Von Gurkenbäumen und Macho-Drachen

von Sarah Heppekausen

Mülheim an der Ruhr, 8. Juli 2010. Der Vater des Bräutigams ist ein alter Kommunist, der keinen Alkohol verträgt und seit zwei Jahren nicht mit seinem Sohn gesprochen hat, weil der die falsche Partei wählt. Die Mutter fängt eine Affäre mit dem jüngeren Bruder der Braut an. Die Braut ist Nymphomanin und leidet an Pimmelphobie – sagt zumindest ihre Mutter. Die wiederum stiftet ihren Sohn zum Kiffen an und hält ihren Mann als Lakai im knapp gebundenen Höschen.

Béla Pintér spart nicht mit irrsinnigen Identitätszuschreibungen für seine kuriosen Figuren. Dann lässt er auch noch die Männerrollen von Frauen spielen und umgekehrt. Es könnte dies also die Beschreibung für eine schrecklich nette Familienkomödie sein, die mit Witzigkeiten langweilt. Aber Pintérs Produktion "Kinder des Dämons" ist so konsequent in ihrer Skurrilität, dass sie sich in die Höhen des absurden Theaters hinaufschwingt und nur selten aus dieser Leichtigkeit wieder abzustürzen droht.

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Der ungarische Autor-Regisseur-Schauspieler Béla Pintér © P. Best

"Jetzt fresst, bis ihr platzt"

Béla Pintér ist einer der wichtigsten Regisseure des experimentellen ungarischen Theaters. Seine "Bauernoper" hatte 2005 bei Theater der Welt in Stuttgart ihren ersten Auftritt in Deutschland. Bei der diesjährigen Festivalausgabe sollte im Mülheimer Ringlokschuppen eigentlich sein neuestes Stück "Miststück" gezeigt werden. Das Programm wurde kurzfristig geändert. Nun also gibt es die Deutschlandpremiere von "Kinder des Dämons", das 2008 im Szkéné Theater Budapest uraufgeführt wurde.

Pintér schreibt seine Stücke nicht nur selbst und führt Regie, er steht meistens auch mit auf der Bühne. Diesmal als böszungige Brautmutter Zsusza. Im ausgestopften Kleid, mit brauner Lockenperücke auf dem Kopf und Fächer in der Hand gibt Pintér den maternalistischen Macho-Drachen, der seine Tochter als einen faulen, plumpen Körper mit Riesenhintern und schlaffen Hängetitten beschreibt, der beim romantischen Gedicht "aufblüht wie ein Gurkenbaum". Er ist die böse Mutter, die im Falle von vorehelichem Sex Rückgratschwund und ausfallende Schneidezähne prognostiziert und ihren Mann das Essen fürs Verlobungsfest auftischen lässt ("Jetzt fresst, bis ihr platzt").

Übersteigerung ist Konzept

Als Autor spielt Pintér mit derben Worten und poetischen Versen, als Darsteller agiert er – wie die anderen Schauspieler auch – zwischen spielerischem Ernst und grotesker Marionettenartigkeit. Übersteigerung ist Konzept. Permanent brechen die Schauspieler mit der eigenen Sinnhaftigkeit. Sie verharren in starren Gesten und Blicken, bewegen sich in Zeitlupe, tanzen im Stil des japanischen Butoh oder singen einzelne Passagen. Tanz und Musik gehört zum festen Ausdrucksrepertoire der Pintér'schen Produktionen. In "Kinder des Dämons" erzeugen sie eine phantastische Atmosphäre, die die Absurdität des Abends forciert.

Die Handlung spielt in Japan. Auf Gábor Tamás abstrakt-schlichter Bühne thront eine bestrahlte Trommel wie die Sonnenscheibe auf Japans Flagge. Die "Männer" tragen weite Hosen wie japanische Schwertkämpfer (Kostüme Mari Benedek), gegessen wird aus Schälchen, getanzt mit Maske. Die Zeichen sind da, ihre Konnotation bleibt austauschbar. Das ist schön anzusehen, aber bleibt offen in der Auslegung.

Tränen über menschliche Deformationen

Das Stück endet tragisch – wie sollte es auch anders sein bei dieser durchgeknallten Figurenkonstellation. Mutter Zsusza erhängt sich, von einer Dämonenmaske und ihren rhythmisch durchs Megaphon drohenden Kindern in den Selbstmord getrieben. Die Leiche wird kurzerhand vergraben. Der dauerbekiffte Sohn lässt die verliebte Schwiegermutter lieber fallen statt mit ihr zwecks seelischer Beratung nach Indien zu reisen. Und die Braut verwandelt sich vom häßlichen Entlein mit Selbstzerstörungsneigung zur zickigen Thusnelda. Angesichts all dieser menschlichen Deformationen fängt der Bräutigam an zu weinen. Und man könnte glatt einsteigen in das Lamento über die Fatalität des Daseins, wäre dieser Abend nicht so abgründig komisch.

 

Kinder des Dämons
von Béla Pintér
Regie: Béla Pintér, Bühne: Gábor Tamás, Kostüme: Mari Benedek.
Mit: Béla Pintér, Zoltán Friedenthal, Hella Roszik, Szabolcs Thuróczy, Tünde Szalontay, Zsófia Szamosi, László Quitt. Musiker: Antal Kéménczy, Andrea Pass, Krisztina Molnár, Lajos Kelemen.

www.theaterderwelt.de

 

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