröffentlichte Rede hat Nis-Momme Stockmann in gekürzter Form im Rahmen der Theaterbiennale/Neue Stücke aus Europa 2010 in Wiesbaden gehalten. Auf der Theaterbiennale gastierte auch die Heidelberger Uraufführung von Stockmanns Stück Der Mann der die Welt aß.

 

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Kommentare  
Rede von Stockmann: wie macht man das?
Wie macht man das alles nur als "Hausautor"?
Rede von Stockmann: was es braucht
Es braucht für Autoren gutes Deutsch.
Rede von Stockmann: unverblümt auf den Punkt
Lieber Herr Stockmann,

Sie haben mir aus dem Herzen gesprochen! Wenn ich das Theater durch die Poesie ersetze - oder erweitere - dann scheinen Sie meine eigenen Gedanken so genau und unverblümt auf den Punkt zu bringen wie ich es bisher nie getan habe!

Haben Sie herzlichen Dank dafür!

Übrigens , ich bin 20 Jahre älter als Sie und immer noch naiv - und das will ich gefälligst auch bleiben!

Ihre

Vera Blau
Rede von Stockmann: werden Sie konkret!
Ja, genau! So will man das von einem Autor lesen. Jung, dynamisch, kraftvoll. Und jeder kann damit gut leben und prima so weiter machen wie bisher. Der Text wird nie konkret und das werden die Dramaturgen an ihm lieben, die Dramaturgen, von denen Stockmann bald selbst einer sein wird. Der Untertext dieser Rede schreit: Guckt mich an, was ich für eine Power habe, Ich habe das Recht auf eine Theaterkarriere, weil ich irgendwie vieles anders machen will, und ich bin klug genug, nicht zu sagen was. Ich nehme die Pose des Marktkritikers ein und damit bediene ich den quatschwütigen Markt hervorragend.
Soll er sich doch mal konkret äußern. Was will er denn? Aber wenn er wirklich kritisch wäre, wäre er nicht da, wo er ist. (...)
Rede von Stockmann: getrieben von der Dringlichkeit des Anliegens
Kann ich nur unterschreiben. Endlich mal ein gewordener Hausautor, der sich auch weiterhin nicht in die biographieorientierten Erfolgsraster des sogenannten "Betriebs" sperren lässt. Aus dieser Rede wird mehr als ersichtlich, dass Nis-Momme Stockmann selbst von der Dringlichkeit des Anliegens getrieben wird, von welchem er schreibt. Insbesondere der Ekel gegenüber den Zwangsstrukturen eines identifizierenden und abgeschlossenen Denkens in Bezug auf Stücktexte und Theateraufführungen springt ins Auge. Ich habe es nicht gezählt, aber die Betonung und Hervorhebung des Prozesses der Signifikanten gegenüber einem transzendentalen Signifikat lässt darauf schließen, dass es Stockmann tatsächlich darum geht, etwas in Bewegung zu setzen und zu halten. Bloß nicht Aussitzen, das Ding.
Rede von Stockmann: was ist das?
@IS: stockmann ist der betrieb. und bitte: was ist ein transzendentaler signifikat ?
Rede von Stockmann: Widersprüche eröffnen
@ Otto Grün: Klar, das liest sich vielleicht erstmal ein wenig abstrakt. So wie ich das verstehe, will Stockmann Ihre Forderung nach dem Konkreten aber gerade vermeiden. Bzw. will er solche Begriffsoppositionen vermeiden, nach denen das Eine das Andere dominiert. Beispiele dafür: Subjekt - Objekt, Geist - Materie, Seele - Körper, Natur - Kultur, Mann - Frau, Kunst - Leben usw. Stattdessen will er Widersprüche eröffnen, alles im Fluss lassen. Dagegen sein Schreiben von vornherein in den Dienst irgendeiner Ideologie zu stellen, irgendeines von vornherein fixierten sprachlichen Denk- und Kontrollsystems von Menschen über Menschen, das will er nicht. Jedenfalls ist das meine Lesart dieser Rede. Neu lesen, neu schreiben.
Rede von Stockmann: alles wandelt sich
@ saussure: Das ist eine letzte bedeutungsgebende Instanz, zum Beispiel Gott, der pater familias, Diktatoren/Machtherrscher usw. Also alles, was eine Machthierarchie aufbaut. Auch im Hinblick darauf, wie man überlieferte Texte "lesen" und "interpretieren" soll. Aber alles wandelt sich, immer. Siehe dazu auch meinen Kommentar an Otto Grün.
Rede von Stockmann: aha, soso
... alles im Fluss lassen ... Widersprüche eröffnen?
Soso.
Rede von Stockmann: wie ist das gemeint?
An einer Stelle bezeichnet Stockmann den Signifikanten als den "konsumierbaren Sinn". Macht das denn Sinn? Ich meinte immer: Signifikant = Zeichen, Bezeichnendes vs. Signifikat = Inhalt/Sinn/Bedeutung, Bezeichnetes.
Kann das jemand erklären, wie er das meint?
Rede von Stockmann: unmöglich
@Jonas: Das kann keiner :-)
Rede von Stockmann: einfach weiterschreiben
@ Jonas: Ja. genau. Du triffst es auf den Punkt. Für mich hat es da auch einige Ungenauigkeiten im Gebrauch bestimmter Begriffe gegeben, insbesondere der Begriffe des "Signifikanten" gegenüber dem des "Signifikats". Deswegen hab ich das ja auch kurz mal korrigierend weitergeschrieben. Das irritiert tatsächlich, auch der Gebrauch der Begriffe der "Ontologie" und der "Natur". Konsequent ist das nicht. Aber nicht herumreiten, einfach weiterschreiben am Text.
Rede von Stockmann: ungeschützt
Dieser leidenschaftliche und ungeschützt agrumentiernde Text ist doch in seinem Anliegen erst mal grundsympathisch! Da muss man dich jetzt nicht korithenkackerisch auf Begriffen herumreiten.
Rede von Stockmann: ein hehrer Anspruch
Der Zaunlattenabreißer Nis-Momme Stockmann gibt keine Ruhe und das ist wohl auch gut so. Es geht ihm um den Behuf des Autors. „Erste Priorität hat immer, muss immer haben: Zweifeln, Anliegen transportieren, anstiften zum Zweifeln.“
Das autorielle Anliegen Jelineks sind ihre Anliegen. Das ist erst mal eine merkwürdige Aussage, denn welche Anliegen wären das denn genau? Die Relevanz des Autors ergibt sich doch nicht nur aus seinem Anliegen, sondern auch aus der Form wie er mit gewissen Anliegen umgeht, denn lesbar sollte das Ganze schon sein, sonst wird der Text beliebig. Neues wagen, das Prinzipielle aus der Dramatik vertreiben und „Häresie bringen“, das sind die Anliegen Stockmanns. Genügt das? Es ist zumindest ein hehrer Anspruch. Was das so genannte Anliegen des Autors ist, sollte er aber natürlich immer noch selbst bestimmen und da hat Stockmann recht. „Die Seele der Arbeit muss das Anliegen sein.“ sagt er, und wer das nicht ernst nimmt, hat damit seine Seele verkauft an den schnellen Erfolg.
„Welchen Autor braucht das Theater dann? Das kann nur das Theater und in erster Linie das Publikum beantwortet. Und das Publikum kann sich auch nicht auf seinen passiven Status berufen. Es muss nach seinen Autoren schreien. Es muss einen von Ihnen zum Autor erklären!“ Dagegen stehen dann wieder die Aussagen der im Theaterbetrieb stehenden und den Zuschauer für unmündig haltenden Profis. Siehe Klarnamendebatte etc. Das Namenlose Publikum hat nach wie vor keine Stimme und wird sie auch so leicht nicht bekommen. Rene Pollesch weist ja auch daraufhin, das wir als Zuschauer nicht mehr teilhaben können, ironisch gesagt „betrogen ums interaktive Theater“. „Seid froh! Seid glücklich! Diesem unerbittlichen Amüsierbetrieb entkommen zu sein.“ Theater geht weiter, wenn wir den Zuschauerraum verlassen haben, nicht im Theater selbst, sonst geht wie im Verblendungszusammenhang der Schauspieler mit dem Partner nach Hause und wir sitzen interpassiv da und schauen nur noch bei der Liebe zu.
„Das widerlichste Kind des Marktes in der Kunst ist der Teufel Signifikant", sagt Stockmann. Gib mir ein Zeichen. Wartet man da nicht immer bei einem neuen Autor oder Stück darauf? Nur wenn nichts signifikant ist, was hat dann noch eine Bedeutung? Ist Bedeutsamkeit wichtig? Es geht Stockmann nicht um Antworten sondern um die Fragen, aber auch diese können ein Signifikant sein. Nur, wenn schon nicht mal die richtigen Fragen aufgeworfen werden, wozu geht man dann noch ins Theater und das geht einem ja nicht nur bei der Gegenwartsdramatik so.
„Wann haben sie sich zum letzten Mal wirklich umgestürzt gefühlt nach dem sie ein Theater verlassen haben?“ Da hat sicher jeder mal so ein Erlebnis gehabt, nur diese sind selten und nicht ständig reproduzierbar. Das Bemühen darum, ist das Ziel von Stockmann und daran muss man ihn jetzt mehr denn je messen. Nur kann man nicht jeden Autor sofort nach einem diagnostizierten Misserfolg fallen lassen, denn das bringt dann nämlich erst den für den Markt schreibenden Autor hervor.
„Ich möchte niemanden etwas geben. Ich möchte den Menschen eher etwas wegnehmen - die scheiß Souveränität im Umgang mit der Welt.“ Das ist richtig, aber irgendwas muss einem eine Geschichte auch geben. Also die Naivität und Neugier dem Zuschauer zurück geben, das wäre schon ein erstrebenswertes Ziel eines Autors.
Der Vergleich Stockmanns des Autors mit Prometheus ist zwar etwas hochtrabend aber nicht abwegig. Prometheus hat den Menschen das Feuer wiedergebracht, also die Kultur, den Umgang, sprich die Deutung überlässt er ihnen aber selbst. Auch verkörpert Prometheus nach Goethe den Trotz des schöpferischen Genies gegen das vorherrschende System, er verkörpert das Prinzip des idealistischen Kampfes und ist so der These Stockmanns sehr nahe. Der Autor der Zukunft als entfesselter Prometheus, befreit aus dem Konnotationsgefängnis der Theater, eine interessante Sichtweise.
Rede von Stockmann: Danke
immer wieder gut, dass es "stefan" gibt. Diese seine Texte gehen runter wie Öl. Klug, nachdenklich und auf den Punkt.
Merci "stefan"
Rede von Stockmann: ein Glücksfall
@15: Zum Glück muss ich kein Öl trinken.
Rede von Stockmann: es zählt der Text, nicht der Autor
also ehrlich muss man so reden? ist das signifikant? dass man als autor mit 20 fremdwörtern die minute um sich wirft, sie anscheinend nicht einmal ganz richtig benutzt, oder sich für so wichtig hält sie neu zu definieren? ist derjenige autor ein guter autor oder ein bedeutsamer autor, der eine rede schreibt, die man unmöglich gesprochen versteht? vielleicht ist das rumreiterei, aber ich finde es nicht naiv, sondern albern. ich finde es zudem auch falsch immer so zu tun, als wäre jetzt plötzlich da der böse markt und die ganzen früheren autoren hätten mit einem anderen ideal geschrieben. was zählt ist doch nicht der autor, was zählt ist der text. und das anliegen des autors ist relativ egal,genau wie seine biografie, sein alter, sein geschlecht sein irgendwas.
ich glaube hier will sich einer ins rampenlicht retten, hier probiert einer den handke, aber es gibt keine gruppe 47 die es zu erledigen gilt, das ist nicht new york. gute texte ja, klar, her damit, aber die pauschalisierung richtung hollywood, diese e und u unterscheidung, die da mitschwingt, dieses indirekte "es gab eine zeit, da hat das wünschen noch geholfen".
oder bin ich zu dumm zu doof? hab ich was verpasst? warum müssen wir über den autor reden? warum immer über über über?
Rede von Stockmann: gegen das eigene Anliegen geschrieben
Also das Theater ist kein Ort für Konnotationen? Demnach gehört ins Theater die spröde Sachlichkeit, der Begriff in seinem ureigenen Sinn, ohne emotionale Färbung. Wenn das modernes Theater sein soll, kann es einpacken.
„Eine grundsätzliche ästhetische Begierde ist die Begierde nach Statik, Messbarkeit, Kalkulierbarkeit, Verständlichkeit und mit ihr nach Kontrolle über unsere Welt.“ Diese grundsätzliche Begierde gibt es tatsächlich, da hat Herr Stockmann recht, nur ist sie, wie mir scheint, nicht ästhetischer, sondern mathematisch-naturwissenschaftlicher Natur.
In diesem Bereich gehört übrigens auch die Kausalität, die von Herrn Stockmann im Laufe seiner Ausführungen teilweise gefeiert wird. Die konstante Veränderung, das Panta Rhei Heraklits, ist eigentlich das krasse Gegenteil der analytischen Kausalität. Eine ständige Beweglichkeit ist auch nicht mehr in das Schema von Ursache/Wirkung zu pressen, es entzieht sich dem Messbaren.
Das hält Herrn Stockmann mitnichten davon ab, von einem „kausalitätsbeseelten System der Produktorientierung“ zu sprechen. „Gute Dramaturgie“, lesen wir da, „das ist narrative Kausalität im Dienste eines konsumierbaren Signifikanten.“ Die Kombination von Narration und Kausalität höre ich zum ersten Mal – zumindest in dieser Hinsicht ist der Dramatiker exzeptionell. Das wirft den Poetik-Begriff von Novalis vollkommen über den Haufen. Damit ist der Infiltration von jeglicher Verfremdungstechnik, von phantastischen Elementen der Boden entzogen, übrig bleibt eine Art Prosa des gehobenen Dienstes.
Und was um Himmels Willen will Stockmann mit seinem „konsumierbaren Signifikanten“?
Warum Konsum, wenn es um Rezeptionsästhetik geht? Das klingt mir eher nach Gebrauchstexten, nach Gefälligkeitsdramaturgie. Mitunter will mir scheinen, Stockmann schreibt gegen sein eigentliches Anliegen.
Und sein Anliegen ist durchaus ein hehres. Leider findet er nicht immer die sprachlichen Mittel dazu. Stockmann spricht von einem Autor, „der nicht in totaler Verquickung mit dem Markt stattfindet...“ Ein Autor findet nicht statt und total verquickt ist wohl niemand. Ich glaube auch nicht, dass die Angst vor der Transzendenz die menschliche Crux ist. Ich glaube eher, das trifft auf die Angst vor der Abwesenheit der Transzendenz zu.
Eine der von Stockmann am meisten favorisierten Beschäftigungen scheint die Meditation zu sein. Das Gleiche fordert er auch vom Theater. Nun weiß ich nicht, von welchen Personen er konkret spricht, etwa von den Zuschauern, den Servicekräften, den Intendanten oder den Akteuren auf der Bühne. Falls er die Schauspieler meint, wären die Marktkonformität und die Ertragsfixierung tatsächlich verlassen, dann wird nicht nur vorbeigeschrieben, sondern auch vorbeigespielt. Dann bleibt die erhoffte Meditation ohne Ergebnis – und ein Haufen nur aufgeworfener Fragen.
Nach dem Alleszermalmer Stockmann kann wieder alles neu aufgebaut werden. Möge er leiden, aber nicht wie Prometheus, nicht angekettet am Fels – des Marktes.
Rede von Stockmann: selten so gelacht
"Unser gesamtes kognitives System und die ausufernde Lexikalität der Moderne – sie sind der Versuch, die Welt und ihre Veränderbarkeit zu greifen und zu beherrschen. "

... ach Du Scheiße, was für ein (...)Geschwurbel . Selten so gelacht.


Schließt die Theater ! Stoppt die Subventionen ! (...)
Rede von Stockmann: befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein (Adorno)
Wenn sich jetzt einige hinstellen und den Text von Stockmann auseinander nehmen, ihm zu viele Fremdwörter und unklare Redewendungen vorwerfen, bestätigt dies auf kongeniale Weise, das was er meint mit tradierten Werten und dem krötig auf Stolz und Eitelkeit und Eigennutz und Prinzipien hockende Gestern.
Es ist nur ein Ausdruck dafür, das man sich eben nichts Neues vorstellen kann und will. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Der Autor bestimme um Gottes Willen nicht das Geschehen am Theater, sondern das Theater immer noch selbst.
Ich habe eben ein sehr schönes Zitat von Theodor W. Adorno im Internet gelesen: „Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.“ Meint das nicht auch Stockmann so oder so ähnlich.
Rede von Stockmann: diese Rede und dann solche Stücke?
wie hohl ist das denn? in einer rede die seele und das autorielle feiern (was immer das sein soll) und dann stücke schreiben, die daher kommen wie öder sozialrealismus oder schlechtes kleines fernsehspiel. der typ hats echt drauf mit der fremdworttrommel. und alle so: yeah!
Rede von Stockmann: Werbeslogans in eigener Sache
stockmann motzt sich immer so seltsam auf - die überdichte an falsch benutzten fremdwörtern - dann immer diese marktkonformen werbeslogans in eigener sache: ich bin virirl, ich bin sensibel, ich bin naiv, ich bin gegen die konvention, ich will angstlos sein - das ist alles so auf gefälligkeit hinformuliert und so marketingstrategisch gedacht. lasst uns nicht vergessen, dass stockmann der konventionellste in der jungen autorengeneration ist -sehr beliebt im bürgerlich-moderaten lager - und inhaltlich sehr mager - da ist keine radikalität, da ist vor allem handwerk. in konventionell gebauten stücken tauchen dann mal arbeitslose auf, die ein paar krasse sätze sagen oder auch mal von ganz romantisch von liebe sprechen - stockmann schlingert - auch hier in seinem referat - der würde gerne etwas sein, das er definitiv nicht ist und verhaspelt sich unenwegt in der wortwahl.
Rede von Stockmann: Neokonservatismus im Jungrebellenkleid
Da wollen die Dramaturgen uns Autoren haben, in dieser begriffsverwirrten Stotter- und Schreiecke, in der Stockmann da sitzt, während er mit seinen harmlosen, gut gebauten Stücken brav die Spielplanposition "neues Drama" bedient. Neokonservatismus im Kleid des Jungrebellentums.
Rede von Stockmann: Frankfurt als Zentrum der Erneuerung
Bravo Herr Stockmann, das Frankfurter Schauspiel ist nun als Zentrum der theatralen Erneuerungsbewegung plaziert. Guter Job!

--- Die Diskussion ist nun beendet. ---
Rede von Stockmann: Diskussion schon von Battle-Autoren angestoßen
Ich muss da büchner ein wenig zustimmen. Ich finde gut, dass Stockmann hier geschrieben hat, was er geschrieben hat, das gibt dem Thema Autor und Theater wieder etwas neuen Wind. Aber ich finde es sehr sehr ungut, dass er sich hier so brüstet und aufplustert. Ich verfolge seit etwa drei Jahren die Arbeit rund um die Gruppe der Battle Autoren. Diese Gruppe hatte neue Segel gesetzt und sie fahren immer noch. Es gab das Symposium "Schleudergang Dramatik", wo auf Grundlage der Battle Autoreninitiative das Zusammenspiel von Theater und Autor diskutiert worden ist. (Leider wieder viele Worte und keine Ergebnisse.) Das alles gibt es doch schon länger! Das alles wurde und wird doch schon gedacht! Nur alles mit irgendwie weniger Fremdwörtern und schon viel konkreter. Und nun plötzlich stellt sich Stockmann hier hin und motzt sich wirklich seltsam auf. Er schreit gegen den Markt und schwimmt doch seltsam wohlig in dem Strom. Seltsam. Seltsam. Das passt für mich alles nicht zusammen. Und es hat wirklich was von Gefälligkeit, niemanden weh zu tun und einen auf radikalen Autor zu machen. Das trifft auf die Texte von Stockmann ja nun so gar nicht zu, wie ich finde. Von Wagnissen keine Spur. Während ich hier versuche, meine Gedanken dazu zu formulieren, schleicht sich das Gefühl eines leichten verarscht werdens an mich heran. Ich höre besser auf, mich mit den Ergüssen eines vielleicht handwerklich begabten, aber keineswegs radikalen Autor zu beschäftigen. (...)
Rede von Stockmann: potemkinsche Dörfer
Unglaublich deutsch in seinem Dogmatismus und seinem Anschreiben gegen selbst aufgebaute intellektuelle potemkinsche Dörfer. (...) Wie würde das im deutschen Theater aussehen, wenn es tatsächlich marktorientiert zuginge!
Rede von Stockmann: Solln wer mal transzendent singen?
Det is doch, wie soll man als naiver Autorenfahrer sagen, irgendwie so durchgerockt ertragsaxiomatisch ziemlich det Gewöhnlichste was man über Guckspiel so erstmal dann irgendwie sagen kann. Im Ton is es meditativ irgendwie so total unerträglich und hundertachtundsechzigtausend Jahre alt und direkt wie hineinformuliert ins Lexikon für die Jeschichte der deutschsprachigen Transgressionsaxiomatik zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Det is revolutionär. Det wirft alles über den Haufen, sogar den Haufen wirft es über den Haufen. Irgendwie.

Solln wer mal transzendent singen, gemeinsam, so auf offener Probe?

"Lasst uns alle dazu beitragen, das Theater ordentlich durchzurocken."

Aber: LASST-UNS-DAZU-BEITRAGEN!

Und dann: LASST UNS GEMEINSAM BETEN!

Det hilft!
Rede von Stockmann: Bravo + Dank für sehnsüchtigen, ehrlichen Text
Nis-Momme Stockmann hat eine jugendlich sehnsüchtige Rede geschrieben, die ein wenig lang und verschlungen ist - weil er sucht, schreibend sucht. Und er nimmt sich das Recht heraus, als Schriftsteller 'ich' zu sagen und sich zu positionieren. Ein Recht, dass der Markt wie das Theater und das Publikum bzw. der Blog dem Dichter sehr gerne abspricht oder zumindest übelnimmt. Er wagt, zu formulieren, wohin der (stets breit geneidete) Erfolg führt: an die Grenzen der schriftstellerischen Freiheit, des Denkens, des Dürfens. Allein dafür gebührt ihm ein 'Bravo'. Und da ist es vollkommen egal, ob man seine Stücke nicht mag, sie für neokonservativ hält, ihn persönlich unsympathisch findet oder ihm die Hausautorenschaft am Schauspiel Frankfurt neidet. Wichtig ist, wie KONKRET er formuliert, worum es geht. In der Kunst wie im Umgang mit der Welt: Um die Zerschlagung unseres 'mittlerweile alternativlosen Wirklichkeitsbilds.' Um den Angriff auf eine Wirklichkeit, die bis in ihre Wurzeln gefälscht und unwahrhaftig ist. Und deren Trugbild die Menschen erliegen, einem leb- und lieblosen Welt- und Menschenbild aufsitzend, einem sie fressenden Markt dienend, dem Geld/ Konsum/ Besitz verfallen... und nicht zuletzt den in Kritiker-, Kunstverkäufern, Professoren- und Literaturwissenschaftler-Hirnen entstandenen Qualitätskriterien und Nutzwertanalysen künstlerischen Schaffens. Ja, ein Autor darf, er soll Begriffe unbedingt in Frage stellen und 'neu definieren', liebe Nachtkritik-Blogger! Und wenn Kunst eine Aufgabe hat, dann die Kenntlichmachung dessen, was die Allgemeinheit für Wirklichkeit hält. Und die Kenntlichmachung der Wahrheit, die unter der Wirklichkeit liegt. Ich danke Nis-Momme Stockmann für einen ehrlichen, lebendigen, lebens- und schreibhungrigen Text.

Anna Langhoff
Rede von Stockmann: Idee ohne Form?
Stockmann schreibt: "Ich danke meiner Freundin Yassu: Sie hat mir beigebracht, dass ich nicht für die Form und wegen der Profession schreibe, sondern immer für die Idee". Dazu eine Frage: Wie kann sich eine Idee denn anders in einen Text einschreiben, als über die Form? Mit Roland Barthes könnte man hier vom Spiel-Zeit-Raum des Schreibens in einem bestimmten politisch-ökonomischen Kontext sprechen, in welchen sich der Autor über die Verbindung von Denken, Hand und Schrift körperlich einschreibt. Es bleibt unklar, worauf Stockmann hier letztlich hinaus will.
Rede von Stockmann: keiner ist zu irgendwas gezwungen
gegen wen bitte wehrt sich denn dieser AUTOR? wer bitte ist denn der markt? bei einem so reichen angebot in unserer theaterlandschaft (man vergleiche das mal mit anderen "märkten"/ländern) kann sich doch wirklich jeder aussuchen, was er will. zumal in berlin. hier gibt es alles. jeder hat seinen nische und keiner, wirklich keiner ist zu irgendwas gezwungen. aber ich habe den verdacht, dass es eben doch nicht nur um den reinen text, um die reine aufführung geht. sondern doch um die verteilung der aufmerksamkeit und da ist der AUTOR sich wahrscheinlich bewusst, dass man nicht mit solchem phrasengedresche sondern mit eingängigen Stücken (siehe die Stücke des AUTORS) die meiste Aufmerksamkeit bekommt, weil sich die meisten leute eben eher dafür interessieren. und ist das schlimm? kann der AUTOR sein publikum kritisieren, es mache es sich mit den Stücken des AUTORS etwas zu einfach, es bewege sich zu marktkonform?
Rede von Stockmann: eigenartig widersprüchlich
@ Johannes

Wie, Sie fahren Autoren ?
Diejenigen unter ihnen, die nicht am "Battlestab" gehen müssen ...!
Oder doch mehr Autorennen, Lausitzring und so ... oder wie bei Laucke:
Sun-Show-Panzer !!

@ alle

Ein Thread für Chauffeure und E-Chauffeure im Grunde, die Fortsetzung
von "Bewertungskompetenzgold I", Nachwehen merkwürdiger Mai-Vorgänge ?!:

Bei nachtkritik de. eine heiße Diskussion über den Mülheim-Sieger
(eines sogenannten guten Jahrgangs) und die Heidelberg-Nichtsieger
(eines offenbar höchst mittelmäßigen Jahrgangs des Nachwuchses), im
Raum die Frage, ob das Siegerstück des einen Theaterfests wirklich
gelungener sei als zB. "Immobilien", zumal eine Kritikerin ausdrücklich ein Stück des späteren Mülheim-Siegers ("Arabische Nacht") als "Bewertungsreferenzstück" dafür heranzog ("... für Arme") ...: das ist jetzt fast eine WM-Länge her ... .

Ich stimme "John Player" zu; das nimmt sich wirklich eigenartig
widersprüchlich aus, was Herr Stockmann nun erneut von sich gibt
(nur tut er das mittlerweile schon eher so, daß ich ihm keine Kampagnenfahrerei mehr unterstelle, wenngleich das "Verarschtheits-
gefühl" nicht ausbleibt und ich auch nicht Sätze sehe, die hier quasi einen frischen "Denkvorgang zum Thema" abbilden, vielmehr etwas verquer Ausgeklügeltes bergen (wie von vielem bekannt ist, das als Kampagnenfahrerei bezeichnet werden könnte eher)); das ist
in der Tat kaum mehr als Sommertheater und wird der Vielfalt an Ansätzen in der jungen Dramatik (siehe Stückwerk V von TdZ) schlichtweg nicht gerecht, auch nicht der Vielfalt der Kritik im übrigen..
Rede von Stockmann: onkel-wanjahaft
(...) stockmann wird immer mehr zum onkel wanja des theatersystems. wo sind denn seine eigenen radikale werke, wo eine vision, die weitergeht als biederbraver schreibschulen realismus ? wieso werden hier künstler wie lynch und rimini protokoll vermengt, was soll dieses namedropping (...) ? autorInnen wie bernhard, jelinek, schwab, brasch, müller müssen nicht auf proben dabeisitzen, sie sind in allen literarischen gattungen präsent, sie sind radikale künstler, die mit ihren welthaltigen werken überzeugen, nicht mit (...) sprechblasenproduktion, die einerseits auf originalgenie pocht und dann wieder auf demokratisierung. da kann stockmann noch so konsequent signifikat mit signifikant verwechseln und mit derrida ein paar rhetorische nebelkerzen zünden, bis dato ist er erst als (...) juror, hausautor, redenschwinger und blogger aufgefallen. wenn er jetzt nicht ein großes, radikales, originäres, zeitgenössisches werk abliefert, steht er am ende als ziemlicher poser da.
Rede von Stockmann: Kälteschlaf?
liebe schischi! na Sie sind dann ja wohl die ganz vordere avantgardespitze. die vokabeln kennt man doch... "onkel wanja" und "brasch, müller" ist ja wohl total muffiges name-dropping. wurden Sie gerade aus dem kälteschlaf geholt?
Rede von Stockmann: schöner, starker Text
Beim Lesen des Textes spürt man die Haltung des Schreibenden: er berauscht sich an seinen Ideen und Formulierungen. Das hat durchaus Charme und kraftvolle Energie. Allein, es geht nicht zusammen mit dem Ideal des Meditativen, das dem an sich selbst Berauschen diametral gegenüber steht. Meditation ist Ruhe, Schlichtheit, Entspannung, Einklang und sich selbst genug sein. Abstand nehmen von der Ambition, dem Brillierenwollen.
Der Ruf "Ich bin dumm!" ist rhethorisch, damit durchaus originell und ein gewitzter Zug, schreit doch die inflationäre Verwendung von Fremdworten permanent per Subtext: "Ich bin intellektuell!". Ein schöner, starker Text, ein eitler Text, kein Text, der seine inhaltlichen Anliegen formal erfüllt.
Rede von Stockmann: Signifikant und anderes
@ Schischek
Das ist es ja genau, was Stockmann sagen will, keine hohlen Signifikanten sondern Inhalte, also Signifikate. Man kann zum Beispiel Schimmelpfennigs Dramatik als eine Aneinanderkettung von Signifikanten also als symbolisch bezeichnen. Wem das zu hoch ist der muss eben einen Linguistikkurs besuchen oder bei Lacan nachlesen. „Der Signifikant ist zuallererst ein bedeutungsloses, materielles Element in einem geschlossenen differentiellen System.“ Der Signifikant steht für ein Bild, das erst durch den Inhalt bestimmende Signifikate einen Sinn erhält. Beispiel, Liebe ist nur ein Wort, man muss sie mit Inhalten oder echten Gefühlen füttern. Bei Schimmelpfennig schwimmt eine Leiche zurück in die Heimat, das ist ein inhaltloses Bild, genau wie der Zahn in der Suppe, den die Stewardess in den Mund nimmt, um ein Gefühl vom Leid des Chinesen zu bekommen.
Und jetzt kann man selbst entscheiden ob man lieber Dramatik mit inhaltsloser blumiger Bildsprache oder auch die Konnotation also subjektive Begriffsbestimmung dazu haben will. Und da ist die Krux, da es so viel mehr an Möglichkeiten gibt etwas auszudrücken. Alles fließt eben. Konnotationsgefängnis bedeutet nach Stockmann eine vorgefertigte festgeschriebene Bilderklärung. Was Flohbär meint und Stockmann vorwirft, ist Denotation, also der schnöde Kern der Sache, aber das will er sicher nicht. Es gibt viele Wege die nach Rom führen, nicht nur den einen von der Institution Theater vorgeschriebenen. Aber vielleicht will Stockmann auch gar nicht nach Rom, sondern einfach nur schreiben worum es ihm geht.
So, da kann man also eine Menge reininterpretieren in die Rede Stockmanns und dann meditieren, also nachdenken, sich konzentrieren und auf sich besinnen, nicht nur einfach rumhocken, um sich vom Geist, wessen auch immer, beseelen zu lassen.
Rede von Stockmann: noch mehr Signifikanten
wenn ein autor wie NMS (...) die siedlung ohne sterne oder die sehnsucht nach dem meer, die in einer siedlung nicht gestillt werden kann, also kompletten sozialkitsch auf den markt wirft, sollte er bitte nicht mit saussurschen signifikanten um sich werfen.(...) theater ist im übrigen immer nur signifikant, aber egal. wenn kampfposterin IS zusätzlich vom signifikat namens gott (!) (also DEM metaphysischen signifikanten per se) schreibt kommt jedem erstsemstrigen philosophiestudenten ja das lachen. ist hier der stammtisch der viertelintellektuellen ? vielleicht könnte jemand wie stockmann, der realistisch brav schreibt und putzige figürchen aus seinen formen backt und mit lindenstraßeninhalten füllt, doch an seinen werken gemessen werden, nicht an seinen büttenreden.
Rede von Stockmann: écriture, Barthes und der Kampf
@ Stefan: Genau dieser Meditationsbegriff irritiert aber doch. Wenn Stockmann meditieren will, dann soll er das tun. Aber dann hat er aufgehört zu kämpfen, dann hat er aufgehört, in Bezug auf (die Veränderung von) Realität zu denken. Dann fließt zwar alles, aber alles durch ihn durch. Dann akzeptiert er die ihn umgebenden politisch-ökonomischen Verhältnisse, so wie sie sind.
Diese Inkonsequenzen in der Schreibweise sind weder naiv noch experimentell. Für Roland Barthes dagegen, den ich nicht müde werde zu zitieren, wenn es drauf ankommt, sind Schreiben und Schreibweise nicht der inhaltlichen Ebene zuzuordnen, sondern werden von der Form definiert. Dabei geht es vor allem um die Geschichte als grundlegende Dynamik, in welche sich die sogenannte "écriture" einschreiben muss:
"[...] daß aber von dem Augenblick an, als der Schriftsteller aufhörte, Zeuge des Universellen zu sein und zu einem unglücklichen Gewissen wurde (etwa um 1850), seine allererste Bewegung die war, das Engagement seiner Form zu wählen, sei es durch die Übernahme der Schreibweise der Vergangenheit, sei es durch deren Ablehnung. Die einheitliche klassische Schreibweise ist also zersplittert, und die gesamte Literatur von Flaubert bis heute ist damit zu einer Problematik der Sprache (langage) geworden." (Roland Barthes, "Am Nullpunkt der Literatur")
Rede von Stockmann: flüssig, zu flüssig?
@ I S
Das stelle ich alles gar nicht in Abrede. Ich zitiere mich hier mal selbst aus Posting 14: "Die Relevanz des Autors ergibt sich doch nicht nur aus seinem Anliegen, sondern auch aus der Form wie er mit gewissen Anliegen umgeht...". Und das ist dann nämlich bei Stockmann das Problem, dass er die fließen läßt. Hoffentlich zerfließt sie nicht mal.
Rede von Stockmann: Bitte den "signifikanten per se" erläutern
@ Linguistik für Dummies: Na, das liest sich ja toll: "gott (!) (also DEM metaphysischen signifikanten per se)". Könnten Sie das bitte näher ausführen? Was ist damit gemeint? Für mich geht das nicht auf. Denn: "Der Zufall ist das Unendliche [Spiel der Signifikanten, I S], nicht aber Gott." (Antonin Artaud, "Das Theater und sein Double").
Rede von Stockmann: Schopenhauer-Zitat?
Die, welche schwierige, dunkle, verflochtene, zweideutige Reden zusammensetzen, wissen ganz gewiss nicht recht, was sie sagen wollen, sondern haben nur ein dumpfes, nach einem Gedanken erst ringendes Bewusstsein davon; oft aber wollen sie sich selber und anderen verbergen, dass sie eigentlich nichts zu sagen haben.
Rede von Stockmann: ätzender Gegenkommentar
@IS: och jetzt wollen sie wohl mit einem artaud zitat durch ihr nichtwissen hindurchtauchen ? sie brachten gott ins sprach-spiel dieses forumversuchs, niemand sonst, schon vergessen ? also nicht abwälzen. es ist in der linguistik unmöglich und spätestens ab wittgenstein geradezu grotesk bei einem signifikanten von "gott" zu sprechen. isnicht. sie verstehen ? auch "zufall" wird phänomenologisch schwierig, weil die welt alles ist, was der fall ist, nicht jedoch was der zufall ist. bei artaud jedoch kein problem, ist er doch der größte, bewundernswerteste, radikalste verfechter der seele. ja SEELE. ein begriff den zb krämer wie rene pollesch nicht mal im ansatz verstehen und deswegen zb auch die abstraktion völlig missverstehen. egal.zurück zum hauptmenu: wenn sie artaud mit pollesch mit saussure und derrida und rosamunde pilcher und daniel kehlmann mischen, dann kommt ein stockmann raus. unfreiwillig zeitgenössich. im übrigen: worüber man nicht sprechen kann usw. ? sie kennen doch den zeitlosen kalenderspruch ? kaufen sie sich einfach eine einführung in linguistik, die können sie und der verfechter für längere öffnungszeiten, herr stockinger, sich gegenseitig vorlesen. dann verstehen sie vielleicht heiner müller, werner schwab, elfriede jelinek. nur nicht den pollesch. weil der ist leider ein messias auf erlösungsreise, ein verkappter protestant, und da wären wir wieder bei gott und somit am anfang unseres proseminars, also mitten in einem loop und somit zumindest bei deleuze; ich warte auf ihr zitat.
Stockmann-Rede: Zentrum ist leer
@ Linguistik für Dummies: Sie schrieben von Gott als "DEM metaphysischen Signifikanten per se", und das habe ich kritisiert. Der Signifikant ist das Bezeichnende, also das Physische/Materielle/Körperliche des Zeichens. Und die unendliche Verschiebung der Bedeutung über das Spiel der Signifikanten meint, dass es eben keine erste und letzte bedeutungsgebende Instanz (das Signifikat) mehr gibt, welche in der Vormoderne mit dem durch Gott vorherbestimmten Schicksal identifiziert wurde.
Heute hat sich das im Zentrum des vormodernen Menschen- und Weltbilds stehende göttliche Prinzip entzogen, das Zentrum ist leer. Aber über die Wahrnehmung, auch und gerade über die Wahrnehmung von Kunst, können wir wieder eine Ahnung dieses transzendenten Prinzips erlangen. Artaud war vielleicht tatsächlich ein wenig zu weit gedreht, aber hier folgt trotzdem noch das passende Zitat dazu:
"Die Kunst ist keine Nachahmung des Lebens, aber das Leben ist die Nachahmung eines transzendenten Prinzips, mit dem uns die Kunst wieder in Kommunikation bringt."
Rede von Stockmann: Dank
danke nis. hat mich sehr gefreut, auch wenn ich nicht alles verstanden habe.
Rede von Stockmann: Relevanzmangel annagen
Es würde ja bereits genügen, wenn das Theater und seine Macher nicht andauernd am eigenen Relevanzmangel herumnagen würden, wenn sie etwas weniger ihre eigene Veränderbarkeit und den Willen, das Publikum zu erfassen und erschüttern, postulieren - und es stattdessen einfach tun würden. Dem Theater und der vorliegenden Rede fehlen vor allem der nötige Humor und die Fähigkeit, sich mit dem Publikum zu identifizieren (anstatt es aufzufordern, schreiend seine eigenen Autoren zu gebären …).
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