Kastration oder Katerfrühstück

von Andreas Schnell

Osnabrück, 5. September 2010. Nachdem Oliver Bukowski in Hamburg am Rand der Gesellschaft die "Kritische Masse" verortete, sind es in seinem neuesten Stück weniger die Deklassierten als vielmehr vier ganz normale Kleinbürgerinnen, die Existenz zwar mehr oder minder prekär, aber das ist nicht das Entscheidende. Es geht um die Liebe in der zeitgenössischen bürgerlichen Gesellschaft. Wobei Letztere bekanntlich ohne Kapitalismus nicht zu haben ist.

Wenn die Frauen in Kritische Masse noch diejenigen sind, "die sich auch in aussichtlosen Lagen etwas Mütterlich-Tröstendes bewahren, während die Männer in ordinären Sarkasmus flüchten", wie es Daniela Barth in ihrer Nachtkritik formuliert, so ist davon in "Friday Night", dem neuen Bukowski, wenig zu sehen. Diese vier Damen treffen sich offenbar regelmäßig, wobei es ebenso offenbar vordergründig vor allem um ein Thema geht: Männer. Aus dieser Standardsituation entwickelt Bukowski eine kompakte, durchaus klamaukige, nicht selten derbe und erfreulicherweise wirklich komische Komödie.

Pauschales Männer-Bashing, aber lustig

Die Soziologin, die Dauerpraktikatin, die Hausfrau, die Mutter – sie sind sich gegenseitig ebenso Stütze wie Konkurrenz. Die Währung, um die gerungen wird, heißt Glück. Im Wege sind dabei, so die einhellige Meinung, die Männer. Und weil das Urteil ganz pauschal gesprochen wird, ist es egal, welcher spezielle Mann da Objekt der weiblichen Rache wird. Weshalb die vier einfach irgendeinen in die Falle locken, um unter Einfluss von flaschenweise Schaumwein Grundlagenforschung zu betreiben: Warum eigentlich passen Männer und Frauen nicht zusammen?

Klingt nicht wahnsinnig originell, zugegeben. Hat aber Tiefe. Das Opfer des weiblichen Klärungswillens, ein gewisser Jan, wird unter dem Vorwand, bei einem Rohrbruch helfen zu sollen, von Krüger, einer verblühenden Ü-40erin in die Runde gelockt, dort per Elektroschock betäubt, gefesselt und später verhört. Im Folgenden entfaltet "Friday Night" einen Witz, der über den manchmal vielleicht etwas zu beherzten und von der Regie durchaus noch forcierten Griff in die Klamottenkiste hinwegsehen lässt. In wunderbarem 80er-Jahre-Wohnzimmerambiente (einschließlich Diskokugel), in dem das Publikum in Sofas und Sesseln Zaungast spielen darf, wirft Bukowski Schlaglichter auf die Schönheiten des bürgerlichen Liebesideals und zeigt, wie es das, was es stiften soll, notwendig sabotiert.

Bis dass der Tod und so weiter

Liebe in Zeiten des Kapitalismus: Weil das Sichbewähren in der Konkurrenzsphäre des Arbeitsmarktes und der daraus resultierende permanente Leistungsdruck ziemlich erschöpft, sucht der gebeutelte Erberbstätige in der Privatsphäre nach Kompensation. Da ist die Familie oberstes Reproduktionsinstitut, nicht nur wegen der Fortpflanzung.

Drangsaliert von profanen Alltäglichkeiten, versteigt sich also das Individuum – und Bukowski lässt keinen Zweifel daran, dass der Gedanke nicht ans Geschlecht gebunden ist – in die Verrücktheit, der Mensch, in den man sich zu einem früheren Zeitpunkt verliebt haben mag, hätte von nun an – bis dass der Tod und so weiter – geradezustehen für das persönliche Glück, das sich in der schnöden Erwerbstätigkeit partout nicht einstellen will. Und weil kein Geheimnis ist, dass das nicht funktioniert, fängt das derart gescheiterte Individuum an, an sich herumzubasteln. Einfallstor für Ratgeber der Sorte "Lieben heißt die Angst verlieren", der hier exemplarisch für eine ganze Ratgeberindustrie steht.

Die Liebe ist ein seltsames Spiel

Gespielt wird das, als würde sich die von Schlagern und Alkohol befeuerte Soziodynamik ganz in echt abspielen: Doreen Fietz ist als Dr. Kittie Wiessflog eine vielleicht etwas zu kabarettige Wortführerin der Gang. Aber Nicole Averkamp spielt die desillusionierte Krüger wunderbar desolat, Magdalena Steinlein gibt das begriffsstutzige, aber pragmatische Dummchen geradezu hinreißend, Katharina Quast verleiht der aufgelösten, hysterischen Natalie, von ihren Freundinnen tatsächlich "Nattchen" genannt, beträchtlichen Charme. Und Friedrich Witte als Jan Werner Borschein ist der Prototyp des gebrochenen Machos von heute.

Der weiß dann auch selbst von den Fährnissen der Liebe in diesen Zeiten ein Lied zu singen, so unschön wie das der Frauen. Zur Einsicht kommt indes niemand: Am Ende wird Jan kastriert. Vielleicht! Bukowski legt das nahe, lässt es aber offen. Bei Jens Poth, der sich mit dieser Uraufführung vom Theater Osnabrück verabschiedet, taucht Jan nach dem vermeintlichen Blutbad zum Katerfrühstück mit den Damen auf. Nächste Woche ist er wieder dabei, sagt er. Ist eben nur ein Spiel. Vielleicht eines, dass dem Alltag immerhin noch ein wenig Kitzel abtrotzt.

 

Friday Night (UA)
von Oliver Bukowski
Regie: Jens Poth, Bühne und Kostüme: Michael Sieberock-Serafimowitsch, Dramaturgie: Anna Volkland, Tobias Voigt.
Mit: Nicole Averkamp, Doreen Fietz, Magdalena Steinlein, Katharina Quast, Friedrich Witte.

www.theater-osnabrück.de

 

Mehr über Oliver Bukowski lesen Sie im nachtkritik-Lexikon. Oder in der Nachtkritik zu seinem jüngst von den Ruhrfestspielen nach Hamburg umgezogenen Kleist-Stück Wenn Ihr Euch totschlagt, ist es ein Versehen.

 

Kritikenrundschau

"Das Stück ist mit leichter Hand geschrieben und mit sardonischem Sprachwitz gepfeffert, eine kluge Moment- und Bestandsaufnahme des Geschlechterkampfes", so Christine Adam in der Neuen Osnabrücker Zeitung (7.9.2010). Regisseur Jens Poth und sein Team haben sich für hohes Spieltempo gleichsam mit quietschenden Reifen und ein szenisches Feuerwerk entschieden, "doch nie auf Kosten des mit den Pointen und Kaltschnäuzigkeiten unserer Tage gespickten Texts". Zappelnde, kreischende, giftende und säuselnde Frauenpower setze sich da in Pose und zieht alle Register. "Zur geballten Bühnenpräsenz von Nicole Averkamp und Katharina Quast gesellen sich als Neue im Schauspielensemble Doreen Fietz und Magdalena Steinlein, als würden sie schon seit Jahren gemeinsam spielen."

 

 

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