Nie die Härte des Atlantiks gespürt

von Herdis Hiller

Kiel, 9. Juli 2010. Was macht der Überlebenskampf aus uns? Und was ist der Urgrund unserer Existenz? Diese Fragen stellt Herman Melville mit seinem weltbekannten Roman "Moby Dick". Darin erzählt er von Ungeheuern, von der Hölle auf dem Grund des Meeres und der Absurdität des Daseins. Mystisch, dunkel und tief. Das Buch entführt seine Leser auf ein Walfangschiff im rauen Atlantik. Die Bühnenfassung hingegen – uraufgeführt in der Kieler Fischereihafen-Halle – führt das Publikum auf einen Ausflugsdampfer.

Aber der Reihe nach: Auf der Insel Nantucket heuert der junge Ismael auf dem Walfangschiff "Pequod" an. Doch um Walfang geht es seinem einbeinigen Kapitän Ahab nicht. Seine Triebfeder ist die Rache: Die Tötung Moby Dicks, des weißen Wals, der sein Bein verschlang, wird zu seinem Lebensinhalt und der Grund des Meeres am Ende sein Schicksal. Soweit die Vorlage.

Seefahrerromantik und Schunkelmelodien
Als nun ein weißes Segel den Blick auf die Bühne freigibt, auf Planken und Reling vor weitem Meeresblau, ist Moby Dick in Kiel angekommen. Vertraut weht der erste Satz des jungen Matrosen zum Publikum herüber: "Nennt mich Ismael." Doch dann beginnt er zu singen. Und somit wendet sich der Wind. Diese erste Gesangseinlage, von den Zuschauern sogleich mit Szenenapplaus belohnt, soll nicht die einzige gewesen sein.

Die renommierte Regisseurin und Autorin Franziska Steiof kreierte gemeinsam mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Sybille Meyer und dem Musiker Thomas Zaufke eine Bühnenfassung, die mit einer Vielzahl peppiger Songs daherkommt. Knackige Beats wechseln mit Seefahrerromantik und Schunkelmelodien. Die Lieder sind gut. Das Arrangement gelungen. Die Sänger technisch einwandfrei. Aber dem Stoff nähert sich Steiof so keineswegs. Im Gegenteil: Jedes Gesangsstück zerreißt die Fäden, an denen sich die Geschichte entspinnt. Den Darstellern bleibt kaum ein Dialog lange genug erhalten, um ihre Figuren daran entwickeln zu können. Sie machen Spaß und bringen das Publikum zum Lachen, aber Charaktere sind sie nicht.

Nur Gerrit Frers gelingt es sowohl als Vater Mapple als auch in der Haut des Flask eine Spielfreude auszupacken, die mitreißt und seine Rolle glaubhaft werden lässt. Spuckend und schreiend tobt er über die Bühne wie ein fleischgewordener Kugelblitz. Und Marko Gebbert gibt einen Queequec, in dessen Augen herrlich tiefgründig die Einsamkeit der See aufblitzt.

Verdunkelter Theaterhimmel
In Hinsicht auf Sprache und formalen Aufbau bleibt Steiof der 1851 entstandenen Vorlage treu. Wie der Roman wechselt sie zwischen verschiedenen Erzählformen, durchwebt die Ich-Erzählung Ismaels mit dramatischen Szenen und wissenschaftlichen Exkursen. So entsteht ein facettenreiches und spannungsvolles Mosaik, das vom Wal-Thema zusammengehalten wird. "Wenn in meiner Seele Nieselregen fällt, möchte ich auf See", singt Ismael zu Beginn. Doch von der Seelenschwere all der vom Leben gezeichneten Figuren erzählt dieses Stück nichts. Auch nichts vom Toben der See, von Wellen, die über die Reling schlagen, vom Überlebenskampf.

Ein einziges Mal verdunkelt sich der Theaterhimmel, beginnt das Schiff hart auf die Wellen zu schlagen und Blitze füllen die von Sommerhitze okkupierte Halle am Seefischmarkt. Doch schnell wird dieser Moment von einem Song hinweggewischt. Und so schippert die Kieler "Pequod" selbst im tragischen Ende auf dem seichten Wasser der Ostsee – als hätte sie die Härte des Atlantiks nie gesehen. Den Besuchern dieser Uraufführung hat die raue See nicht gefehlt. Sie waren höchst amüsiert und beendeten diesen Abend mit frenetischem Applaus und Bravo-Rufen.

 

Moby Dick (UA)
nach dem Roman von Herman Melville
Regie und Bühnenbearbeitung: Franziska Steiof, Ausstattung: Sibylle Meyer, Musik: Thomas Zaufke, Dramaturgie: Marcus Grube.
Mit: Volker Hanisch, Eirik Behrendt, Marko Gebbert, Christian Kämpfer, Isabel Baumert, Almuth Schmidt, Roman Hemetsberger, Gerrit Frers, Marie Kienecker.

www.theater-kiel.de


Kritikenrundschau

Moby Dick sei "ein Ozean, in dem man verloren gehen kann", schreibt Ruth Bender in den Kieler Nachrichten (12.7.2010). "Franziska Steiof ist das nicht passiert." Sie lasse "die Abenteuergeschichte vom Anheuern auf der 'Pequod', über das Streitgespräch zwischen Ahab und Starbuck bis zum Showdown flott durchspielen – befeuert von Thomas Zaufkes rhythmusbetonter Musik, die das Kirchenlied ebenso versiert umsetzt wie Schlachtengesänge oder melancholische Balladen." Aber die Szenen blieben auch "Einzelstücke, die oft das Erwartete zeigen: Tattoo und Pfeife für Queequec, Golddublone für die Gier der Seeleute." Nur "manchmal münden sie in poetische Bilder, die ahnen lassen, wie es sein könnte." Und so sei von dem "Monument, das "Moby Dick" auch sei, "großartig, ausschweifend und viel mehr als der Rachefeldzug", hier nur wenig zu sehen.

 

Kommentare  
Moby Dick in Kiel: auch enttäuschte Besucher
Das wiederum kann pauschal so nicht stehen bleiben: Es gab auch enttäuschte Besucher. Ich kann mich der Kritik im wesentlichen anschließen. Was aber die Musik angeht, so kann ich nicht folgen. Die Songs waren nicht nur atmosphärisch umpassend, sondern auch noch schlampig getextet und konnten sich - zwischen Musical-Tanz-Gala und Dreigroscheoper changierend - nie dem Charakter der Geschichte nähern. Die Sänger waren gut und konnten manchmal eitwas zum Schwingen bringen, etwas, das leider nichts mit Moby Dick zu tun hatte.

Was mich noch genervt hat: Der singende Wal als Braut von Ahab, der Wilde als Gutmensch, Playbacks aus einer anderen Welt, standhaft gegen den Beat anwedelnde Fächer, Ahab mit orthopädischer Prothese anstatt Walbein, eine Seniorenclubpfeife als Tomahawk und ein hoch aufgeschossenen, blondes Mädchen im Ringelpulli als tamburinschlagender Pip ohne Tamburin.
Moby Dick in Kiel: quergelesen
"Moby Dick", ein Musical ???

Da ich am 9. die Premiere von "Liebelei" im Sechseckbau vorzog und am
10., vor dem Spiel um Platz 3, das Stück war im Thor-Heyerdahl-Gymnasium in Kiel-Mettenhof bewußt vor dem Fußballereignis platziert,
"Lügen haben junge Beine" sah, konnte ich "Moby Dick" bislang nicht
wahrnehmen, werde aber wohl am Mittwoch die Gelegenheit ergreifen.

Erwartet mich da ernsthaft "Moby Dick" als Musical, und verhält sich der Seefischmarkt plötzlich zur Innenstadtseite Kiels in etwa wie die König-der-Löwen-Insel in HH zu der dortigen Innenstadt ??

Jedenfalls las ich einen Vorbericht zum Stück, dem zufolge ich schon einigermaßen gerüstet bin gegen allerlei Enttäuschung, obschon das ein zweifelhaftes Bestreben sein dürfte, sich gegen Enttäuschungen zu wappnen: jedenfalls läßt der Komponist der Musik-
stücke dort verlauten, daß er den 1000-seitigen Roman quer gelesen habe, daß das schon fast ein Musical sei ..., was ihm, überraschenderweise am "Meeresmotiv" orientiert ??!, dazu eingefallen sei und quasi in "wagnerianischer Manier", ein Augenzwinkern für die KN !??, aufgetragen habe: das läßt einen ziemlich oberflächlichen Abend erwarten, der möglicherweise die eine oder andere technische Stärke aufblitzen lassen, mitunter einen mobydickfernverwandtenen Seefahrercharme verbreiten wird (allerdings schiene mir der dann in einem Film wie "Sommer" von Eric Rohmer bei weitem besser aufgehoben als ausgerechnet in einem Stück an
der Wasserscheide zum Problemfundus der Vernutzung des Menschen in einer technizistisch-wissenschaftlich geprägten und sich utilitaristisch äußernden (Ahab setzt eine Golddublone aus, kommt indes Kptn. Gardiner auf der Suche nach seinem bei einem Fang verschollen gegangenen Sohn nicht zur Hilfe ...) Welt (ohne Transzendenz: tatsächlich spielen die diversen dunklen Vorahnungen und Orakel "Man wird Land riechen, wo keines ist" - "Queequecks Sarg", das religiöse Motiv vom "Wal als Teufel", das "Macht Euch die Welt untertan"-Motiv, der anti-esoterische Zug des "Wer auch nur ein Jota vom "gesellschaftlichen Weg" abweicht, wird nicht mehr zurückfinden..." , gerade in der Vielfalt der Ecken, aus denen sie in den Roman einfließen, vom "Wilden" her , von den "Engländern" der neuen Welt her ... eine nicht zu unterschätzende
Rolle, und insofern bin ich gespannt, wie das sich so zusammen mit
"Musical" gestaltet).

Ich gebe zu, daß ich mich ein wenig wundere, vom "Querlesen" des Romanes seitens des Komponisten zu lesen, und kann nur ganz allgemein die Frage in den Raum stellen, ob es üblich ist, Romane zu adaptieren, die garnicht mehr gründlich erarbeitet werden ?
Die Aufzählung, die "Matthias" hier vornimmt, könnte einen Wink davon geben, wohin eine solche Arbeitsweise führen kann.
Womit ich also, fast analog zu meinen diversen Fußballtips der vergangenen Wochen, hier rechne, die überraschend aus Kiel (es gab zunächst keine Ankündigung des "Moby Dick"-Abends seitens nachtkritik de.) berichtende Kritikerin scheint es mir zu sagen:
eine Brackwasserversion von "Moby Dick"..

Aber: meine Tips wurden ja immer wieder widerlegt, und die Außen-
produktionen des Kieler Schauspiels, beispielsweise zu den Festivals "Flächenbrand" und dem Nachfolger "Feuertaufe", aber auch
"Schonzeit" am Nord-Ostsee-Kanal (und diverse weitere Produktionen ua. von "lunatics"), wußten immer wieder Akzente zu setzen.
Demnach: bis Mittwoch !!
Moby Dick in Kiel: Pazifik und indischer Ozean
abgesehen von den nunmehr komplett unsachlichen, da nicht mehr stück- oder inszenierungsbezogenen Kommentaren des herrn zarthäuser (dem gesagt sei: niemand zwingt sie, sich ein stück anzusehen, von dem sie vorher schon mutmaßen, es werde eine enttäuschung) sei zu der kritik von frau hiller angemerkt, dass die von melville beschriebene jagd nach "MOBY DICK" in weiten teilen nicht im atlantik stattfindet, sondern im indischen ozean und im nördlichen pazifik (was nicht heißt, dass die wellen dort sich nicht auch zur rauen see aufschaukeln können).
Moby Dick in Kiel: Kreuzfahrerhybris
@ 3

Lieber "Schmidt" !

Vielen Dank, daß Sie sich dann doch noch einmal gemeldet haben, wenngleich nicht zu "Die Frau am Meer" ...: Es geschieht in der Tat aus Neigung, auch aus Neigung zum Stadttheater in Kiel !, wenn ich am heutigen Abend für mich die Spielzeit mit "Moby Dick" ausklingen lasse, und mir ist bewußt, daß mich keiner in Stücke hineinzwingt, und selbst wenn Artikel schon einmal "Sitzengeblieben" (Kai Krösche im tt-Blog) heißen: als ob "wir" nur etwas von Theaterabenden hätten, die wir dann lieben: das ist meineserachtens geradezu lachhaft: Krösche schreibt das im besagten Artikel sehr passend (wie ich finde): ich selbst schreibe ja auch, wenn Sie noch einmal lesen mögen, daß ich mich garnicht allzusehr um etwaige Enttäuschungen schere, sie sind selten, und meistens bin ich dann qua eigener Vorarbeit verwickelter als im aktuellen Beispiel "Moby Dick". Schön, daß Sie, Herr Schmidt, zur Erhellung der "Fangroute" der "Pequod" beizutragen wußten, aber der Unterschied eines relativ jungen Brackwassermeeres (Ostsee) zu
jeglichem Ozean bleibt augenfällig, Wale, wie vor Jahren einmal ein Finnwahl-Einzelgänger, verirren sich sprichwörtlich, wenn sie mit den Aida-Schiffen etcpp. in die Förde einziehen, die schon eher an einen "heutigen Wal" gemahnen könnten.
Erste Fänge am Kap der guten Hoffnung, unweit der Vuvuzelas sozusagen: das ist auch mir bekannt, Herr Schmidt.

Ich nahm Bezug auf einen KN-Vorbericht vom 7. des laufenden Monates, stellte eine Frage bezüglich Querleseüblichkeiten, spreche von meinem Vorverständnis vom Stück, von mir Erinnerlichem und tatsächlich von einer Voreinschätzung, die sich mir hier eher aufdrängt (ähnlich wie beim Spiel Holland-Spanien ...), schrieb einen Kommntar in diesem Thread bis zur jetzigen Entgegnung auf Ihre Zeilen, die es mit Einzahl und Mehrzahl schnell einmal nicht genau nehmen, sehr wohl mit den genauen Walfangorten: kann ich verstehen, Ahabs-Walzugeskarte hat mich nämlich selbst sehr beeindruckt: umso entäuschender wäre es freilich, in Ahab nicht jenen hochintelligenten Kartenzeichner auszumachen im Stückverlauf, sondern lediglich einen Verrückten, der an heutige Kreuzfahrerhybris möglichst nicht erinnern soll wohlgar ...).
COMMENT_TITLE_RE Moby Dick – Franziska Steiof bringt eine Ostsee-Fassung von Herman Melvilles Roman zur Uraufführung
@ 3

Damit Sie jetzt auch etwas zum Schmunzeln haben, Herr/Frau Schmidt:
Ich mußte aus beruflichen Gründen, was meine Karte angeht, leider etwas "pokern", und trotz des mittwöchlichen Heißestsommertages ist
die Vorstellung restlos ausverkauft: das gilt auch für meinen ins Auge gefaßten Plan-B-Termin, so daß ich jetzt das, was ich Ihnen zufolge nicht tun muß, nun vermutlich garnicht werde wahrnehmen können, was ich bedauere, denn mich lassen freilich auch gut gesetzte "Lieder" von einiger Bandbreite (siehe obige KN-Kritik
von Ruth Bender oder den Artikel bei shz de., der hier sogar von
Gänsehautmomenten zu berichten weiß ...) keineswegs kalt: der Beobachtung harren bei einer solchen Aufführung, gerade an einem solchen "Außenspielort", so viele unterschiedliche Momente (vom Bühnenbild bis zum letzten Auftritt des immer reifer auftretenden
Gerrit Frers, der Kiel ja zur nächsten Spielzeit bedauerlicherweise verläßt (für alles Neue ihm von dieser Stelle aus alles Gute), daß ich da schon auch neugierig hingehe und teilweise ja auch neue Eindrücke von Akteuren gewinnen kann, die ich noch garnicht allzulang "kenne".
Vielleicht liegen Sie nicht falsch: solcherlei "Voreinschätzungen",
wie ich sie gab, mögen dann tatsächlich geradezu das Pech im Koffer tragen, dann das Stück garnicht zu sehen zu bekommen und zu
hören: hier stimmte jedenfalls schon der Tip nicht, bei den Bedingungen leicht an eine Karte zu kommen.
Allerdings schreibt auch Frau Bender in der KN nicht nur dezidiert
den Begriff "Musical" aus dem Vorgespräch (7.7.) für ihre Kritik
fort, sie schreibt auch explizit von den Grenzen des Genres "Musical" hinsichtlich zB. einer komplexen Figur wie Ahab: leider unterschlägt nachtkritik de. diese Stelle ein wenig.
Der Tenor der Kritiken, die ich bisher las, stimmt weitestgehend
mit Frau Hiller überein, wenngleich die Gründe ein wenig variieren, warum die Szenen sich eigentümlich überhastet entrollen sollen.
Ahab und die Walfrau !
Das klingt gewagt, und beinahe möchte "man" meinen, hier dann folgerichtigerweise in etwa einen Weininger-Ahab geboten zu bekommen; warum sonst diese merkwürdige Ehe ??, aber der restliche
Aufbau des "Musicals" scheint das nicht zu untermauern; die Kritikerin der shz sieht allerdings darin selbst eine durchaus tragfähige Idee, ohne das weiter auszuführen (das passiert also wohl auch nicht nur den "Zarthäusers").
Läuft leider nur ein wenig länger als eine Woche der Stoff in Kiel,
und am Wochenende nutzte ich mehr die Atmosphären "meiner persönlichen Geschichte", suchte die Orte Schule und Uni auf, sah dort das, womit ich mich immer lieber beschäftige: engagiertes Theater- im wesentlichen deutet sich an, daß soetwas auch in Wellingdorf zu sehen ist, in ungefähr 15 Minuten zu sehen sein wird.. Ich weiß nicht, warum Sie, "Schmidt", mir so feindselig
gegenüberstehen: ich habe seinerzeit genügend "Brücken" für Sie gebaut, zur "Frau vom Meer" Stellung zu beziehen und meine für Sie so dürftige "Zuschauerperspektive" mit Gründen zu kritisieren.
Ich hoffe nunmehr, daß es zu einem ferneren Zeitpunkt gelingen wird, über gesehene Vorstellungen ins Gespräch zu kommen; vielleicht kann ich von Ihnen lernen. Für diese Spielzeit bin ich jetzt am Ende: es gibt wirklich Schöneres, als bei über 30 Grad hier am PC
zu setzen. Bis September dann, und frei nach dem Titel eines Stückes, das im Werftparktheater zu sehen war: September hat Zeit..
Allen schöne Theaterferien, Badeseen, Rohmer-Spaziergänge und dergleichen mehr !!
Moby Dick in Kiel: warum das Nachdramatisieren?
Hinweis zum "weißen Wal" und dem "Großthema" Romane zu dramatisieren

Wer, wie ich, den Außenspielorts-"Moby Dick" am Seefischmarkt verpaßt hat oder aber den Unterschied Außenspielort/Großes Haus
zB. befragen will für sich, hat in dieser Spielzeit noch Gelegenheit,
die Romanadaption im Schauspielhaus Kiel zu erleben. Gestern war sozusagen eine zweite Premiere, auch heute läuft das Stück (und ich werde wohl hingehen).
Ansonsten habe ich mich jetzt für etwas entschieden, was ich als eine Art "Selbstversuch" hier einmal anreißen möchte, denn das Thema "Wird es zuviel mit den Romanen auf den Bühnen, ist das nicht nur noch ein Geschäft mit großen Namen ??" hat, siehe "6 Reihe, Parkett" ..., zu Beginn dieser Spielzeit ja schon einige
Wogen geschlagen, obgleich gerade anhand Robert Musils gezeigt werden könnte, wie gut und erfolgreich gerade seine Prosa umgesetzt wurde ("Törless" zB. in Moers und Oberhausen (zweiteren sah ich persönlich und kann ihn empfehlen, so der noch läuft),
"Der Mann ohne Eigenschaften" am DT ...) und wie selten wir im Grunde in den Genuß einer "Schwärmer"-Inszenierung (gut, in Bochum sah ich in der vergangenen Spielzeit eine, die ich nicht so empfehlenswert fand, aber "man" sieht dieses Stück gemessen an der Wertschätzung, die es genießt (Rühle !, zuletzt Herr Decker in der TdZ ...) , auffallend selten, den "Vincenz" so gut wie garnicht)
kommen (jedenfalls könnte "man" diese Beispiele anführen gegen Positionen wie die von Herrn Heinrich kürzlich vertretene, daß die Autoren schon ganz ordentlich gewußt hätten, warum sie den einen Stoff als Prosa, den anderen als Drama angelegt hätten, gerade Leute wie "Tschechow" ..., warum also dann dieses Nachdramatisieren
?? Und doch: Freilich werden viele Abende aus vorwiegend ökonomischem Kalkül angeboten, aber das ist kein Muß (wie einige
bahnbrechende Dostojewskij-, oder Kafkabearbeitungen in der Vergangenheit eindrucksvoll nachgewiesen haben, und die wegweisenden "historischen" ersten Bearbeitungen von Dostojewskij-
romanen durch Ssurow und Stanislawskij haftet wohl kaum der Geruch
des Ökonomismus an ..., eher schon Gorkijs seinerzeitige Befürchtung steigender Selbstmordraten ... infolge der "Dostojewskij-Dramen").
Zurück zum "Selbstversuch":
Wenn so viele Romane adaptiert werden, frage ich, warum dann nicht einmal die Probe aufs Exempel machen: sich den Spielplan des übernächsten oder nächsten Theaters herbeigoogeln und eine Romanadaption auswählen und nun eins, zwei Wochen Eigenlektüre des Romanes im Vorfeld des Stückes: einige Wochen intensiv auf ein Stück zugelebt wie von Mümmelmannsberg bis zum Stück über Mümmelmannsberg zurück zum Schauspielhaus gewandert (wie ich es unlängst tat).
Heute läuft in Lübeck "Dr. Faustus" nach Thomas Mann in der Bearbeitung von John von Düffel (Regie: Pit Holzwarth): am Reformationstag soll das zum dritten Mal gegeben werden.
Ich bin dann mal weg für zwei Wochen, besorge mir morgen den Roman,
lasse nachtkritik de. ein nettes Wesen sein und melde mich demnächst mit einer Art Erlebnisbericht zu diesen zwei Wochen zurück anhand dieser dritten Aufführung. lg aus dem heute außer-
ordentlich sonnigen Kiel
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