Den Kommunismus mit der Seele suchen

von Esther Slevogt

Berlin, 4. September 2010. Die Idee ist natürlich hübsch, diese Geschichte von Peter Hacks aus der DDR-Produktion in Goethes Weimarer Junozimmer spielen zu lassen. Denn all die edlen und weniger edlen Proletarierfiguren, die Hacks in seinem Drama aus den späten Fünfziger Jahren die Schwierigkeiten beim Aufbau des Sozialismus verhandeln lässt, sind uns heute wohl ähnlich fern wie die Gestalten aus Goethes Dramen. Auch sind sie in der dargereichten idealisierten Form natürlich nichts als Gespinste eines Dichterhirns.

Rußverschmierte Klassik

Gleichzeitig illustriert der Kohledreck, der irgendwann die heiligen Hallen des Weimarer Staatsministers und Fürstenerziehers verschmutzt, sehr schön, was für eine Zumutung der Proletarier an sich für die bürgerliche Kunst darstellte, die sich eher nach der Aristokratie als nach der Arbeiterklasse streckte. Weshalb der Sozialistenerzieher Peter Hacks die rußverschmierte Klasse so gern aus dem Kohlenstaub hinauf auf den Sockel der Klassik heben wollte.

Und so hören wir Emma Holdefleiss, Arbeiterin einer Brikettfabrik, am Schluss in Blankversen den Kommunismus mit der Seele suchen. "In meinem leeren Beutel / Trag ich die Fülle der Welt, den Kommunismus, / In den wir einziehn werden und in einem / Nicht fernen Jahr. Es gibt Beschlüsse darüber. (...) / Und so malt euch also mit den grauen Tinten / Der Gegenwart der Zukunft buntes Bild", sagt die schwärmerisch-fanatische Aktivistin Holdefleiss also. Die Schauspielerin Claudia Eisinger trägt ein schmales Biedermeiergewand und schaut trotzig beseelt in die Ferne. Der kolossale antike Juno-Kopf im Hintergrund ist inzwischen umgedreht und zeigt Karl Marxens Konterfei. Möglicherweise ist es aber auch bloß Oswald Twardowski, der (vom langhaarigen Michael Schweighöfer gespielte) Parteisekretär jenes Braunkohlewerks, das so schlechte Briketts produziert, dass die Glasfabrik, deren Öfen sie beheizen soll, nicht plangemäß arbeiten kann.

Sargnägel der DDR

Womit man dann schon mitten in der Fabel wäre, die Peter Hacks zu seinem Stück "Die Sorgen und die Macht" verarbeitet hat. Jürgen Kuttner und Tom Kühnel haben es nun aus der Mottenkiste geholt und mit einigem Ehrgeiz auf die Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters gebracht. In dieser Mottenkiste führt Hacks' 1959 uraufgeführtes Stück seit 1963 ein recht sagenhaftes Leben, haben doch die Motten darin die Größe veritabler Vampire: Die dritte Inszenierung des Dramas durch Wolfgang Langhoff am DT löste 1962 einen der größten Theaterskandale der DDR aus. Die Partei sah ihre Führungsrolle darin nicht angemessen behauptet, das Proletariat auf seinem Weg zum Sozialismus nicht angemessen dargestellt, weswegen das Stück abgesetzt wurde und der inszenierende Intendant Wolfgang Langhoff gleich mit.

Nun war der – wie der von ihm entdeckte und geförderte Hacks – kein Dissident, sondern ein loyaler Kommunist, der für seine Überzeugungen im KZ gesessen hatte und darüber das einst weltberühmte Buch "Die Moorsoldaten" schrieb. Das gleichnamige Lied, an dessen Entstehung Langhoff ebenfalls beteiligt war, hatte in der DDR den Status einer zweiten Nationalhymne. Und es wird auf der Kopie von Goethes Streicher'schem Flügel im Junozimmer nun auch einmal leise intoniert. Zuvor verliest Jürgen Kuttner im grauen Anzug leise stotternd Langhoffs Widerruf.

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Arbeiter im Goethezimmer © Arno Declair.

Denn Kühnel und Kuttner wollten nicht nur Hacks aufführen, sondern auch den Skandal, dessen Gift schleichend bis zum Untergang der DDR wirkte, den dieser Abend ebenfalls mitdenkt und -spielt. Und so begegnet man mit Wolf Biermann noch einem weiteren Sargnagel der DDR, dessen Lied "So soll es sein" in der Live-Version des Kölner Ausbürgerungskonzerts von 1976 Michael Schweighöfer recht authentisch zum Besten gibt. Doch anders, als dort vorhergesagt, ist die Erde nicht rot geworden, und Deutschland schon gar nicht. Stattdessen fiel die Mauer, die Hacks mit ihren "schmucken Türmen, festen Toren" einst als schönstes Bauwerk der Welt lobpries. Dann kam der Kapitalismus wieder. Und so wechselt der Abend zwischen DDR-Revue und orthodoxer Hacks-Exegese bei gleichzeitigem Versuch ihrer Unterwanderung. Hacks' Figuren tauchen dabei einerseits als Karikaturen und dann wieder als Weimarer Edelmenschen auf. Freilich von einem ziemlich beeindruckenden Ensemble gespielt.

Kontextualisierer Kuttner

Zwischendurch tritt immer wieder moderierend beziehungsweise "kontextualisierend" Jürgen Kuttner auf: Am Anfang droht er höchst vielversprechend den Zuschauern, man werde sie im Auge behalten, ob sie die nötige Reife für diesen Abend zeigen – auch ein Wink an die orthodoxen Hacksianer, die im Vorfeld eine texttreue Aufführung angemahnt hatten. Mit kabarettistisch-kuttnerschem Aberwitz erläutert er im Daueredefluss Kontexte der Skandalgeschichte des Stücks und seiner aktuellen Bearbeitung, lässt Gedichte wie Hacks' archaischen Fluch auf die Putschisten um Erich Honecker einfließen, die 1971 Walter Ulbricht absetzten. Und als Conferencier persifliert er ostalgischen Kulturhausmuff.

Das alles ist anfangs locker szenisch durchkomponiert und wechselt so spielerisch die Ebenen, dass es ein Zuschauerglück ist. Ob da in einem Vorspiel auf dem Theater erst der stellvertretende Leiter der Kulturabteilung des ZK der SED das Stück zur Aufführung in wichtigen DDR-Industriestädten empfiehlt, und gleich darauf der neuzeitliche Hacks-Experte Frank Schirrmacher ins Laberdelirium verfällt. Oder ob ein Ranicki-hafter Führer durchs Goethehaus am Frauenplan lispelnd allerlei DDR-, Hacks- und Goethe-Experten interviewt. Das alles ist klug und lustig umgesetzt. Schön auch, wie die Akteure des Abends fast schon an seinem Ende in einer Art Weimarer Pogo-Cancan zu dem bösen Song der DDR-Punkband "Feeling B" schunkeln: "Ich such die DDR und kann sie nicht mehr finden... Wenn sie zurück käme, ich würde ihr verzeih'n".

Kommunistischer Galilei

Feeling-B-Sänger Aljoscha Rompe war übrigens der Stiefsohn des Wissenschaftlers Robert Rompe, der 1950 ein ähnliches Schicksal wie Wolfgang Langhoff erlitt und im Zug der Parteisäuberungen seiner Parteiämter enthoben wurde. Langhoffs Konflikt mit der Partei begann ja nicht erst mit Hacks. Weshalb das Jammerbild, das sich die Inszenierung von diesem kommunistischen Galilei macht, eben ein falsches ist. Aber Tiefenschärfe ist nicht die Sache dieses Abends, der viel zu viel will, alles mit allem verbindet, den Text, den Skandal, den Untergang der DDR und die seltsame Hacks-Renaissance, vor der man sich auch noch abzugrenzen trachtet. Kühnel und Kuttner wollen klüger sein als alle zusammen – und sind am Ende doch nur altklug.

So redet Kühnel im Programmheft treuherzig davon, dass Peter Hacks im Westen sozialisiert worden sei, in der DDR weder zur Schule, noch zur FDJ, geschweige denn zur Armee gegangen sei, sein DDR-Bild also eigentlich das eines Westlers sei. Im Gegensatz zu Heiner Müller, der sein Stück "Der Lohndrücker" selbst erlebt habe. Dabei sind, mit Verlaub, sowohl Hacks wie auch Müller noch in Deutschland einig Nazi-Land zur Schule gegangen, und hatten das wehrpflichtige Alter längst hinter sich, als die Nationale Volksarmee 1956 gegründet wurde. 1955, als Hacks in die sechs Jahre zuvor gegründete DDR übergesiedelt ist, gab es noch gar keine NVA. Kühnels Logik zufolge müsste eigentlich auch der Saarländer Erich Honecker ein Westler gewesen sein.

Und so zieht sich der nicht zu Ende gedachte Abend nach der Pause sehr zäh seinem süffigen, aber unübersichtlichen Finale entgegen und erstarrt schließlich vor dem Monument Peter Hacks. Da hilft auch das Vorlesen der hinreißend fiesen Gedichte nichts, die Hacks nach dem Mauerfall verfasste, und in denen er die DDR-Bürgerrechtler und Wende-Exekutierer reihenweise aufs Schafott fantasiert.

 

Die Sorgen und die Macht
Ein Stück über die Zukunft von gestern nach Peter Hacks
Regie: Tom Kühnel/Jürgen Kuttner, Bühne: Jo Schramm, Kostüme: Daniela Selig, Musik: Michael Letz, Licht: Ingo Greiser, Dramaturgie: Claus Caesar.
Mit: Michael Schweighöfer, Elias Ahrens, Jürgen Kuttner, Christoph Franken, Susanne Wolff, Felix Goeser, Gabriele Heinz, Claudia Eisinger und Michael Letz (Musiker).

www.deutschestheater.de

 

Auch andernorts hat man jüngst Peter Hacks auf die Bühne gebracht: Sein Trauerspiel Jona wurde im November 2009 am Wuppertaler Theater posthum uraufgeführt; das Theaterlabor Bremen entdeckte im März 2010 das Stück Der Schuhu und die fliegende Prinzessin neu. In Frankfurt lauschte man – Goethestadt gemäß – im August 2008 noch einmal Hacks Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe.

 

Kritikenrundschau

In der Zeit (9.9.2010) holt Evelyn Finger weit aus, um zu beschreiben, wie in Hacks' Stück ein "sozialistischer Arbeiter seine einst geliebte, aber zur Zwangsjacke gewordene Heimat DDR - und mit ihr die ganze Welt verflucht". Die Regisseure Tom Kühnel und Jürgen Kuttner machen daraus nun eine flotte Weltuntergangsshow. "Sie beklagen nicht etwa ostalgisch das Scheitern des Sozialismus, sondern feiern menschliches Versagen und lassen Endzeitgefühle tragikomisch wetterleuchten." "Was hat das mit uns zu tun?", fragt Finger und antwortet "vielleicht so viel, dass die Menschen auch heute noch intriganter, feiger und weniger gut seien, als man sie sich wünschen würde. Dass sie als Theaterfiguren das klassische Heldenideal weiterhin verfehlen." Der sozialistische Klassiker Hacks habe unterm Ende der DDR arg gelitten. Doch vorher litt er an der DDR. "Dass jetzt in Berlin die beiden Regisseure seinen zeitlosen Pessimismus und seine ausweglose Wut hervorkehren - darin liegt ihre Kunst."

Jürgen Kuttner und Tom Kühnel gelinge bei ihren Ausgrabungsarbeiten in der versunkenen DDR-Theater- wie Realgeschichte das Kunststück, Hacks mitsamt seinen etwas abgenutzten ideologischen Seifenblasen gleichzeitig ernst zu nehmen und im fröhlichen Kabarett zu entsorgen, findet Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (7.9.2010). Sie inszenieren nicht Hacks' Stück, "sie inszenieren mit ihrem Abend 'über die Zukunft von gestern' den historischen Abstand zwischen den Utopien von damals und einer utopie-resistent ausgenüchterten Gegenwart." Gleichzeitig inszeniere das Regie-Duo das schräge Selbstbild, das Hacks von sich selbst als sozialistischer Klassizist und Zonen-Goethe entworfen und konsequent durchgehalten hat.

Tom Kühnel und Jürgen Kuttner nähmen Peter Hacks und sein Stück "Die Sorgen und die Macht" ernst, schreibt Irene Bazinger von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (6.9.2010). Gleichzeitig zeigten sie "eine Weile recht unterhaltsam, wie viel Komik dieses verbotene Drama enthält, wie viel Schabernack und Slapstick es verträgt. Und dringend braucht: Denn der darin geschilderte Konflikt (...) ist schnell verstanden." Die Figuren hingegen blieben im Text wie in der Inszenierung "vor allem blutlos, leblos, trostlos. Sie sind gute Beispiele, aber schlechte Theaterfiguren." Das Stück erscheine "als anfangs amüsant aufgelockertes, indes zusehends flaues, verstaubtes, bei aller Ironie augenzwinkernd ostalgisches Aufbau-Märchen". Die Schauspieler holperten darin "so tapfer wie ratlos über das ideologische Trümmerfeld der DDR-Vergangenheit", wobei Kuttner selbst sich "darstellerisch ohne Glück als Ingenieur und Conférencier" versuche. Fazit: "vergebliche Liebesmüh (...), die hauptsächlich eine Erkenntnis ausstrahlt: Für das Thema wie für das Stück ist inzwischen einfach alles zu spät."

"Endlich", denkt sich Tobi Müller von der Frankfurter Rundschau (6.9.2010), "ein Stück Theatergeschichte statt dem immer gleichen Erinnerungsfernsehen." Und wenn Kuttner Langhoffs Selbstkritik spreche, gehe tatsächlich "ein Schauder um. Nicht weil Kuttner das besonders schön machen würde. Auch kaspert er hier keine Sekunde. Es ist nur dieser Text. Das blanke Erinnern." Das allerdings bleibe an diesem Abend "ein solitärer Moment". "Zweifel oder Fragen nach der Relevanz dieses Stückes oder dem Hintergrund dieser oder jener seltsamen Idee beißt Kuttner neuerdings weg oder weicht ihnen aus. Außer dass Biermann zurecht ausgewiesen wurde und Ulbricht hingegen schon recht war, weiß man nicht, was das Projekt dieses Abends sein soll." Immer wieder müsse man sich mit Problemen zwischen der Brikettfabrik und der Glashütte herumschlagen. "Die schiere Masse dieses Stückes drängt die Kommentare, die Kuttner ja doch mehr am Herzen liegen, gnadenlos zur Wand." "Nichts gegen gelungene Reich-Ranicki-Imitationen" oder Hacks "erzreaktionäre Klassikerauffassung im Kabarett-Format. Aber dieses Stück hat nichts damit zu tun." Und die "zeitlich gedrängten Geschichtskommentare" überschritten das "Niveau des gern attackierten Fernsehens kaum". Auch hätte man Müllers Meinung nach statt dieses "gut dokumentierten" Theaterskandals lieber die ungeklärtere Rolle des DTs im Jahrzehnt vor der Wende beleuchten sollen.

Die Frage "Wie es damals war in der DDR"? beantworten Kühnel/Kuttner laut Reinhard Wengierek von der Welt (6.9.2010) folgendermaßen: "Sehr komisch, ziemlich befremdlich, eigentlich ganz aufregend und verrückt und irgendwie gar nicht so schlimm." Kunterbunt gehe es zu, bei dieser "Zeiten, Figuren, Personen, Dokumente und Poesien verwischend durcheinander wirbelnden kabarettistischen Revue über das politische und ästhetische Grundverständnis des Peter Hacks", mit "unübersichtlich breitgetretenen Hacks-Paraphrasen". Das "schwungvolle Finale" zitiere dann "geradezu bewundernd, ausgiebig und geschliffen den bösen Hacks-Hass auf alle Mauer-Einreißer". Was 1963 "mutiger Realismus" gewesen sei, sei "aus heutiger Sicht (...) affirmativer Hokuspokus". Dass Hacks "selbst auf dem Parnass bis zum Tod 2003 ein Anhänger Ulbrichts, und Stalins sowieso" geblieben sei, illustriere der Abend "sichtlich mit Lust". Dabei verblasse das "Lehrstück über proletarische Arbeitsmoral (...). Und erst recht das Lehrstück über das Wesen der Diktaturen: Unterdrückung des aufrechten Ganges. Viel Jux mit Hacks und wenig Aufklärung darüber, was wirklich war."

Langhoffs von Kuttner vorgetragene Selbstkritik sei das "erschütternde Zeitzeugnis einer dogmatischen Kulturpolitik", die Langhoff "einer monatelangen Gehirnwäsche" und "Weichknetung" unterzogen habe, so Volker Trauth auf Deutschlandradio Kultur (Fazit, 4.9.2010). In Hacks Stück werde die "dialektische Einheit" am Ende dadurch erzielt, dass eine neue technische Lösung sowohl für Qualität als auch für Quantität der Briketts sorge. Bei Kuttner/Kühnel würden "ganz unterschiedliche Textsorten" in die Handlung "hineingesprengselt" – "ein Hacks-Abend, am Beispiel eines etwas veränderten Stücks". Auf Seiten der Schauspieler erlebe man einerseits "ärgerlichen Dilettantismus", andererseits "gediegene, teilweise überzeugende schauspielerische Leistung". Kuttners eigene Texte seien teils "krampfig witzig" – die Rezitation von Hacks' "Fluch"-Gedichts etwa sei "ärgerlich, weil er sich da überhebt". Und auch der Betriebsdirektor Melz bleibe bei ihm "nur ein Sich-Ausruhen in einem forcierten Berlinischen Krächzen, wie man im Laientheater Arbeiter spielt". Das sei ein Teil der "Selbstüberhebung, der von diesem Abend ausgeht", der überdies "überladen mit viel zu vielen Details und Texten" sei.

"Warum man dieses nicht sonderlich gute gestrige Stück heute spielt, das Menschen vor allem als Sprachrohre von Haltungen vorführt, verrät uns die Inszenierung von Jürgen Kuttner und Tom Kühnel nicht", so Hartmut Krug im Deutschlandfunk (Kultur heute, 5.9.2010). Obwohl sie es überschütten mit einer Fülle von Bezügen, die den Skandal um die Uraufführung kommentieren, von der merkwürdigen aktuellen Renaissance des kommunistischen Dichters Peter Hacks in konservativen Intellektuellenkreisen erzählen und versuchen, die DDR-Geschichte bis in die Nachwendezeit zu beleuchten. "Zum Schluss werden viel zu viele formal wunderbare, aber inhaltlich schlimme und bitterböse Gedichte recht uninspiriert vorgetragen, in denen Hacks nach der Wende über die 'finale Niedergangsepoche' jammert." Die überambitionierte, zähe Inszenierung zerfasere in dreieinhalb langen Stunden, "sie hat kein Timing, keinen Rhythmus und kein klares Thema. Immerhin erhielt sie viel Solidaritätsapplaus".

"Man muss also schon eine sehr gute Idee haben, wenn man 'Die Sorgen und die Macht' heute wieder ausgräbt", meint Christine Wahl im Berliner Tagesspiegel (6.9.2010). Kuttner und Kühnel hätten sie: "An jedem Punkt, an dem sich eine Art Diskursfläche oder Trash-Ebene auch nur erahnen lässt", hakten sie "zielsicher kommentierend ein". Dabei werde gar nicht erst versucht, "die Widersprüche aufzulösen", vielmehr würden sie in der "so unterhaltsamen wie durchdachten Collage einfach nebeneinander" gestellt. "Komplexitätssteigerung vom Lässigsten sozusagen, nach dem Motto: Warum die Schubladen (...) nicht zur hirnfördernden Abwechslung mal weit öffnen"? Kühnel und Kuttner verlören sich auch nicht im Diskurs, sondern kehrten stets zur "durchaus werktreu" durchgespielten Fabel zurück. Mit dem "bestens aufgelegten DT-Ensemble" werde die Hacks-Ausgrabung "zum Glücksfall, weil sämtliche Akteure (...) Ironie, Trash und tiefere Bedeutung sehr genau von Denunziation zu unterscheiden wissen". Und "symbolträchtiger – und unterhaltsamer" als in dem Kohle-fördernden Goethezimmer "könnten Kunst und Realität gar nicht auseinanderklaffen". Fazit: "gelungener Saisonauftakt".

"Schirrmacher und die devoten Hacks-Jünger, Ulbricht und Langhoff, das Damals und das Heute – es ist alles beisammen", schreibt Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (6.9.2010). In der Inszenierung sei selbst die "Kohle auf dem Boden der Klassik" noch ein Kommentar zu jenem "Widerspruchsuniversum, das man bei Hacks betritt". Eine Inszenierung "voller Komik, Verbissenheit, Kitsch und Tragik. Sie ist alles zugleich. Lachhaft aber werden die Figuren nie." Nicht oft sehe man derart "bewusstseinsspitze Schauspieler", nicht oft "DDR-Verarbeitungstheater, das weder in Ostalgie noch in hochkommunistische Salonschwärmerei verfällt". Die historischen Details stimmten vielleicht nicht immer, aber es gehe den Regisseuren auch nicht "um Gerechtigkeit gegenüber der (Theater)Geschichte. Es geht ihnen um Hacks-Treue im Prinzipiellen: Hacks sagt, alle Kunst habe 'eine Haltung anzubieten'. Eine Haltung zur Wirklichkeit." Man müsse, zitiert der Kritiker Hacks, "die Wirklichkeit heute schon aus einem Gesichtspunkt ansehen, den es heute noch nicht gibt." Kühnel und Kuttner versuchten es und "verstricken sich wissentlich in damalige Hacks- und heutige Wirklichkeitswidersprüche", "zwischen den Verlockungen eines utopischen Morgen und den Zumutungen der Gegenwart".

Der von Hacks gezeichnete Konflikt sei "einer aus der Planwirtschaft und doch universell", schreibt Matthias Dell auf freitag.de (6.9.2010): "Dass ökonomische Prozesse miteinander in Zusammenhang stehen – und die Menschen, die sie durchführen, kraft der Liebe auch –, ist ein reizvoller dramatischer Gedanke, den Hacks ausführt, ohne ihn durch zu viel Zeitkolorit zu vernebeln." Die Parteisekretärs-Szenen streiften allerdings den Klamauk, "an dessen Abgrund reproduzierte DDR-Realität seit Erfindung der Ostalgie siedelt". "Langhoffs Selbstkritik (...) fehlt eine Sprecherhaltung, von der aus die Tragik dieser falschen Selbstbezichtigung begriffen werden könnte." Wo Kuttner als Schauspieler "mitunter abfällt gegen souveräne Privatiers der Geschichte wie Michael Schweighöfer, brilliert der Radiomoderator in der ausufernden Verankerung eines Hacks-Gedichts auf Ulbrichts Ende im Stoff". Wenn jeder Schauspieler am Schluss "in stiller Nüchternheit eins von Hacks' formvollendet-heiteren, bösartigen 'Jetztzeit'-Gedichten aus den Neunzigern rezitiert", sei der Höhepunkt einer Inszenierung erreicht, "die den Rückgriff auf den sozialistischen Dichter auch als kleine Rache an der Gegenwart begreift".

 

Kommentare  
Kühnel/Kuttners Hacks-Abend: altklug?
Selber altklug!
Kühnel/Kuttners Hacks-Abend: herausragend ernsthafte Schauspieler
Danke, dass ich als Zuschauer herausgefordert und nicht mit ästhetischen Mitteln zugepflastert wurde.
Das richtige Stück, am richtigen Ort, mit den richtigen Machern und herausragend ernsthaften Schauspielern.
Ein Abend der Sinn macht in der Wüste der pseudokünstlerischen Eitelkeiten.
Danke.
Kühnel/Kuttners Hacks-Abend: irritierte Journaille in Usbekistan
Erinnerungen an die Zukunft wurden wach.
Nicht immer blieb das Auge unbefeuchtet.
Das irrietiert die Journallie der Usbeken.
Tolle Regie, Spitzenschauspieler, sensationelles Bühnenbild, intelligenter Peter Hacks.
Peter Hacks am DT: eine Kritik, Teil I
Die Sorgen und die Macht - Jürgen Kuttner und Tom Kühnel lassen Peter Hacks im DT Revue passieren - Teil 1

Ein Conférencier steht auf der Bühne und mimt ein Telefonat mit niemand anderem als Walther Ulbricht, dem Staatsratsvorsitzenden der DDR. Das Telefonat stammt aus einer „Mit dem Herzen dabei“-Sendung aus dem Jahre 1966 im Friedrichstadtpalast, einer Art Verstehen sie Spaß-Version der DDR mit Hans-Georg Ponesky einen Fersehliebling der 60er Jahre. Ulbricht freut sich über die Einladung und verspricht in seinem viel parodiertem Sächsisch sofort in die Sendung zu kommen. Was ihn erwartete erfahren wie leider nicht, es ist aber bekannt, es war der ehemalige Justizminister der DDR Max Fechner, der sich nach seiner Inhaftierung wegen der Verweigerung der Strafverfolgung der streikenden Arbeiter des Volksaufstands am 17. Juni 1953 mit Ulbricht auf offener Bühne versöhnen durfte. Der „olle Zickenbart“ verstand also Spaß, aber das Ganze ist wohl eher als eine Art der Demütigung zu verstehen, die er dann später selbst erfahren musste, im Schlüpper abgelichtet, wie uns Jürgen Kuttner in seiner unnachahmlich, schnellsprechenden Art seiner Videoschnipselabende erklärt. Erich Honecker hat dann die Leute lieber mit „Ein Kessel Buntes“ gelangweilt und Intershops und Delikatläden eingerichtet, zur Befriedigung des Konsumbedürfnisse der Bevölkerung. Da liefen aber schon viele DDR-Bürger lieber am laufenden Band zu Rudi Carrell über und mit der sozialistischen Moral war es ebenfalls nicht mehr weit her. Ulbricht war für Hacks die Hoffnung auf einen Neubeginn in der Wirtschaft und das Leute mit Praxis und nicht nur Parteizugehörigkeit in wichtige Positionen kommen. Das ist im Stück auch in den Figuren das Sekretärs Kunze und des Meisters Papmeier angelegt. Aber der Reihe nach.
Hacks` Stück die „Sorgen und die Macht“ wurde nach einigen Änderungen 1962 am DT aufgeführt. Es kam zum Eklat, da sich die Partei nicht angemessen dargestellt sah und ein falsches Bild des sozialistischen Menschen im Stück kritisierte. Verschiedenste Funktionärsstimmen werden exemplarisch in der Inszenierung von Kuttner und Kühnel vorgeführt. Schließlich musste Intendant Wolfgang Langhoff seinen Hut nehmen. Die Rede Langhoffs zur Selbstkritik vor der Parteigruppe trägt Kuttner nach der Pause vor. Das kann nur nachempfinden, wer selbst einmal zur Erniedrigendung vor so einem Tribunal stehen musste. Kuttner bringt das sehr überzeugend rüber.
Das Stück selbst wird natürlich auch gespielt. Es geht am Beispiel zweier Fabriken, um das System des sozialistischen Wettbewerbs und die Einsicht nicht zuerst auf den Geldbeutel zu schauen, sondern Qualität unter Beibehaltung der Quantität zu erreichen. Über die Liebe zur Glasfabrikarbeiterin Hede Stoll (Susanne Wolff) kommt der Brikettierer Max Fidorra (Felix Goeser) zur Einsicht, das es im Sozialismus in erster Linie um Gemeinschaft und nicht um Einzelinteressen geht. Gegenspieler sind die Arbeiter Fromm und Zidewang, die lieber weiter gut verdienen wollen und dazu Partei und Wettbewerb ausnutzen. Hacks wollte damit die noch bestehenden Widersprüche auf dem Weg zum Sozialismus darstellen und überwinden helfen. Er hatte erkannt, das der Mensch in erster Linie nur über das Geld funktioniert aber Einsicht nicht materiell stimulierbar ist. Heute mutet das natürlich eher lächerlich an und die agitatorischen Passagen stoßen unsanft auf. Dennoch gelingt Hacks hier noch beeinflusst von Brecht seinen politischen Standpunkt in einen künstlerisch sehr hochwertigen Text zu verpacken. Die durchaus gewünschte Komik setzen Kuttner und Kühnel gekonnt um. Kuttner klärt am Anfang erst mal über die Geschichte des Stücks auf, damit auch alles richtig verstanden wird und verspricht den Zuschauer auch im Auge zu behalten, jeder Lacher an der falschen Stelle werde genau registriert. Danach liefert er dann beim Betriebsfest im Kultursaal einen schmierigen Showmaster ab, der sich mit seinem doppeldeutigen aber platten Witz durchsetzen muss. Alle Schauspieler sind mehrfach besetzt und bewegen sich mit viel Spielfreude durch das angestaubte Stück. Zur Kommentierung und sicher auch zur Auflockerung des Stoffes werden immer wieder bekannte Persönlichkeiten wie Marcel Reich-Ranicki und der Herausgeber der FAZ Frank Schirrmacher eingeflochten. Sie stehen für die westdeutsche Sicht auf Peter Hacks. Sogar ein paar nicht so gewogene Stimmen aus den Kritiken zur jetzigen Premiere werden verlesen und das gar nicht altklug. Schirrmacher lobt die essayistische Kunst des Peter Hacks und reklamiert ihn, die ideologische Seite negierend, für uns alle. Im Prinzip hat er Recht, Hacks` „Maßgaben der Kunst“ und die Abhandlungen über die Gattungen als Werkzeuge der Kunst, beispielhaft genannt hierfür vielleicht sein Versuch über die Ballade in „Urpoesie, oder: Das scheintote Kind“, sind unterhaltsame Theorievermittelung auf höchstem Niveau.
Peter Hacks am DT: eine Kritik, Teil II
Die Sorgen und die Macht - Teil 2

So einfach ist dann aber Hacks nicht zu vereinnahmen, das wissen auch Kuttner und Kühnel. Nachdem der eiserne Vorhang aufgezogen ist und den Blick auf das Junozimmer Goethes freigibt, den Hacks zu seinem klassischen Idol erkoren hatte, steht dort eine überdimensionale Büste, ein Januskopf, vorn Juno hinten Karl Marx, die zwei Gesichter des Peter Hacks. Kunst und Ideologie, das war für ihn untrennbar, der eine ist ohne den anderen nicht zu haben. Diesem Widerspruch sind Kuttner und Kühnel auf der Spur, allein sie mühen sich vergeblich. Hacks versuchte mittels Kunst eine Haltung anzubieten. Das ist heute verpönt und so steht wieder der Hacks der poetischen Liebesdichtung „Beeilt euch ihr Stunden, die Liebste will kommen.“ neben den zynischen Nachwendegedichten zur Mauer als „Erdenwunder schönstes“ und dem „Tamerlan in Berlin“ mit seinen als usbekische Plünderer dargestellten Wessis. Die Darsteller tragen die Gedichte zum Schluss nacheinander vor, sie wie Aphorismen auf Kalenderblättern von der Wand reißend. In der Inszenierung werden Parteiversammlungen in Kostümen der Goethezeit abgehalten, Kohlen prasseln über eine Rutsche ins Junozimmer und sind Versuche diese Widersprüche humorvoll aufzuarbeiten. Aber sie bleiben bestehen, da sie Hacks auch nie als solche angesehene hat. Zwiespältig ist auch die wunderbare Parodie Michael Schweighöfers vom Kölner Auftritt Wolf Biermanns mit seinem Song „so soll es sein - so wird es sein“. Da heißt es: „So oder so die Erde wird rot...“, auch ein Ziel Peter Hacks`, trotzdem begrüßte er die Ausbürgerung Biermanns und wünschte den Bürgerrechtlern noch nach der Wende die Guillotine auf dem Bebelplatz an den Hals. Darin war er unbeirrbar und konsequent.
Kuttner und Kühnel verkürzen die zweite Hälfte des Stückes stark, um die Nachwendezeit noch mit unterzubringen. Die Protagonisten sehen sich plötzlich einem Herrn Wesselbrunner, einer Figur aus einem Nachwendestück von Hacks, gegenüber, der das Haus als Alteigentümer beansprucht. Gemeinsam versucht man ihn mit Kohlenwürfen zu vertreiben und tanzt dann zu Feeling B`s „Ich such die DDR und keiner weiß wo sie ist“. Die Musik hatten die Bandmitglieder um Aljoscha Rompe, die nach seinem frühen Tod zum großen Teil in der Band Rammstein aufgegangen sind, von dem alten und sehr beliebten Jiří-Korn-Schlager „Ich such die Yvetta“ entlehnt. So versuchen Kuttner und Kühnel mittels dieser gelungenen Revueeinlagen mit der Vergangenheit zu versöhnen und geben zum Schluss ein diffuses und eher satirisch gemeintes Bild auf die Zukunft frei, diesmal mit einem Westschlager von Christian Anders „Die Mauer hat uns nicht besiegt“, schauen Hede und Max in eine glutrote Sonne. Noch ein kleiner Verweis auf Hacks, er hatte Symbolik und deren Verwendung in geflügelter Sprache verabscheut.
Was gäbe es da eigentlich noch zu kritisieren, abgesehen davon, das wir uns gut amüsiert haben und einigen ein netter Grusel den Rücken runter gelaufen ist. Nun, es ist die schmerzhafte Abwesenheit eines Dichters, den uns Kuttner auch in seiner lockeren eloquenten Art nicht weiter näher bringen kann. Gut, zu einer Haltung, die man nicht einnehmen will, kann man heute nicht mehr gezwungen werden, aber man könnte sich zu einer eigenen Meinung durchringen, wenn man denn wollte. Hacks setzte den mitdenkenden Zuschauer nicht zwangsweise voraus, er appellierte eher an Einsicht und Vernunft, an ein gewisses Interesse am Politischen und eine Fähigkeit zur Empathie. Das wäre das eigentlich Klassische in seinem Werk. Das er seine Stücke immer mehr auch in klassische Stoffe verpackt hat, liegt wohl eher daran, das ihm der real existierende sozialistische Mensch fremd geworden war. Peter Hacks hat die Utopie der Zukunft aus der Vergangenheit heraus zu entwickeln versucht. Vielleicht können wir ja heute auch wieder beginnen aus der Geschichte und der Klassik zu lernen ganz ohne festgefahrene Sichtweisen.

„Der heilige Benediktus, der, wie man mir sagte, im Jahre 480 geboren wurde, befaßte sich vornehmlich mit der Lösung des Problems, wie einer auf Erden möglichst glücklich leben und doch eben noch in den Himmel kommen könnte. Ich, der ich, wie man mir sagt, im Jahre 1928 geboren bin, befasse mich (das zu Ändernde geändert) ganz mit demselben Problem.“ (Peter Hacks, 1965)
Peter Hacks am DT: man zeige mir einen Glücklichen
wie wir auf Erden (besser: in dieser Welt) möglichst glücklich
leben, und noch in dieser Welt in den Himmel kommen können.
weil das unmöglich ist, was sollen diese Dummheiten:
man zeige mir einen einzigen Glücklichen, der schon über
eine glückliche Jugendzeit hinaus ist, in der man noch Idiot ist (es gibt vielleicht seltene Ausnahmen), und ich werde an
den Himmel glauben
Peter Hacks am DT: ein überfordernder Abend
Ein anstrengender und in der Masse der inhaltlichen Verschiebungen beinahe überfordernder Abend. Vielleicht auch deshalb, weil er offenlässt, wie ich ihn zu verstehen habe. Die Haltung, welche Hacks in Bezug auf die Verortung des Künstlers in einem bestimmten politisch-ökonomischen Kontext fordert, wird hier und vor dem aktuellen Hintergrund des vermeintlich universell durchgesetzten globalen Finanzkapitalismus womöglich als eine Form des bürgerlichen Idealismus demonstriert, welcher den realen Widersprüchen in den Produktionsverhältnissen seltsam entrückt erscheint.

Vor dem Eisernen (Theater-)Vorhang geht es um die Verbindung von Hand und Kopf, von Quantität und Qualität individueller Fähigkeiten und Bedürfnisse, dahinter öffnet sich die Perspektive durch die Brille des bürgerlich-idealistischen Rahmens, welcher sich als Raum nicht öffnet, sondern in der Zentralperspektive nach hinten zulaufend verengt und verschließt. Erst ganz zum Schluss öffnet sich dieser hermetisch abgeschlossene Raum, und zwar in den kahlen Bühnenraum der dt-Kammerspiele hinein: Die Kunst als Möglichkeitsraum, welcher die Wirklichkeit nicht abbildet, sondern Denkräume vom Vergangenen in die Zukunft hinein eröffnet. Dieser Denkraum ist vershaft abgeschlossen und in seiner Idee radikal. Hier werden Köpfe gefordert, das heisst, ein radikales Umdenken als Bedingung der Möglichkeit der Verwirklichung einer aus der Vergangenheit wieder-geholten kommunistischen Utopie.

Zuvor bricht die Realität der Fabrik-Arbeiter in diesen idealistisch abgeschlossenen Raum mit voller Lautstärke und stimmlicher Kraft ein. Oder: Hier zeigen sich die real existierenden Sorgen gegenüber der Macht der SED bzw. der Partei, welche den kollektiv erwirtschafteten Reichtum zentralistisch plant, verteilt und dafür gern auch mal die Bilanzen fälscht.

Eine tatsächliche Solidarität jenseits der Aufteilung der gesellschaftlichen Produktionssphären kann aber erst dann entstehen, wenn sich der Einzelne seiner Rolle im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang bewusst wird und seine Einzelinteressen und ideologischen Fixierungen zugunsten des Ganzen zurückstellt. Darin zeigt sich die Liebe, auch eine mögliche "Liebe" zwischen Ost und West. Utopisch zwar, aber doch - als Modell - wahr.
Die Sorgen und die Macht, DT Berlin: ein Kraftritt durch die DDR-Geschichte
Hallo Zarthäuser, da Sie gerade in Berlin weilen, wäre heute vielleicht ein Peter-Hacks-Abend zu empfehlen.
Sie müssen allerdings viel Geduld mitbringen und vor allem nach der Pause wird es etwas langatmig. Immerhin, Sie erleben eine Art Kraftritt durch die DDR-Geschichte, eine Revue mit lustigen Ansätzen und spröden Einsprengseln, die Sie mühvoll absitzen müssen. Christoph Franken imitiert Literaturpapst R-R mit weiblicher Stimme, spricht ein badisch-schwäbisches Mischmasch und wuchtet seine Pfunde auf die Bretter, daneben setzt Susanne Wolff auch optische Akzente. Schweighöfer, der sich zum Glück frühzeitig seiner Pilotenbrille entledigt, hat seinen stärksten Auftritt bei der Wiedergabe eines Biermann-Liedes. Allerdings weiß man nie genau, wo die Satire aufhört und der Ernst anfängt.
Das Publikum besteht zu etwa 60 % aus Senioren, als habe das Oberlausitzer Altersheim „Sonnenblick“ einen Kulturausflug unternommen.
Die Sorgen und die Macht, DT Berlin: Empfehlung
@ Flohbär

Sehe gerade Ihren Tip !
Wollte zwar eigentlich Cottbus-Hoffenheim sehen, aber der FCE gewinnt ja auch ohne mich.
Gut, der Hacks liefe zwar auch ohne mich, aber ich bin gerade in der allerbesten Laune, Ihrem Tip, über den ich mich sehr gefreut habe, nachzukommen: mache mich jetzt gleich auf in Richtung DT: möglicherweise habe ich Kartenglück ! Vielen Dank für den Hinweis !!
Die Sorgen und die Macht, DT Berlin: Empfehlung II
@ Flohbär
Da bin ich aber froh, dass ich als alter Niederlausitzer nicht zum Altersheim „Sonnenblick“ gehöre. Ja, „Die Sorgen und die Macht“ ist wirklich zu empfehlen. Meiner Meinung nach, die beste Inszenierung dieser Spielzeit im DT.
@ AZ
Ich würde aber auch mal einen Ausflug, nicht nur nach Cottbus, sondern eher nach Potsdam empfehlen. Allerdings ist „Der Turm“ immer ausverkauft. Für Samstag gibt es aber noch Karten für den neuen Shakespeare von Bruno Cathomas, er inszeniert Romeo und Julia. Heute würde ich eher „Die Maßnahme" von Castorf in der Volksbühne empfehlen oder „Die Blechtrommel“ im Gorki. Also, Arkadij, überlegen Sie sich das lieber noch mal mit Cottbus, nicht das ich denen Ihren Besuch nicht gönnen würde, aber was ist schon Fußball im Schneegestöber gegen einen schönen warmen Platz im Parkett oder Rang eines guten Theaters, es sei denn Sie besitzen VIP-Karten, dann grüßen Sie mir schön die Cottbuser Prominenz.
Die Sorgen und die Macht, DT Berlin: Empfehlung III
@ Flohbär und Stefan

Es hat doch tatsächlich geklappt ! Ich habe jetzt, vielen Dank Flohbär, bei meinem Kartenkauf für den Hacks noch einmal eine Seitennachfrage bezüglich Rückläuferkarten für "Der Heiler" fallen lassen, und siehe da: aus 0 Theaterabenden sind zwei geworden
(wie aus 2 plus 2 5) ! Also, heißer Tip an alle Theaterfreunde:
immer wieder mal versuchen, ob Rückläufer abgefangen werden können !!

Ich muß an dieser Stelle unbedingt noch lobende Worte fallen lassen
für diese spezielle Kassiererin im DT ! Die verkauft nicht einfach Karten; sie berät !, kennt die Bühnenaufbauten aus dem FF und zieht daraus sehr profunde Rückschlüsse auf gute Sitzplätze: "Eine Rangvorstellung" hatte sie zu den "Webern" gesagt: goldrichtig !
Auch den Hacks-Abend empfiehlt sie wärmstens: der wird schon etwas für sich haben.

Und: Nein, ich habe keine VIP-Karten, ich hätte mir das schon von Berlin aus, in einer Sportsbar, angesehen; dafür sind die Schienenersatzmodalitäten nach Cottbus und von Cottbus zur Zeit einfach zu vage, erst recht, wenn es noch zu Verlängerung und ggfls. zu Elfmeterschießen kommen sollte.

Das "Festival für den nacherzählten Film" könnte Sie beide nicht reizen ??
Die Sorgen und die Macht, DT Berlin: Vorschlag
Ich finde Flohbär, Stefan und Arkadij sollten eine Skatrunde in der Kantine vom DT eröffnen. Da gibt es rechter Hand auch einen schönen runden Tisch, falls ich mich recht erinnere.
Die Sorgen und die Macht, DT Berlin: Kantine seltener
Es ist sehr nett von Ihnen, 123, dass Sie mir diesen Vorschlag nicht vorenthalten wollten.
In der DT-Kantine hockte ich gestern schon, übrigens rechter Hand, aber an einem eckigen Tisch. Das reicht mal wieder für eine Weile. Eigentlich gehe ich hauptsächlich ins DT, um mir die Stücke anzusehen.
Die Sorgen und die Macht, DT Berlin: mimetisch konserviert
@Flohbär
Oh, dann bin ich gestern an Ihnen vorbeigegangen - wahrscheinlich - jedenfalls etwas erschöpft aber leichten Herzens, nach dreieinhalb Stunden Hacks/Kühnel/Kuttner.
Ach und, sechzig Prozent Senioren, d.h. doch im Umkehrschluß vierzig Prozent deutlich jüngere. Gerade bei dieser sich sehr mit der DDR, dem DT und der Vergänglichkeit von Utopien beschäftigenden Inszenierung und dem gleichzeitigen Bestreben Theater(kunst) mimetisch konservierbar zu machen, erscheint mir das eher ein glücklicher Umstand zu sein.

Übrigens erschien mir der gestern nach der durch Jürgen Kuttner wiedergegebenen Rede Wolfgang Langhoffs (zum Beginn des zweiten Teils) aufflackernde Applaus, eine zarte späte Ehrung für W. Langhoff gewesen zu sein.
Die Sorgen und die Macht, DT Berlin: Wahrnehmungen
Ich mochte die alte DT-Kantine lieber, da bin ich wie Hacks, die war früher ein Klassiker der Theaterkantinen in Berlin. Da war nur die in der Volksbühne noch kultiger, aber die ist nun leider auch schick geworden. Das sind jetzt mehr Restaurants mit Kantinenanschluss. Da gehe ich lieber in die BE-Kantine und mache dort einen Stammtisch auf und erkläre den zu Peymannfreien Zone.
@ 123 wenn sie Doppel- oder Schafskopf können, sind Sie als Vierte(r) im Bunde herzlich eingeladen.
@ Eric Ender
Ja, ich fand auch diese Mischung aus mimetischer und erzählender Vermittlung von Geschichte sehr interessant. Kuttner und Kühnel brechen so geschickt die Kruste dieses alten Stücks auf und schaffen Raum zum Nachdenken. Die Widersprüchlichkeit nicht nur in der Person Hacks, sondern in der Wahrnehmung und Wirklichkeit der DDR kommt meiner Meinung nach sehr gut zum Ausdruck. Das ist auch in der Länge voll o.k. Ich wünsche mir mehr solcher Stückbearbeitungen.
Die Sorgen und die Macht, DT Berlin: Möglichkeitssinn der Kunst
@ 123
Was sind Sie so garstig ? Bei "Kartenglück" meinte ich schlichtweg
den glücklichen Umstand für mich, an dem einen Abend eine sehr
Aufmerksamkeit weckende und für mich die gesamten 3,5 Stunden über sehenswerte Inszenierung zur DDR-Geschichte und zur Inszenierungsgeschichte eines Hacks-Stückes erleben zu dürfen/können,
an dem anderen (heutigen) Abend einen Schauspieler, der die Theatergeschichte in der DDR maßgeblich mitgeprägt hat.
Ohne "Flohbärs" Empfehlung, da sage mir noch jemand etwas gegen solche, hätte ich mir halt den dann tatsächlich erfolgten Cottbus-Pokalsieg gegen Hoffenheim angesehen (wahrscheinlich assoziieren Sie Skat und Fußball an dieser Stelle irgendwie miteinander: das geht auf mich: Stefan und Flohbär haben mir dagegen Theateralternativen aufgezeigt, Doppelkopf müßte ich selbst noch lernen, "Bridge" soll anspruchsvoller sein und auch zu viert...).

@ Eric Ender und Flohbär
Sie sagen es, Herr Ender, diese mindestens 40 %, die gestern im Publikum saßen, ua. DramatikerInnen um den Jahrgang 1970 rum, was ich erwähne, weil solche Inszenierungen gewiß dazu angetan sind, den Funken aus dergleichen DDR-Geschichtsstoffen zu zünden (bei dem Weimarer (!) "(K)ein Land -Heimkehrer/Heimwerker- Studien zur Deutschen Seele", im übrigen am Abend meines Abreisesonntages als Gastspiel im MGT zu sehen, ist dergleichen meineserachtens schon zu beobachten; ähnliche Beobachtungen gibt es desweiteren zu Schernikau- oder Dathabenden), waren nicht zu übersehen, und an der einen oder anderen Stelle war es im Stück durchaus nicht von Nachteil, in der Nähe eines offenbar gelernten DDR-Bürgers zu sitzen, und freilich ist nicht jede ältere Person im Publikum jener Einrichtung in der Niederlausitz zuzuordnen, die "Flohbär" gut zu kennen scheint ...: neben mir sprachen einige jener älteren Personen über die Inszenierung von Langhoff, von Langhoff und Hacks im allgemeinen, - es war nicht uninteressant, da ein wenig zu lauschen, wie es auch nicht uninteressant wäre, diese Stimmen kritisch zum Stück "hier und heute" beispielsweise auf nachtkritik de. zu vernehmen.


@ Stefan
Zu "Die Sorgen und die Macht" werde ich mich, da geht es mir jetzt anscheinend ähnlich wie Ihnen beim Kellerlochmenschen, gewiß noch detaillierter äußern; für mich ist es ein guter Anlaß, mich jetzt eingehender mit Hacks zu beschäftigen, der offenbar die Wirklichkeit so rigoros vor die "Gerichtsbarkeit" des Möglichkeitssinnes der Kunst ("Sozialismus ist die Zeit, in der man Shakespeare verstanden haben wird" - "Es wird nur noch Kommödien geben" ...) zu rufen/zerren verstand: letztlich bishin zur Apotheose der Mauer (die mitunter Kritiker wie Herrn Krug aufbrachte, was in der gestrigen Inszenierung dann wiederum reflektiert wurde, indem Wengiereks und Krugs Kritiken, die hier im Kritikenspiegel auch vorkommen, in die Literaturpapstszene
eingearbeitet worden sind).

Wieder stand der Begriff, Brauns "Übergangsgesellschaft", stimmungsmäßig im Raum: das Publikum hat mitnichten zu einer uninspirierten Inszenierung und nur aus Solidarität geklatscht- wie die Rede zum Ungarnaufstand vor der Pause auf die "Selbstkritik"-Rede (jenes Nachvornediskutieren, jener Zwang zur Selbstkritikmache, die ich als Westler nur erahnen kann, wenngleich die allgemeine freiwillige Selbstbeschränkung den selben Gefühlshintergrund haben dürfte ...) Langhoffs nach der Pause stößt, Frau Wahl trifft es sehr gut: die Widersprüche und die Komplexität werden hier genußvoll erhöht und bestehengelassen, nicht einkassiert,etwas, was auch den "Heimkehrer/Heimwerker"-Abend auszeichnet, wie Hacks es fordert: Es gibt nur eine Entwicklung aus Widersprüchen !

Zu Beginn kam ja auch der Abriß darüber, wozu "man" Hacks so befragen kann: insofern wird mir, sie fragten besorgt nach der "Kieler Einöde", für das "Lektüre-Kiel" nicht allzubange - die Bücherei der Germanistik wird mich demnächst wohl mal wieder von innen sehen..
Die Sorgen und die Macht, DT Berlin: wohl auch Flucht in die klassische Kunstwelt
Tja, trauriger Weise entfällt das Gastspiel aus Weimar mit den Stücken von Tine Rahel Völcker am Sonntag im Gorki, wie ich soeben auf der Website lesen musste. Sie hat aber die Madame Bovary bearbeitet, was im Februar zu besichtigen ist (Vielleicht wieder was für unseren Flohbär). Nun habe ich Sonntag frei und kann auch mal wieder etwas lesen, ich bin immer noch nicht vollständig durch den Turm. Da gibt es ja auch eine an Hacks angelegte Person, den Schriftsteller Eschschloraque, der leider in Potsdam gestrichen, aber in Dresden um so deutlicher gezeichnet wurde. Allerdings tritt hier die Ideologie klar vor der Kunst in den Vordergrund. Ich weiß nicht, ob das bei Hacks tatsächlich so vordergründig war. Darüber lässt sich trefflich streiten. Das es im Sozialismus (oder Kommunismus) keine Widersprüche mehr gibt, alle nur grinsend durch die Gegend rennen und Shakespeare verstanden haben, war und ist sicher ein schöner Traum. Vielleicht auch ein wenig eine Flucht von Hacks vor der sozialistischen Realität in eine klassische Kunstwelt. Er dachte mit ein wenig Kritik kriegt man die noch bestehenden Widersprüche schon irgendwie gelöst, aber die gehören eben nun mal zum realen Leben dazu. Übergangsgesellschaft heißt eben nicht, dass alle gesellschaftlichen Widersprüche schon weg sind und so lebt man immer irgendwie in einem Übergang von irgendwas zu irgendwas, man muss nur wissen, in welche Richtung es gehen soll und in Bewegung bleiben. "Stillstand ist der Tod" - Max Frisch
Also fahren sie ruhig mal wieder nach Dresden. Der Dramaturg (gelernt West) der in Zusammenhang mit Armin Petras (gelernt Ost) die dortige Version des Turms entwickelt hat, bezeichnete sie in einem Publikumsgespräch schon als "Ostversion" und hat mit dieser Feststellung nicht ganz unrecht. Was nicht heißen soll, dass in Potsdam eine "West-Light-Version" zu sehen ist. Es ist nur eine typisch westliche Herangehensweise eine zentrale Figur auszuwählen oder eine Familie in den Fordergrund zu stellen und die sie umgebenden Verhältnisse etwas zu verflachen. Aber das jetzt weiter auszuführen, würde etwas zu viel Zeit in Anspruch nehmen und ich komme vielleicht gelegentlich an passender Stelle noch mal darauf zurück. Ihnen viel Spaß beim nacherzählten Film im HAU und eine gute Reise.
Die Sorgen und die Macht, DT Berlin: Zur kleinen Fanmeile
Vielen Dank, lieber Stefan, für die beiden Wünsche!
Das mit den nacherzählten Filmen ist noch nicht ganz sicher: da lasse ich mir bewußt noch ein wenig Luft. "Zur kleinen Fanmeile" heißt das Internetcafe in Lichtenberg, in dem ich gerade sitze und nun lesen muß, daß der Weimar-Abend am MGT ausfällt: wirklich schade, da der sehr gut zu dem gestrigen paßt.

Am meisten mußte ich im Laufe des Tages allerdings an diesen "Scheinrieseneffekt" durch den Bühnenaufbau des Juno-Zimmers denken, das Bühnenbild hat sicherlich eine Chance beim "Bühnenbild des Jahres", auf der einen Seite und auf der anderen Seite an diese ironisch-anmutig-anrührende Spielweise Claudia Eisingers, zB. in der "Hede-Fahrrad-Szene", dem "Damen-Gespräch" im Juno-Zimmer und beim Fahrradklingellied: neben all den ernsten politischen Anklängen eben auch einfach ein schönes, pointiertes Spiel, so daß ich mich wunderte zu lesen, daß gerade vom Spiel her "Längen" gesehen wurden oder Uninspiriertheit: ich finde, daß man im Gegenteil regelrecht spürte, wie gerne die SpielerInnen dieses Stück gegeben haben.

"Den Turm" habe ich auch noch nicht gelesen, aber ich kann ihn mir bei einem Freund ausleihen, jenem Freund, der mir auch den Kahane-Film "Die Architekten" ausgeliehen hat, der zur Wendezeit spielt und in dem ein Architekt Karriere macht, seine Familie verliert, sein Projekt ihn in den Händen zerbröselt wie das sprichwörtliche Brikett von "Roter Hammer", Karriere macht mit jenem Projekt, seinem Traum, der dann nicht zustande kommt: es wird gezeigt, wie der Staatsapparat und seine Mechanismen diesen Mann zermürben.

Warum ich mich ua. daran erinnere ?
Nun, der "große Hund" will Hede ja verlassen, weil er ihr als Mann nichts mehr geben, nichts schenken, nicht für sie sorgen kann; im "Architekten" erleben wir eine Frau, die ihren Mann im Erfolg verläßt: "Das sind Deine Freunde, Deine Feiern, wo bleibe ich ...?"
Sie geht in den Westen..
Die Sorgen & die Macht, DT Berlin: in der Differenz zum heutigen Kontext
@ Eric Ender: Wie meinen Sie das mit der "mimetischen Konservierung" der Theater(kunst)? Machen Kuttner und Kühnel hier nicht eher das Gegenteil? Und zwar, indem sie die Vergangenheit bzw. DDR-Geschichte in der Differenz zum heutigen Kontext wieder-holen und über diese Bewegung aufbrechen, neu schreiben und kritisch hinterfragen?

Auf der einen Seite steht da für mich die DDR-Kunst-Veranstaltung für das vermeintlich einfache Volk bzw. die proletarischen Massen, welche im Sinne des "sozialistischen Realismus" unterhalten werden sollen, anstatt über den "realistischen Sozialismus" ihrer alltäglichen Lebenssituation nachzudenken. Auf diese Weise kann eine kritische Haltung gegenüber der Staatsführung von vornherein unterbunden werden.
Auf der anderen Seite steht Peter Hacks, der kritische Intellektuelle und Salonkommunist, welcher von den realen Verhältnissen auf der Straße im Grunde keine Ahnung hat und auch gar nicht haben will. In diesem Sinne lässt mich auch die Lesung der Hacks-Gedichte bis heute nicht los. Was war da eigentlich los? Da wurden doch tatsächlich bekannte DDR-Bürgerrechtler aufs Schafott geschickt. Das geht nur im Abstand von heute zur real existierenden totalitaristischen Ideologie. Das geht nur in Form einer Lesung von Gedichten, welche die utopische Vorstellungskraft aufrufen, und nicht in Form einer abbildenden Darstellung. Kurz: Das geht nur in und über die Rahmung der Kunst.

In der Realität war es die friedliche Revolution der DDR-Bürger bzw. des Volkes, welches im Gegensatz zu den abstrakten Begriffen der kommunistischen Ideologie, wie Sie Hacks nur dachte, für bessere Lebensbedingungen und alltagspraktische Solidarität auf die Straße ging, begleitet von ebendiesen von Hacks angegriffenen Bürgerrechtlern, wie zum Beispiel dem Liedermacher Wolf Biermann oder dem künftigen Chef der Stasi-Unterlagenbehörde Roland Jahn.
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