Neuartige Simultanbühne

Berlin, 29. August 2010. Der Architekt Stephan Braunfels arbeitet an der Entwicklung eines Theaterraumes nach der Idee von Christoph Schlingensief. Darüber sprach der Enkel des Komponisten Walter Braunfels gestern Abend in seinem Beitrag zur Gala zum 50. Geburtstag der Zeitschriften Theater heute und Opernwelt im Berliner Schiller Theater.

Schlingensief sei vor etwa einem dreiviertel Jahr zu ihm gekommen, so Braunfels, und habe ihm seine Vorstellungen zu einer neuartigen Simultanbühne geschildert, die kreisförmig außen um die Zuschauer herum verlaufe, die in der Mitte plaziert seien. Seitdem arbeite er auf Schlingensief Bitte hin an der planerischen Ausformulierung der Idee. Schlingensiefs Tod habe leider eine Abstimmung über den aktuellen Stand der Planung verhindert. Nichtsdestotrotz fühle er sich dieser hinterlassenen aufregenden Idee für einen Theaterraum weiterhin verpflichtet. Stephan Braunfels, 1950 geboren, ist unter anderem für seinen Neubau der Neuen Pinakothek in München und das Berliner Paul-Löbe-Haus neben dem Reichstag bekannt geworden. Schlingensief starb vor einer Woche in der Berliner Charité an den Folgen seiner schweren Krankheit.

Carl Hegemann, Schlingensiefs Freund und langjähriger Dramaturg, las zu seinem Gedenken das Epitaph, das "Schlingensiefs großer Vorgänger", der Dadaist Hugo Ball, einst auf sich selbst verfasste:

Der gute Mann, den wir zu Grabe tragen,
Sieht wächsern aus und scheint erstarrt zu sein.
Doch war er so verliebt in allen Schein,
Daß man sich hüten muß, ihn tot zu sagen.

Er liebte es in allen Lebenslagen
Dem Unerhörten nur Gehör zu leihn.
Umgeben so von hundert Fabulein
Kann man nur zögernd ihm zu glauben wagen.

Drum, wenn auch jetzt sein schmaler Maskenmund
Geschlossen liegt und nicht mehr sprechen mag:
Er lauscht vielleicht nur in den Schöpfergrund ...

Und steht dann wieder auf wie jeden Tag.
Laßt ihn getrost bei seinem Leichenspiele.
Er lächelt schon und wir sind kaum am Ziele.

 

(sle)

 

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Kommentare  
Braunfels' Schlingensief-Theater: 1987 schon an der Schaubühne
Wilsons death destruction detroit II, 1987 an der Berliner Schaubuehne, hat bereits mit einem Raummodell gearbeitet, das, den Zuschauer in der Mitte gruppierend, rechteckig um ihn herum auf vier Bühnenflächen gleichzeitig Theater zeigte. Ebenso Pollesch/Rollende Roadshow mir dem Wagenburgmodell (draussen, und damit passend im Jahrmarktsgenre) Die grundsätzliche Frage bleibt, ob es, über den Einzelfall hinaus, sinnvoll ist, das sich die Künste (Kino 3D u.a.) immer wieder an einer scheinbar tatsächlichen Lebensweltsimultation versuchen. Die Kopie des aussen nach innen ist noch keine Qualität an sich, vielleicht ist gerade die Konzentration auf die zB Guckkastensituation die Öffnung in eine künstlerische Freiheit und nicht das wiederholen der alltäglichen Überforderung. Wir haben ja schliesslich auch nur Augen nach vorne (immerhin unterstützt mit den Ohren zu Seite und dem Arsch nach unten). Uns bedroht ja keine ko(s)mische Hand, die nach uns schlägt und der wir nur wie die Fliegen mit einem 360 Grad Auge entkommen können, sondern lediglich ein Herz, das als Schleusenwärter vom Rande her den unabänderlichen Fluss unserer Gefühle von aussen nach innen hievt.
Im aktuellen (5.9.10) Spiegel eine nette Bemerkung von H M Broder über das Wirken von C Schlingensief: sein tun sei von exessiver Harmlosigkeit gewesen. In diesem Sinne
einen schönen Tag.
Braunfels' Schlingensief-Theater: Selbstabschaffung
Leider fällt H. M. Broder in letzter Zeit nur durch Gen-Debatten auf und vergleicht isländische Pferde mit der spanischen Hofreitschule. Er findet Intelligenzgene bei Isländern, Armeniern und Juden und alles nur um das Buch von Thilo Sarrazin zu verteidigen, der arabisch- und türkischstämmigen Migranten in Deutschland solche Gene abspricht. Das er da in einem Nebensatz Christoph Schlingensief erwähnt, scheint da so fehl am Platz wie Sarrazin als den wahren Provokateur zu küren. Herr Broder schafft sich damit als kritische Stimme in Deutschland leider so langsam selber ab.
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